Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definitionen
2.1 Das Märe
2.2 Das priapeiische Märe
3. Geschlechtsmodellenach Laqueur
3.1 Das Ein-Geschlecht-Modell
3.2 Das Zwei-Geschlecht-Modell
4. Geschlechtsmodelle im Nonnenturnier
4.1 Analyse und Interpretation nach dem Ein-Geschlecht-Modell
4.2 Analyse und Interpretation nach dem Zwei-Geschlecht-Modell
5. Schlussbetrachtung
Literatur- und Quellenverzeichnis
1. Einleitung
„In althochdeutschen Texten [...] finden sich bereits viele Themenfelder aktueller gender-Debatten angesprochen: Transsexualität, cross-dressing, „mannhafte Frauen“,jungfräuliche Männer [...]. Während solch spektakuläre Motive allerdings relativ selten begegnen, werden doch insgesamt häufiger als erwartet Fragen der Geschlechterdifferenz erörtert.“1 [Herv. der Verfasserin]
So stellt Birgit Kochskämper in ihrem wissenschaftlichen Beitrag Man, gomman inti wib - Schärfen und Unschärfen der Geschlechterdifferenz in althochdeutscher Literatur fest, dass bereits in althochdeutschen Abfassungen gender eine Rolle spielte und Geschlechter in Hinsicht auf ihre Abgrenzungen diskutiert wurden. Auch der aus dem vermutlich 15. Jahrhundert2 stammende Text Das Nonnenturnier, dessen Autor unbekannt3 ist und der laut Fischer den Mären4 zuzuordnen ist, scheint oberflächlich betrachtet Geschlechterkonstruktionen des Mittelalters zu thematisieren. Offenbar trifft Kochs- kämpers These nicht nur auf althochdeutsche, sondern auch auf später entstandene Texte zu. Schlechtweg-Jahn konkretisiert diese These und wendet sie auf die Priapeia, zu denen auch das Nonnenturnier zu zählen ist, an.
„Die Priapeia diskutieren vor dem Hintergrund höfischer Literatur und Kultur offenbar problematisch werdende Geschlechteridentitäten [...]. Unter Rückgriff auf verschiedene Geschlechtermodelle versuchen die Texte [unter anderen auch das Nonnenturnier - H. B.], diese Beunruhigungen zugunsten eindeutiger Geschlechterdefinitionen abzustellen [.. .].“5
Laut Schlechtweg-Jahn gibt es offenbar Konstruktionen vom Geschlecht, die in Mären zum Wirken kommen. Doch welche Geschlechterdefinitionen werden durch die Geschlechtermodelle in dem Märe Das Nonnenturnier entworfen?
Ziel dieser Arbeit ist es deshalb, die Frage zu beantworten, welche Geschlechteridentitäten das Märe Das Nonnenturnier produziert und wie diese wirken? Um diese Zielstellung zu erfüllen, ist die Arbeit folgendermaßen gegliedert. Zunächst sollen die Begriffe Märe und Priapeiisches Märe geklärt werden, um eine genauere Einordnung des Märes Das Nonnenturnier innerhalb der mittelalterlichen Literatur zu gewährleisten. Im darauffolgenden Kapitel dienen die Erkenntnisse über das Ein- und ZweiGeschlecht-Modell Thomas Laqueurs als theoretische Grundlage, um diese im weiteren Verlauf der Arbeit auf den Text anwenden zu können. Das nächste Kapitel analysiert und interpretiert die konstruierten Geschlechterdefinitionen im Nonnenturnier unter Nutzung der Modelle Laqueurs, um die eingangs gestellte Frage zu beantworten. Abschließend fasst eine Schlussbetrachtung die wichtigsten Aspekte der Arbeit zusammen und dient zugleich der Rückführung zum Thema.
2. Definitionen
Unter Heranziehung der Ergebnisse Fischers, Kopfs und Strohschneiders sollen im Folgenden die Begriffe Märe und priapeiisches Märe beleuchtet werden, um eine Einordnung des Märes Das Nonnenturnier innerhalb der mittelalterlichen Literatur zu gewährleisten.
2.1 Das Märe
Fischer definiert das Märe als „eine in paarweise gereimten Viertaktern versifizierte, selbstständige und eigenzweckliche Erzählung mittleren (d.h. durch die Verszahlen 150 und 2000 ungefähr umgrenzten) Umfangs, deren Gegenstand fiktive, diesseitig-profane und unter weltlichem Aspekt betrachtete, mit ausschließlich (oder vorwiegend) menschlichem Personal vorgestellte Vorgänge sind“6. Mären und damit „etwas über zweihundert selbstständige, nicht zyklisch verbundene Kleinerzählungen“7 bilden „innerhalb einer breiten Erzähltradition des europäischen Mittelalters den Kern des deutschsprachigen Beitrages“8. In Anlehnung an Fischer erstellte Köpf einen Themenkatalog mit 10 Themenkreisen und in Restgruppen zusammengefassten Mären, der die für das Märe bezeichnenden Themen und typischen Inhalte zusammenfasst.9 Zu diesen Themenkrei- sen zählt unter anderen auch der Themenkreis der Priapeia, welcher im Folgenden kurz erläutert wird.
2.2 Das priapeiische Märe
Unter dem Begriff priapeiisches Märe versteht Fischer einen Themenkreis, dessen „gemeinsames Kennzeichen [...] die zentrale Rolle, manchmal sogar personenhafte Rolle, die dem Genitale zugewiesen wird“10 ist. Zu diesen zählt er unter anderen auch Das Nonnenturnier. Strohschneider präzisiert, dass diese Texte „durch ungewöhnlich derbe, oft betont brutale und durch zuweilen offenbar auch auf Schockwirkung zielende Obszönität auffallen“11. Weiterhin bemerkt er, dass „hier [...] Formen der Literari si erung des Sexuellen (begegnen), die solche Texte merklich abheben von jenen Weisen obszönen Erzählens, die für schwankhafte Mären oder bestimmte Felder der Minneredendichtung insgesamt kennzeichnend sein können“12.
3. Geschlechtsmodelle nach Laqueur
Sich an dem Fakt anstoßend, dass „keine eindeutige Auffassung vom Geschlechtsunterschied“13 herrscht, untersuchte Thomas Laqueur das „Wesen sexueller Differenz“14. In seinem Werk Auf den Leib geschrieben stellt er auf Grundlage von medizinischer und philosophischer Literatur dar, welche Geschlechterentwürfe von der Antike bis zur Moderne die Sichtweise auf die Geschlechter prägten. Nach seiner These stellt das 18. Jahrhundert eine Zäsur dar, wonach seit diesem eine andere medizinische Theorie von Geschlecht herrsche als zuvor. Während vorher ein Ein-Geschlecht-Modell die Anschauungen über Leib und Geschlecht geprägt haben soll, entwickelte sich, seinen Un tersuchungen nach, im Laufe der Zeit ein Denkansatz in Form eines Zwei-Geschlecht- Modells.15 Diese Modelle sollen im Folgenden näher erläutert werden.
3.1 Das Ein-Geschlecht-Modell
Nach Laqueurs Forschung ging man lange Zeit davon aus, dass Frauen und Männer über dieselben Genitalien verfügen würden. Diese Geschlechtskonstruktion bezeichnet Laqueur als das Ein-Geschlecht-Modell, welches „zwei soziale Geschlechter nur einem einzigen biologischen Geschlecht“16 zuordnet. Dabei bestand der einzige Unterschied zwischen den Geschlechtern in der Annahme, dass lediglich die Lokalisierung der Geschlechtsorgane eine andere sei. Während somit die weiblichen Geschlechtsorgane nach innen gestülpt seien, lägen die der Männer nach außen gerichtet, wobei die Geschlechtsorgane der Frauen in Analogie zu den männlichen anatomischen Strukturen existieren würden. Demzufolge entsprächen Cervix und Vagina der Frau dem Penis, die Vulva der Vorhaut des Mannes, der Uterus dem Scrotum und die Ovarien den Testi- keln.17 Diese Andersartigkeit der Frauen und das „Zurückbehalten von Strukturen im Inneren des Leibes“18, so begründete Galen, läge darin, dass es Frauen an Hitze und dementsprechend an Vollkommenheit fehlen würde.19 Daher wurde die Frau als eine Unterart des Mannes angesehen. Dementsprechend ging man von einer hierarchischen Achse aus, auf der Mann und Frau - je nach „Ausmaß an metaphysischer Perfektion und ihrer vitalen Hitze“20 - angelegt waren. Der Grundgedanke war also, dass Frauen eine Art weniger vollkommener Mann seien, deren Organe zwar die gleichen wie beim Mann seien, aber an dem falschen Platz säßen. Der Mann stellte somit den Standard dar, wohingegen die Frau zu einer Abweichung vom Idealbild degradiert wurde. Weiterhin beschreibt Laqueur, dass es in der von ihm beschriebenen Gedankenwelt kein „reales biologisches Geschlecht gibt, das grundsätzlich auf reduktionistische Weise zwei soziale Geschlechter begründet und unterscheidet“21. In anderen Worten bedeutet dies, dass nicht allein das biologische Geschlecht den Unterschied zwischen den Geschlechtern
[...]
1 Kochskämper, Birgit: Man, gomman inti wîb - Schärfen und Unschärfen der Geschlechterdifferenz in althochdeutscher Literatur. In: Bennewitz, Ingrid / Tervooren, Helmut (Hrsg.): Manlîchiu wîp, wîplîch man. Zur Konstruktion der Kategorien ,Körper‘ und ,Geschlecht‘ in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin 1999, S. 15.
2 Vgl.: Grubmüller, Klaus: Novellistik des Mittelalters. Märendichtung, Frankfurt am Main 1996, S. 1331.
3 Vgl. ebd.
4 Vgl.: Fischer, Hanns: Studien zur deutschen Märendichtung, Tübingen 1968, S. 68.
5 Schlechtweg-Jahn, Ralf: Geschlechtsidentität und höfische Kultur. Zur Diskussion von Geschlechtermodellen in den sog. priapeiischen Mären. In: Bennewitz, Ingrid / Tervooren, Helmut (Hrsg.): Manlîchiu wîp, wîplîch man. Zur Konstruktion der Kategorien ,Körper‘ und ,Geschlecht‘ in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin 1999, S 85.
6 Fischer, Hanns (1968): S. 62f..
7 Köpf, Gerhard: Märendichtung, Stuttgart 1978, S. 1.
8 Ebd.
9 Vgl. ebd.: S. 65-67.
10 Fischer, Hanns (1968): S. 97.
11 Strohschneider, Peter: Der tumey von dem czers. Versuch über ein priapeiisches Märe. In: Ashcroft, Jeffrey (Hrsg.): Liebe in der deutschen Literatur des Mittelalters. St. Andrews-Colloquium 1985, Tübingen 1987, S. 149.
12 Ebd.
13 Laqueur, Thomas Walter: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, Frankfurt am Main; New York 1992, S. 10.
14 Ebd.
15 Vgl. ebd.: S. 39.
16 Ebd.
17 Vgl. ebd.: S. 39f..
18 Ebd.: S. 16.
19 Vgl. ebd.
20 Ebd.: S. 18.
21 Ebd.: S. 150.
- Arbeit zitieren
- Henriette Bartusch (Autor), 2012, Geschlechterkonstruktion in dem Märe "Das Nonnenturnier", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/315226
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