Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Zentrale Fragestellung und Gang der Untersuchung
2 Der Begriff Werbung im rechtlichen Kontext
2.1 Definition des Begriffes Werbung nach Europäischem Recht
2.2 Definition des Begriffes Werbung nach Deutschem Recht
2.2 Ergebnis für die vorliegende Ausarbeitung
3 Elektronischer Geschäftsverkehr / E-Commerce
4 Die Notwendigkeit von Verbraucherschutz
4.1 Das Verbraucherleitbild in der Europäischen Union
4.2 Die Relevanz von E-Commerce in der Verbraucherschutzpolitik
5 Die ökonomische Relevanz der Ausgestaltung des Werberechts im Europäischen Binnenmarkt
5.1 Die Ziele und Grundfreiheiten des Binnenmarktes
5.2 Die Bedeutung der Verbraucherschutzes für den Europäischen Binnenmarkt
6 Irreführende Werbung nach Europäischem Recht
6.1 Unlautere Geschäftspraktiken
6.2 Der Tatbestand der Irreführung
7 Anwendungsbeispiele: Irreführende Werbung im elektronischen Geschäftsverkehr
7.1 Werbung mit Produkteigenschaften
7. 2 Manipulierte Kundenbewertungen
7.3 Die „Abofalle“
8 Fazit & Ausblick
Literaturverzeichnis
Gesetztestexte
Gerichtsentscheidungen
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Ziele des Europäischen Binnenmarktes nach Art. 3 Abs. 3 EUV
Abb. 2: Ökonomische Relevanz der Ausgestaltung des Werberechts
1 Zentrale Fragestellung und Gang der Untersuchung
Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind die Richtlinien in Bezug auf das Werbe- und Wettbewerbsrecht in der Europäischen Union.
Heutzutage umgibt Werbung jegliche Verbraucher in nahezu allen Situationen – egal ob als Werbeplakat in der Stadt, als Anzeige in einer Tageszeitung, als Werbebanner auf Internetseiten oder als Pop-up Benachrichtigung auf einem Smartphone. Zudem ist Werbung derzeit deutlich direkter und persönlicher als noch vor einigen Jahren. Aber wird die Werbung dadurch auch intensiver bzw. aufmerksamer durch den Verbraucher wahrgenommen?
Gleichzeitig ist der Informationsbedarf eines Verbrauchers gestiegen. Der Elektronische Geschäftsverkehr begünstigt diese Entwicklung durchaus, dann der Kunde kann sich selbst informieren und selbstständig verschiedene Angebote vergleichen. Fraglich ist, ob die im Internet vorgetäuschte Anonymität der Vertragspartner die Irreführung der Verbraucher durch Werbung erleichtert.
Des Weiteren wird der Verbraucherschutz in der Europäischen Gemeinschaft zunehmend betont. Eine Vielzahl an Richtlinien, Verordnungen o.ä. befasst sich mit einer verbraucherfreundlichen Gestaltung des Wettbewerbsrechts: Neben der Richtlinie (RL) 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken und der RL 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung, gibt es die RL 2000/31/EG über die Dienste der Informationsgesellschaft, aber auch die RL 2000/13/EG über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür.
Demnach lautet die zentrale Fragestellung dieser Ausarbeitung: Ist der stetige Fortschritt des Elektronischen Geschäftsverkehrs ein Hemmnis für den Verbraucherschutz in der Europäischen Union?
Der Gang der Untersuchung gliedert sich wie folgt: Vorab werden die für das Verständnis der vorliegenden Arbeit notwendigen Begriffe definiert. Während zum Einen das interdisziplinäre Verständnis der Begriffe erwähnt wird, werden zum Anderen Legaldefinitionen nach europäischem und nationalem Recht vorgestellt.
Darauf folgt eine Darstellung der Verbraucherschutzpolitik in der Europäischen Union nach Vorstellung des zugrunde liegenden Verbraucherleitbildes. Hier findet ebenfalls die Berücksichtigung von Besonderheiten im elektronischen Geschäftsverkehr Anerkennung.
Anschließend wird der Bezug zum europäischen Werberecht auf Basis einer Auswertung der ökonomischen Relevanz des Werberechts für den Europäischen Binnenmarkt hergestellt. In diesem Zusammenhang werden die zugrundeliegenden langfristigen Ziele des Binnenmarktes näher erläutert.
Hieran schließt sich die Bearbeitung des übergeordneten Themas dieser Arbeit: das Verbot der irreführenden Werbung nach Europäischem Recht. In diesem Kapitel wird, basierend auf den wesentlichen europäischen Richtlinien, der Begriff der Irreführung definiert. Anhand der Erläuterung des Tatbestandes des Irreführung nach Deutschem Recht wird ein Vergleich zu nationalem Recht aufgezeigt. Anschließend werden mögliche, in der Öffentlichkeit diskutierte Fälle von irreführender Werbung im E-Commerce veranschaulicht.
Letztlich folgt ein Fazit, welches die kritische Würdigung der vorgestellten zentralen Fragestellung beinhaltet.
2 Der Begriff Werbung im rechtlichen Kontext
Aufgrund der vorher genannten zentralen Fragestellung ist es zu Beginn dieser Ausarbeitung wesentlich, die zugrunde liegende Definition des Begriffes Werbung vorzustellen.
2.1 Definition des Begriffes Werbung nach Europäischem Recht
Während der Begriff Werbung im betriebswirtschaftlichen Kontext interdisziplinär nicht einheitlich definiert wird, werden auch im juristischen Sinn – bezogen auf verschiedene Rechtsräume – voneinander abweichende Definitionen von Werbung genannt.1
So sieht die RL 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung nach Artikel (Art.) 2 Werbung als „jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, [...] zu fördern"2. Ebendiese Legaldefinition gilt weiterhin nach Art. 2 der kodifizierten Fassung der genannten Richtlinie.3 Auf Basis dieser Definition lassen sich drei grundlegende Charakteristika von Werbung nennen, die nach Europäischem Recht gelten:4
1. Es handelt sich um eine Äußerung, die sowohl verbal oder nonverbal als auch öffentlich oder individuell erfolgen kann. Das Nutzen der Äußerungen Dritter für eigene Zwecke kann ebenfalls dieser Begriffsdefinition zugeordnet werden.
2. Die Äußerung steht in einem funktionellem Zusammenhang mit einer unternehmerischen Tätigkeit.
3. Die Äußerung dient ausschließlich dem Zweck der Absatzförderung. In diesem Zusammenhang können auch reine Aufmerksamkeitswerbung, bloße Kritik und die Bezugswerbung als absatzfördernde Werbemaßnahmen ausgelegt werden.
Demnach bezieht sich diese Richtlinie lediglich auf die sogenannte Absatzwerbung, welche sich explizit auf die betriebliche Teilfunktion des Absatzes und des Verkaufs von Werbeobjekten fokussiert.5 Dem ökonomischen Fernziel der Absatzförderung werden kommunikative Nahziele untergeordnet, welche sich auf die Steigerung des Bekanntheitsgrades, dem Wecken von Emotionen und Neugier sowie der Informationsvermittlung beziehen.6 Folglich ist die Nachfragewerbung, dessen entscheidendes Merkmal es ist, dass gewerbliche Marktakteure in Ihrer Funktion als Nachfragende direkt bei den jeweiligen Vertreibenden Güter oder Dienstleistungen nachfragen,7 nicht Gegenstand dieser Richtlinie.
Im Rahmen der RL 2005/29/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern, welche wird das Verständnis des Begriffes Werbung nicht grundlegend revidiert. In Art. 2 Buchstabe (Buchst.) d wird Werbung als ein Element von „Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern [...] genannt [, die] jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung, einschließlich Werbung und Marketing, eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produktes an Verbraucher zusammenhängt“8 beschrieben.
2.2 Definition des Begriffes Werbung nach Deutschem Recht
Im Folgenden werden vorherrschende Definitionen nach Deutschem Recht angeführt, um ggf. eine Abgrenzung zwischen nationaler und europäischer Rechtsprechung aufzuzeigen.
§2 Abs. 2 des Rundfunkstaatsvertrages (RStV) nennt analog der vorher genannten RL des europäischen Rates ein ähnliches Verständnis von Werbung. Jedoch unter Berücksichtigung eines zusätzlichen Merkmals der zugrunde liegenden werbenden Äußerung. Aufgrund des speziellen Gültigkeitsbereichs des RStV bezieht sich §2 Abs. 2 RStV demnach ausschließlich auf Äußerungen, „die im Rundfunk von einem öffentlich-rechtlichen oder einem privaten Veranstalter oder einer natürlichen Person entweder gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung gesendet wird“.9 Ergänzend wird im Rahmen des RStV das Kriterium einer Leistung gegen Entgelt eingeführt, welches nach bisher geltendem Europäischen Recht nicht relevant war.
Dementgegen spricht die Definition von Werbung nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Dieses enthält keine explizite Definition des Begriffes Werbung, sondern definiert in § 2 Abs. 1 Nr. 1 den Begriff einer geschäftlichen Handlung und fokussiert dabei ebenfalls die „Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen“10. Aus den §§ 2, 4, 7 und 16 UWG lässt sich jedoch schließen, dass im Rahmen des UWG unzulässige Nachfragewerbung ebenfalls zu einem Tatbestand im Sinne unlauteren Wettbewerbs führt.11 Ebenso deutet das Urteil im sog. Fall der Toyota-Vertretung (Faxanfrage im Autohandel, Aktenzeichen I ZR 75/06) darauf hin, dass neben der Absatzwerbung auch die Nachfragewerbung als Werbung im Sinne des UWG gilt.12
Da sowohl das UWG als auch der RStV teilweise europarechtlich determiniert sind, ist eine Kongruenz der Begriffsdefinitionen aufgrund der notwendigen Umsetzung von Richtlinien des Europäischen Rates in nationales Recht unabdingbar. Für die Mitgliedsstaaten gilt die mitgliedstaatliche Umsetzungsfreiheit von Richtlinien. Demnach ist das zu erreichende Ziel einer Richtlinie verbindlich, die Formen und Mittel können durch die einzelstaatlichen Gesetz- und Verordnungsgeber frei gewählt werden.13
2.2 Ergebnis für die vorliegende Ausarbeitung
Die generalisierte Begriffsbestimmung des Europäischen Rates deckt sich weitestgehend mit dem Grundverständnis der Vertreter wirtschafts-wissenschaftlicher Disziplinen. Trotzdem bleibt anzumerken, dass in den eben genannten juristischen Definitionen weder konkrete Werbemaßnahmen genannt werden noch der Kommunikationsprozess als solcher konkretisiert wird.14
Um dennoch das Verständnis von Werbung im Rahmen dieser Arbeit zu verdeutlichen, sowie dessen Irreführungspotential herauszustellen, wird eine weitere Definition aus dem Bereich der Medienwissenschaft angeführt. Zurstiege bezeichnet Werbung als den „Versuch, das Wissen, die Meinungen, die Emotionen oder das Verhalten, kurz die Einstellungen anderer in einer ganz bestimmten Weise zu beeinflussen.“15 Folglich kann Werbung als spezifische Form der Kommunikation, bezeichnet werden, welche mittels diverser Instrumente und Kommunikationswege Einfluss auf das Verhalten von Marktakteuren, sowohl in der nachfragenden als auch der anbietenden Funktion nimmt. Da ebenfalls keine Eingrenzung des Kommunikationskanals stattfindet, kann diese Definition auf den elektronischen Geschäftsverkehr angewendet werden und ist somit relevant für die folgenden Ausführungen.
Grundsätzlich gilt in der vorliegenden Arbeit die operationalisierte Definition des Rates der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 2 der RL 84/450/EWG vom 10. September 1984 bzw. der kodifizierten Fassung 2006/114/EG vom 12. Dezember 2006. Aufgrund des thematischen Bezugs auf den Bereich des E-Commerce gilt es, ebenfalls die Europäische Rechtsprechung in Bezug auf den elektronischen Geschäftsverkehr zu berücksichtigen. Dieser sieht eine uneingeschränkte Anwendung der RL 84/450/EWG des Rates in Bezug auf die Dienste der Informationsgesellschaft vor.16
3 Elektronischer Geschäftsverkehr / E-Commerce
Die in der vorherrschenden Literatur vorhandenen Definitionen des Begriffes Elektronischer Geschäftsverkehr / E-Commerce17 sind nicht einheitlich. Begriffliche Abgrenzungen überschneiden sich und sind teils unscharf. Begründet wird dieser Sachverhalt mit der zunehmenden Komplexität des Marktumfelds, dem anhaltenden technologischen Fortschritt bzgl. der Verbreitung des Internets in der Gesellschaft und der Veränderung soziodemografischer Faktoren.
Die Literaturrecherche zeigt, dass im Fokus der Definition des Begriffes E-Commerce zum Einen die Generierung von Umsatzwachstum und zum Anderen das Ausnutzen von Kostensenkungspotentialen mittels des elektronischen Geschäftsverkehrs steht. Die Unternehmensberatung KPMG definiert E-Commerce als „ein Konzept für die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien zur elektronischen Integration und Verzahnung von Wertschöpfungsketten“.18 Demnach steht in diesem Fall die Effizienz von Geschäftsprozessen im Vordergrund.
Im Gegensatz dazu stellt die Legaldefinition nach geltendem Europäischen Recht die Abwicklung von Vertriebsaktivitäten über einen neuartigen Vertriebskanal in den Fokus. Die Richtline 98/48/EG vom 20. Juli 1998 über den elektronischen Geschäftsverkehr beschreibt E-Commerce im Allgemeinen als „Dienstleistung der Informationsgesellschaft, d. h. jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung.“19 Wobei der Begriff Fernabsatz suggeriert, dass die gleichzeitige physische Anwesenheit der Vertragsparteien nicht erforderlich ist. Elektronisch erbracht ist eine Dienstleistung in diesem Fall, sofern die elektronische Verarbeitung mittels entsprechenden Geräten vollständig über Draht, Funk, auf optischem oder elektromagnetischem Weg gesendet, empfangen oder weitergeleitet wurde.20
Auch die Europäische Kommission hat eine Definition des Begriffes des Elektronischen Geschäftsverkehrs veröffentlicht, welche den Begriff um den Erwerb von Waren ergänzt: „Elektronischer Geschäftsverkehr [...] ist der Verkauf oder Erwerb von Waren oder Dienstleistungen durch Unternehmen, private Haushalte, Privatpersonen oder private Organisationen über computergestützte Netze [..]. Die Waren oder Dienstleistungen werden über diese Netze bestellt, die Auslieferung der Ware oder Dienstleistung kann on- oder offline erfolgen.“21
Im Rahmen dieser Ausarbeitung wird E-Commerce aufgrund des thematischen Zusammenhangs im Sinne der RL 98/48/EG in Bezug auf private Verbraucher verstanden. Da diese Definition einen großen Interpretationsspielraum offen lässt, wird an entsprechenden Stellen im Text ggf. näher auf Abweichungen bzw. Ergänzungen eingegangen. Analog der in Kapitel 2 getroffenen Annahme, dass in dieser Arbeit die von Gewerbetreibenden an Verbraucher gerichtete Werbung auf den Tatbestand der Irreführung untersucht wird, wird im Folgenden das Verhältnis business-to-consumer (B2C) näher betrachtet. Die Untersuchung der Geschäftstätigkeit zwischen zwei Unternehmern (business-to-business (B2B)) wird vernachlässigt.
4 Die Notwendigkeit von Verbraucherschutz
Das Europäische Gemeinschaftsrecht beschreibt in der RL 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher vom 25. Oktober 2011 laut Art. 2 Abs. 1 eine klare Trennung zwischen dem Verbraucher als „natürliche Person, die bei [...] Verträgen zu Zwecken handelt, die außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit liegen“22 und einem Gewerbetreibenden.23 Im Folgenden wird näher auf die Rolle des Verbrauchers in der Europäischen Union eingegangen. Besonders berücksichtigt wird der Einfluss von Werbemaßnahmen durch Gewerbetreibende auf das Verhalten und die Situation eines Verbrauchers im E-Commerce.
4.1 Das Verbraucherleitbild in der Europäischen Union
Entscheidend für die Ausprägung des Verbraucherschutzes ist das jeweilige anzustrebende Verbraucherleitbild. Im Wesentlichen wird von zwei differenten Sichtweisen ausgegangen: dem marktkritischen und marktliberalen Leitbild. Während das marktliberale Leitbild auf den Grundlagen neoklassischer Wirtschaftstheorien basiert und den Verbraucher als souveränen Preisgeber darstellt, konstatiert das marktkritische Leitbild, dass der Verbraucher dem Anbieter dauerhaft unterlegen ist und demnach als Preisnehmer agiert.24 Demzufolge liegt der Fokus marktliberaler verbraucherschutzrechtlicher Maßnahmen in dessen informativer Art, wodurch Hilfe zur Selbsthilfe ermöglicht werden soll. Der auf dem marktkritischen Leitbild gründende Verbraucherschutz ist geprägt durch regulierende Maßnahmen eines Staates zur Wahrung der Verbraucherinteressen, um einen Machtausgleich zwischen Anbietern und Verbrauchern durch Intervention zu erreichen.25
Die in Kapitel 2 genannten Definitionen des Begriffes Werbung prägen ein unmündiges Bild eines Verbrauchers bzw. Konsumenten. Dieser scheint von den absatzfördernden Maßnahmen der Unternehmen leichtfertig beeinflusst werden zu können. Der außerhalb seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit agierende Verbraucher gilt somit als wirtschaftlich schwächeres Element.26 Gegen dieses Verständnis spricht zum Einen ein Einwand Zurstieges, nach welchem das Umwerben potentieller Kunden keinesfalls garantiert in Erfolg mündet. Demnach ist ungewiss, ob sich die Kosten, explizit die Werbekosten (i.w.S. Marketingausgaben), in naher Zukunft rentieren, d.h. ob der beabsichtigte positive Ergebniseffekt eintritt.27 Diese Aussage lässt mitunter die Vermutung zu, dass der Verbraucher aufmerksam und durchaus verständig ist. Zum Anderen wird durch die Diskussion daten- und verbraucherschutzrechtlicher Themen suggeriert, dass der heutige Verbraucher mündig in dem Sinne ist, selbst zu entscheiden, welche Werbung er erhalten will oder nicht. Nichtsdestotrotz ist der Verbraucher als Rechtsubjekt im Sinne des Europäischen Gemeinschaftsrechtes schutzbedürftig. Dieses Verständnis ist in den europäischen Mitgliedsstaaten weitestgehend durchgesetzt worden.28 Als ein Hauptziel des allgemeinen Verbraucherschutzes gilt die Stärkung des Verbraucher sowie den Schutz der Sicherheit und der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher. Rechtlich festgehalten sind diese Schutzvorschriften in Art. 4 Abs. 2 Buchst. f, Art. 12, Art. 114 und Art. 169 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sowie Art. 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.29
Aktuell gilt in der Europäischen Union (EU) folglich ein marktliberales Leitbild, welches den „Informationspflichten den grundsätzlichen Vorrang vor einer Verkehrsbeschränkung einräumt.“30 Laut Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ist der Verbraucher in der EU in der Lage, eigene Entscheidungen auf Basis der kritischen Wahrnehmung einer Entscheidungssituation zu treffen und wird somit als durchschnittlich informiert, verständig und aufmerksam charakterisiert. Der Informationsobliegenheit des Verbrauchers kann durch geeignete Verbraucherschutzinstrumente Rechnung getragen werden.31
4.2 Die Relevanz von E-Commerce in der Verbraucherschutzpolitik
Die Frage, ob der elektronische Geschäftsverkehr die wirtschaftliche Entwicklung eines Staates positiv oder negativ beeinflusst, wird in der Literatur häufig kritisch analysiert, konnte bisher aber nicht abschließend beantwortet werden. Unter anderem durch diesen Aspekt wird deutlich, dass E-Commerce auch für den Verbraucher trotz vieler offensichtlicher Vorteile auch individuelle Nachteile bietet.
Als Vorteile werden mitunter die Senkung der Transaktionskosten durch elektronische Vertragsabwicklung und eine Steigerung des Lebensstandards durch Freihandel genannt.32 Gegenteilig wirken die zunehmende Komplexität des Onlinehandels sowie Uneinigkeit über Kennzeichnungspflichten und Unsicherheit in Bezug auf nationale und internationale Sicherheitsstandards.33
Im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs wirken jedoch weitere Effekte auf den Verbraucher, die im stationären Handel bedeutungslos sind. Zum Einen fördert der Bedeutungsverlust geografischer Grenzen die Orientierungsprobleme von Konsumenten. Zum Anderen wird die Dematerialisierung, bspw. die Verwendung einer elektronischen Unterschrift, als problematisch wahrgenommen. Besonders gravierend wirkt jedoch die Intransparenz über die Art, Güte und Verteilung von Informationen im E-Commerce. Die vorherrschende Meinung ist, dass es für Verbraucher stetig schwieriger wird, kommerzielle von nicht-kommerzieller Information zu unterscheiden. Des Weiteren wird die vereinfachte Manipulation sowie der zunehmende Anteil illegaler Informationen kritisiert.34
Mit konkretem Bezug auf die Verbraucherschutzpolitik lässt sich somit feststellen, dass ein Verbraucher im Rahmen des elektronischen Geschäftsverkehres – einem virtuellen und vermehrt als anonym wahrgenommenen Raum – durchaus schutzbedürftig ist. Das gilt auch im Fall der Unterstellung eines marktliberalen Verbraucherleitbildes. Neben dem Ausbau materieller Vorschriften zum Verbraucherschutz ist im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs die Förderung von Rechtschutzmöglichkeiten für Verbraucher35 in zunehmendem Maß relevant.
5 Die ökonomische Relevanz der Ausgestaltung des Werberechts im Europäischen Binnenmarkt
5.1 Die Ziele und Grundfreiheiten des Binnenmarktes
Seit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch die Römischen Verträge (in Kraft getreten 01. Januar 1958) ist die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes ein entscheidendes Kriterium der wirtschaftlichen Integration der Mitgliedsstaaten. Der Europäische Binnenmarkt ist mit Wirkung zum 01. Juli 1987 im Zuge der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) als primäres Ziel der Europäischen Union festgehalten worden.36
Die Legaldefinition des Begriffes Binnenmarkt sowie dessen vorrangiges Ziel sind weiterhin fester Bestandteil der darauffolgenden Reformverträge.37 In Art. 26 Abs. 2 des AEUV wird der Binnenmarkt definiert als ein „Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist.“38 Die Vorsätze des Europäischen Binnenmarktes können unter den Aspekten der Ermöglichung einer nachhaltigen Entwicklung des Wirtschaftslebens, der Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus sowie der Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten zusammengefasst werden.39 Kurzum, durch die Errichtung des Binnenmarktes sollen für alle Mitgliedsstaaten Vorteile geschaffen werden, um stabiles wirtschaftliches Wachstum sicherzustellen. Abbildung 1 zeigt eine detaillierte Definition der Ziele des Europäischen Binnenmarktes nach Art. 3 Abs. 3 des Vertrages über die Europäische Union (EUV).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Ziele des Europäischen Binnenmarktes nach Art. 3 Abs. 3 EUV40
„Das Regelungsgefüge des europäischen Wirtschaftsrechts (Binnenmarkt mit den Marktfreiheiten und die Wettbewerbsordnung) bleibt [..] unverändert“41, sodass die langfristigen Ziele des Europäischen Binnenmarktes analog der Legaldefinition der Union durch folgende Grundfreiheiten der Unionsbürger gewährleistet werden sollen:42
- Warenverkehrsfreiheit basierend auf der Zollunion sowie dem Verbot mengenmäßiger und mengengleicher Einfuhrbeschränkungen (Art. 23-31 EGV, Art. 28-37 AEUV)
- Freier Personen- und Dienstleistungsverkehr
- Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 45-48 AEUV)
- Niederlassungsfreiheit der Selbstständigen und der Gesellschaften (Art. 49-55 AEUV)
- Dienstleistungsfreiheit (Art. 56-62 AEUV)
- Freier Kapital- und Zahlungsverkehr (Art. 63-66 AEUV)
5.2 Die Bedeutung der Verbraucherschutzes für den Europäischen Binnenmarkt
Auf europäischer Ebene existiert bisher kein übergeordnetes Werberecht, das in allen Mitgliedsstaaten auf gleiche Weise umgesetzt worden ist. Deshalb dienen Verbraucherschutzmaßnahmen der Stärkung des europäischen Binnenmarktes durch eine Aufwertung der subjektiven Rechte des Verbrauchers. Das Verbraucherschutzrecht hat sich aufgrund dieser Annahmen im Bereich des sekundären Unionsrechtes deutlich entwickelt.43 Zahlreiche Richtlinien und Verordnungen sowie die ständige Rechtsprechung des EuGH fördern den Verbraucherschutz in den Mitgliedsstaaten. Die ökonomische Relevanz dieser Gesetzgebung zeigt sich durch freien Marktzugang, die Wahlfreiheit zwischen Waren, Dienstleitungen und Informationen, der Produktsicherheit, sowie einem unverfälschten Wettbewerb, u.a. aufgrund von Transparenz im Waren- und Dienstleistungsverkehr innerhalb der EU.44 Aus diesen Aspekten lassen sich positive Auswirkungen auf den Binnenmarkt ableiten.
[...]
1 Vgl. Sievers 2012, S. 39 ff.
2 Der Rat der Europäischen Gemeinschaften 19.09.1984, Art. 2.
3 Vgl. Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union 27.12.2006, Art. 2.
4 Vgl. Böhm 2008, o.S.
5 Vgl. Siegert, Brecheis 2005, S. 26 f.
6 Vgl. Kloss 2003, S. 51 f.; Fuchs, Unger 2007, S. 163.
7 Vgl. Bundesgerichtshof 17.07.2008, o.S.
8 Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union 12.06.2005, Art. 2 Buchst. d.
9 Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in der Bundesrepublik Deutschland 01.04.2010, § 2 Abs. 2.
10 Bundesministerium der Justiz und für den Verbraucherschutz 08.07.2004, § 2 Abs.1 Nr. 1.
11 Vgl. Bundesministerium der Justiz und für den Verbraucherschutz 08.07.2004.
Insbesondere können hier § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Nr. 3, § 7 Abs. 1 sowie § 7 Abs. 2 Nr. 3 und § 16 Abs. 2 angeführt werden.
Siehe hierzu auch Damm 2009, o.S. zur Anwendung des UWG in einem konkreten Fall.
12 Vgl. Bundesgerichtshof 17.07.2008, o.S.; Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.07.2008, S. 4 ff.
13 Vgl. Doerfert, Oberrath, Schäfer 2007, S. 24; Generaldirektion Kommunikation der Europäischen Kommission im Auftrag der EU-Institutionen 2015, o.S.
14 Vgl. Sievers 2012, S. 46.
15 Zurstiege 2015, S. 9.
16 Vgl. Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union 17.07.2000, Art. 2.
17 Die Benutzung der Bezeichnungen „elektronischer Geschäftsverkehr“ und „E-Commerce“ erfolgt simultan.
18 Petschke, Golf 1999, S. 9.
19 Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union 05.08.1998, Art. 1 Nr. 2.
20 Vgl. Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union 05.08.1998, Art. 1 Nr. 2.
21 Europäische Kommission 2013, o.S.
22 Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union 22.11.2011, Art. 2 Abs. 1 (ursprünglich: Der Rat der Europäischen Gemeinschaften 31.12.1985, Art. 2).
23 Der Rat der Europäischen Gemeinschaften 31.12.1985, S. 32: Definition Gewerbetreibender: „[E]ine natürliche oder juristische Person, die beim Abschluß des betreffenden Geschäfts im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, sowie eine Person, die im Namen und für Rechnung eines Gewerbetreibenden handelt.“
24 Vgl. Janning 2003, S. 153 f.
25 Vgl. Janning 2003, S. 153 f.
26 Vgl. Kilian 2010, S. 386 (Rn 1160), Herdegen 2010, S. 450 (§ 26, Rn 8).
27 Vgl. Zurstiege 2015, S. 9 f.
28 Vgl. Kilian 2010, S. 386 (Rn 1160).
29 Vgl. Maciejewski, Piaguet 2015, S. 1.
30 Kemper, Rosenow 2001, S. 370.
31 Vgl. Kemper, Rosenow 2001, S. 370 ff.In der deutschen Rechtsprechung wird das europäische Verbraucherleitbild zunehmend übernommen. Die ältere Rechtsprechung nach BGH betrachtete den deutschen Durchschnittsverbraucher als flüchtig. Das zeigt sich darin, dass Werbeaussagen nicht hinterfragt, sondern ungeprüft angenommen werden. Aktuell wird dem Verbraucher situationsadäquates Handeln unterstellt.Siehe Kemper, Rosenow 2001, S. 370 f. für Rechtsprechungsnachweise.
32 Vgl. Rösler 2004, S. 21.
33 Vgl. Rösler 2003, S. 163.
34 Vgl. Rösler 2004, S. 163 f.
35 Siehe hierzu Herdegen 2010, S 450 (Rn 8) mit Verweis auf Art. 16 i.V.m. Art. 5 der Brüssel-I Verordnung (EG) Nr. 44/2001, ABl. 2001 L 12/1.
36 Vgl. Hailbronner, Jochum 2006, S. 1 (Rn 1 f.), 3 (Rn 9), 307; Doerfert, Oberrath, Schäfer 2007, S. 12 f.
37 Gemeint sind die Verträge von Maastricht (Beschluss 1992, in Kraft getreten 01.11.1993), Amsterdam (Beschluss 1997, in Kraft getreten 01.05.1999), Nizza (Beschluss 2000, in Kraft getreten 01.02.2003) und Lissabon (Beschluss 2007, in Kraft getreten 01.12.2009).Vgl. hierzu Herdegen 2010, S. 50 ff. (Rn 7 ff.).
38 Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union 01.12.2009, Art. 26.
Ex-Artikel Art. 14 Abs. 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV). Veränderung des Wortlautes nur im Rahmen der Pluralform „der Verträge“. Der AEUV hieß bis zum 30.11.2009 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und wies eine abweichende Artikelabfolge auf. Die vorliegende, aktuelle Fassung beruht auf dem Lissabon-Vertrag.
39 Vgl. Hailbronner, Jochum 2006, S. 1 (Rn 2); Herdegen 2010, S. 276 ff. (Rn 1 ff.).
40 Eigene Darstellung in Anlehnung an Kilian 2010, S. 78.
41 Herdegen 2010, S. 62 (Rn 33).
42 Vgl. Doerfert, Oberrath, Schäfer 2007, S. 35; Hakenberg 2010, S. 85 ff. (Rn 251 ff.); Herdegen 2010, S. 276 ff. (Rn 1 ff.); Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union 01.05.1999, Art. 23-31; Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union 01.12.2009, Art. 28-37, 45-62, 63-66.
43 Vgl. Kilian 2010, S. 44 (Rn 91).
44 Vgl. Kilian 2010, S. 44 (Rn 91); Hailbronner, Jochum 2006, S. 6 (Rn 16 ff.).