Cindy Shermans "Untitled Film Stills" als Reaktion auf die Rolle der Frau im Film der 50er und 60er Jahre


Bachelor Thesis, 2013

132 Pages


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Danksagung

1. Einführung

2. Cindy Sherman–Frau, Fotografin und Postmodernistin
2.1.Das Studium in Buffalo
2.2.Vom Entdecken der Fotografie
2.2.1.ShermansHead Shots
2.2.2. Die Authentizitätsproblematik
2.3. Die Anfänge in New York

3. Kunstwelt und künstliche Welten–Die Postmoderne
3. Kunstwelt und künstliche Welten–Die Postmoderne
3.1.Die Ordnung der Simulakra nach Jean Baudrillard
3.2. Die Krise der Repräsentation

4. Das Format des Film Stills

5. Die Film Stills #1 - #6
5.1.Film Still #1
5.2. Film Still #2
5.3. Film Still #3
5.4. Film Still #4
5.5. Film Still #5
5.6. Film Still #6
5.7. Die Merkmale derUntitled Film Stillsnach den Bildanalysen derFilmStills #1-#6

6. Der männliche Blick und die feministische Filmtheorie über die Frauenrolle im amerikanischen Hollywoodfilm
6.1.Film Still #11
6.1.1. Die versteckte zweite Rolle
6.1.2. Der versteckte Geschlechterkonflikt
6.2. Film Still #34
6.3. DerFilm Noirund die Rolle derFemme Fatale
6.4. Der Vergleich vonFilm Still #34 und #11: verbitterte Hausfrau vs.FemmeFatale

7. Das Europäische Kino
7.1.Der italienische Neorealismus
7.2.L´Aventura und das Film Still #56
7.2.1. L´Aventura oder Die mit der Liebe spielen
7.2.2. Das Standfoto aus AntonionisL´Aventura
7.2.3. Das Film Still #56
7.3. L´Éclisse und dasFilm Still #16
7.3.1.L´Éclisse(Liebe 1962)
7.3.2. Das Standfoto aus Michelangelo AntonionisL´Éclisse
7.3.3. Film Still #16
7.4. Antonioni und Sherman im Vergleich

8. Alfred Hitchcock–Bindeglied zwischen europäischer und amerikanischer Filmkunst
8.1.Die filmische Entwicklung
8.2.Bei Anruf Mord-Die Figur Margot unddas Film Still #5
8.3.Das Fenster zum Hof–Die Figur Lisa Fremont und dasFilm Still #54
8.4. Marnie und das Film Still #48

9. Das Serielle–DieCity Girl-Sequenz
9.1.Film Still #21
9.2. Film Still #23
9.3. Film Still #22

10. DieUntitled Film Stills- Die Rolle(n) eines Lebens

I. Abkürzungs-, Formel- und Symbolverzeichnis

II. Abbildungsverzeichnis

III. Literaturverzeichnis

IV. Quellenverzeichnis

IV.I.Internet

IV.II. Filme im Internet

IV.III. Filme von Datenträgern

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich zunächst bei meinen beiden Prüfern bedanken: Dr. phil. Berthold Petzinna, der mich mit Geduld, inspirierenden Denkanstößen und motivierenden Worten von Beginn an unterstützt hat. Prof. Dr. Renatus Schenkel, dessen Zusage als Zweitbetreuer genau im richtigen Moment kam und mich so zu neuen Höchstleistungen animiert hat.

Natürlich verdanke ich diese Arbeit auch meinen Eltern, die für ein themenrelevantes Gespräch immer ein offenes Ohr hatten. Ihrem Vertrauen in Verbindung mit dezentem Druck verdanke ich die Beendigung dieser Arbeit.

Meinem Partner, der mich immer unterstützt und mit seinem grenzenlosen Optimismus in schwierigen Zeiten aufgefangen hat, danke ich ebenfalls.

Abschließend danke ich meinen Freunden dafür, dass sie mir in den vergangenen Monaten immer zur Seite gestanden und mich an den richtigen Stellen zu Arbeitspausen gezwungen haben.

1. Einführung

Kein anderes Medium erlaubt eine komplexere Darstellung der Frau als der Film. In ihm fließen Bild und Ton durch Bewegung zusammen. Gleichzeitig bedient er sich verschiedenster Inszenierungsmöglichkeiten: Die Position der Kamera schafft Perspektiven, Licht und Musik schaffen Stimmung, Kostüme und Make-up eine Identität. Die dadurch konstruierte Weiblichkeit ist ein soziales Konstrukt (Gender), welches viele verschiedene Formen annehmen kann. Allen Erscheinungsformen gemein ist ihr Resultat: ein Stereotyp, Rollenbild oder ganz einfach ein Klischee, durch das sich das Verhältnis zwischen Mann und Frau definiert. Mit denen konfrontiert der Film als Unterhaltungsmedium seine Rezipienten täglich und trägt dabei bewusst und unbewusst zur Verinnerlichung und Verfestigung von Frauenbildern bei, die in der Öffentlichkeit unser Denken und somit auch unser Verhalten beeinflussen.[1] Die sogenannten Gender Studies gehen davon aus, dass bestehende Geschlechterverhältnisse und die daraus resultierenden spezifischen Geschlechterrollen nicht naturgegeben, sondern von unserem kulturellen Umfeld abhängig sind. Daher unterscheiden sie, seit der Gender Debatte in den 70er Jahren, zwischen den Begrifflichkeiten des biologischen Geschlechts (Sex) und des sozialen Konstrukts (G ender) und versuchen die Bildung eines sozialen Konstrukts im kulturellen Kontext zu erklären. Damit wird die Konstruktion von Weiblichkeit und der daraus resultierenden Identitätsbildung durch die Medien als Teilbereich der Gender Studies verstanden. Das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Gesellschaft und den von ihr konsumierten Medieninhalten wird durch das Konstruieren von Weiblichkeit am stärksten sichtbar. Wir sind, was wir sehen und wir sehen, was wir sehen wollen. So wird auch der Film zum Spiegel der Gesellschaft für die er gemacht wird. Auf eine äußerst ungewöhnliche Weise widmet sich Ende der 70er Jahre auch die amerikanische Fotografin Cindy Sherman der Thematik der Darstellung der Frau im Film in ihrer Arbeit der Untitled Film Stills. Aufgewachsen in einer Zeit, in der das Fernsehen die Welt des Films in alle Haushalte bringt, unterliegt auch sie der Einflussaufnahme der aufkommenden Massenmedien und setzt sich bewusst damit auseinander, indem sie sich in fiktiven Filmszenen selbst in unterschiedlichen Frauenrollen aus den Filmen der 50er und 60er Jahren inszeniert. Inwieweit ihr Umgang mit weiblichen Stereotypen ungewöhnlich ist, soll innerhalb dieser Arbeit untersucht werden. Ziel dieser Arbeit wird es sein, die Untitled Film Stills als Reaktion auf das filmisch dargestellte Frauenbild der 50er und 60er zu verstehen. Aufgrund der engen Verknüpfung von Medien und Kultur soll neben der Untersuchung der filmisch dargestellten Rollenbilder auch der gesellschaftliche Kontext betrachten werden in dem sie entstanden sind. Daraus ergibt sich die Unterteilung meiner Arbeit in zwei inhaltliche Schwerpunkte: Die Künstlerin Cindy Sherman und der Rolle der Frau im Film der 50er und 60er Jahre. Hinführend zum künstlerischen Wirken Shermans soll die Arbeit zunächst mit einer biografischen Annäherung beginnen, um wichtige Wesenszüge ihrer Person hinsichtlich ihrer zukünftigen künstlerischen Auffassungsgabe zu beleuchten. Dabei lege ich großen Wert auf die Untersuchung ihrer ersten fotografischen und filmischen Arbeiten, da diese als Grundstein für ihr Oeuvre angesehen werden können. Daraufhin soll ein kunsthistorischer und philosophischer Diskurs erfolgen. Hierbei wird Cindy Sherman als Künstlerin der Postmoderne mit der philosophischen Denkweise des Franzosen Jean Baudrillards in Zusammenhang gebracht. Um im Folgenden Cindy Shermans Arbeit der Untitled Film Stills als Reaktion auf die Rolle der Frau im Film der 50er und 60er Jahre betrachten zu können, bedarf es vorweg einer Analyse ihrer ersten sechs Fotografien dieser Serie. Anhand dessen sollen formale und inhaltliche Merkmale veranschaulicht werden. Erst dann kann eine Interpretation hinsichtlich der Aufgabenstellung erfolgen. Hierbei wird nun versucht, die theoretischen erworbenen Grundlagen um die Thematik des Frauenbilds im Film zu erweitern. Beginnend beim amerikanischen Kino bis hin zum europäischen. Mithilfe zahlreicher Filmbeispiele, die anhand einer kurzen Inhaltsangabe für den Leser besser nachvollziehbar werden sollen, möchte ich auf Ähnlichkeiten zu bestimmten Frauenrollen hinweisen und Shermans Fotografien als Reaktion auf jene erklären. Die Ambiguität ihrer Film Stills wird sicherlich dazu führen, dass es an mancher Stelle zu Überschneidungen einzelner Filmrollen bzw. zu anderen Ansichten seitens des Lesers kommen kann. Jedoch kann ich bereits jetzt dazu Stellung nehmen, indem ich darauf hinweise, dass dies durchaus im Sinne der Künstlerin selbst liegt. Ebenso wie Shermans Arbeit als Zusammenfließen ihrer medial geprägten Sichtweise auf Frauen und deren Darstellung im Film zu deuten ist, sind auch meine Interpretationen als Resultat der Auseinandersetzung mit eben jenen Filmen der 50er und 60er zu verstehen.

2. Cindy Sherman Frau, Fotografin und Postmodernistin

Cynthia Morris Sherman wird am 19. Januar 1954 als jüngstes von insgesamt fünf Kindern in Glen Ridge, New Jersey geboren. Als Cindy Cynthia nennt sie kaum jemand drei Jahre alt wird, zieht die Familie nach Long Island. Als Tochter eines Flugzeugingenieurs und leidenschaftlichen Kamerasammlers und einer Lehrerin, verbringt sie ihre Kindheit vorwiegend am Strand oder allein in ihrem Zimmer. Dort zeichnet sie oder verkleidet sich. Eine alte, von der Großmutter geerbte, Truhe dient ihr dafür als Kostümfundus. Dabei geht es ihr weniger darum, hübsch auszusehen: Ich versuchte, wie eine andere Person auszusehen sogar wie eine alte Dame. Ich verkleidete mich als Monster oder so was in der Art, das fand ich viel lustiger, als einfach nur wie Barbie auszusehen. [2] Sie verliert sich in den unterschiedlichsten Persönlichkeiten und kostümiert und schminkt sich jeden Tag. Ebenso früh wie die Leidenschaft zum Verkleiden entwickelt sich auch Cindys Interesse für den Film.

Als Kind der 50er Jahre gehört Cindy Sherman zur ersten Generation von Amerikanern, die mit dem Massenmedium Fernsehen aufwachsen. Damals wie heute übt das bewegte Bild eine unheimliche Faszination auf sie aus. Bereits als Kind verfolgt sie akribisch The Million Dollar Movie, eine der ersten Sendungen die Spielfilme zeigt. Von RKO General Pictures produziert[3], wurde darin von 1955 bis 1966[4] jede Woche ein anderer Film gezeigt: eine Abend- und eine Nachtvorstellung, bis man ihn in- und auswendig kannte [5] Schon früh bemerkt ihr Vater das Interesse seiner Tochter für Kunst und Film und schenkt ihr zum zehnten Geburtstag einen eigenen Fotoapparat. Das Verhältnis zwischen den beiden ist dennoch äußerst angespannt. In Bezug auf ihren Vater spricht Sherman noch heute von einem sehr selbstbezogenen und unsensiblen Mann, der seine Mitmenschen stets kritisiert.[6]

Im Teenageralter werden sie und ihre Eltern oft von Freunden der Familie zum Abendessen eingeladen. Cindy zieht sich jedoch schnell mit ihrem Essen in den Keller zurück, um fernzusehen.[7] An einem dieser Abende läuft Hitchcocks Fenster zum Hof von 1954.[8] Ein Film, dessen Einfluss auf Cindys spätere Arbeit an den Untitled Film Stills unverkennbar sein wird. Ich war hingerissen von den vielen Vignetten, die Jimmy Stewart in den Fenstern um sich herum beobachtet man weiß fast nichts über die Figuren und versucht, die fehlenden Puzzlesteine selbst zu ergänzen. [9] Durch eine Rekonstruktion der Anfangsszene aus Hitchcocks Film soll verdeutlicht werden, wovon Sherman spricht: Binnen weniger Minuten eröffnet sich dem Zuschauer von James Stewarts Fenster aus ein collagenhafter Blick über den Innenhof in die Fenster von verschiedenen Haushalten.[10] Jeder birgt eine Geschichte in sich, in die Hitchcock dem Zuschauer durch die Fensterrahmen nur begrenzt Einblick gewährt. Die einzelnen Handlungen werden angerissen und kurze Zeit später wieder verlassen, um den Blick des Zuschauers in eine weitere Szenerie zu lenken. Die Ausschnitthaftigkeit jeder Erzählung wird durch die Fensterrahmen verdeutlicht, durch die nur vereinzelt Informationen für den Zuschauer sichtbar gemacht werden und der Erzählraum stark beschränkt wird. Ähnlich dem Prinzip der Serie erhält der Fortlauf der Geschichte einen episodenhaften Charakter. Verschwinden die Protagonisten aus dem Rahmen, verschwindet auch der Fortgang der angebrochenen Geschichte. Hitchcock lässt somit den Betrachtern des Films zunächst den Vortritt beim Ziehen eigener Schlüsse und ersten Interpretationen. Von Beginn an wird so mit den Erwartungen des Zuschauers gespielt und eine Spannung erzeugt, die sich mit jedem erneuten Einblick in die einzelnen Episoden innerhalb der Rahmen mehr und mehr steigert. Ohne zu viel vorwegzunehmen, können an dieser Stelle bereits Parallelen von Sherman zu Hitchcock gezogen werden. In seiner Darstellung von Protagonisten und deren Geschichten bedient sich Hitchcock einfacher und leicht verständlicher Hinweise und schafft somit unter anderem Stereotypen: wie das frisch vermählte Ehepaar, die einsame und selbstmordgefährdete Frau mittleren Alters sowie einer attraktiven und begehrten Balletttänzerin. Ebenso soll es auch Sherman schaffen, den Betrachtern ihrer Bilder das Gefühl zu vermitteln die dargestellten Situationen und die darin vorkommenden Figuren bereits anderweitig gesehen zu haben.

2.1.Das Studium in Buffalo

1972 geht Sherman ans Buffalo State College, um sich dort für Malerei einzuschreiben. Zu der Zeit gilt für die junge Studentin die Malerei immer noch als das einzig Wahre. Doch soll sich diese Einstellung schnell ändern, da einem Kunststudium zunächst die Einbettung des zu erlernenden Fachgebietes in die Übersicht aller bildenden Künste zugrunde liegt. So schreibt es ihr der Lehrplan im ersten Semester vor, auch ein Fotografie Seminar zu belegen. Es fehlen ihr jedoch die technischen Grundkenntnisse, weshalb sie den Kurs nicht besteht und ihn erneut belegen muss. Ihr Wiederholungsseminar leitet die Dozentin Barbara Jo Revelle, eine anerkannte Fotografin und Filmemacherin. Entgegen ihrer Kollegen am College, setzt diese in ihren Kursen den Fokus weniger auf technische Perfektion, als auf die Vermittlung zeitgenössischer Kunst.[11] Shermans Interesse für die Fotografie ist nicht neu, hatte sie doch vom Vater schon einiges lernen können. Doch die Begeisterung, mit der sie zukünftig an die Fotografie herantreten wird, verdankt sie Revelle. Durch sie wird Sherman allmählich an Fotokünstlerinnen wie Lynda Benglis und Hannah Wilke herangeführt.[12]

Darüber hinaus ist es auch Revelle, die Sherman zu einer erstmaligen Konfrontation mit sich und ihrem Körper zwingt. Sowohl fotografisch, als auch persönlich. Die Dozentin organisiert in jedem Semester mit ihrem Fotokurs einen Ausflug zu einem nahegelegenen Wasserfall. Dort sollen sich die Studenten ausziehen und anschließend selbst fotografieren. Schon Wochen zuvor ist Sherman aufgrund ihres Schamgefühls nervlich am Ende und denkt sogar darüber nach, den Kurs abzubrechen. Dieser Entschluss würde jedoch das Ende ihres Studiums bedeuten. Somit bereitet sie sich eigenständig auf den Ausflug vor, indem sie sich selbst nackt vor einem Spiegel in ihrer Wohnung fotografiert. Bei den ersten Bildern noch verstört und unsicher, beginnt sie damit ihren Körper, durch die Wahl von ungewöhnlichen Perspektiven, fremdartig wirken zu lassen. So gelingt es ihr, die Konfrontation mit ihrer eigenen Nacktheit allmählich zu normalisieren. Sherman selbst spricht hier von dem eigentlichen Beginn der Arbeit mit ihrem eigenen Körper.[13] Sie wechselt kurz darauf vom Studium der Malerei zu dem der Fotografie.

Bereits im Jugendalter vom bewegten Bild begeistert und inspiriert, wagt sich Sherman nun auch an die Kunst des Filmemachens heran. An der Filmfakultät des Buffalo State Colleges belegt sie zusätzliche Einführungskurse. Einige von Shermans Freunden arbeiten nebenbei in dem bekannten Buchhandelsunternehmen Barnes & Nobles und schenken ihr regelmäßig aussortierte Filmbücher. Somit beschäftigt sie sich unter anderem mit dem osteuropäischen Film sowie mit Stumm- und Horrorfilmen.[14] Zudem arbeitet sie am College mit dem Experimentalfilmer Paul Sharits zusammen. Sie assistiert ihm bei einigen Filmaufnahmen, arbeitet jedoch lieber an eigenen Projekten wie dem kurzen Super 8-Animationsfilm Doll Clothes von 1975[15]. Dafür fotografiert sie sich zunächst selbst in unterschiedlichen Posen in Unterwäsche und erweckt sich mithilfe der Stopmotion-Technik als Puppe zum Leben, die in einem Kleiderschrank nach etwas Passendem zum Anziehen sucht. Es ist interessant diesen Film in Hinblick auf ihre einstige Prüderie zu sehen. Daraus wird ersichtlich, dass ihre künstlerische Weiterentwicklung stark mit ihrer persönlichen verbunden ist, in dessen mit der Überwindung des Schamgefühls auch die Kleidung nach und nach abgelegt wird. Nachdem sich die Puppe in Doll Clothes für ein Kleidungsstück entschieden und damit vor einem kleinen Spiegel posiert hat, taucht am Ende des Films plötzlich eine menschliche Hand auf, welche die Puppe und das von ihr gewählte Kleidungsstück zurück in den Ordner schiebt, aus dem sie anfangs herausgekommen ist.[16] Dadurch erinnert diese Arbeit stark an den psychischen Apparat Siegmund Freuds von 1923.[17]

Darin stellt er das Kräftespiel von insgesamt drei Instanzen modellhaft dar: dem Über-Ich, dem Es und dem Ich. [18] Das Über-Ich fungiert dabei als eine Art Gewissen und repräsentiert die Werte und Normen der Gesellschaft, in der ein Individuum lebt und mit denen es sich arrangieren muss. Ihm gegenüber befinden sich die Triebe des Es. Um sich der Gesellschaft weitestgehend anpassen zu können, muss es dem Individuum gelingen, zwischen dem Es und dem Über-Ich zu vermitteln. Der Ausgang dieses Konfliktes spiegelt sich im Verhalten des Ichs wider. Dieses Kräftespiel, sprich die Vermittlung zwischen den einzelnen Instanzen, liegt, so Freud, jedem psychischen Prozess zugrunde. Das bedeutet, dass jede Handlung und jedes Gefühl eines Individuums Aufschluss über die Vermittlerfunktion des Ichs geben.

Wird Freuds Instanzenmodell nun auf Shermans Animationsfilm Doll Clothes übertragen, so repräsentiert das Über-Ich, dargestellt durch die menschliche Hand, die Wertevorstellungen und den Druck, den die Gesellschaft auf das Individuum, in diesem Falle die Puppe, ausübt. Die Puppe als Ich, stets im Wechselspiel von Trieben (Es) und Normen (Über-Ich), befindet sich auf der Suche nach einer eigenen Identität. In Shermans Film ist es eine Suche nach einer Identität, die sich durch die Mode erschließt. In einer Zeit des Umbruchs für die gesellschaftliche Stellung der Frau beherbergt diese Arbeit von Sherman einen tieferen Sinn. Die 70er Jahre gelten als Befreiungsjahre der Frau. Die figurbetonte Mode der 50er und 60er Jahre ist nun einer neuen Auffassung von Weiblichkeit gewichen, die vor allem von Natürlichkeit geprägt ist. Sherman selbst verzichtet zu ihrer Collegezeit zwar darauf sich stark geschminkt und in figurbetonter Kleidung in der Öffentlichkeit zu zeigen, da eine solche Aufmachung gerade unter den Studenten verpönt ist. Doch ist sie von der neuen Modeerscheinung auch nicht wirklich überzeugt. Dieser Diskrepanz zwischen ihrer Vorliebe für die Mode der vergangenen zwei Jahrzehnte und der aufkommenden neuen Freiheit für die Frau, fernab von unbequemen Hüfthaltern und schmerzendem Schuhwerk, versucht Sherman zu entfliehen. Während ihrer fotografischen Projekte schlüpft sie immer wieder in eben jene Frauenrollen zurück, die für ihre Generation so verwerflich scheinen und schafft sich damit eine Art Ausgleich.

Im zweiten Studienjahr lernt sie ihren Kommilitonen und zukünftigen Partner Robert Longo kennen. Mit ihrem gemeinsamen Freund Charles Clough initiieren Sherman und Longo 1974 die Entstehung eines alternativen Künstlerzentrums in Buffalo. Eine ehemalige Gießerei und Lagerhalle einer Eisfabrik[19] soll dabei als Treffpunkt angehender Künstler dienen. Darin richten sich Longo und Clough in der Fabrikhalle jeder ein kleines Atelier ein, um in Ruhe arbeiten zu können. Nach einer Weile entschließen sie sich zu einer ersten gemeinsamen Ausstellung. In einer großen Lagerhalle zwischen ihren Ateliers hängen sie ihre Arbeiten an die Wand, wodurch es schließlich zur Namensgebung Hallwalls kommt. Das Interesse ist groß und eine Plattform für Kunstschaffende außerhalb von New York dringend notwendig. So entscheiden sich Sherman, Clough und Longo dazu, dass Gebäude zu renovieren. 1975 entwickelt sich im Zuge daraus Hallwalls, ein Veranstaltungsort für jedwede künstlerische Ausdrucksform. Neben regelmäßigen Ausstellungen bietet Hallwalls in Form von Vorträgen und Workshops weitere Möglichkeiten des kulturellen Austausches an. Kurz vor ihrem Collegeabschluss beschließt Sherman sich der Künstlergemeinschaft vollends anzuschließen und ein Zimmer direkt über der Galerie zu beziehen.

2.2.Vom Entdecken der Fotografie

Robert hat wirklich entscheidend dazu beigetragen, dass mir die Augen für zeitgenössische Kunst geöffnet wurden, denn im ersten College-Jahr studiert man nur Geschichte der alten Kunst und in dem Vorstadtambiente auf Long Island, wo ich aufwuchs, war ich mit zeitgenössischer Kunst überhaupt nicht in Berührung gekommen. Aber mit Robert und den anderen war ich viel unterwegs, wir gingen zusammen ins Albright-Knox Museum, das ja gleich gegenüber vom College liegt, und da bekam ich moderne Kunst mit eigenen Augen zusehen. Damals fing ich an, mich zu fragen, warum ich eigentlich malen sollte. Das kam mir einfach sinnlos vor. [20]

Shermans schwindendes Interesse an der Malerei kann mit der stetig anwachsenden Begeisterung für die zeitgenössische Kunst begründet werden. Die Sicht auf die Kunst als Ausdrucksform erschließt sich Sherman durch das Zusammentreffen von Aktionskunst, Malerei, Fotographie und Bildhauerei in Hallwalls. Sherman übernimmt innerhalb der Gemeinschaft keine wesentliche Funktion. Vielmehr wird sie zu einer Art stiller Beobachterin, die die Flut von unterschiedlichsten künstlerischen Einflüssen in sich aufnimmt, um sich somit ihrer eigenen künstlerischen Bestimmung bewusster zu werden. Der Alltag in Hallwalls besteht aus intensiven Gespräch und kulturellen Diskursen. Sherman genießt das rege Treiben um sich herum. Doch benötigt sie gleichzeitig einen Rückzugsort, um in Ruhe arbeiten zu können. Daher besteht sie bei ihrem Einzug in Hallwalls auf eines der hinteren Zimmer über der Galerie. Eine Gruppe von befreundeten Künstlern um Robert Longo und Charlie Clough trifft sich regelmäßig, um gemeinsam fernzusehen. An einem dieser Abende arbeitet Sherman bereits seit Stunden an einer Kostümierung als Lucille Desirée Ball, besser bekannt als die in Jamestown, New York geborene Schauspielerin Lucille Ball, die mit ihrer Rolle in der Fernsehserie I love Lucy in den 50er Jahren berühmt geworden ist.[21] Als Sherman mit der Verwandlung zu Lucille Ball fertig ist, geht sie in die Galerie hinunter und präsentiert sich erstmals verkleidet vor Publikum. Robert Longo ermutigt sie an diesem Abend dazu sich selbst in ihrer Rolle fotografisch festzuhalten. So entsteht eine der ersten Fotografien, auf der sie sich selbst Modell steht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1 Das Automatenphoto als Lucy, 1975[22]

Sherman arbeitet an weiteren Figuren, experimentiert mit Kleidern, Perücken und Make-up, weiß jedoch nicht wirklich, wohin es sie führen wird. Sie verbindet erneut ihr fotografisches Können mit der Vorliebe für das bewegte Bild und dem Wissen aus den Einführungsseminaren an der Filmfakultät. Dabei schießt sie Fotos von sich, die sie sowohl als Frau als auch als Mann zeigen und stellt aus den Abzügen Papierpuppen her, mit denen sie selbst geschriebene Geschichten nachspielt oder Standszenerien entwirft. Ihre Vorgehensweise ist vergleichbar mit der Vorbereitung der Puppen für ihren Film Doll Clothes. Doch geben ihre Arbeiten nicht genau das wieder, was Sherman will. Der Arbeitsprozess ist ihr zu langwierig, dass Spiel mit den Puppen zu mädchenhaft und die Wirkung ihrer Figuren nicht echt genug. Gleichzeitig eröffnen ihr sich dadurch jene Dinge, die sie beibehalten will und durch die sie sich schrittweise einer Definition ihres künstlerischen Schaffens nähert: dem Kreieren von Geschichten mit Interpretationsspielraum und die alleinige Durchführung ihrer Arbeit. Schon immer bevorzugt sie eine gewisse Abgeschiedenheit während der Arbeit. Bis heute gibt es ihr das Gefühl von Kontrolle. Somit kann sie selbst entscheiden wie sie vorgeht und hat niemanden um sich vor dem sie sich rechtfertigen muss.[23] Denn während ihrer Arbeit besitzt sie die Macht, alleine darüber entscheiden zu können, was ihr gelungen und was ihr misslungen ist und damit die Wahl, es zu zeigen oder nicht zu zeigen.[24] Diese Macht glaubt sie im Alltag nicht zu haben. Eigenheiten wie diese lassen vermuten, es handle sich bei Sherman um eine schüchterne Person, die sich ihrer eigenen künstlerischen Fähigkeiten nicht wirklich bewusst ist. Doch streitet Sherman diese Interpretation ihres Charakters vehement ab. Gerade in Bezug auf ihre Arbeit gibt sie nur ungern Auskünfte und verliert sich nicht in ausschweifenden Erklärungen, die der reinen Selbstdarstellung dienen. Sowohl bei der Interpretation ihrer Bilder als auch bei den daraus gezogenen Rückschlüssen zur Person Cindy Sherman sind Betrachter und Kunstkritiker auf sich allein gestellt. Die vorgeworfene Schüchternheit sollte daher weniger als Unsicherheit sondern vielmehr als eine natürliche Zurückhaltung gesehen werden. In Hallwalls erweist sich dieser Charakterzug als äußerst wertvoll. Auch wenn sie innerhalb der Künstlergemeinschaft keine bestimmte Aufgabe hat, ist sie ein geschätztes Mitglied und legt ihre zurückhaltende Art mit ihrem Auftritt als Lucy Ball genau im richtigen Augenblick ab.

2.2.1.Shermans Head Shots

Im selben Jahr, kurz vor ihrem Collegeabschluss 1975, entsteht im Rahmen einer Übung zum Thema Zeitverlauf eine Fotostrecke, die Sherman als ihre erste ernsthafte Arbeit bezeichnet: Untitled #479.[25]

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Abb. 2 Untitled #479. 1975[26]

Durch die Aneinanderreihung von 23 Einzelbildern dokumentiert sie den Verwandlungsprozess einer jungen Frau, die wiederum sie selbst ist, vom unscheinbaren und schüchternen Mädchen, zur Zigarette rauchenden Verführerin. Während der gewählte Bildausschnitt stets gleich bleibt, kommt es innerhalb der Fotografien zu minimalen Veränderungen. In den ersten drei Aufnahmen verschwinden sowohl Brille als auch Kleidung. Die folgenden zwölf Aufnahmen gleichen der Vorbereitungsprozedur einer Schauspielerin, die für ihren Auftritt im Theater oder für die nächste Filmszene geschminkt und verkleidet wird. Ein weißes Tuch hängt um ihre Schultern, die Haare sind nach hinten gesteckt und es wird damit begonnen, Schminke aufzutragen. Augen, Mund und Wangenknochen werden stark hervorgehoben. Nachdem in der 16. Aufnahme der Schönheitsfleck auf die rechte Wange aufgetragen wurde, ist auf der nächsten Aufnahme das weiße Tuch verschwunden. Der Betrachter erkennt, dass die hochgeschnittene Kragenbluse aus den ersten beiden Bildern einem freizügigen weißen Oberteil gewichen ist.

Indes nähert sich die Verwandlung ihrem Höhepunkt: Die hochgesteckten Haare werden geöffnet und zu einer wilden Mähne umfrisiert. Eine eng anliegende schwarze und eine lange goldene Kette werden angelegt. Im 21. Bild folgen große goldene Ohrringe. Komplettiert wird das Erscheinungsbild der Frau im vorletzten Schritt durch das Hinzufügen der Zigarette. Vollends in ihrer Rolle als Verführerin nimmt sie im letzten Bild die typische, lasziv schauende Pose ein, welche stark an Schauspielerinnen wie Marilyn Monroe erinnert.

Eine ähnliche Arbeit, ebenfalls aus dem Jahr 1975, greift den Prozess der Verwandlung erneut auf: die fünfteilige Head Shot [27] - Serie Untitled A-E. Aufgrund der starken Reduzierung der verwendeten Aufnahmen, erfolgt jede Verwandlung nun nicht mehr fließend, sondern sofort sichtbar und von Bild zu Bild.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3 Tafeln 4-8. Untitled A-E. 1975[28]

Untitled A zeigt eine quirlige und äußerst stark geschminkte junge Frau mit Hut. Ihr Blick wirkt eindringlich. Die linke Schulter leicht angehoben und den Kopf geneigt, wirkt sie geradezu geschmeichelt von der Idee fotografiert zu werden. Untitled B könnte, im Vergleich zum vorherigen Bild, nicht kontrastreicher inszeniert sein. Sherman setzt sich hier gekonnt als eine Lokführerin, zu erkennen an der gestreiften Kappe, mittleren Alters in Szene. Aufgrund der zusammengewachsenen Augenbrauen und dem übertriebenen breiten Grinsen, eilt dieser Figur fast schon ein Ruf der Lächerlichkeit voraus. Die dritte Fotografie der Reihe zeigt eine junge Frau, die leicht genervt in die Kamera starrt, vielleicht sogar schielt. Im Vergleich zu ihren Vorgängern, strahlt sie in ihrer Aufmachung eine gewisse Neutralität aus. Kaum Make-up, ein angedeutetes, cremefarbenes Sommerkleid und die Haare zu einem kurzen Zopf nach oben gebunden. Intensiver wirkt daraufhin Untitled D. Der Bildausschnitt, den Sherman hier stark verändert hat, zeigt ein Mädchen vom Schlüsselbein aufwärts. Die Haarspangen und der Mittelscheitel lassen vermuten, dass es deutlich jünger ist, als die Frau von Untitled C. Herzlich und gleichzeitig schüchtern schaut sie den Betrachter an. Die Serie endet schließlich mit dem Untitled E, das eine in schwarz gekleidete, selbstbewusste Frau zeigt, die erhaben auf den Betrachter herabblickt. Auch sie trägt einen Hut und bei genauerer Betrachtung wird erkennbar, dass es sich um jenen Hut handelt, den auch die Frau im Untitled A trägt.

Wie entscheidend oftmals die Veränderungen winziger Details sind und welchen Einfluss sie letztendlich auf die endgültige Wirkung eines Menschen auf seine Umgebung haben, macht Sherman mit dieser Fotoreihe deutlich. Die Feinheiten der Gesichtszüge, dass Arrangement der Haare sowie der Einsatz von Haarspangen und die Verwendung eines Hutes, der nur aufgrund der Tatsache, dass ihn die Person in veränderter Form trägt, eine völlig neue Bedeutung erhält, lassen erkennen, dass Sherman aus ihrer kindlichen Vorliebe für das Verkleiden eine professionelle Arbeitsweise gemacht hat. Die Einführung des Hutmotives in Untitled A und dem Wiederaufgreifen desselben Hutes in Untitled E geben dem Werk auch inhaltlich einen Rahmen und runden die Reihe somit ab. Die Arbeiten Untitled #479 und Untitled A-E lösten nach ihrem Erscheinen heftige Reaktionen aus und Sherman bemerkt schnell, dass sie damit einen Nerv getroffen zu haben scheint[29]. Ebenso wie bereits in ihrem Film Doll Clothes, zeigt sich auch hier die Diskrepanz zwischen der, in den 70er Jahren aufkommenden, Natürlichkeit der Frau und dem veralteten und in Studentenkreisen verpönten Bild der Frau, die sich hinter all dem Make-up und der gekünstelten Schönheit selbst zu verlieren scheint. Auch in diesen Arbeiten lassen sich Parallelen zum psychischen Apparat nach Sigmund Freud erkennen, der bereits in Bezug auf Shermans Stopp-Motion-Film Doll Clothes erwähnt worden ist. Die Fotoreihe Untitled #479 kann demnach als Shermans eigener Verwandlungsprozess interpretiert werden, in dem sie als Studentin der 70er Jahre ihre Vorliebe für das Verkleiden in der Selbstinszenierung als Verführerin offen zur Schau stellt. Das Ich, in diesem Falle die Person Cindy Sherman, versucht hier zwischen ihrem Es, also ihrem Bedürfnis nach optischer Veränderung und dem Über-Ich, welches für die Auffassung von natürlicher Schönheit in den 1970er Jahren steht, zu vermitteln. Die Lösung für das Ich besteht darin, die Diskrepanz in eine gesellschaftlich anerkannte Form zu bringen, in Shermans Fall, in die der Kunst. Die erwähnten heftigen Reaktionen auf Shermans inszenierten Verwandlungsprozess können demnach als Antwort auf ihre Abkehr vom Ideal der Natürlichkeit erklärt werden. Gleichzeitig stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach Natürlichkeit, die mit der Suche nach Wirklichkeit und Authentizität einhergeht. Die Reihe Untitled #479 soll dabei erneut zur Veranschaulichung dienen. Der Verwandlungsprozess wird von Sherman in dieser Arbeit von der natürlichen, jungen Frau bis hin zur stark geschminkten Verführerin dargestellt. Doch kann dieser Verlauf ebenso gut rückwärts betrachtet werden. Die erste und die letzte Fotografie ähneln sich dahin gehend, als das sie beide einen bestimmten Stereotyp darstellen. Doch wo beginnt bzw. endet die Authentizität? Verliert sie sich mit der chronologischen Abfolge der Bilder von oben nach unten und steigt gar mit der rückläufigen Betrachtung? Diese Behauptung würde bedeuten, dass die Frau auf dem letzten Bild unauthentisch ist, weil sie geschminkt ist. Demnach wäre die Frau auf dem ersten Bild authentisch.

2.2.2. Die Authentizitätsproblematik

Im Duden wird der Begriff Authentizität mit folgenden Worten beschrieben: echt, glaubwürdig, unverfälscht und ungeschönt.[30] 30 Ob etwas echt ist oder nicht, kann durch die Betrachtung von Fotografien nicht belegt werden. Die Glaubwürdigkeit der Figur, die sich in eine andere verwandelt, wird schon aufgrund des Verwandlungsprozesses an sich infrage gestellt. Ebenso wie durch den Inszenierungscharakter, der sowohl der Arbeit Untitled #479 als auch den Bildern zu Untitled A-E zugrunde liegt. Mit dem Begriff des Unverfälschten verhält es sich ähnlich wie mit dem der Echtheit. Die einzige Fotografie, die eine echte und unverfälschte Person zeigen könnte, befindet sich in der Reihe Untitled #479 an dritter Stelle. In dieser Aufnahme sehen wir die Frau das einzige Mal ohne Make-up und Kleidung. Nur anhand der Haare können Rückschlüsse auf ihre Identität gezogen werden, jedoch äußerst vage. Dennoch impliziert eine Fotografie niemals die Echtheit einer Person. Sie kann sich mithilfe von Mimik und Gestik verstellen. Abhängig von der gewählten Perspektive, kann sie größer oder kleiner wirken. Sie kann alles sein, aber niemals unverfälscht. Wesentlicher Aspekt beider Arbeiten ist die Verdeutlichung der Wirksamkeit einer minimalen Veränderung und was diese für das Gesamtbild hinsichtlich der dargestellten Person bedeutet. In der Reihe Untitled #479 erstreckt sich dieser Prozess über 23 Bilder. In den Untitled A-E wird dieser beschleunigt, doch das Prinzip bleibt dasselbe. Denn auch hier wird dem Betrachter zwar bewusst, dass er ein junges Mädchen oder eine Lokführerin sieht und das mithilfe der nötigen Hinweise wie Kleidungsstil oder Frisur, die eine Zuordnung zu einem Stereotyp ermöglichen. Dieser jeweilige Stereotyp entsteht allein aus der Generalisierung bestimmter Verhaltensmuster, die als Vorbilder dienen, um jedes Mitglied einer Gesellschaft einer Personengruppe zuordnen zu können. Die Zuordnung zu einem Stereotyp geht stets mit dem Verlust eines Teils der Identität einher. Somit fehlt ihren Charakteren die Einzigartigkeit, wodurch sie automatisch an Authentizität verlieren. Zu auffällig ist zudem der Inszenierungscharakter, da die Figuren offensichtlich nur für die Kamera posieren, was anhand ihrer aufgesetzt wirkenden Gesichtszüge ersichtlich wird. Darüber hinaus wird ihre Künstlichkeit durch das entscheidende Detail belegt, dass es sich hierbei stets um dieselbe Person handelt: Cindy Sherman. Damit trifft die Künstlerin den von ihr erwähnten Nerv. Die heftigen Reaktionen können allerdings auch nach eingehender Recherche, nicht wirklich beschrieben werden. Doch stammen sie von einer Generation, die sich dem Authentischen verschrieben hat. Sherman hingegen setzt in ihren Bildern auf Ironie. Der Begriff der Ironie wird als eine intelligente Verstellung definiert, die das scheinbare Ernstnehmen einer bestimmten Haltung oder Meinung gegenüber einem Sachverhalt letztendlich als Maskerade entlarvt, hinter der sich die wahre und gegensätzliche Auffassung verbirgt.[31] Indem sich Sherman also selbst als Resultat des Zusammenspiels von Kleidung und Schminke überzeugend und ernsthaft in Szene setzt, macht sie damit das Klischee, welches ihre Figuren erfüllen, als solches sichtbar. Ebenso wie sie ihre Figuren selbst als inszenierte Abbilder demaskiert, zieht sie mit ihrer aufgesetzten Ernsthaftigkeit die Auffassung ihrer Generation von Natürlichkeit ins Lächerliche, indem sie ihre authentisch wirkenden Fotografien als unauthentisch enthüllt. Dem Stilmittel der Ironie ist Sherman bis heute treu geblieben, so wie auch ihrer Eigenart alleine zu arbeiten. Doch trotz dem sie schon früh darauf besteht ihre aufwendigen Projekte ganz alleine zu realisieren, ist Shermans Werdegang eng an die Entwicklung von Hallwalls geknüpft.

Hallwalls verdankt wiederum einen erheblichen Teil seines Erfolges den Zuschüssen von Institutionen wie der National Endowment for the Arts [32] , einer 1965[33] ins Leben gerufenen Kulturfördereinrichtungen der USA mit Sitz in Washington D.C. und der Kunststiftung New York State Council on the Arts [34] , die seit ihrer Gründung 1960 die Arbeit talentierter Künstler durch Fördergelder unterstützt. Durch diese kann die Künstlergemeinschaft ihre Arbeit fortsetzen, wodurch Hallwalls einen hohen Bekanntheitsgrad weit über Buffalo hinaus erlangt. Erfolgreiche Künstler, Kunsthistoriker und Kuratoren besuchen das aufkeimende Künstlerzentrum und ermöglichen einen künstlerischen Austausch mit New York. Als Helen Winer, Leiterin der New York Galerie Artist Space, Hallwalls besichtigt und die Arbeit von Longo, Clough und Sherman betrachtet, schlägt sie sofort eine wechselseitige Ausstellung für November 1977 vor. Diesem Angebot kommen die Künstler aus Buffalo sofort nach.

2.3. Die Anfänge in New York

Entgegen aller Warnungen ihrer Mutter vor dem Leben in der Großstadt zieht Cindy Sherman im Sommer 1977 gemeinsam mit Robert Longo nach New York City. Sherman und Longo beziehen zusammen ein Loft in der Fulton Street und leben zunächst von ihren ersten Stipendien. Kurz nach ihrem Einzug begleitet Sherman ihren Freund zu einem Treffen mit dessen Freund und Künstlerkollegen David Salle in dessen Atelier. Longo und Salle, die sich lange nicht gesehen haben, verfallen in tiefe Gespräche, während Cindy die Gelegenheit nutzt und sich Salles Arbeiten genauer ansieht. Überall liegen seine Fotografien für ein Softporno-Magazin im Storyboard-Format [35] herum, für das Salle arbeitet. Alle seine Bilder zeichnen sich durch einen gewissen Retrostil aus und erinnern Sherman an die Filme der 50er Jahre.[36] Doch ist deutlich zu erkennen, dass sie nicht aus wirklichen Filmen stammen .

Sherman weiß selbst nicht, ob jedes seiner Bilder als Werk für sich selbst steht, oder ob es sich um Sequenzen, ja sogar ganze Serien handelt, denen ein umfangreiches Konzept zugrunde liegt.[37] Die Zweideutigkeit und Salles Mut, dem Betrachter nur durch Andeutungen seinen Spielraum für Interpretation und Fortsetzung zu lassen, inspirieren Sherman zutiefst. Sie beginnt darüber nachzudenken, was Bilder suggerieren, was sie zeigen und was sie zeigen, indem sie nichts zeigen. Außerdem regen sie Salles Bilder dazu an, erneut über die stereotype Darstellung von Frauen nachzudenken, was sie zu dem Entschluss bringt, ähnliche Bilder machen zu wollen.

Doch gestalten sich Cindy Shermans Anfänge in New York ebenso vage wie die Vorstellungen bezüglich ihrer künstlerischen Zukunft. Es fällt ihr schwer Fuß zu fassen; sie spricht sogar selbst von einem Kulturschock [38] . Orientierungslos und sich nicht darüber im Klaren, was sie in New York überhaupt vorhat, zieht sie sich zu Beginn eher zurück, verkleidet und schminkt sich und verlässt dabei nur selten ihre Wohnung. Ab und an geht sie vor die Tür, um in den nahe gelegenen Secondhand Läden nach billigen Kleidungsstücken und Perücken zu suchen. Um neben der künstlerischen Bredouille einem finanziellen Engpass entgegenzuwirken, bewirbt sich Sherman bei Macy´s als Schminkberaterin.[39] Für diese Stelle wird sie jedoch abgelehnt. Helen Winer, Leiterin von Artist Space, mit der Sherman und Longo hinsichtlich der geplanten Ausstellung im November 1977 noch immer in regen Kontakt stehen, erfährt von Shermans Notlage und bietet ihr kurz darauf einen Job als Empfangsdame in ihrer Galerie an. Diese Stelle gibt ihr allen Grund endlich regelmäßig das Appartement zu verlassen und sich nicht länger nur mit ihren Neurosen zu beschäftigen[40]. Noch heute spricht Sherman von dieser Arbeit als ihr perfekter Einstieg in die Kunstszene.[41] Aufstrebende Größen aus den Bereichen Musik, Film und Kunst treffen bei Artist Space aufeinander, wodurch sich Sherman einen genauen Überblick über die New Yorker Kunstszene verschaffen kann. Mithilfe der Anstellung bei Artist Space fasst Sherman endlich Fuß in New York. Sie gibt ihrem Tag die nötige Struktur, schafft neues Selbstvertrauen und weckt natürlich, stets umgeben von Kunstschaffenden, ihre Kreativität. Sie beginnt, ab und an kostümiert zur Arbeit zu gehen, was ihr bei den Kollegen zu großer Beliebtheit verhilft. Ob als Krankenschwester oder Sekretärin im 50er Jahre Look, ihre Bandbreite an Charakteren und die Sorgfalt, mit der sie sich in sie verwandelt, sind bereits beachtlich.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4 Die Sekretärin im Artist Space, 1977.[42]

Die biografische Annäherung an die Person Cindy Sherman gibt Aufschluss über ihren künstlerischen Werdegang, dessen Beginn durchaus, anhand ihrer Freude am Verkleiden, im Kindesalter festgemacht werden kann. Darüber hinaus führt sie ihre Kreativität über die Malerei, zur Fotografie bis hin zum Film. Durch die vorwiegend medialen Einflüsse im Kindes- und Jugendalter wie den Filmen Alfred Hitchcocks, entsteht ein Sammelsurium aus künstlerischen Interessen und Vorlieben. Ihre Dozentin Barbara Jo Revelle bringt sie dazu, sich mit ihrem eigenen Körper auseinanderzusetzen. Daraus entwickelt sich ihre Spezialisierung auf ihre eigene Person als Motiv. Inspiriert von David Salles Fotografien und angeregt durch den Zuspruch ihrer Kollegen hinsichtlich ihrer Verkleidungskünste bei Artist Space schafft Sherman Ende 1977 den Anfang jener Arbeit, die sie bald darauf zu einer der bekanntesten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts machen soll: Den Untitled Film Stills. Ihrem erworbenen Wissen über Malerei, Film und Fotografie muss jedoch ein entscheidender Faktor hinzugefügt werden: Der Veränderung der Kunstwelt, die sich in den Fotografien der Untitled Film Stills widerspiegelt und demnach eine kunsthistorische Betrachtung jener Zeit erfordert, in der Sherman zu ihrer ersten komplexen Arbeit inspiriert worden ist.

3. Kunstwelt und künstliche Welten Die Postmoderne

Sobald ich fertig bin, beginnt die Kamera zu klicken, dann fange ich einfach an mich zu bewegen, und beobachte mich dabei im Spiegel. Das hat nichts mit Method Acting oder so was zu tun. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich diese Person tatsächlich bin. Vielleicht denke ich an eine bestimmte Geschichte oder Situation, aber ich werde nicht zu ihr. Es gibt da diese Distanz. Das Bild im Spiegel wird zu ihr das Bild, das die Kamera auf den Film bannt. Und eins habe ich schon immer gewusst, nämlich dass die Kamera lügt. [43] Cindy Sherman Als in den 1960er Jahren die Fotografie allmählich ihre Monopolstellung als visuelle Informationsquelle an das Fernsehen abtreten muss, befindet sich die Gesellschaft unter dem immer stärker werdenden Einfluss dieses Mediums. Es liefert eine allgegenwärtige Flut an Bildern, die den Anspruch erheben authentisch zu wirken und nun unaufhörlich über den Bildschirm laufen. Über Jahre hinweg erfolgt eine schleichende Etablierung dieses Mediums in die Wohnzimmer jedes Haushaltes. Aus dem Medium Fernsehen wird schnell ein Massenmedium und aus den einstigen Zuschauern werden Konsumenten. Diese Entwicklung hin zur Kultur der Massen macht auch vor der Kunstwelt keinen Halt. Stetig werden neue Kunsthochschulen gegründet, in denen der künstlerische Prozess nun nach Lehrplan systematisch vermittelt wird. Ausstellungen und Galerien, in denen Kunstinteressierte zueinander finden, erfreuen sich großer Beliebtheit. Vielen geht es noch immer um die Freude an der Kunst selbst, um das Sehen und Fühlen, dass Hinterfragen und den künstlerischen Diskurs. Doch kommen neue Interessenten aus anderen Beweggründen hinzu. Jene, denen vorgeworfen werden kann, sie würden den Besuch einer Fotogalerie mit einem Gang durch ein Kaufhaus verwechseln. Denn auch die Kunst bleibt nicht davor verschont zu einer Massenware zu werden. Zu einem Hobby für angesehene Neureiche, die in einer ansprechenden Fotografie nur noch eine gerahmte Investition sehen. Auf diese schleichende Bewegung, die Kunst und Konsum auf eine Stufe stellt, reagiert eine neue Bewegung von Künstlern: Die Appropriationisten, zu denen auch Cindy Sherman gehört. Die sogenannte Appropriation Art, leitet sich von dem englischen Begriff approach ab, der mit den Worten Besitzergreifung oder Aneignung übersetzt werden kann.[44] In einer Gesellschaft, in der es alles zu geben scheint, in der alles auf den Bildschirm projiziert werden kann und in der die Kunst zur Ware mit Preisschild geworden ist, vertreten die Appropriationisten die Auffassung, dass sie nichts Neues mehr erschaffen können. Der Begriff Appropriation beschreibt die Aneignung des Künstlers eines bereits existierenden Werkes und dessen Imitation, Kopie oder künstlerischer Neuauflage. Es ist keinesfalls ein Ohnmachtsgedanke oder gar eine Kapitulation vor der Kunst selbst. Vielmehr handelt es sich bei den Werken dieser Kunstströmung um ironisch-kritische Kommentare zur Idee des Originals und der Originalität des Künstlers.[45] Die Appropriationisten schließen somit mit der Forderung der Moderne ab, wonach der Künstler stets innovativ und schöpferisch sein musste.[46] An jene Stelle der modernen Dogmen tritt nun der neue, postmoderne Grundgedanke, der das einstige Ideal der Originalität als überholt ansieht und sich demnach aus dem gegebenen Repertoire der Vergangenheit bedient werden darf. Die Vertreter der Appropriation gelten als Erben der in der Mitte der 60er Jahre entstandenen Konzeptkunst. Diese setzt sich aus den Bewegungen des Happening, des Fluxus und der Fotografie zusammen und hat die Funktionalität des Ineinandergreifens unterschiedlicher Kunstströmungen bereits erfolgreich unter Beweis gestellt. Die Konzeptkunst entfernt sich bewusst von dem materiellen Kunstwerk und rückt die Idee als geistige Konzeption in den Mittelpunkt.[47] Dem Prinzip der Verbindung verschiedener Strömungen fügen die Appropriationisten die Praxis hinzu, ihre Kunstwerke aus bereits existierenden Materialien wie Werbeplakaten, Zeitungsbildern und Filmen zu schaffen.[48] Der Künstler tritt dabei zugunsten des Inhalts seines Werkes in den Hintergrund.[49] Der amerikanische Kunstsoziologe und Kritiker Douglas Crimp bezeichnet diese postmoderne Kunstauffassung der Appropriation als Second-hand-experiences und erklärt, dass die Erfahrungen aus zweiter Hand die einzige Art von Erfahrungen seien, welche die Angehörigen technologisch avancierter Kulturen noch machen könnten.[50] Womit Crimp ebenfalls auf die Omnipräsenz der Massenmedien anspielt, die zu einem festen Bestandteil des alltäglichen Lebens geworden sind. Die Künstler selbst sind davon vollkommen übersättigt und beginnen damit, ihre Erfahrungen, ihre Einflüsse, sprich alles künstlerisch je dagewesene zu reproduzieren, zu kopieren oder nachzustellen. Richard Prince reproduziert die Marlboro Werbung, Sherrie Levine kopiert die Fotografien von Walker Evans und Cindy Sherman beginnt mit 23 Jahren damit fiktive Filmszenen nachzustellen. Das Werk der Untitled Film Stills rückt die Künstlerin Cindy Sherman sofort in das Blickfeld der Kunstkritiker und zugleich in den Mittelpunkt des postmodernen Diskurses. Allen Werken der Appropriationskunst gemein ist die Unauffindbarkeit des Originals, ja fast schon eine gewisse Arroganz, dass es niemals ein Original gegeben haben könnte. Einen für diese Arbeit wichtigen Denkanstoß bringt dabei die Kunsthistorikerin Rosalind Krauss, die in ihrer Monographie von 1993 Shermans Film Stills ebenfalls die Eigenschaft zuweist, eine Kopie ohne ein Original zu sein [51] und damit die Theorie des Simulacrums des Franzosen Jean Baudrillard in direkten Bezug zu Sherman setzt und so auf die sogenannte Krise der Repräsentation[52] anspielt. Bevor diese jedoch näher erläutert werden kann, ist ein Diskurs über die Philosophie Jean Baudrillards, die sich auf seine Simulationstheorie beschränken soll, unerlässlich.

3.1.Die Ordnung der Simulakra nach Jean Baudrillard

Das Hauptwerk des Philosophen, Soziologen und Medientheoretikers Baudrillard besteht bis heute in der Ausarbeitung seiner sogenannten Simulationstheorie, in der die von Krauss genannte Theorie des Simulacrums zu finden ist. Baudrillard entwickelte sich im Laufe seines Lebens zu einem der radikalsten Theoretiker der Postmoderne, da er die Existenz einer objektiven Realität als unmöglich erachtet. An die Stelle von Realitäten treten nach Baudrillard lediglich unterschiedliche Zeichenwelten oder Simulationen, die den Bezug zu ihrem Referenten verloren haben und nur noch mit anderen Simulationen interagieren können.[53] Vor allem der Begriff der Referenz spielt bei Baudrillard eine entscheidende Rolle und wird auch in Hinsicht auf die Krise der Repräsentation noch einmal erörtert werden. Die bereits erwähnten verschiedenen Simulationen manifestiert er in der Ordnung der Simulakra in seinem wohl bekanntesten Werk Der symbolische Tausch und der Tod von 1976.[54] Darin definiert er den Begriff des Simulakrums als ein abstraktes System von Zeichen, das ein Modell der Realität erschafft. Im Laufe der Menschheitsgeschichte durchlief dieses System bereits drei Phasen, wobei es sich hinsichtlich seiner Erscheinungsform, Funktion und Bedeutung verändert hat und somit drei unterschiedliche Realitäten entstanden sind.[55] Das Simulakrum erster Ordnung betitelt Baudrillard als Zeitalter der Imitation, deren Beginn er zeitgeschichtlich in das 15. Jahrhundert mit der Wiedergeburt der Antike, also der Renaissance, legt. Darin, so Baudrillard, besitzen die Zeichen noch einen direkten Bezug zur Realität, werden sie noch von Menschenhand geschaffen. Ganz anders verhält es sich mit dem Beginn des Simulakrums zweiter Ordnung, das durch die industrielle Revolution in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eingeläutet und von Baudrillard als Zeitalter der Produktion bezeichnet wird. Der Mensch wendet sich darin von der Natur ab und erschafft Maschinen, die von da an den Großteil seiner Arbeit übernehmen sollen. Somit werden die Zeichen nicht mehr von Menschenhand gefertigt, sondern von Maschinen. Die zuvor noch existierende enge Verbindung zwischen Mensch und Zeichen zerbricht und durch die Zwischenschaltung der Maschine entsteht eine Distanz. Baudrillard beschreibt diesen Vorgang mit dem Aufbrechen der bisher selbstverständlichen Beziehung zwischen Signifikant (Form) und Signifikat (Inhalt), deren Kulmination in der Implosion der Bedeutung liegt. Dabei verlieren die Zeichen den Bezug zu ihrem Schöpfer, wodurch es zur Entstehung einer Referenzlosigkeit kommt. Das Zeitalter der Produktion gilt für den französischen Soziologen als Geburtsstunde der Massenkultur, in der der Zugang des Menschen zu den Zeichen nicht mehr in den eigenen Fertigkeiten, sondern im Geld liegt. Der einst aktive und kreative Mensch ist nun zum passiven Beobachter seiner aktiven Maschinen geworden. Das Simulakrum dritter Ordnung beschreibt Baudrillard als Zeitalter der Simulation, in dem die Gesellschaft gegenwärtig lebt. Laut Baudrillard haben hier nun nicht nur die Maschinen ein Eigenleben entwickelt, sondern durch die Erfindung des Computers wurde zudem eine digitale Welt erschaffen, in der die Zeichen die Realität simulieren und es dem Menschen nicht mehr möglich ist zwischen Zeichen und Wirklichkeit zu unterscheiden. Die bereits erwähnte Distanz zwischen Signifikant und Signifikat ist nun so groß, dass Baudrillard sogar von einer vollkommenen Referenzlosigkeit der Zeichen spricht.

3.2. Die Krise der Repräsentation

Nach der Klärung der Simulationstheorie kann zur Aussage Rosalind Krauss´, Shermans Stills besitzen die Eigenschaft eine Kopie ohne ein Original zu sein, zurückgekehrt werden. Das von Cindy Sherman stammende Zitat (Vgl. S. 21), verdeutlicht die Veränderung der Auffassungen von Funktion und Wahrheitsgehalt eines Kunstwerkes. Die Funktion einer Fotografie als Abbildung der Wirklichkeit ist im postmodernen Zeitalter längst überholt. Sherman verwendet in dem Zitat das Wort Distanz, welches innerhalb der für die postmoderne Auffassung des Wahrheitsgehalts eines Kunstwerkes relevanten Schlüsseltexte von Benjamin[56] und Baudrillard eine entscheidende Rolle spielt. Die von Sherman beschriebene Distanz ist bezeichnend für die bereits erwähnte Repräsentationskrise Ende des 20. Jahrhunderts in der das Original unauffindbar wird. Sherman erklärt selbst, dass die Person, die auf ihren Fotografien zu sehen ist, weder eine bestimmte Rolle verkörpert, noch, dass es sich dabei um sie selbst handelt. Die Definition ihrer Arbeiten als Selbstportraits verneint sie ebenfalls. Damit entfällt eine direkte Verbindung zwischen ihrer Person und der durch sie dargestellten Frauen. Die Rollen entstehen lediglich durch ihre Erinnerungen an einst reale Frauen, mithilfe der von Sherman in Szene gesetzten Zeichen wie Mode und Gegenständen, die in einer vergangenen Realität mit Bedeutung behaftet waren und auf die sich letztendlich auch die Rezipienten beziehen können. Doch die Erinnerungen Shermans und jene der Rezipienten können niemals identisch sein, sondern lediglich Analogien aufweisen.

Sie führt weiter aus, dass lediglich das Bild im Spiegel zu einer bestimmten Rolle wird, nicht aber sie selbst. Somit entsteht die eigentliche Identität ihrer fiktiven Rolle in einer Art Zwischenwelt. Aufgrund der Kenntnisse bezüglich Jean Baudrillards Simulationstheorie kann sogar davon ausgegangen werden, dass es sich dabei um ein Simulakrum dritter Ordnung handelt. Sherman lässt ihre Rezipienten in dem Glauben zurück, dass innerhalb der in ihren Bildern geschaffenen Realität die abgebildete Person tatsächlich existiert bzw. einmal existiert hat. Sherman übernimmt in und bei der Arbeit der Film Stills sowohl die Rolle des Signifikats, als auch die des Signifikanten. Die Distanz zwischen Signifikant und Signifikat wird jedoch vergrößert.

Zum einen, da sie sich selbst nie darin sieht, nie erkannt werden will und ihre dargestellten Frauenrollen ein Kaleidoskop an stereotypischen Eigenschaften vergangener Filmstars sind, die kein alleiniges reales Vorbild, also Original, besitzen. Sherman verkörpert die Rolle der Frau zweier bereits vergangener Jahrzehnte. Sie verwendet dabei Requisiten Baudrillard würde sie als Zeichen oder Codierungen betiteln,die in dem Betrachter die Erinnerungen an eben jene Zeit der 50er und 60er Jahre hervorrufen, wodurch dieser eine genauere Zuordnung durchführen kann. Dass dies überhaupt funktioniert könnte mit der von der Publizistin Susan Sontag vertretenden Auffassung begründet werden, dass das Gedächtnis des Menschen mit Standbildern arbeitet. Der Bilderflut der Massenmedien entgegen, versucht das Gehirn einzelne Momente zu speichern, um die Komplexität der Geschehnisse zu komprimieren und für sich als leichter abrufbar zu gestalten.[57] Schließlich, so Sontag, haben Fotografien im Gegensatz zu den Nonstop-Bildern [58] des Fernsehens, eine intensivere Wirkung auf die Erinnerungen eines Menschen. Gewisse Motive bleiben dabei ganz besonders in der Erinnerung haften, da diese von und durch die Gesellschaft bereits mit Bedeutungen versehen worden sind und somit jeden Gedanken bewusst in eine bestimmte Richtung leiten können. Doch die Zeichen der Vergangenheit sind in der Gegenwart nicht mehr real. Es bleiben lediglich Erinnerungen an eine Realität wie sie einst existierte.

Der zweite Grund weshalb sich die Distanz zwischen Signifikant und Signifikat stets vergrößert, ist der, dass am Ende alles fotografiert wird. Dadurch kann der Rezipient der Film Stills Shermans Kostümierung nicht im Hier und Jetzt begutachten, sondern lediglich einen Ausschnitt davon, dem zusätzlich noch die Apparatur der Kamera zwischen geschaltet wurde. So, wie Baudrillard behauptet, besteht die Folge dieser immer größer werdenden Distanz zwischen Abgebildeten und Abbildendem, hinzukommend die Distanz zwischen Abgebildetem und Rezipienten, in einer plötzlichen Referenzlosigkeit, also in der Krise der Repräsentation, in der die Wahrheit bzw. die Wirklichkeit unauffindbar zu werden scheint. Die besagte Distanz, im Hinblick auf Sherman als Künstlerin der Postmoderne, scheint auch als emotionale Distanz interpretierbar, da ihrer Kunst die Auffassung zugrunde liegt, dass die Originalität des Kunstwerkes hinfällig geworden sei. Hinzu kommt eine ironische Distanziertheit, die in der offensichtlichen Einarbeitung von Fehlerhaftigkeit wie beispielsweise der Platzierung eines Auslöserkabels oder durch die Unwichtigkeit eines perfekten fotografischen Abzuges zum Ausdruck kommt. Durch diese Sichtbarwerdung der Fiktion zeigt Sherman, dass sie ihre Rezipienten keinesfalls täuschen will, vielmehr will sie ihnen vor Augen führen, dass sie getäuscht werden.

Enden soll dieses Kapitel mit den Worten des Künstlers Thomas Lawson, der behauptet: Die Photografie ist die moderne Welt. [59] Damit scheint die einstige Wahrnehmung der Realität durch die Sinnesorgane hinfällig, wird sie nun vollends durch die Wahrnehmung durch eine Apparatur abgelöst. So kann geschlussfolgert werden, dass die einstige Darstellung von Wirklichkeit, mittels der Abbildung eines realen Objektes-eines Originals, mit dem Aufkommen des postmodernen Grundgedankens ab 1970 unvereinbar geworden ist. Der postmoderne Diskurs, allen voran die von Jean Baudrillard verbreitete Theorie des Simulacrums, führt die Krise der Repräsentation vor Augen, die in der Referenzlosigkeit besteht, durch die ein Gegenstand plötzlich nicht mehr für sich selbst stehen, sondern nur noch in Bezug zu etwas gesetzt werden kann. Das Abbild hat seinen Bezug zum Original verloren und Shermans Film Stills scheinen nur noch als Kopien ohne Originale zu funktionieren.

4. Das Format des Film Stills

Die Betitelung der Serie mit Untitled Film Stills beinhaltet bereits den entscheidenden Hinweis auf das Format des Film Stills, welches allen Fotografien binnen ihrer Arbeit zugrunde liegt. Der englische Begriff Film Still, zu Deutsch Standfoto, entsteht im Hollywoodkino der 20er Jahre. Damals werden sie von sogenannten Standfotografen direkt am Set mit einer Kleinbild- oder Mittelformatkamera aufgenommen und vorrangig zu Werbezwecken eingesetzt.[60] Gleichzeitig dienen sie der Dokumentation der Dreharbeiten und zeigen dabei das beteiligte Filmteam sowie deren Ausrüstung und entworfene Bühnenbilder, wodurch die Atmosphäre am Set wiedergegeben werden soll.[61] Mit dem Aufkommen des Starsystems in Hollywood in den 1920er Jahren steigt jedoch auch das Interesse des Publikums an den Hauptdarstellern.[62] Daher werden diese zunehmend in dramatischen und für den Film repräsentativen Szenen abgelichtet. Zum Teil entstehen Standfotos auch nach den eigentlichen Dreharbeiten. Hierfür müssen sich die Schauspieler nach der abgedrehten Szene noch einmal positionieren. Daher kommt es oft vor, dass die Lichtverhältnisse, der Inszenierungscharakter und der Aufnahmestandort nicht denen des eigentlichen Films entsprechen. Oftmals werden die Darsteller auch in Szenen dokumentiert, die im Film selbst gar nicht vorkommen. Der Fotograf David Meadow begegnet der Funktion des Standfotos mit leichter Ironie, indem er erklärt: Erstens sollen sie den Geldgebern zeigen, wohin ihr Geld geflossen ist, zweitens sollen sie die Begeisterung für den Film bei den Filmverleihern steigern, drittens sollen sie für den Film in Magazinen und Zeitungen werben und viertens sollen sie in den Glaskästen der Kinos gezeigt werden. [63] Die Intention eines Standfotos ist demnach weniger eine künstlerische, sondern vielmehr eine strategische, um die finanzielle Unterstützung einflussreicher Geldgeber zu gewährleisten und mittels der Verwendung zu Werbezwecken ein breites Publikum anzusprechen. Die Spannung eines ganzen Filmes soll daher in einem Foto zum Ausdruck kommen. Dahingehend wird dem Standfoto eine mythenbildende Kraft zugesprochen.[64] Anhand der Ausstellung dieser Aufnahmen in den Schaukästen der Kinos, soll schließlich das Interesse potenzieller Kinobesucher geweckt werden. Die Künstlerin Cindy Sherman greift das Format des Film Stills auf und inszeniert sich in ihrer Arbeit als Schauspielerin in unterschiedlichen, fiktiven Filmszenen aus den 50er und 60er Jahren. Entgegen der eigentlichen Intention eines Film Stills, dramatisch und emotionsgeladen um die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu buhlen, verfolgt Sherman das Ziel einer nahezu ausdruckslosen Darstellung. Zu groß ist ihre Sorge darüber, dass die Bilder, je mehr Gefühle und Ausdruck sie vermitteln, völlig überzogen wirken könnten. Die einzigartige Stimmung, die jedem ihrer Stills innewohnt, entsteht gerade aus der Emotionslosigkeit, gepaart mit der Ästhetik aus Licht und Schatten, die ihren Bildern stets einen melancholischen und beunruhigenden Grundtenor verleihen. Ein weiterer Unterschied zur Verwendung der Film Stills für Kinofilme und Shermans Neuinterpretation dieses Formats besteht in dem bereits genannten Umstand, dass die hier dargestellten Filmszenen reine Erfindungen, gleichzeitig aber Imitationen von einst realen Szenerien sind. Das bedeutet, dass die Ähnlichkeiten zu real existierenden Filmen durchaus gegeben und gerade zu gewollt sind, den Betrachter dabei aber erkennen lassen, dass sie niemals wirklich die Hauptdarstellerin eines Films sehen. Dennoch meint der Rezipient ihrer Film Stills einen Star darin wiederzuerkennen. Der Star ist dabei mehr als ein Schauspieler. Er wird mit den, aus der Literatur stammenden, Begriffen Aura oder Mythos in Verbindung gebracht und löst deshalb eine solche Faszination beim Zuschauer aus.[65] In den Filmen verkörpern die Schauspieler stets unterschiedliche Rollen und damit gewisse Eigenschaften, die beim Publikum Sympathie und Anerkennung auslösen und so eine Identifikationsmöglichkeit darstellen oder zu Antipathie und Ablehnung führen. Mit der stetig anwachsenden Zahl an namenhaften Schauspielern entsteht so ein System von Angebotsdifferenzierungen[66], durch das für die unterschiedlichen Erwartungen der Zuschauer stets ein entsprechendes Angebot an Filmen vorhanden ist. Auf dem amerikanischen Filmmarkt entsteht daher bereits früh ein Starsystem, durch das die Produktionsfirmen von vorneherein erkennen, wie sie ein bestimmtes Publikum immer wieder für ihre Filme gewinnen können. Dabei entwickelt sich das Bild eines Schauspielers zu einem bestimmten Image, welches dazu führt, dass das Interesse an seiner Person über seine Arbeit als Akteur hinaus geht und dieser zu einer kulturell, bedeutsamen Figur erhoben wird. Dies ist nur möglich, weil diese für die Zuschauer etwas verkörpert was sie selbst niemals sein können. Die Beliebtheit der Film Stills ist auf die damit entstehende Möglichkeit zurückzuführen, den Star eines Films immer wieder betrachten und ihm nahe sein zu können.[67] In den 60er Jahren entsteht ein Typensystem, welches die weiblichen Filmfiguren in Kategorien unterteilt. Dazu gehören, neben der anständigen Jungfrau, der Mondänen und der Femme Fatale auch der Flapper, der Vamp und das Pin-Up.[68] Diese Kategorien werden jedoch nur selten von nur einer Person verkörpert. Meist vereinen die Frauenrollen verschiedene Eigenschaften mehrerer Kategorien und werden dabei mit ihren Verhaltensweisen zu ideologischen Konzepten, die der Aufrechterhaltung der jeweiligen gesellschaftlichen Konventionen dienen. Shermans Antwort auf das Starsystem und den darin existierenden Frauenrollen besteht darin, dass sie sich auf jedem Bild selbst in Szene setzt.

5. Die Film Stills #1 - #6

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5 Installationsansicht von Untitled Film Stills in Wherenwhen, Hallwalls, Buffalo, 3.Dezember 1977 - 6.Januar 1978[69]

Die oben abgebildeten Film Stills entstehen zwischen Ende des Jahres 1977 und Anfang 1978. Es sind Shermans erste komplexere Inszenierungen, die sich jedoch im Laufe der Entstehungsjahre zu einer konzeptionellen Arbeit entwickeln. Darin arrangiert sie sich selbst als blonde Schauspielerin in verschiedenen fiktiven Filmszenen und unterschiedlichen Rollen. Sherman wendet sich dazu von dem bis dahin verwendeten Format des Head Shots ab und widmet sich nun dem des Film Stills und dem dafür notwendigen Verwandlungsprozess. Shermans Priorität besteht darin niemals eine Figur zweimal darzustellen. Die Untersuchung der ersten Bilder ist äußerst wichtig, da sie den Grundstein für die komplette Serie der Untitled Film Stills legen. Das enorme Repertoire an unterschiedlichen Charakteren, das sich Sherman in den vergangenen Jahren zugelegt hat, ist bereits anhand ihrer Arbeiten Untitled #479 und Untitled A-E verdeutlicht worden. Im Rahmen der Untitled Film Stills inszeniert Sherman nun neben den Figuren auch deren unmittelbare Umgebung. Die ersten Aufnahmen entstehen zunächst in Cindy Shermans Wohnung in New York. Sie wechselt dabei lediglich die Zimmer innerhalb ihrer Wohnung, kreiert neue Arrangements durch das Umstellen ihrer Möbel oder schafft mithilfe einfacher Requisiten die Illusion einer völlig neuen Umgebung, die gleichzeitig überall zu finden sein könnte. Im Nachhinein beschreibt Sherman ihre erste Figur als billigen, abgetakelten Filmstar [70]. Die Wahl der blonden Perücke ist eine rein plakative. Die meisten Schauspielerinnen sind blond, Sherman hingegen brünett. Es scheint für Sherman der offensichtlichste Schritt zur optischen Veränderung zu sein. An bestimmte Filme denkt sie während des Prozesses nicht. Genau wie die Bilder von David Salle bleiben Shermans ebenfalls vage. Zudem sind sie als eine Reaktion der Künstlerin auf die neue Auffassung von Kunst im postmodernen Zeitalter zu sehen: Als Appropriationistin (Vgl. Kap. 3.2. Die Krise der Repräsentation) bedient sie sich des bereits existierenden künstlerischen Formates des Film Stills und imitiert in ihm weibliche Filmrollen aus den 50er und 60er Jahren. Darüber hinaus erzeugt sie während der Entwicklung der Negative bewusst einen Runzelkorneffekt, indem sie Temperaturunterschiede zwischen der Entwickler- und der Fixierflüssigkeit herbeiführt. Entgegen der ursprünglichen Intention eines Film Stills (Vgl. S.29), das zu Werbezwecken im Hochglanzformat entwickelt und publiziert wird, sollen ihre Fotos grobkörnig, unscharf und leicht beschädigt wirken und so den Eindruck von Fehlerhaftigkeit und technischer Unzulänglichkeit erwecken. Sherman möchte Kunst für jedermann machen, die ironisch ist, unperfekt und sich selbst nicht allzu ernst nimmt. Eine unmissverständliche Antwort auf die bereits erwähnte Entwicklung des Kunstobjektes zur Ware, die den Vertretern der postmodernen Fotografie zuwider war. Bereits anhand der ersten sechs entstandenen Film Stills wird die einzigartige Arbeitsweise Shermans ersichtlich. Sherman hat zu Beginn, wie bereits erwähnt, noch kein vollständiges Konzept was diese Art der Selbstinszenierung betrifft. Doch kreiert sie bereits mit ihren ersten Versuchen einen Stil, den sie bis heute beibehalten und nahezu perfektioniert hat: Ein unverwechselbares Zusammenspiel von Suggestion, Einfachheit und sympathischer Selbstironie. Für die nun folgenden Bildanalysen dienen mir die Abbildungen aus dem Buch The Complete Untitled Film Stills-Cindy Sherman als Grundlage. Darin schildert sie unter anderem auch den Entstehungsprozess von der ersten Serie bestehend aus den Film Stills #1 - #6, bis hin zur gesamten Reihe ihrer Stills und gibt dabei Aufschluss über wesentliche Einflüsse, Inspirationen und Komplikationen während des Entstehungsprozesses.

[...]


[1] Vgl. Fol 2001/2002, S.3.

[2] http://www.artheon.de/artikel/items/eva-respini-cindy-sherman.html, Rev. 29.05.2013.

[3] http://www.imdb.com/company/co0056735/, Rev. 29.05.2013.

[4] http://www.imdb.com/title/tt1016963/, Rev. 29.05.2013.

[5] Sherman 2003, S. 4.

[6] Vgl. http://www.emma.de/hefte/ausgaben-2000/juliaugust-2000/cindy-sherman-2000-04/, Rev. 30.05.2013.

[7] Sherman 2003, S. 5.

[8] Ebd.

[9] Sherman 2003, S. 5.

[10] DAS FENSTER ZUM HOF. R.: Alfred Hitchcock. USA 1954. TC: 00:01:29-00:03:14.

[11] Vgl. Respini 2012, S. 15.

[12] Vgl. ebd., S.5.

[13] http://www.emma.de/hefte/ausgaben-2000/juliaugust-2000/cindy-sherman-2000-04/, Rev. 03.06.2013.

[14] Vgl. Sherman 2003, S. 8.

[15] http://artforum.com/video/id=23243&mode=large&page_id=8, Rev. 02.06.2013.

[16] DOLL CLOTHES. R.: Cindy Sherman. USA 1975. TC: 00:00:58-00:01:34.

[17] Vgl. http://www.bfg-bayern.de/ethik/Gymnasium/freud_psych_app.htm, Rev. 08.10.2013.

[18] Vgl. Zimbardo / Gerrig 200416, S.711.

[19] Vgl. Respini 2012, S. 15.

[20] Vgl. ebd.

[21] Vgl. Nowell-Smith 1998, S. 425.

[22] Sherman 2003, S.5.

[23] http://www.zeit.de/2007/26/Interview-Sherman, Rev. 29.07.2013.

[24] Vgl. ebd.

[25] Respini 2012, S. 16.

[26] Ebd., S. 91.

[27] Das englische Wort HEAD SHOT ist ein Fachbegriff aus der Portraitfotografie. Gemeint sind Fotografien, vorwiegend von SchauspielerInnen und Modells, die der Selbstvermarktung dienen sollen.

[28] Respini 2012, S. 86 f.

[29] Respini 2012, S. 16.

[30] http://www.duden.de/rechtschreibung/authentisch, Rev. 31.07.2013.

[31] Vgl. Koebner 2002, S. 273 ff.

[32] Respini 2012, S. 15.

[33] http://www.nea.gov/about/index.html, Rev. 03.06.2013.

[34] Respini 2012, S. 15

[35] Der Begriff Storyboard kann mit dem Wort „Szenenbuch“ übersetzt werden. Es handelt es sich hierbei um eine visuelle, meist von Hand gezeichnete, Nacherzählung eines Films, in der die Kameraeinstellungen leichter nachvollziehbar werden und die, neben dem Drehbuch, eine Hauptvoraussetzung für den Dreh-beginn zu einem Film darstellt. Vgl. Koebner 2002, S. 595 f.

[36] Respini 2012, S. 19.

[37] Ebd., S.20.

[38] Vgl. Sherman 2003, S.6.

[39] Sherman 2003, S. 7.

[40] Vgl. ebd.

[41] Ebd., S.6.

[42] Sherman 2003, S.11.

[43] Sherman zit. nach Respini 2012, S. 23.

[44] Bambach-Horst 2003, S. 18.

[45] Bambach-Horst 2003, S. 18.

[46] Vgl. ebd.

[47] Ebd., S. 68.

[48] Vgl. Respini 2012, S. 24.

[49] Ebd., S. 28.

[50] Vgl. Kemp 2011, S. 100.

[51] Respini 2012, S. 24.

[52] Ebd., S.99.

[53] Blask 1995, S. 23.

[54] http://www.zeit.de/2007/11/Baudrillard-Nachruf, Rev. 06.09.2013.

[55] Blask 1995, S.26.

[56] Den Simulakren erster und zweiter Ordnung liegt das Werk des deutschen Philosophen Walter Benjamin Das Kunstwerk im Zeitalter der Reproduzierbarkeit zugrunde, das erstmals 1936 in einer französischen Zeitschrift für Sozialforschung veröffentlicht wurde und in Bezug mit Baudrillard eine avantgardistische Stellung einnimmt. Benjamin verbindet in seinem Aufsatz die Geschichte der Fotografie mit der Entwicklung des Kunstwerkes als solches und ummantelt diese Veränderung mit seiner Kritik an dem offensichtlichen Werteverfall des künstlerischen Schaffensprozesses. Er legt damit bereits einen Grundstein für die Krise der Repräsentation wie sie im postmodernen Zeitalter stattfinden soll.

[57] Vgl. Sontag 2005, S.29.

[58] Ebd.

[59] Respini 2012, S.25.

[60] Koebner 2002, S. 585 f

[61] Vgl. ebd.

[62] Vgl. Nowell-Smith 1998, S. 188.

[63] Vgl. Koebner 2002, S. 585.

[64] Ebd.

[65] Koebner 2002, S. 587.

[66] Ebd.

[67] Vgl. Laue 1996, S. 49.

[68] Koebner 2002, S. 587.

[69] Respini 2012, S.20.

[70] Respini 2012, S. 20.

Excerpt out of 132 pages

Details

Title
Cindy Shermans "Untitled Film Stills" als Reaktion auf die Rolle der Frau im Film der 50er und 60er Jahre
College
University of Applied Sciences Magdeburg
Author
Year
2013
Pages
132
Catalog Number
V314888
ISBN (eBook)
9783668140899
ISBN (Book)
9783668140905
File size
5251 KB
Language
German
Keywords
cindy, shermans, untitled, film, stills, reaktion, rolle, frau, jahre
Quote paper
Elisabeth Keitel (Author), 2013, Cindy Shermans "Untitled Film Stills" als Reaktion auf die Rolle der Frau im Film der 50er und 60er Jahre, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/314888

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