Die Ganztagsschule. Entwicklung der Schule zum Lern- und Lebensraum


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

15 Seiten, Note: 2,7

Anonym


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Konzept der Ganztagsschule
2.1. Begründungen und Zielorientierungen zur Einrichtung von Ganztagsschulen
2.2. Organisation von GTS
2.2.1. Ganztagsschulmodelle
2.2.2. Gestaltung der Ganztagsschule (Personal, Räume, Zeit)

3. Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Konzepts in die Praxis

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Debatte um das deutsche Bildungssystem ist heutzutage topaktuell. Als Hauptauslöser der heftigen Diskussionen über die Mängel des deutschen Bildungssystems gelten die schockierenden Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudie PISA 2000 (P rogramme for I nternational S tudent A ssessment). Die Studie untersuchte drei Kompetenzbereiche: Lesekompetenz, mathematische Grundbildung und naturwissenschaftliche Grundbildung, in denen die deutschen Schüler jeweils schlecht abgeschnitten haben. Nicht nur die schlechten Leistungsergebnisse der deutschen Schüler wurden festgestellt, sondern auch die Tatsache, dass Deutschland eines der Länder mit dem größten Abstand zwischen den leistungsstärksten und leistungsschwächsten Schülern ist und dass die lernschwachen Schüler und Migrantenkinder im Gegensatz zu anderen Ländern nur wenig oder gar nicht gefördert werden. In diesem Zusammenhang war die eigentliche Kernfrage der Diskussion in der Bildungspolitik, welche Reformen am deutschen Schulsystem sich objektiv aus den PISA - Ergebnissen ableiten ließen. Die Antwort darauf war „die Ganztagsschule“, weil in der Spitzengruppe augenfällig viele Länder mit einem Ganztagsschulsystem zu finden waren. Als Konsequenz aus dieser Debatte beschloss die Kultusministerkonferenz am 05./06.12.2001 Maßnahmen zum Ausbau von schulischen und außerschulischen Ganztagsangeboten „mit dem Ziel erweiterter Bildungs- und Fördermöglichkeiten, insbesondere für Schülerinnen und Schüler mit Bildungsdefiziten und besonderen Begabungen“ (vgl. KMK, 2004).

Die Forderung zum Ausbau der Halbtagsschulen zu Ganztagsschulen provozierte jedoch viele Diskussionen bezüglich der tatsächlichen Möglichkeiten der Schulen zur Umsetzung des Konzepts. Obwohl das Konzept viele Vorteile mit sich bringt, hängt seine Umsetzung in die Praxis von mehreren Faktoren ab. Wie die Notwendigkeit zur Einrichtung von Ganztagsschulen in Deutschland aus der bildungspolitischen und schulpädagogischen, sozialpolitischen und sozialpädagogischen Sicht begründet wird, wie die Ganztagsschule organisiert und gestaltet wird und welche Faktoren die Umsetzung des Konzepts beeinflussen bzw. verhindern, sind die zentralen Themen meiner Schriftlichen Präsentation.

2. Das Konzept der Ganztagsschule

2.1. Begründungen und Zielorientierungen zur Einrichtung von Ganztagsschulen

Die Begründungen für Schulen mit ganztägigen Konzeptionen sind vielfältig. Aus der bildungspolitischen und schulpädagogischen Sicht wird die Notwendigkeit der Einrichtung von Ganztagsschulen folgendermaßen begründet:

- mit der Einrichtung der Ganztagsschulen wären die ganztägige Bildung, Erziehung und Betreuung möglich;
- die Ganztagsschule würde die bessere Förderung leistungsschwächerer und leistungsstärkerer Schüler/innen und damit den Abbau von Chancenungleichheit infolge der Selektionsfunktion der Schule ermöglichen;
- die Einrichtung der Ganztagsschulen würde mehr Chancen zur Öffnung der Schule bedeuten, sowohl der inneren als auch der äußeren Öffnung. Dabei meint die innere Öffnung der Schule eine Möglichkeit für die Schule, neue Lerninhalte und Lernformen wie offener Unterricht, selbständiges Lernen, die Freiarbeit, die Wochenplanarbeit und der Projektunterricht einzuführen und effektiv einzusetzen. Die äußere Öffnung meint die Kooperation der Schule mit außerschulischen Partnern, z.B. mit dem Jugendamt, der Polizei, der Stadtbibliothek, verschiedenen Verbänden und Vereinen, Musikschulen, Betrieben in verschiedenen Bereichen (vgl. Arnoldt, 2007, S. 86), die das Nachmittagsfreizeitangebot mit gestalten würden und damit das handlungs- und erfahrungsorientierte Lernen unterstützen.
- Die außerunterrichtlichen Veranstaltungen (AGs, Kurse, Projekte) im Rahmen der Öffnung der Schule würden die unterrichtlichen Lernprozesse mit Eröffnung der zusätzlichen, aufbauenden und neuen Lern- und Erfahrungsfelder bereichern, soziales Lernen verstärken und das Lernen in Zusammenhängen fördern. Dabei können erhebliche Kompetenzdefizite der Schüler/innen eingestellt und die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen verbessert werden.
- Die Ganztagsschule kann sowohl Zeit als auch Raum und nötiges Personal zur Verfügung stellen.
Aus der sozialpolitischen und sozialpädagogischen Sicht wird die Einrichtung der Ganztagsschulen im Zusammenhang mit der Wichtigkeit der Kinderbetreuung begründet:
- Aufgrund der veränderten Erwerbs- und Familienstrukturen besteht ein höherer Bedarf an erzieherischer Versorgung. Das betrifft z.B. Konstellationen von Einelternfamilien, von Eltern, die beide berufstätig sein möchten oder müssen, Familien mit Trennungs- bzw. Scheidungsproblematik usw. Solche Familien brauchen eine erzieherische Entlastung und Unterstützung, die ihnen die Ganztagsschule anbieten und damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen kann. Die Familien werden vor allem durch die Hausaufgabenbetreuung und Freizeitangebot am Nachmittag in der Schule entlastet.
- Die veränderten Bedingungen, unter denen Kinder und Jugendliche in Deutschland heutzutage aufwachsen, ist ein anderer wichtiger Grund für die Einrichtung der Ganztagsschulen. Immer mehr Kinder wachsen in unvollständigen Familien auf oder sind Opfer familiärer Probleme. Die Erfahrungsräume in der Umwelt von Kindern und Jugendlichen sind deutlich geschrumpft, und die Informationsräume in der Medienwelt sind dagegen erweitert. Immer mehr Kinder haben kaum altersgemäße Spiel-, Treff- und Erlebensmöglichkeiten. Für jüngere Kinder ist es häufig schwer, außerhalb der Schule Kontakte zu Gleichaltrigen zu knüpfen oder aufrechtzuerhalten. Die Ganztagsschule würde eine Chance geben, „Regeln des Zusammenlebens auszuprobieren und eigene Möglichkeiten und Grenzen fern der Familienroutine zu erfahren“ (vgl. Wunder, 2001).
- Die Ganztagsschule bietet pädagogische Konzepte für außerunterrichtliche Angebote, die Versorgung der Kinder mit ausgewogenen Mahlzeiten, ein ausreichendes Angebot an Bewegungsmöglichkeiten und einen dem Kind angepasster Tagesablauf.
- Die gewandelten Bildungsanforderungen wäre der nächste Grund für die Einrichtung der Ganztagsschulen. Für den Berufseinstieg werden heutzutage höhere Qualifikationen verlangt. Eigenständigkeit, erfahrungsbezogenes Lernen, aufklärende Bildung und Lernen über komplexe Zusammenhänge müssen für Berufstätigkeit und Lebensgestaltung erworben werden. Die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen, Orientierungswissen und Medienkompetenz kann über eine Schule wirksam erfolgen, die erweiterte Lernmöglichkeiten und Bildungsangebote bereitstellt. Die Halbtagsschulen können dies wegen den eingeschränkten Möglichkeiten nicht bieten.

2.2. Organisation von GTS

2.2.1. Ganztagsschulmodelle

Gegenwärtig werden in Deutschland zwei Formen von Ganztagsschulen diskutiert und praktiziert, die offene und die gebundene.

Die offene Ganztagsschule bietet den Schüler/innen einen „Aufenthalt verbunden mit einem Bildungs- und Betreuungsangebot in der Schule an mindestens drei Wochentagen von täglich mindestens sieben Zeitstunden“ (vgl. KMK-Definition, 2003) an. Der Unterricht am Vormittag ist verpflichtend, während die Nachmittagsangebote auf freiwilliger Basis stattfinden. Nach der Unterrichtszeit steht in den offenen Ganztagsschulen ein freiwilliger Mittagstisch zur Verfügung, obwohl in den ganztägigen Stadtteilschulen auch die Möglichkeit besteht, in der Mittagszeit nach Hause zu gehen und anschließend in die Schule zurückzukommen. Es wird eine Hausaufgabenbetreuung unter professioneller (pädagogischer) Aufsicht angeboten, die auch feiwillig in Anspruch genommen werden kann. Am Nachmittag haben die Schüler/innen eine Gelegenheit, ihre Freizeit individuell zu gestalten, indem sie an AGs oder den Kursen teilnehmen oder sich in den Leseraum, Spielecke oder Billardkeller zurückziehen können. Die Freizeitangebote wie Arbeitsgemeinschaften und Kurse werden „gebunden“ genannt, weil sie zeitlich festgelegt sind und eine Anmeldung erfordern, die die Teilnahme verpflichtend macht. Die „ungebundenen“ Freizeitangebote dienen den unterschiedlichen Bedürfnissen, Interessen und Neigungen der Schüler/innen und sind schwerpunktmäßig Entspannungsmöglichkeiten für Bewegungsaktivitäten, Spiel und Sport sowie Ruhe und Erholung. Am Nachmittag werden auch die Fördermaßnahmen unterschiedlicher Art angeboten, z.B. in Sprachen, Naturwissenschaften und Verhaltenstraining. Abhängig von Stundentafel-auslastung werden neu entwickelte Unterrichtsfächer wie praktische Ökologie, Familienunterricht, Stadtteilkunde oder Werkstattunterricht angeboten (vgl. Appel, 2004, S. 102-103). Die offenen Ganztagsschulen werden oft als ´Halbtagsschulen mit Nachmittagsbetreuung´ bezeichnet, weil durch die Trennung vom Unterricht am Vormittag und Betreuungs- und Freizeitangebote am Nachmittag der Fokus am Nachmittag mehr auf dem Betreuungssektor als auf dem Bildungssektor liegt und eine Rhythmisierung im Sinne der Anpassung an individuelle Lern- und Biorhythmen kaum möglich ist. Der Unterricht wird nach Stundenplan in bestimmten Kernzeiten (bis mittags) für alle Kinder verbindlich durchgeführt. In den darüber hinaus gestalteten Phasen (Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung, AG-Angebote, Freizeitangebote) ist kein gemeinsames Schulleben möglich. Die Schüler/innen bewegen sich vermehrt in wechselnden Gruppen, was ziemlich erschwert, ein Gemeinschaftsgefühl und zielgerichtete Förderung aufzubauen. Außerdem steht die Nachmittagsbetreuung nicht unbedingt mit dem „Lern- und Interaktionsgeschehen des schulischen Pflichtbereichs“ (vgl. Holtappels, 2005, S. 29) in Verbindung, da sie sich schwerpunktmäßig auf das Freizeitangebot im Nachmittagsbereich konzentriert. Das Personal besteht zumeist aus sozialpädagogischen Fachkräften oder ABM- bzw. Honorarkräften und wird häufiger gewechselt. Man fragt sich nur, warum man so eine Form der Ganztagsschule überhaupt eingeführt hat und immer noch praktiziert, wenn sie so viele Nachteile hat. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: zum einen ist der größte Vorteil der offenen Ganztagsschulen ihre Offenheit selbst. Sie bedeutet keine Pflichtveranstaltungen für alle Kinder der Schule, sondern stellt ein Angebot dar, deckt alle Motivationen zum Besuch einer solchen Schule ab und stellt für viele Kinder eine Form der Freiwilligkeit dar. Zum anderen wird die offene Form der Ganztagsschule häufig von den Schulen gewählt, die sich zu Ganztagsschulen entwickeln wollen und sie als Einstieg in die Ganztagsschularbeit nutzen. Die offene Ganztagsschule gilt somit als erster Schritt zum Übergang in eine gebundene Form.

Die gebundene Ganztagsschule bietet bis in den Nachmittag eine täglich feste Schulzeit. Sie verpflichtet alle Schüler/innen, „an mindestens drei Wochentagen von täglich mindestens sieben Zeitstunden an den ganztägigen Angeboten der Schule teilzunehmen“ (vgl. KMK-Definition, 2003). Anders als in einer offenen Ganztagsschule wird der verpflichtende Unterricht auf Vor- und Nachmittage verteilt, teilweise werden die 45-Minuten-Stunden in Phasen (z.B. Doppelstunden) zerlegt, sodass fächerübergreifender Unterricht einbezogen werden kann. Da die Schüler/innen auch am Nachmittag den Regelunterricht oder anderweitig gefüllte Präsenzzeit haben, ist der Mittagstisch für sie obligatorisch. Die Hausaufgabenbetreuung findet nicht nur nachmittags, sondern auch vormittags statt. Die Hausaufgaben sind konzeptionell eingebunden und dienen als Übungs- oder/und Ergänzungsaufgaben. Die Hausaufgabenbetreuung wird sowohl von Lehrer/innen als auch von einem anderen pädagogisch (und auch nicht-pädagogisch) geschulten Personal durchgeführt. Im Unterschied zu den offenen Ganztagsschulen finden die Freizeit (gebundene und ungebundene) und die Fördermaßnahmen unterschiedlicher Art in den gebundenen Ganztagsschulen vormittags und nachmittags und an wechselnden zeitlichen Platzierungen im Tagesablauf statt. Die gebundene Ganztagsschule bietet mehr Möglichkeiten für einen unterrichtseingebundenen Projektunterricht sowie neu entwickelten und modifizierten Unterrichtsfächer wie Umweltkunde, Klassenforum oder Museumsunterricht (vgl. Appel, 2004, S. 104). Nur in der Schule, wo „alle Schüler/innen […] anwesend sind, kann der Tagesablauf grundsätzlich verändert und eine andere Lernkultur etabliert werden“ (vgl. Höhmann, 2005, S. 68). Der Tag kann in einem Rhythmus verlaufen, der kindlichen lernpsychologischen und biophysischen Bedürfnissen entspricht. Phasen von Anspannung und Entspannung können sinnvoll aufeinander bezogen und der Stundenplan kann so gestaltet werden, dass längere Unterrichts- und Arbeitsphasen für verschiedene ganzheitliche Formen des Lernens, z.B. projekt- und handlungsorientiertes, soziales, bewegtes und kooperatives Lernen entstehen. Unterricht, Spiel und Freizeit sowie erweiterte Lernangebote und Fördermaßnahmen werden konzeptionell miteinander verbunden. Das Personal hat mehr Möglichkeiten miteinander zu kooperieren, damit die Betreuung und Förderung möglichst effektiv erfolgen und die Inhalte des Vormittagsunterrichts mit den Inhalten der Nachmittagsangeboten verbunden werden können.

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Ganztagsschule. Entwicklung der Schule zum Lern- und Lebensraum
Hochschule
Westfälische Wilhelms-Universität Münster  (Erziehungswissenschaft)
Veranstaltung
Perspektiven der Schulentwicklung
Note
2,7
Jahr
2007
Seiten
15
Katalognummer
V315304
ISBN (eBook)
9783668138919
ISBN (Buch)
9783668138926
Dateigröße
462 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ganztagsschule, entwicklung, schule, lern-, lebensraum
Arbeit zitieren
Anonym, 2007, Die Ganztagsschule. Entwicklung der Schule zum Lern- und Lebensraum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/315304

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