Einleitung
Jede historische Betrachtung des kolonialen Südwestafrika ähnelt sich in einem Punkte. Ganz gleich welchen Themenaspekt sie aus dem nur 30-järigen Intermezzo deutscher Herrschaft erarbeitet, früher oder später muss sie sich mit dem Herero- und Namaaufstand der Jahre
1904-1907 beschäftigen – ein unbestrittener Wendepunkt in der Geschichte Namibias.
In einer sozialen Explosion brachte dieser „erste Krieg des Wilhelminischen Deutschland“(1) ein bereits in zahlreichen Aufständen bewährtes politisches System zu Fall.
Gouverneur Theodor Leutwein war es nach seinem Dienstantritt 1894 binnen weniger Jahre gelungen, die bis dato rein nominelle Schutzherrschaft in eine „tatsächliche“(2) zu verwandeln.
Begründet lag dieser Erfolg in einer ausgefeilten Strategie politischer Balance den eingeborenen Stämmen gegenüber, bei deren Ausgestaltung sich der Major besonders Elementen britischer Kolonialherrschaft bediente.
Nicht erst mit Ausbruch des „Krieges“ mehrte sich jedoch Kritik an seiner Vorgehensweise. Der expansionswilligen Siedlerschaft galt Leutwein als „Kaffernfreund“(3), ließ in seiner Politik „übelangebrachte Sentimentalität“(4) erkennen.
Auch nach dem Verlust der Kolonie, 1919 im Versailler Friedensvertrag fixiert, blieb die offensichtliche Milde des Landesvaters im Mittelpunkt der Debatten: Nun diente sie den
Apologeten der deutschen Weltmachtambitionen als Feigenblatt:
„[Das] seltene Beispiel einer europäischen Schutzherrschaft, welche durch vertragliche Mittel zur Herrschaft im Lande gekommen war, Frieden und Ordnung zwar mit militärischer Macht herbeiführte
und aufrechterhielt, die Selbstständigkeit des Stammeslebens der Eingeborenen aber nicht angriff und auch nicht antasten wollte.“(5)
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung möchte die vorliegende Arbeit politisch-taktische Leitbilder des Gouverneurs im Umgang mit den Eingeborenen aufzeigen.
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1 Helmut Bley: Kolonialherrschaft und Sozialstruktur in Deutsch-Südwestafrika 1894-1914, Hamburg 1968,S. 195.
2 Zu diesem Vokabular vgl. Theodor Leutwein: Elf Jahre Gouverneur in Deutsch-Südwestafrika, Berlin 31908,Kapitel II „Aufrichtung der deutschen Schutzherrschaft, S. 13-96.
3 Zitiert nach Helga und Ludwig Helbig: Mythos Deutsch-Südwest. Namibia und die Deutschen,Weinheim/Basel 1983, S. 124.
4 Leutwein: Elf Jahre Gouverneur, S. 430.
5 Alfred Neubert: Die Schutzherrschaft in Deutsch-Südwestafrika 1884-1903. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Wunsch und Wirklichkeit - Voraussetzungen
- Aus der Sichtwarte Berlins
- Die Situation im Schutzgebiet
- Ideelles Rüstzeug - Leutweins Analysen
- Entwicklungsziele
- Staatlichkeit und persönliche Führung
- Die Logik des Friedens
- Pragmatische Lösungen – Die Umsetzung
- Anstrich der Legalität
- Divide et impera – Teile und herrsche
- Militärische Eingrenzung
- Stabilität auf dem Thron
- Disziplin und Gewaltbereitschaft
- Grenzen des Erfolgs - Die Hererofrage
- Umstrittene Hierarchie
- Kooperation als politisches Mittel
- Linienführung mit doppeltem Boden
- Die Eigendynamik der Stammespolitik
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit möchte die politisch-taktischen Leitbilder von Gouverneur Theodor Leutwein im Umgang mit den Eingeborenen im kolonialen Südwestafrika aufzeigen. Sie untersucht die Motive hinter der Konzeption seines Herrschaftssystems, welches sich in der deutschen Kolonialgeschichte als einzigartig erwies, sowie Tendenzen und Probleme bei dessen Umsetzung. Die Analyse soll klären, inwiefern die praktischen Schwierigkeiten zur Instabilität des Systems beitrugen und ob sie den großen Aufstand von 1904-1907 provozierten.
- Die theoretischen Grundlagen der deutschen Schutzherrschaft
- Die Konzeption von Staat und Herrschaft im System Leutwein
- Die praktische Umsetzung von Leutweins Methoden
- Die Schwierigkeiten des Systems anhand der Hererofrage 1894-96
- Die Bedeutung der politischen Balance im Umgang mit den Eingeborenenstämmen
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Arbeit beleuchtet die „Eingeborenenpolitik“ im System Leutwein, welches in der Geschichte Namibias einen wichtigen Wendepunkt darstellt. Leutwein gelang es, die deutsche Schutzherrschaft in eine „tatsächliche“ zu verwandeln, was auf einer ausgefeilten Strategie politischer Balance gegenüber den Eingeborenenstämmen beruhte. Seine Vorgehensweise wurde jedoch kritisiert, sowohl von der expansionswilligen Siedlerschaft als auch später von Apologeten der deutschen Weltmachtambitionen.
Wunsch und Wirklichkeit - Voraussetzungen
Aus der Sichtwarte Berlins
Das Deutsche Reich unter Bismarck trat nur widerwillig in den Kreis der Kolonialmächte ein, doch die Marschrichtung für Südwestafrika wurde von Berlin vorgegeben. Caprivi, Bismarcks Nachfolger, erteilte 1893 alle Pläne zur Aufgabe der Kolonie eine Absage und sprach von einer „unblutigen“ Eroberung des Landes. Die „unblutige“ Eroberung war jedoch innenpolitischen Konstellationen geschuldet, da jede Truppenverstärkung die Leistungsbilanz der überseeischen Besitzungen verschlechterte und die Bewilligung von Nachtragetats über den Reichstag erfolgen musste.
Die Situation im Schutzgebiet
Die Situation im Schutzgebiet war geprägt von der rein nominalen Schutzherrschaft. Leutwein sah sich der Herausforderung gegenüber, diese in eine „tatsächliche“ Herrschaft umzuwandeln.
Ideelles Rüstzeug - Leutweins Analysen
Entwicklungsziele
Dieser Abschnitt untersucht die Entwicklungsziele, die Leutwein für das Schutzgebiet vorschwebte.
Staatlichkeit und persönliche Führung
Hier wird Leutweins Vorstellung von Staatlichkeit und persönlicher Führung beleuchtet.
Die Logik des Friedens
Dieser Teil beleuchtet die von Leutwein verfolgte „Logik des Friedens“ im Umgang mit den Eingeborenenstämmen.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter dieser Arbeit sind: Eingeborenenpolitik, Kolonialismus, Deutsch-Südwestafrika, Theodor Leutwein, Hererofrage, Stammespolitik, Schutzherrschaft, Divide et impera, politische Balance.
- Arbeit zitieren
- Geoffrey Schöning (Autor:in), 2001, Eingeborenenpolitik im System Leutwein. Grundzüge, Motive und Tendenzen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3149