Ralf Schnitzers Konzeption "Singen ist klasse" aus der Sicht funktionaler Stimmbildung

Eine Untersuchung zu ausgewählten stimmbildnerischen Aspekten


Bachelorarbeit, 2015

44 Seiten


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Das Konzept „Singen ist klasse“ und seine Stimmbildung
2.1 Die Entstehung und die gesamtkonzeptionelle Zielsetzung
2.2 Die Stimmbildung und ihre Zielsetzung
2.3 Ausgewählte stimmbildnerische Aspekte
2.3.1 Der Vokal „i“ und die hochfrequenten Klanganteile
2.3.2 Impulshafte Atemübungen und der körperliche Klang
2.3.3 Zusammenführung von zwei stimmbildnerischen Aspekten
2.4 Zusammenfassung

3. Die Funktionale Stimmbildung - Zusammenstellung eines Untersuchungsinstrumentariums
3.1 Die Funktionale Stimmbildung und ihre stimmbildnerische Ausrichtung
3.2 Begriffsdefinition
3.3 Das Untersuchungsinstrumentarium
3.3.1 Der Vokaltrakt als Resonator
3.3.2 Der Vokaltrakt als Artikulator
3.3.3 Das Doppelventil des Kehlkopfs
3.3.4 Zusammenfassung

4. Untersuchung der ausgewählten stimmbildnerischen Aspekte
4.1 Der Vokal „i“ - eine Untersuchung
4.1.1 Der Vokal „i“ und der Vokaltrakt als Resonator
4.1.2 Der Vokal „i“ und der Vokaltrakt als Artikulator
4.2 Impulshafte Atemübungen - eine Untersuchung
4.2.1 Impulshafte Atemübungen und das Doppelventil des Kehlkopfs

5. Schlussbetrachtung

6. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Das Singen hat eine lange Tradition in der Geschichte der Institution Schule. Es war im 19. Jahrhundert und ist heute immer noch Bestandteil des schulischen Unterrichts. Allerdings veränderte sich seine Zielsetzung im Laufe der Zeit immer wieder. So wurde das Singen für religiöse oder sogar politische Zwecke genutzt. Im 19. Jahrhundert sollte zunächst der sehr eng an die Kirche gebundene Schulgesangsunterricht die „ Gemütsbildung1 der Schüler durch die Wirkung der Musik beeinflussen. Ebenfalls sollte durch das Singen ein Nationalbewusstsein etabliert und religiöse Gehalte eingeübt werden. Diese starke Verbindung zur Kirche weichte erstmals mit der Veröffentlichung der Reformlehrpläne durch Hermann Kretschmar 1908 und durch die weiterführende Kestenberg-Reform auf. Durch die entstehende Trennung von der Kirche hat sich die Zielsetzung des Singens in der Schule maßgeblich verändert. Religiöse Aspekte spielten zwar immer noch eine Rolle, jedoch war das Fach Musik nicht mehr nur auf den Gegenstand des Singens reduziert. Ziel des Singens war nun das Vermitteln der Musik- und Notenlehre. Zwar wurde auch die Stimmbildung mit dieser Reform immer mehr in den Musikunterricht integriert, jedoch sollte dem Singen keine Monopolstellung mehr zukommen. So wurden mit dieser Verlagerung des Fokus vom Singen auf die allgemeine musikalische Erziehung unterschiedliche Solmisationsmethoden eingeführt, die die Musiklehre über das Singen erlernbar machen sollten. Diese Zielsetzung veränderte sich wieder in der Zeit des Nationalsozialismus zugunsten einer politischen Instrumentalisierung des Singens. Nun wurde zur Verbreitung politischer Auffassungen und zur Förderung der Gemeinschaft gesungen. Nach einer Zeit, in der aufgrund eben dieser Politisierung kaum mehr gesungen wurde, fand im Laufe der 90er Jahre eine erneute Renaissance des Singens in der Schule statt, die bis in unsere Zeit anhält.2 Es entstanden seit dieser Zeit immer mehr Konzeptionen für die Grundschule sowie für die weiterführende Schule, die das Singen mit einer neuen Zielsetzung wieder in den Mittelpunkt des Musikunterrichts stellen. Als Beispiel können neben einer Vielzahl an entstandenen Chorklassen folgende Konzeptionen genannt werden: „Jedem Kind seine Stimme“ (zwei Grundschulprojekte aus dem Raum Münster „JEKISS“ von Inga Mareile Reuther und Neuss „JeKiSti“ von Holger Müller), „Die Mozartklasse“ der Willy-Brandt Gesamtschule aus Castrop-Rauxel und die Kölner Domsingschule.3 Das gemeinsame Ziel, das von Dr. Stella Antwerpen in ihrem Buch Singen in der Schule, Ästhetische Bildungspotenziale des Singens und des Gesangs durch Untersuchung hinsichtlich ihrer Ziele, Schwerpunkte und Methoden aufgezeigt wurde, ist die Grundmusikalisierung der Schüler. Der gemeinsame Weg zu diesem Ziel ist das Singen und ein wichtiger gemeinsamer Teil dieser Beispiele ist die Schulung der Singstimme.4 In diese lange Entwicklung des Singens in der Schule wurde das von Dr. phil. Ralf Schnitzer entwickelte Konzept „Singen ist klasse“ veröffentlicht. Da das Singen in der Schule immer in historische Kontexte eingebunden war, ist anzunehmen, dass auch das Konzept „Singen ist klasse“ und seine Zielsetzung durch die aktuellen Strömungen und Denkweisen dieser Zeit geprägt ist. Welche Einflüsse diese gesellschaftliche Ausrichtung auf diese Konzeption hat, erscheint zwar interessant, soll jedoch in dieser Arbeit nicht beantwortet werden. Es soll zwar die gesamtkonzeptionellen Zielsetzungen genauer betrachtet werden, doch anstatt diese in Verbindung mit den an sie gestellten Anforderungen der Zeit oder Gesellschaft zu bringen, möchte ich vielmehr die im Laufe der Geschichte als immer wichtiger erachtete Stimmbildung hervorheben und mit dem Blick auf die Zielsetzung der Konzeption betrachten und untersuchen. Interessant ist in diesem Zusammenhang zunächst die Frage nach dem Sinn der Stimmbildung. So könnte man fragen, wozu die Stimmbildung in einem schulischen Rahmen überhaupt wichtig ist. Ist es allein der Wunsch nach einem schönen Stimmklang oder gibt es direkte Einflussmöglichkeiten der Stimmbildung, die das Erreichen der gesamtkonzeptionellen Ziele unterstützen? Und wenn ja, wie muss ihre stimmbildnerische Zielsetzung aussehen und wie soll das praktisch umgesetzt werden? Diese Fragen möchte ich für das Konzept „Singen ist Klasse“ im ersten Teil dieser Arbeit beantworten. Von besonderem Interesse wird dabei die auf dieses stimmbildnerische Ziel ausgerichtete Stimmbildung sein, die ich am Beispiel von zwei ausgewählten Aspekten vorstellen möchte. Diese sind allerdings von einer bestimmten stimmbildnerischen Denkweise geprägt. (vgl. Kapitel 2.3) Hinterfragt man diese Denkweise, tut sich ein großes Untersuchungsfeld auf, das zunächst die gesamte Stimmbildung dieser Konzeption in Frage stellen kann und doch immer auch Optimierungspotenzial beinhaltet. So soll die Herausforderung dieser Arbeit sein, dieses Untersuchungsfeld zu „betreten“ und mögliche ungenutzte Potenziale aufzuzeigen.

Fragestellung und Aufbau der Arbeit

Drei Fragestellungen möchte ich in der vorliegenden Arbeit nachgehen: Zum ersten, welche Ziele mit Schnitzers Konzeption „Singen ist klasse“ und mit dessen Stimmbildung verfolgt werden, zum zweiten, wie die Stimmbildung des Konzepts konkret aussieht und zum dritten, ob die genannten Ziele durch diese Stimmbildung erreichbar sind. Um die Frage nach den Zielen zu beantworten, wird im ersten Teil dieser Arbeit eine in der Konzeption dargestellte Beschreibung der musikalischen Entwicklung und die daraus gezogenen Unterrichtskonsequenzen Aufschluss auf die gesamtkonzeptionelle Zielsetzung geben. Diese Darstellung wird allerdings nur ein grober Abriss bleiben und kann deshalb dem Anspruch auf Vollständigkeit nicht gerecht werden. Jedoch soll die Grundausrichtung dieser Konzeption deutlich werden.

Nachdem die gesamtkonzeptionelle Orientierung aufgezeigt wurde, möchte ich ein stimmbildnerisches Ziel hervorheben, das im besonderen Maße auf die gesamtkonzeptionelle Zielsetzung ausgerichtet ist. Daraufhin soll dargestellt werden, wie die Stimmbildung dieser Konzeption konkret aussieht. Da jedoch durch den begrenzten Rahmen dieser Arbeit nicht die gesamte Stimmbildung betrachtet werden kann, werde ich mich auf zwei stimmbildnerische Aspekte beschränken und diese wie folgt vorstellen: 1. die Nutzung des Vokals „i“ und 2. die impulsfördernden Zwerchfellübungen.

Auf der einen Seite sollen diese Aspekte die Stimmbildung beschreiben, auf der anderen einen Untersuchungsgegenstand darstellen, an dem im dritten Teil dieser Arbeit die Stimmbildung genauer betrachtet werden soll. Um jedoch diese untersuchen zu können, wird zunächst ein Instrumentarium benötigt, mit dessen Hilfe eine Untersuchung überhaupt möglich ist. Dies soll im zweiten Teil dieser Arbeit aus der von Eugen Rabine beschriebenen Theorie zur Stimmfunktion zusammengestellt werden.

Die eigentliche Untersuchung soll dann im dritten Teil der Arbeit durchgeführt werden. Da eine umfassende Betrachtung der im Konzept „Singen ist klasse“ vertretenden Stimmbildung zwar mit der Funktionalen Stimmbildung möglich wäre, jedoch ebenfalls den Rahmen dieser Arbeit weit übersteigen würde, werde ich mich auf die zuvor genannten Aspekte beschränken. So soll in dieser Untersuchung gezeigt werden, ob die ausgewählten Aspekte das Erreichen der Zielsetzungen fördern und welche Potenziale aus der Sicht der Funktionalen Stimmbildung nach Eugen Rabine noch ungenutzt sind.

Methodenreflexion

So wie die Zielsetzung des Singens in der Schule immer auf die kulturellen und sozialen Bedürfnisse der Zeit ausgerichtet war, passten sich die stimmbildnerischen Zielsetzungen immer an die Ästhetik und an das Gesangsrepertoire der Zeit an. Die Breite dieser stimmästhetischen Anforderungen wird schon durch die Betrachtung des aktuellen Popgesangs, der experimentellen Nutzung der Stimme in der zeitgenössischen Vokalmusik und der romantischen Oper deutlich. Eine gemeinsame Basis der Vielzahl stimmbildnerischer Konzepte lässt sich daher nur sehr schwer finden. Ein Versuch dessen war 1937 der Allgemeine Stimmbildungskongress, der auf der Basis von stimmphysiologischen Erkenntnissen eine Grundlage für die Gesangspädagogik schaffen wollte. Bis heute kann jedoch immer noch nicht von einer Einigung in der Gesangspädagogik gesprochen werden. So bestehen immer noch unterschiedlichste Konzeptionen, die teilweise entgegengesetzte Zielsetzungen haben.5 Aufgrund dieser fehlenden Einigung und Unterschiedlichkeit der einzelnen Stimmbildungsschulen musste ich mich zur Untersuchung der ausgewählten stimmbildnerischen Aspekte für eine Stimmbildungsschule entscheiden. Trotz dieser Begrenzung sollte meine Untersuchung eine möglichst große Aussagekraft auch aus der Sicht der gesamten Gesangspädagogik haben. Da schon im Jahre 1937 auf der Ebene der Physiologie und der physiologischen Funktion des Instruments Stimme eine Grundlage gesucht wurde, betrachte ich sie als das verbindende Element der gesamten Gesangspädagogik. So wollte ich meine Untersuchungen auf eine Stimmbildung begründen, die diese Ebene integriert. In diesem Zusammenhang ist die Funktionale Stimmbildung als eine besondere Stimmbildung zu betrachten. Es integriert das stimmphysiologische Wissen nicht nur, sondern stellt es in den Mittelpunkt des Konzepts. Es betrachtet die Stimme und den Körper als Instrument, das in sich als organisches System anzusehen ist und bei einer suboptimalen Funktion wieder ins Gleichgewicht zu bringen ist. Die physiologischen Gesetzmäßigkeiten bilden die Grundlage dafür. Diese Bezogenheit auf die Physiologie des Körpers und der Stimme und die daraus entstehende Stichhaltigkeit lässt dieses Konzept zur wissenschaftlichen Untersuchung anderer stimmbildnerischer Ansätze nützlich und im Zusammenhang mit dieser Arbeit interessant erscheinen.6

Jedoch gibt es auch mittlerweile einige Richtungen der Funktionalen Stimmbildung, die unterschiedliche körperliche und stimmliche Aspekte betonen. Diese Aspekte wurden schnell ausschlaggebend für die Wahl der stimmbildnerischen Konzeption, aus der ich das Untersuchungsinstrumentarium zusammenstellen wollte. Die Funktionale Stimmbildung nach Cornelius J. Reid z.B. stellt die Registerkoordination, also die Koordination der Kopf- und Bruststimme sowie des Falsetts, in den Vordergrund.7 Im Gegensatz dazu betont Rabine die Doppelventilfunktion. Sie ist ein im Kehlkopf sitzendes Ventil, das über die Atmung gesteuert wird und die Stimmfunktion und den Vokaltrakt beeinflussen kann. Des Weiteren beschreibt er den Vokaltrakt in seiner Funktion als Resonator und Artikulator sehr genau. Da sich dies gut zur Analyse der ausgewählten stimmbildnerischen Aspekte eignen wird, habe ich mich mit dieser Stimmbildnerischen Konzeption auseinandergesetzt und werde aus ihr das Untersuchungsinstrumentarium zusammenstellen.

2. Das Konzept „Singen ist klasse“ und seine Stimmbildung

Singen ist klasse ist ein neues Unterrichtskonzept, welches das Singen in den Mittelpunkt stellt, von Anfang an, konsequent und stetig.8

Das Konzept „Singen ist klasse“ sowie jedes andere Unterrichtskonzept lässt sich von unterschiedlichsten Gesichtspunkten aus betrachten. Es kann z.B. auf seinen historischen Hintergrund, seine angestrebte Schüler-/Lehrerbeziehung oder seine verwendeten Methoden hin untersucht werden. Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich diese Betrachtungsansätze allerdings nicht alle verfolgen, sondern den methodischen Wert der Stimmbildung für die gesamtkonzeptionelle Zielsetzung der Konzeption „Singen ist klasse“ hervorheben und durch eine Betrachtung ausgewählter stimmbildnerischer Aspekte einen Eindruck für die so entstandene Stimmbildung vermitteln. Bevor jedoch diese stimmbildnerischen Aspekte beschrieben werden, soll zunächst die gesamtkonzeptionelle und stimmbildnerische Zielsetzung vorgestellt werden.

2.1 Die Entstehung und die gesamtkonzeptionelle Zielsetzung

Die Entstehung

Dr. phil. Ralf Schnitzers Konzept „Singen ist klasse“ wurde im Jahr 2008 in einem Lehrerband des Schottverlags vorgestellt. Es basiert auf dem Zusammenspiel von Stimmbildung, Gehörbildung und Solmisation.9 Der 1961 in Waldshut geborene Schulmusiker, Violoncellist und Sänger, entwickelte diesen Ansatz aus der eigenen Ab- und Auflehnung einer Singepraxis, die von gelangweilten, an Tischen sitzenden und die Situation ertragenden Schülern geprägt war. Diese Ausgangslage und der Wunsch musikalische Äußerungen über eine kunstmäßig erschlossene Singstimme zu fördern und zu erleben, bildete ein großes Spannungsfeld. Die daraus entstandene Unzufriedenheit gegenüber seines eigenen vorerst konventionellen Unterrichts, ließ ihn nach neuen didaktischen Ansätzen suchen. Ein Austausch mit dem Choral Department einer High School in Virginia und Gespräche mit Edwin E. Gordon im Rahmen eines Kurses zu seiner „Musical Learning Theory“ inspirierten ihn zu neuen stimm- und gehörbildnerischen Ansätzen, die er zu dem Konzept „Singen ist klasse“ zusammenführte.10

Gesamtkonzeptionelle Zielsetzung

Wie schon angedeutet, haben die Gehörbildung und die Stimmbildung eine zentrale Bedeutung in der Konzeption „Singen ist klasse“. Ihre Ausrichtung und Zielsetzung wird in der Konzeption von einer neurobiologischen Betrachtungsweise der musikalischen Entwicklung bestimmt und von ihr untermauert. Da diese Aufschluss auf die gesamtkonzeptionelle Zielsetzung gibt, soll sie nun kurz beschrieben und die aus ihr gezogenen gehör- und stimmbildnerischen Konsequenzen angedeutet werden. Aus diesen Ausführungen möchte ich dann zu einer gesamtkonzeptionellen Zielformulierung finden.

Wie auch von Wilfried Gruhn in seinem Buch Der Musikverstand beschrieben, ist die musikalische Entwicklung als eine neurologische Verarbeitung von akustischen Reizen zu betrachten.11 Nach Gruhn bedeutet dies Folgendes: Wenn ein akustischer Reiz auf das Ohr trifft, werden sie in elektrische Signale umgewandelt und über Nervenbahnen ins Gehirn weitergeleitet. Um den bis dahin bedeutungslosen Impulsen eine Bedeutung zu geben und sie in einen Zusammenhang stellen zu können, werden sie mit schon vorhandenen mentalen Mustern, die Repräsentationen genannt werden, verglichen oder mit ihrer Hilfe gedeutet. Auf diese Weise bilden sich immer neue Repräsentationen, wodurch ein immer größer werdendes neurologisches Netz entsteht.12 Dieses wachsende Netzwerk wird in der Konzeption „Singen ist klasse“ als das Sammeln von tonalen Hörerfahrungen beschrieben. Sie werden mit der Zeit zu einem tonalen Hörgedächtnis verdichtet und sind Grundlage des Musikverstehens sowie des eigenen Musizierens. Auf der einen Seite werden diese Hörerfahrungen und das entstehende Hörgedächtnis folglich für das Singenlernen zur Voraussetzung. Auf der anderen Seite wird durch das Singen selbst oder allgemein durch das Musizieren dieser Lernprozess gefördert. So kommt mit den ersten stimmlichen Imitationsversuchen des Babys ein „ Lernloop13 aus „ Hören - Vorstellen - Machen14 zustande, der als Grundlage jeder musikalischen Entwicklung betrachtet wird.15

Um dieses Sammeln von tonalen Hörerfahrungen und die Entstehung eines Hörgedächtnisses durch die Konzeption „Singen ist klasse“ zu fördern, wird auf der gehörbildnerischen Seite auf die Relative Solmisation zurückgegriffen. Durch sie lernen die Schüler tonale Grundbausteine, Zusammenklänge, Dreiklänge und Kadenzen kennen.16 Sind diese erst einmal zu einem zur Verfügung stehenden Repertoire geworden, wird das Gesungene durch die Verschriftlichung festgehalten und noch einmal kognitiv durchdrungen.17

Neben der Gehörbildung richtet sich auch die Stimmbildung durch die Berücksichtigung psychoakustischen Grundlagen des Hörens und Musikverstehens auf diesen Prozess aus.18 (siehe Kapitel 2.2) So soll durch die Gehör- und Stimmbildung dem Schüler auf seinem musikalischen Entwicklungsweg in Anbetracht seiner Lernmechanismen angemessen geholfen werden. Ein Ziel der gesamten Konzeption ist folglich die Förderung der musikalischen Entwicklung der Schüler, d.h. das Auffüllen des Hörgedächtnisses mit tonalen Hörerfahrungen.

2.2 Die Stimmbildung und ihre Zielsetzung

Nachdem nun zu einer gesamtkonzeptionellen Zielformulierung gefunden wurde, stellt sich die Frage, wie die Stimmbildung das Erreichen dieses Ziels unterstützen kann. Zunächst ist die Aufgabe der Stimmbildung, wie der Begriff verrät, die Bildung oder Entwicklung der Stimme. Sie soll die Fähigkeiten der Stimme für den Sänger nutzbar machen.19 So ist es relativ leicht zu verstehen, dass durch einen größeren Umfang, einer Fähigkeit zum messa di voce oder eines guten Vokalausgleichs die Ausdruckfähigkeit des Instruments Stimme gefördert werden kann. Doch wie kann eine Förderung der eben beschriebenen musikalischen Entwicklung durch die Stimmbildung aussehen? In der Konzeption „Singen ist klasse“ ist ein darauf ausgerichteter stimmbildnerischer Ansatz vorgestellt worden. Er steht immer im Bezug zum Schüler und richtet sich auf die eben dargestellte musikalische Entwicklung aus. Die Grundlage dieses Ansatzes wird wie folgt von Ralf Schnitzer durch die psychoakustischen Bedeutungen hochfrequenter Klanganteile beschrieben:

„ Klangfarben werden wesentlich von Obertonzusammensetzungen bestimmt und auch die Reinheit von Zusammenklängen hört unser Ohr genauestens an der Stimmigkeit hochfrequenter Ü berlagerungen. Das strukturelle Hören eines polyphonen Geflechts ist uns deshalb möglich, weil sich die Einzelstimmen in ihren hochfrequenten Klanganteilen charakteristisch gegeneinander abzeichnen.(...)Für ein effizientes gehör- und stimmbildnerisches Lernen im Unterricht sind diese Anteile entscheidend. So fühle ich mich hier bester gesangspädagogischer Methoden verpflichtet, die zuerst den Vordersitz, die Maske und damit Helligkeit und erst dann den „ großen “ Klangs sucht. “ 20

Wenn nun Klangfarben, Intonation und strukturelles Hören durch hochfrequente Klanganteile bestimmt und möglich gemacht werden, sind diese zur Bildung eines Hörgedächtnisses und damit für die musikalische Entwicklung maßgeblich. D.h., je mehr hochfrequente Klanganteile die stetigen akustischen Horreize auszeichnen, desto klarer sind die Hörerfahrungen des Schülers und desto differenzierter kann sich sein Hörgedächtnis bilden.21 Mit dieser Erkenntnis kommt der eigenen Stimme des Schülers eine besondere Bedeutung zu. Da sie sein beständigster Hörreiz ist, hat sie einen direkten Einfluss auf diese Qualität des Hörgedächtnisses. So bestimmt die Qualität der Stimmgebung die Reizqualität und deren Verarbeitung in das Hörgedächtnis. D.h je höher die stimmlichen Fähigkeiten des Schülers, desto besser kann sich sein Hörgedächtnis entwickeln und desto besser kann seine Hör- und Intonationsfähigkeit werden.22 Der stimmlichen Entwicklung, hinsichtlich der musikalischen Entwicklung kann daher kaum zu viel Aufmerksamkeit geschenkt werden.23 Ein betontes Ziel des stimmbildnerischen Ansatzes zur Unterstützung einer musikalischen Entwicklung ist folglich die Förderung eines sich durch hochfrequente Klanganteile auszeichnenden hellen Stimmklangs.24

2.3 Ausgewählte stimmbildnerische Aspekte

Bisher wurde ein kleiner Überblick über Schnitzers Konzept „Singen ist klasse“ gegeben und durch die Betrachtung der musikalischen Entwicklung und der Förderung hochfrequenter Klanganteile zu einer gesamtkonzeptionellen und stimmbildnerischen Zielformulierung gefunden. Um einen Eindruck von der auf das eben genannte stimmbildnerische Ziel ausgerichteten Stimmbildung zu geben, möchte ich nun dieses näher betrachten. Da jedoch dies in einem umfassenden Maß im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich ist, möchte ich mich auf folgende zwei Aspekte beschränken, sie genauer darlegen und deren Umsetzung beschreiben. Zum einen erscheint in der Konzeption die Förderung eines hohen Frequenzanteils und eines hellen Stimmklangs über die Nutzung des Vokals „i“ erreichbar. Zum anderen soll durch impulshafte Atemübungen ein Kontakt zwischen der Körpermitte und Stimmklang hergestellt werden. Um diese zwei Punkte zu verdeutlichen, werde ich nach einer Betrachtung des jeweiligen Aspekts einige der in der Konzeption beschriebenen Übungen aufgreifen und deren Umsetzung anhand von Videoaufnahmen, die auf einer DVD25 dem Lehrerband der Konzeption beiliegen, aufzeigen.

2.3.1 Der Vokal „i“ und die hochfrequenten Klanganteile

Ein wichtiger Aspekt des stimmbildnerischen Ansatzes der Konzeption „Singen ist klasse“ zur Förderung hochfrequenter Klanganteile ist die Nutzung des Vokals „i“. Er wird als ein Vokal betrachtet, der im Vergleich zu den anderen Vokalen die meisten hochfrequenten Klanganteile besitzt. Dies lässt ihn zur musikalischen Entwicklungsförderung als gut geeignet erscheinen. Die durch die hochfrequenten Klanganteile entstehende Helligkeit soll zunächst durch den Vokal „i“ etabliert und als Qualität vermittelt werden. Ist diese hochfrequente Vokalqualität des Vokals „i“ erst von den SuS erkannt und verinnerlicht worden, wird sie auf alle Vokale übertragen. Dazu werden die SuS zunächst langsam vom „i“ über das „e“ zu einem weit geöffneten „a“ geführt, um dann diese nach und nach durch einen häufigen Vokalwechsel vom „i“ auf die anderen Vokale zu übertragen. Als weiteres Mittel zur Übertragung dieser hochfrequenten Klanganteile kann ebenfalls der „i“ ähnliche Konsonant „j“ unterstützend wirken und substitutiv zum Vokal „i“ eingesetzt werden.

[...]


1 Antwerpen, Stella: Singen in der Schule. Ästhetische Bildungspotenziale des Singens und des Gesangs. Waxmann Verlag GmbH. Münster 2014, S. 44

2 vgl. Antwerpen, 2014, S.43-52

3 vgl. Antwerpen, 2014, S.162 ff

4 vgl. Antwerpen, 2014, S. 205-212

5 vgl. Antwerpen, 2014, S. 46-50

6 Reid, Cornelius L.: Funktionale Stimmentwicklung. Zweck und Bewegungsablauf von Stimmübungen. B. Schott’s Söhne. Mainz 1994, S. 8-9

7 http://www.corneliuslreid.com (letztes Abrufdatum 06. Februar 2015)

8 Schnitzer, Ralf: Singen ist klasse. Lehrerband. Schott Music 2008, äußerer Klappentext

9 vgl. Schnitzer, 2008, S. 91

10 Schnitzer, Ralf: Singen in der Sekundarstufe I. Ein Erfolgsmodell musikerzieherischer Praxis. In: Schweizer Musikzeitung, 2000-Februar, Nr.2, S. 3-7

11 vgl. Schnitzer, 2008, S. 12 ff

12 vgl. Gruhn, Wilfried: Der Musikverstand. Neurobiologische Grundlagen des musikalischen Denkens, Hörens und Lernens. Georg Olms Verlag. Hildesheim, Zyrich, New York 1998, S. 27- 33

13 Schnitzer, 2008, S. 27

14 Schnitzer, 2008, S. 27

15 vgl. Schnitzer, 2008, S. 14-15

16 vgl. Schnitzer, 2008, S. 42 ff

17 vgl. Schnitzer, 2008, S. 67-68

18 vgl. Schnitzer, 2008, S. 25-29

19 vgl. Spital, Helga: Stimmstörungen im Kindesalter. Ursachen, Diagnose, Therapiemöglichkeiten. Georg Thieme Verlag. Stuttgart 2004, S. 83

20 Schnitzer, 2008, S. 27

21 vgl. Schnitzer, 2008, S. 27

22 vgl. Schnitzer, 2008, S. 27

23 Diese Abhängigkeit der Intonation von hochfrequenten Klanganteilen insgesamt oder in unterschiedlichen Frequenzbereichen kann leider an dieser Stelle nur aus der Sicht von Schnitzer wiedergegeben werden. Eine Untersuchung dessen würde ein ganz neues Themenfeld aufzeigen und kann aufgrund dessen hier nicht stattfinden.

24 Schnitzer, 2008, S. 27

25 Schnitzer, Ralf: Singen ist Klasse. Deutschland 2007

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Ralf Schnitzers Konzeption "Singen ist klasse" aus der Sicht funktionaler Stimmbildung
Untertitel
Eine Untersuchung zu ausgewählten stimmbildnerischen Aspekten
Autor
Jahr
2015
Seiten
44
Katalognummer
V314766
ISBN (eBook)
9783668315778
ISBN (Buch)
9783668315785
Dateigröße
4045 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ralf, schnitzers, konzeption, singen, sicht, stimmbildung, eine, untersuchung, aspekten
Arbeit zitieren
Henry Friesen (Autor:in), 2015, Ralf Schnitzers Konzeption "Singen ist klasse" aus der Sicht funktionaler Stimmbildung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/314766

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