Der Umgang mit Netzwerken in René Polleschs "Kill Your Darlings". Eine Analyse

"Es fehlt etwas. Es reicht uns nicht." Was ist "es" und warum fehlt es?


Dossier / Travail de Séminaire, 2015

19 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Netzwerk - eine Definition

3. „Ich brauche eine Nahwelt“
3.1 Herangehensweise
3.2 Der Titel
3.3 Die Monologe - Fabian Hinrichs
3.4 Die Turner
3.5 Der Raum

4. Das fehlt also - Ein Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Es gibt einen Vorwurf an das zeitgenössische Theater und die darstellenden Künste allgemein, der besonders von Journalisten und Theatermachern älterer Generationen publiziert wird: Das Theater heutzutage sei unpolitisch geworden.1 Es wird der Wunsch nach einer klaren Gesellschaftskritik deutlich, wie sie einst im freien Theater praktiziert wurde - politisches Theater heutzutage sei vielmehr nur eine Aufarbeitung politischer Stücke, eine Transformation alter Dramen in die heutige Zeit.2

Wie modernes, politisches Theater aussehen kann, das zeigt René Pollesch (*1962).3 Er gilt als einer der bedeutendsten, zeitgenössischen Dramatiker in Deutschland, der deutlich macht, wie ein veränderter Umgang mit modernen, technischen Medien auch eine Möglichkeit sein kann, politisches Theater auf die Bühne zu bringen.

Um neue, technische Medien, vielmehr die digitalen, sozialen Netzwerke wie Facebook und Co, geht es auch in seinem Stück „Kill Your Darlings! Streets of Berladelphia“, das am 18.01.2012 an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin Premiere feierte. Jedoch kommen diese auf der Bühne nicht direkt zum Einsatz.

„Soziale Netzwerke sind Phänomene von komplexer Schönheit.“4 So schreiben es die renommierten Wissenschaftler Nicholas A. Christakis und James H. Fowler in „Die Macht sozialer Netzwerke. Wer uns wirklich beeinflusst und warum Glück ansteckend ist.“ Fraglich ist, ob René Pollesch den beiden Wissenschaftlern zustimmen würde. Doch wie stellt Pollesch Netzwerke in „Kill Your Darlings! Streets of Berladelphia“ dar? Wie werden sie thematisiert, präsentiert, womöglich sogar kritisiert? Welche Auswirkungen von Netzwerken auf das Lebens des Einzelnen werden dargestellt und welche Mittel der Darstellung werden eingesetzt, um die Wirkung von Netzwerken zu unterstreichen?

Diese Fragen sollen im Laufe dieser Arbeit beantwortet werden.

Als Titel dieser Arbeit ist deswegen die entscheidende Aussage des Stückes gewählt worden.

Pollesch lässt bewusst die Frage offen, was in diesem Fall mit „es“ gemeint ist. Er selbst gibt somit die Fragestellung vor, die im Laufe seines Stückes vom Zuschauer, als auch im Zuge dieser Arbeit genauer untersucht werden soll.

Was ist es? Was reicht nicht? Was fehlt?

Zunächst gebe ich eine Erklärung des Begriffs „Netzwerke“, um eine Grundlage zu schaffen, auf der ich das Stück „Kill Your Darlings! Streets of Berladelphia“ im Hinblick auf René Polleschs Umgang mit der Thematik analysieren werde. Die Analyse wird sich fünf Teile gliedern, zunächst wird vorgestellt, wie René Pollesch „Kill Your Darlings! Streets of Berladelphia“ erarbeitet hat, dann folgt eine Untersuchung zum Titels des Stücks. Im Anschluss kommt es zur Analyse der Monologe von Fabian Hinrichs, danach wird die Bedeutung des Chores für das Stück vorgestellt. Auch die räumliche Ausgestaltung wird in einem eigenen Unterkapitel genauer beleuchtet. Die Arbeit schließt mit einer zusammenfassenden Beantwortung der aufgestellten Fragen.

2. Netzwerk - eine Definition

Bevor im Laufe der Arbeit René Polleschs Umgang mit der Thematik „Netzwerke“ beleuchtet wird, muss zunächst geklärt werden, was unter dem Begriff zu verstehen ist.

Netzwerk setzt sich zusammen aus den Worten „Netz“ und „Werk“. Im elementaren Grundverständnis des Wortes handelt es sich bei einem Netz um einen Gebilde aus geknüpften Fäden, deren Verknüpfungen meist rautenförmige Maschen bilden.5 Es ist ein Gegenstand, mit dem man etwas fängt, in dem sich Sachen verstricken oder eine Struktur, die sich selber verknotet, eine Formation, die sich selbst strukturiert.6 Wörtlich übersetzt sind Netzwerke also die Gesamtheit von netzartigen Verbindungen.

Netzwerke finden sich in allen Lebensbereichen. Sei es in der Elektrotechnik, bei der Vernetzung von Computern, oder in der Medizin, bei der Verflechtung diverser Nervensysteme. Verschiedene Netzwerke sind dabei abhängig von den unterschiedlichen Relationen, durch die ihre Elemente miteinander verbunden sind.7 Auch im sozialen Bereich, bei der Vernetzung von Privatpersonen oder Unternehmen, kommt es zur Bildung von Netzwerken. Soziale Netzwerke bestehen aus einer bestimmten Anzahl von Menschen, deren Beziehungen untereinander das entscheidende Merkmal sozialer Netzwerke sind, womit diese sich von dem „Gruppenbegriff“ unterscheiden.8

„Wir sind, glaube ich, in einem Moment, wo sich die Welt weniger als ein großes sich durch die Zeit entwickelndes Leben erfährt, sondern eher als ein Netz, das seine Punkte verknüpft und sein Gewirr durchkreuzt“.9

Bereits 1990 stellte Michel Foucault fest, dass das „Zeitalter der Netzwerke“ angebrochen sei. Darum kommt der Netzwerkmetapher nicht nur in den Wissenschaften, sondern auch im kulturellen Bereich eine besondere Bedeutung zu, sie sind zu einer „populärkulturellen Pathosformel“10 geworden. Doch in einer netzwerkartig verbundenen Welt, in der es am wichtigsten ist, „gut vernetzt“ zu sein, gibt es nach Systemtheoretiker Niklas Luhmann weder eine „Spitze“, noch ein „Zentrum“11, ein Umstand, der für die folgende Analyse von „Kill Your Darlings“ noch von Bedeutung sein wird.

Individualisierung, Flexibilisierung und Globalisierung sind Kennzeichen einer NetzwerkGesellschaft, die sich im Zuge des Kapitalismus entwickelt hat.12 Digitalisierung als weitere Folge dessen führte in den vergangenen Jahren zu einer fundamentalen Transformation der Gesellschaft, sowohl in der Arbeitswelt als auch in den privaten Bereichen.

„Die Offline-Gesellschaft mit ihren Postämtern, Tageszeitungen und Funklöchern scheint ein Auslaufmodell zu sein. Binnen nur eines Jahrzehnts ist eine neue Gesellschaft entstanden, für die Manuel Castells bereits 1996 den Begriff „Netzwerk-Gesellschaft“ geprägt hat.“13

Besonders Beziehungsnetzwerke erlebten einen Paradigmenwechsel, da in zunehmenden Maße die elektronische Kommunikation an Bedeutung gewonnen hat und die klassische Face- to-face-Kommunikation immer weiter verdrängte. Das Medium Internet beeinflusst massiv die Art der Kommunikation, es handelt sich meist um knappe Botschaften, die ausgetauscht werden, intensive Kommunikation ist eher selten.14 Zudem werden in Online-Communities nicht nur die eigenen sozialen Beziehungen gepflegt, sondern auch die Beziehungen anderer Akteure zueinander genau beobachtet. Aufgrund der kumulativen Eigenschaft15 digitalisierter, sozialer Netzwerke - es werden „Freunde“ auf Facebook hinzugefügt, aber nie wieder gelöscht - umfassen die Netzwerke eine große Zahl an Menschen, deren Alltag digital wahrgenommen werden kann, obwohl man in der Realität keinen Kontakt zu diesen Personen hat.16

3. „Ich brauche eine Nahwelt“

3.1 Herangehensweise

René Pollesch macht politisches Theater. Zu der Herangehensweise, wie er thematisch neue Stücke wie „Kill Your Darlings! Streets of Berladelphia“ erschließt, sagte er im Gespräch mit dem Publizisten Frank-Michael Raddatz, der die Genealogie des epischen Theaters erforschte, folgendes:

„Man muss nur von dem Vorurteil weg, dass es sich um etwas Elitäres handelt, wenn ich mich auf Philosophie beziehe, um mein eigenes Handeln zu begreifen. Auf eine Philosophie allerdings, die sehr nah an dem ist, was gerade stattfindet, und nicht auf einen vertrockneten Idealismus, der bereits seit mehreren Jahrhunderten tot ist. Ich darf auch nicht an die Romantik andocken, sondern an das, was gerade gedacht wird. [...] [I]ch bin überzeugt, dass man, wenn man uns zuguckt, wie wir mit Theorie unseren Alltag bearbeiten, erkennt: „Das lohnt sich.““17

[...]


1 Deck, Jan: Politisch Theater machen - Eine Einleitung. In: Deck, Jan; Sieburg, Angelika: Politisch Theater machen. Bielefeld, 2011. S. 11.

2 Ebd. S. 11f.

3 Primavesi, Patrick: Theater/Politik - Kontexte und Beziehungen. In: Deck, Jan: Politisch Theater machen.Bielefeld, 2011. S. 63.

4 Christakis, Nicholas A; Fowler, James H.: Die Macht sozialer Netzwerke. Frankfurt am Main, 2011. S.11.

5 http://www.duden.de/rechtschreibung/Netz ; aufgerufen am 17.07.2015.

6 Fangerau, Heiner; Halling, Thorsten: Netzwerke. Bielefeld, 2009. S.7.

7 Fangerau, Heiner; Halling, Thorsten: Netzwerke - Eine allgemeine Theorie oder die Anwendung einer Universalmetapher in den Wissenschaften? In: Netzwerke. Bielefeld, 2009. S. 267.

8 Christakis, Nicholas A; Fowler, James H.: Die Macht sozialer Netzwerke. Frankfurt am Main, 2011. S. 24.

9 Foucault, Michel: Andere Räume. In: Fangerau, Heiner; Halling, Thorsten: Netzwerke. Bielefeld, 2009. S.13.

10 Polianski, Igor: Das Netzwerk als Natursystem und ästhetische „Pathosformel“ der Moderne. In: Fangerau, Heiner; Halling, Thorsten: Netzwerke. Bielefeld, 2009. S.13f.

11 Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Zitiert nach: Polianski, Igor: Das Netzwerk als Natursystem und ästhetische „Pathosformel“ der Moderne. In: Fangerau, Heiner; Halling, Thorsten: Netzwerke. Bielefeld, 2009. S.14.

12 Weyer, Johannes: Soziale Netzwerke. München, 2011. S.3

13 Ebd. S. 3

14 Christakis, Nicholas A; Fowler, James H.: Die Macht sozialer Netzwerke. Frankfurt am Main, 2011. S. 349.

15 Ebd. S. 349

16 Ebd. S. 348ff.

17 Raddatz, Frank-Michael: Brecht frißt Brecht. Leipzig, 2007. S.200f

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Der Umgang mit Netzwerken in René Polleschs "Kill Your Darlings". Eine Analyse
Sous-titre
"Es fehlt etwas. Es reicht uns nicht." Was ist "es" und warum fehlt es?
Université
University of Dusseldorf "Heinrich Heine"
Note
2,0
Auteur
Année
2015
Pages
19
N° de catalogue
V315237
ISBN (ebook)
9783668142046
ISBN (Livre)
9783668142053
Taille d'un fichier
499 KB
Langue
allemand
Mots clés
René Pollesch, Politisches Theater, Kill Your Darlings, Zeitgenössisches Theater, Netzwerke, Theater, Modernes Theater, Fabian Hinrichs, Chor im Theater
Citation du texte
B.A. Sabrina Rode (Auteur), 2015, Der Umgang mit Netzwerken in René Polleschs "Kill Your Darlings". Eine Analyse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/315237

Commentaires

  • Pas encore de commentaires.
Lire l'ebook
Titre: Der Umgang mit Netzwerken in René Polleschs "Kill Your Darlings". Eine Analyse



Télécharger textes

Votre devoir / mémoire:

- Publication en tant qu'eBook et livre
- Honoraires élevés sur les ventes
- Pour vous complètement gratuit - avec ISBN
- Cela dure que 5 minutes
- Chaque œuvre trouve des lecteurs

Devenir un auteur