Leseprobe
Inhaltverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Bedeutung von Besuchskontakten
3. Empfehlung zu Besuchskontakten bei Pflegekindern mit erlebter Traumatisierung in der Herkunftsfamilie
4. Résumé
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Jahr 2009 befanden sich 1296 Säuglinge, Kinder und Jugendliche in österreichischen Pflegefamilien. (Referat für Adoptiv- und Pflegekinder 2009, 10) Bei Kindern, die in Pflegefamilien leben, spielen auch immer die Besuchskontakte zu den Herkunftsfamilien eine wichtige Rolle. Das Thema der Besuchskontakte wird im Pflegekinderwesen regelmäßig intensiv diskutiert. Es ist sowohl ein Recht des Pflegekindes als auch ein Recht der Herkunftseltern, dass sie sich durch Besuchskontakte regelmäßig sehen. Der Maßstab muss jedoch jeweils das Kindeswohl sein. (Verein für Pflegeeltern in Österreich [2014a], [1]) Aber besonders für Pflegekinder mit erlebten Traumatisierungen in der Herkunftsfamilie stellt sich die Frage, wie diese Besuchskontakte gestaltet werden können. „Man kann jetzt fragen, ob denn alle Abnahmen mit Traumatisierungen zusammenhängen? Da die Jugendwohlfahrt nur dann einschreitet, wenn das Kindeswohl massiv gefährdet ist, kann man diese Frage zumeist mit einem deutlichen 'Ja' beantworten. (Ausgenommen seien hier die Fälle, wo leibliche Eltern ihre Kinder freiwillig in Pflege übergeben.)“(Verein für Pflegeeltern in Österreich [2014b], [2]). Aufgrund dessen, dass das Thema der Besuchskontakte zu den Herkunftsfamilien im Fall von erlebter Traumatisierung des Kindes regelmäßig kontrovers diskutiert wird, gilt unser Forschungsinteresse der Bearbeitung folgender Forschungsfrage:
Welche Empfehlungen finden sich bei Monika Nienstedt und Arnim Westermann in Hinblick auf Besuchskontakte zwischen Pflegekindern und ihren leiblichen Eltern im Fall von erlebter Traumatisierung in der Herkunftsfamilie und wie begründen sie diese?
Mit Hilfe dieser Arbeit kann ein kleiner Beitrag zur bildungswissenschaftlichen Forschung geleistet werden, da die Scientific Community der Bildungswissenschaft sich mit Bildungs- und Entwicklungsprozessen beschäftigt und als wissenschaftliche Disziplin stets daran interessiert ist, ihre Erkenntnisse über diese Prozesse zu erweitern und daraus neue Ansätze unter anderem für die kindliche Entwicklung und Förderung zu erarbeiten. Durch erlebte Traumatisierungen kann die Entwicklung von Pflegekindern behindert und durch Besuchskontakte der leiblichen Eltern eventuell weiter beeinträchtigt werden (Nienstedt, Westermann 2013). Die Ergebnisse unserer Auseinandersetzung zum Thema Besuchskontakte bei Pflegekindern könnten vor allem PädagogInnen und BeraterInnen als Orientierungshilfe für die eigene pädagogische Praxis dienen.
Mit Hilfe einer Analyse von Fachliteratur zum Thema Besuchskontakte von Nienstedt und Westermann wird die Bedeutung von Besuchskontakten für Pflegekinder im Allgemeinen und für Pflegekinder mit erlebter Traumatisierung im Besonderen herausgearbeitet. Schließlich können auf dieser Basis Überlegungen getroffen bzw. Empfehlungen zu Besuchskontakten zwischen traumatisierten Pflegekindern und ihren leiblichen Eltern gegeben werden. Da sich Westermann und Nienstedt seit Jahrzehnten sowohl auf praktischer als auch auf theoretischer Ebene mit der Thematik der Heim-, Pflege-, und Adoptionskinder auseinandersetzen (Nienstedt, Westermann 2013), werden diese Autoren als ExpertInnen zur Beantwortung unserer Forschungsfrage herangezogen.
Als Ergebnis kann erwartet werden, dass bei Besuchskontakten von Pflegekindern, die traumatisierende Erlebnisse in der Herkunftsfamilie erfahren haben, andere Empfehlungen gegeben werden, als bei Besuchskontakten für Pflegekinder, die keine traumatisierenden Erlebnisse erlebt haben. Diese Vorannahme beruht darauf, dass der Kontakt eines Kindes zu den leiblichen Eltern bei erlebter Traumatisierung die Aufarbeitung der traumatischen Erlebnisse sowie den Aufbau einer Eltern-Kind-Beziehung zu den Pflegeeltern, die für die Entwicklung der Persönlichkeit nötig ist, negativ beeinflussen kann. Dementsprechend werden differenzierte Empfehlungen von den Autoren erwartet.
Zur besseren Orientierung soll an dieser Stelle eine kurze Übersicht zum inhaltlichen Aufbau dieser Arbeit gegeben werden.
Im ersten Kapitel dieser Arbeit wird die Bedeutung von Besuchskontakten für Pflegekinder herausgearbeitet. Im zweiten Kapitel wird geklärt, wie Nienstedt und Westermann „Trauma“ bzw. „Traumatisierung“ definieren. Auf Basis ihrer Begriffsklärung wird anschließend auf deren Empfehlung und deren Begründung für die Besuchskontakte eingegangen. Im dritten Kapitel wird die ausgehende Forschungsfrage beantwortet und es wir abschließend nochmals ein Überblick über die gewonnenen Ergebnisse gegeben.
2. Die Bedeutung von Besuchskontakten
Bevor im nächsten Kapitel auf die konkrete Empfehlung von Nienstedt und Westermann eingegangen wird, soll in diesem Kapitel dargestellt werden, welche Bedeutung, welchen Sinn und welche Besuchskontakte grundsätzlich für das Pflegekind haben. Diese Aspekte werden deshalb beleuchtet, um einen Einblick zu bekommen, warum Pflegekinder überhaupt weiter in Kontakt mit ihren leiblichen Eltern bleiben sollten.
Nach Fahlberg (1994) sollen Besuchskontakte besonders:
- „Verleugnung und Vermeidung verhindern;
- das Wiedererleben von Trennungsgefühlen ermöglichen auf einer Ebene, die [zu; Anm. d.V.] bewältigen ist;
- die Gelegenheit bieten, Gefühle zu bearbeiten;
- Anlass geben, Gründe für die Trennung zu besprechen;
- magisches Denken reduzieren;
- Loyalitätsprobleme verringern;
- Bindungstransfer fortsetzen, d.h. die neuen Betreuungspersonen >empowern<;
- die Identitätsfindung unterstützen.“ (Fahlberg 1994 zit. n. Küfner, Helming, Kindler 2011, 580)
Anhand der Zielsetzung von Besuchskontakten nach Fahlberg wird sichtbar, dass die Kontakte zu den leiblichen Eltern vor allem dem Kind dabei helfen sollen, die erlebten traumatischen Gefühle in einem geschützten Raum verarbeiten zu können, ohne diese zu vermeiden oder zu verleugnen, und dem Kind bei seiner Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsfindung zu unterstützen.
Pflegekinder machen sich oft Gedanken in Bezug auf ihre Herkunftsfamilie und die Gründe der Fremdplatzierung. Besuchskontakte sollen deshalb grundsätzlich gefördert und gewährleistet werden, um dem betroffenen Kind die Beziehung zur Herkunftsfamilie weiterhin zu ermöglichen und so Bindungsabbrüche zu vermeiden. Dennoch ist eine differenzierte Sichtweise im Einzelfall angebracht: „Kontakte können den Kindern gut tun, aber unter bestimmten Bedingungen auch schaden“ (Küfner, Helming und Kindler 2011, 578). Dementsprechend sind Besuchskontakte zur Herkunftsfamilie für das Kind positiv, da es bei einer möglichen Rückführung sich nicht allzu sehr von den leiblichen Eltern entfremdet und bei einer dauerhaften Fremdplatzierung durch die Herkunftsfamilie bei der Identitätsfindung unterstützt werden kann. Von Nachteil können nach Nienstedt und Westermann die Besuchskontakte zu den leiblichen Eltern dann sein, wenn Angstgefühle durch die Erinnerung an die traumatischen Ereignisse beim Kind hervorgerufen werden. (Nienstedt, Westermann 2013, 221) Folglich gilt es die Vor- und Nachteile, Risiken und Nebenwirkungen abzuwägen. Besuchskontakte haben im Interesse der Kinder nach Küfner, Helming und Kindler (2011, 578) folgende Ziele:
- Bei einer möglichen Rückführung in die Herkunftsfamilie sind regelmäßige Kontakte bedeutsam dafür, dass sich das Kind nicht von den leiblichen Eltern entfremdet.
- Bei einer dauerhaften Unterbringung in einer Pflegefamilie sollen die leiblichen Eltern die Kinder durch Besuchskontakte regelmäßig und unterstützend im Leben begleiten, wodurch die Möglichkeit eines Zugangs zu der eigenen Identität in der Herkunftsfamilie ermöglicht wird.
- Infolge von Besuchskontakten soll das Kind die Chance bekommen, dass es ein realistisches Selbstkonzept von einem Leben mit zwei Familien entwickelt.
- Durch Besuchskontakte können sich Kinder absichern, dass es ihren leiblichen Eltern relativ gut geht. Somit können sie mit weniger Sorgen in ihrer Pflegefamilie leben.
Wie ersichtlich wurde, können Besuchskontakte unterschiedliche Ziele nach sich ziehen. Bei Besuchskontakten muss jedoch immer wieder der Einzelfall betrachtet werden, da sie, wie bereits oben erläutert, einerseits für das Kind wohltuend sein können, andererseits dem Kind aber auch schaden können. Es stellt sich nun die Frage, ob und wie Kontakte zwischen den leiblichen Eltern und traumatisierten Kindern gestaltet werden sollen. Bevor dieser Frage nachgegangen werden kann, muss zunächst ein Verständnis davon geklärt werden, was Nienstedt und Westermann unter dem Begriff „Trauma“ verstehen. Erst auf Basis dieser Klärung können die Empfehlungen von Nienstedt und Westermann zu den Kontakten von Pflegekindern zu ihren leiblichen Eltern im Fall von erlebter Traumatisierung in der Herkunftsfamilie dargestellt werden.
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