Leseprobe
Inhalt
I. Einführung
II. Shakespeares Macbeth
1. Hexen bei Holinshed und zu Shakespeares Zeit
1.1. Holinshed
1.2. Hexenwahn unter Elisabeth I. und James I
2. Die Hexen – Witches or Weird Sisters?
2.1. Walter Clyde Curry (1933)
2.2. Peter Stallybrass (1982)
2.3. Henry N. Paul (1978)
3. Gestaltung des supernatural element im Stück
3.1. Interpolierte Szenen – Thomas Middleton
3.2. Geschickte Anwendung durch Shakespeare
III. Charles Marowitz: A Macbeth
1. Collage und ‘debunking’
1.1. Verschränkung von Handlungssträngen
1.2. Verstärkte Bedeutung der Hexen und Lady Macbeths
2. Umbewertung des supernatural element durch Marowitz
2.1. Holinshed
2.2. Bedeutung des Voodoozaubers – ‘Effigies’
2.3. Sieg des Bösen über die göttliche Ordnung
IV. Schlussfolgerung
BIBLIOGRAPHIE
I. Einführung
In Shakespeare’s day superstitious supernaturalism took the form of witches, ghosts, fairies, demons, prophecy, divination, dreams, and astrology. Some of these beliefs still linger, although their disciples are comparatively few. No one, however, would dare to say that superstition is dead. The many meaningless habits still practised to appease the little god of ill luck are proof that it is very much alive. It has only changed its form, because education and science have driven it from its old strongholds.[1]
Was Cumberland Clark hier anspricht, ist die Tatsache, dass der Glaube an das Übernatürliche, an Geistererscheinungen, Astrologie und ähnliche übersinnliche Phänomene nicht ein bloßes Relikt vergangener Zeiten ist. Der Fortschritt in der Wissenschaft stellt zwar viele Auswüchse des Aberglaubens in Frage oder entblößt sie als Täuschung; andererseits gehört es aber offenbar zum Wesen des Menschen, dass er beständig nach Erklärungen für das Unerklärliche sucht, sein Schicksal deuten will und hinter dem Weltgeschehen übernatürliche Kräfte vermutet. Diese universelle Notwendigkeit der Sinnstiftung findet, sobald die Wissenschaft versagt, ihre eigenen, teilweise sehr abstrusen Deutungsmuster. Auf vielfältige Weise wird versucht, auf das eigene Schicksal oder das Anderer Einfluss zu nehmen, was sich in der Regel in kultischen Handlungen niederschlägt.
Wie Clark in seiner Studie Shakespeare and the supernatural zeigt, hat der große englische Dramatiker wie so vieles andere auch diesen Aspekt des menschlichen Wesens in seinen Dramen verarbeitet, nicht nur in seinem wohl berühmtesten Stück, Hamlet, sondern auch, und sogar verstärkt, in Macbeth. Die Literaturkritik hat im Laufe der Jahrhunderte viele verschiedene Erklärungsversuche erarbeitet, um die Bedeutung des supernatural element in diesem Stück, das wohl 1606 entstand, zu klären. Insbesondere interessierten die Fragen: Sind die Hexen wirklich mit übernatürlichen Kräften ausgestattet oder sind sie lediglich alte Frauen? Sind sie vielleicht auch nur Halluzinationen? Welche Rolle spielen die historischen Umstände, so vor allem die Frage, wie sich die Tatsache, dass das Drama zur Regierungszeit James’ I. entstand, auf die Shakespearesche Gestaltung aus gewirkt hat (Entscheidend in diesem Zusammenhang ist, dass James sich ausgiebig mit dem Hexenwahn seiner Zeit beschäftigt hatte und 1597 seine Beobachtungen in Daemonologie, einer Abhandlung über das schottische Hexenwesen, veröffentlichte.)? Trotz aller Bemühungen der Forschung lässt sich jedoch bis heute keinerlei Konsens in der Kritik festmachen, da zu viele gegensätzliche Interpretationen nebeneinander stehen. Deshalb wird im folgenden auch nur auf die verschiedenen Erklärungsversuche hingewiesen werden, ohne ein allzu einseitiges Bild zu bieten.
Neben den kritischen Auseinandersetzungen mit Shakespeare gab es vor allem auch in unserem Jahrhundert Versuche der literarischen Adaptation von Shakespearestücken. Dabei fällt auf, dass sich besonders neue Formen der Dramatik wie zum Beispiel das Musical auf Klassiker beriefen; man denke an West Side Story und Kiss Me, Kate, die sich auf Romeo and Juliet beziehungsweise The Taming of the Shrew beziehen. Auch das absurde Theater (Tom Stoppards Rosencrantz and Guildenstern are dead) und das sogenannte Theatre of Cruelty (Edward Bonds Lear) bedienten sich Shakespearescher Vorlagen, zum Teil wohl auch aus Gründen des zu erwartenden Interesses.
Eine Sonderstellung unter den Adaptatoren nimmt Charles Marowitz ein. Unter Beibehaltung des Dramentextes nimmt er eine strukturelle Verdichtung vor, indem er zentrale Szenen auswählt und sie collagenhaft zu einem neuen Ganzen zusammenfügt. Auf diese Weise setzt Marowitz neue Schwerpunkte, die er des öfteren ironisch überformt und durch besondere Effekte verfremdet (indem zum Beispiel Texte anderen Figuren zugeordnet werden oder indem Text mit Bühnenhandlung konfrontiert wird; beachtenswert ist die Bedeutung, die Marowitz seinen Regieanweisungen zumisst). Dieses ‘debunking’ und der Gebrauch von Elementen der Grausamkeit spiegelt ein eigenwilliges und innovatives Verständnis der Shakespeareschen Kunst wider.
Die folgende Arbeit will nun versuchen, die jeweilige Gestaltung des supernatural element in den beiden Macbeth -Versionen zu vergleichen. Anders als manche Regisseure des Macbeth, die die Hexenszenen als überflüssig erachteten und deshalb kurzerhand strichen, hat Marowitz sie durchaus beibehalten, wenngleich er Veränderungen vornahm. Gezeigt werden soll also, wie diese Veränderungen zum Original aussehen. Zudem wird deutlich werden, dass Marowitz nicht, wie es laut Clark zu erwarten wäre, die Erkenntnisse unserer Zeit berücksichtigt, sondern dass er in seiner Darstellung des Übernatürlichen auf sehr archaische Vorstellungen zurückgreift, die sich unter anderem auch in Shakespeares wichtigster Quelle für Macbeth, Raphael Holinsheds Chronicles of England, Scotland, and Ireland aus dem Jahr 1577, finden.
II. Shakespeares Macbeth
1. Hexen bei Holinshed und zu Shakespeares Zeit
Um die Bedeutung des Übernatürlichen in Macbeth angemessen beurteilen zu können, erscheint es ratsam festzustellen, inwieweit das Hexenmotiv schon in der Quelle vertreten ist. Außerdem dürfte auch das zeitgenössische Verständnis des Übernatürlichen Shakespeare bei seiner Arbeit beeinflusst haben, da Geisterbeschwörungen und ähnliche Praktiken schon zu elisabethanischer Zeit bei Todesstrafe untersagt waren.
1.1. Holinshed
Raphael Holinsheds Chronik ist nach einhelliger Auffassung der Kritik als die Hauptquelle für Macbeth anzusehen. Der Dramatiker übernahm im wesentlichen das vorgefundene Schema, vollzog aber einige deutliche Veränderungen: Das Bild des König Duncan, der Holinshed zufolge ein schwacher Regent war, wird bei Shakespeare aufgrund der notwendigen Opposition Macbeth-Duncan aufgewertet; Banquo, der tatsächlich am Königsmord beteiligt war, wird, offensichtlich James I. zuliebe, von dieser Mitschuld befreit (damals hielt man Banquo noch für einen Vorfahren James’); Macbeth erscheint, obwohl er tatsächlich einen rechtmäßigen Anspruch auf den schottischen Thron hatte, als verbrecherischer Unhold dargestellt, dessen Regierungszeit verdientermaßen nur kurz andauert (zehn Wochen im Vergleich zu den wirklichen siebzehn Jahren); der Mord am König, wie ihn Shakespeare inszeniert, ist offensichtlich an Holinsheds Darstellung des Mordes an König Duff durch dessen Leutnant Donwald und seiner Gattin angelehnt.
Auch das supernatural element in Gestalt der drei Hexen findet sich schon in der Quelle. Allerdings ist offenbar nicht klar, worum es sich bei den finsteren Gestalten, denen Macbeth und Banquo begegnen, handelt:
But afterwards the common opinion was, that these women were either the weird sisters, that is (as ye would say) the goddesses of destinie, or else some nymphs or feiries, indued with knowledge of prophesie by their necromanticall science, bicause euerie thing came to passe as they had spoken.[2]
Von Hexen ist hier ausdrücklich nicht die Rede. Andererseits finden sich solche wenige Seiten zuvor, als Holinshed von König Duff berichtet, den drei alte Frauen, „a sort of witches“ durch finstere Zauberei so schwächen wollen, dass er schließlich stirbt[3]. Weil sie nämlich mit den Bewohnern der nahegelegenen Western Isles sympathisieren, die König Duff beseitigen will, beginnen sie, ein Wachsabbild Duffs über dem Feuer zu rösten, um ihn so in einen Fieberzustand zu versetzen, der ihn zusammen mit Beschwörungen, die ihm den Schlaf rauben, langsam dahinraffen soll. Die Hexen werden allerdings vorzeitig entdeckt (die Tochter einer der Frauen verrät sie an Donwald). Bezeichnend ist nicht nur, dass kurz darauf von Donwalds Mord an Duff berichtet wird, den Shakespeare ja als Vorbild für Macbeth genommen hat, sondern auch, dass sowohl die drei Hexen als auch die „creatures of elder world,“ denen später Macbeth und Banquo begegnen, mit der Stadt Fores in Verbindung gebracht werden.
Peter Stallybrass stellt fest, dass die Änderungen, die Shakespeare vornahm, hauptsächlich dazu dienen, eine klare antithetische Struktur zu schaffen, das heißt Macbeth muss deutlich als Verbrecher dargestellt werden, der sich mit dem Bösen in der Form des Übernatürlichen einlässt. Dies beeinflusst auch das Bild der Hexen, wie noch zu zeigen sein wird[4].
Doch nicht nur in Holinsheds Chronicle fand Shakespeare Anregungen für seine Hexen. Auch seine Zeitgenossen befassten sich intensiv mit diesem Thema. Einer von ihnen war König James selbst.
1.2. Hexenwahn unter Elisabeth I. und James I.
Zur Zeit Shakespeares befand sich Europa und insbesondere England geradezu in einer Hexenmanie. Der Hexenverfolgung während der Regierung Elisabeths I. fielen Hunderte von Menschen (zumeist Frauen) zum Opfer[5]. Obwohl es auch sogenannte „wise women,“ also gute Hexen gab, die man in Krankheitsfällen und Nöten konsultieren konnte, war der Glaube an böse Geister verschiedenster Formen und Bezeichnungen, deren Gunst sich Hexen verschafften, um dadurch übermenschliche Fähigkeiten zu erhalten, tief in der elisabethanischen Gesellschaft verwurzelt, und das nicht nur in den unteren Schichten, sondern auch unter den „wisest of men,“ wie W.C. Curry beweist[6]. Ein Fall aus dem Jahr 1580 betraf die Monarchin selbst: Nicholas Johnson wurde angeklagt, ein Wachsabbild Ihrer Majestät angefertigt zu haben. Man sah darin eine Bedrohung für das Leben der Königin und deshalb wurde ein Gesetz erlassen, das sich gegen solche Praktiken richtete, die auf die Königin abzielten, darunter auch Prophezeiungen bezüglich ihres Todes und der Nachfolge[7]. Noch 1606 wurde ein Gesetz erlassen, das besagte, dass jeder, der der Hexerei für schuldig befunden werde, hinzurichten sei[8].
[...]
[1] Cumberland Clark, Shakespeare and the supernatural (New York, 1971), p.13.
[2] Allardyce and Josephine Nicoll (Hrsg.), Holinshed’s Chronicle as used in Shakespeare’s plays (London, 1927), pp. 210f.
[3] op.cit., p. 209.
[4] Peter Stallybrass, „‘Macbeth’ and Witchcraft“, in: Macbeth, New Casebooks, Hrsg. Alan Sinfield (London, 1992), p. 29.
[5] Rex Gibson (Hrsg.), Macbeth, Cambridge School Shakespeare (Cambridge, 1993), p.166.
[6] Walter C. Curry, The Demonic Metaphysics of Macbeth (Chapel Hill, 1933), p. 5.
[7] Stallybrass, pp. 26f.
[8] Gibson, p. 166.