Das Bild des Georges Jacques Danton in Deutschland um 1835 und Georg Büchners Darstellung des Georg Danton in einer kritischen Gegenüberstellung


Bachelorarbeit, 2015

41 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

0. Einleitung

1. Das Bild des Georges J. Danton in Deutschland um 1835
1.1 Rheinbund, Deutscher Bund und Hessen-Darmstadt
1.2 Georges Jacques Danton

2. Georg Büchners Umgang mit seiner Quelle Unsere Zeit
2.1 Georg Büchners Quellen
2.2 Unsere Zeit in Dantons Tod

3. Georg Danton in Dantons Tod

4. Fazit

Literatur

0. Einleitung

In der Literaturgeschichte unterscheidet man in der Zeit zwischen 1815 und 1848 in Deutschland zwei gegenläufige Strömungen. Die Eckdaten dieser Epoche bilden die Gründung des Deutschen Bundes und die unvollendete Märzrevolution von 1848. In der Mitte dieser Epoche steht die Julirevolution von 1830 in Frankreich. Zum einen versucht die Dichtung des Biedermeier-Stils, sich der bedrückenden politischen und gesellschaftlichen Situation zu entziehen, indem sie eine heile bürgerliche bzw. bäuerlich-ländliche Welt voller Ruhe und Geborgenheit schafft. Zum anderen entsteht die Literatur des Vormärz, die sich kritisch mit aktuellen sozialen und nationalen Themen auseinandersetzt. Sie nimmt besonders die Kirche, den Feudalabsolutismus, den Kapitalismus und damit verbunden die Ausbeutung der bäuerlichen Bevölkerung und des Proletariats ins Kreuzfeuer der Kritik. Die größte Gemeinsamkeit in den politischen Zielen der Schriftsteller bildet die Forderung nach einem einheitlichen deutschen Staat an Stelle des Deutschen Bundes. Darüber hinaus erstrecken sich ihre Forderungen von einer konstitutionellen Monarchie über eine bürgerlich-liberale, demokratische Republik bis hin zur radikalen, gewaltsamen Revolution zu Gunsten der ärmsten Bevölkerungsschichten.[1]

Als einer der bedeutendsten politischen Autoren dieser Epoche gilt der schon mit 23 Jahren verstorbene Georg Büchner. In seinem kurzen Leben verfasst er zwei vollständige Dramen (Dantons Tod, Leonce und Lena) und zwei fragmentarische Werke (Das Drama Woyzeck und die Novelle Lenz). Außerdem engagiert er sich im politischen Untergrund mit der Anfertigung der Flugschrift Der Hessische Landbote und in der geheimen hessischen ,Gesellschaft der Menschenrechte‘. In seinem vieraktigen Geschichtsdrama Dantons Tod wirft Büchner einen Blick auf die letzten Tage im Leben des französischen Revolutionärs Georges Jacques Danton bzw. Georg Danton, wie er im Drama heißt. Im Frühjahr 1794 auf dem Höhepunkt der jakobinischen Terrorherrschaft verlor Danton, selbst Jakobiner, im Alter von 34 Jahren sein Leben unter dem Fallbeil.

Angesichts des Anspruchs Büchners an sein Geschichtsdrama, die historische Wirklichkeit abzubilden, stellt sich die Frage, inwiefern Dantons Tod diesem Anspruch gerecht wird. Dieser Frage wird in der vorliegenden Bachelorarbeit am Beispiel des sowohl historischen als auch dramatischen Danton nachgegangen. Dazu werden der Blick auf Danton im Deutschen Bund der Vormärzzeit und Büchners Darstellung kritisch miteinander verglichen. Die Untersuchung von Büchners Umgang mit seiner historiographischen Strukturquelle Unsere Zeit, die das etablierte Dantonbild der Restaurationsepoche zeichnet, unterstützt diese kritische Gegenüberstellung, indem sie Gemeinsamkeiten offenlegt und zeigt, wie Büchner seine eigenen kreativen Anteile an der Darstellung Dantons mit historiographisch verbürgten Elementen verbindet.

Im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit wird das Bild des Georges Jacques Danton im Deutschen Bund vor dem Hintergrund der gesellschaftspolitischen Situation der Jahre 1815 bis 1835 am Beispiel von Büchners Heimat Hessen-Darmstadt dargestellt. Das zweite Kapitel bietet zunächst einen Überblick über Büchners historische, literarische und philosophische Quellen, bevor die Übernahmen aus Unsere Zeit mit dem Schwerpunkt auf Dantons Redebeiträge und seiner Charakterisierung untersucht werden. Dieses Kapitel sowie weite Teile der vorliegenden Bachelorarbeit stützen sich auf die historisch-kritische Marburger Ausgabe sämtlicher Werke und Schriften Büchners, insbesondere auf die Teilbände 3.2 bis 3.4 zu Dantons Tod. Vereinzelt werden auch die Bände 10.1 (Briefwechsel) und 2.1 (Der Hessische Landbote) zugrunde gelegt. Die für die Arbeit verwendeten Reclam-Ausgaben des Dramas und der Erläuterungen und Dokumente von Gerald Funk folgen ebenfalls der Marburger Ausgabe. Die Literaturrecherche zu dieser Bachelorarbeit hat ergeben, dass zu ihrer konkreten Aufgabenstellung offenbar nur wenig Forschungsliteratur existiert. Bei der Durchsicht der Inhaltsverzeichnisse und Literaturlisten der Georg Büchner Jahrbücher der Jahre 1981 bis 2012 findet sich bezüglich der Gegenüberstellung des historischen und dramatischen Danton lediglich der Zeitschriftenaufsatz Büchner, Danton et l’histoire von Frédéric Bluche aus dem Jahr 1989. Dieser nur im französischen Original publizierte Aufsatz findet im dritten Kapitel dieser Bachelorarbeit Berücksichtigung. Ergänzend werden Interpretationshilfen für den Deutschunterricht der gymnasialen Oberstufe hinzugezogen, wie z. B. die entsprechenden Bände der Oldenbourg Interpretationen und von Königs Erläuterungen. Im dritten Kapitel wird das Dantonbild in Deutschland um 1835, ergänzt durch relevante historische Fakten, mit der Darstellung des Danton in Büchners Drama verglichen sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit besonderem Blick auf Büchners Quelle Unsere Zeit kritisch reflektiert. Abschließend folgt das Fazit. Aus stilistischen Gründen werden in der vorliegenden Arbeit für Ereignisse ab 1806, dem Gründungsjahr des Rheinbundes, das Präsens und für die Zeit davor das Präteritum verwendet. Dies soll Nähe zu Büchner und seiner Zeit schaffen und die Einnahme der Perspektive Büchners und seiner Zeitgenossen auf die geschichtlichen Ereignisse der Französischen Revolution erleichtern. Auf die Handlung des Dramas wird allerdings im Präsens Bezug genommen.

1. Das Bild des Georges J. Danton in Deutschland um 1835

Das erste Kapitel der vorliegenden Arbeit beginnt mit einem einleitenden Überblick über die politische Situation und revolutionäre Stimmung in Deutschland um 1835 am Beispiel von Büchners Heimat Hessen-Darmstadt. Anschließend folgen die Darstellung der Rolle Dantons in der Französischen Revolution und eine Skizze des Dantonbildes der Zeitgenossen Büchners in Deutschland zur Zeit der Erstveröffentlichung von Dantons Tod gut 40 Jahre nach Dantons tatsächlichem Tod.

1.1 Rheinbund, Deutscher Bund und Hessen-Darmstadt

Die Gründung des Rheinbundes und die Niederlegung der Kaiserkrone durch Franz II. markieren 1806 das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Als Karl Georg Büchner am 17. Oktober 1813 in dem Dorf Goddelau geboren wird, steht seine Heimat, das Großherzogtum Hessen-Darmstadt, als Mitglied des Rheinbundes unter dem Protektorat des französischen Kaisers Napoleon Bonaparte. Die Zugeständnisse Napoleons an Landgraf Ludwig X. von Hessen-Darmstadt, die u. a. seine Beförderung zum Großherzog Ludwig I. bewirken, sowie die Säkularisierung und Mediatisierung im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses stärken die absolutistische Macht des Fürsten. Dank der Säkularisierung und Mediatisierung erweitert der Regent seine Herrschaftsgewalt auf die geistlichen und auf die reichsunmittelbaren Stände, die zuvor nur dem Deutschen Kaiser unterstellt waren. Doch Napoleons Einfluss im Rheinbund fördert ebenfalls die Verbreitung der liberalen Ideen der Französischen Revolution und führt zur Modernisierung der Rechtsprechung nach dem Vorbild des französischen bürgerlichen Gesetzbuches Code Civil. Trotzdem weckt seine Fremdherrschaft zugleich Widerstand und ein bisher kaum vorhandenes Nationalbewusstsein im deutschen Volk.

Nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft über Frankreich und Europa nehmen sich europäische Diplomaten auf dem Wiener Kongress (1814-15) der Neuordnung Europas an. Die deutschen Fürstentümer und freien Reichsstädte schließen sich unter österreichischer Leitung zum Deutschen Bund zusammen. Dieser lose Staatenbund widerspricht den nationalstaatlichen Erwartungen vieler Deutscher. Unter dem Motto ,Solidarität, Legitimität und Restauration‘ verpflichten sich die europäischen Staaten solidarisch zur Sicherung der legitimen Monarchien und der konsequenten Bekämpfung revolutionärer Tendenzen, so dass z. B. mit König Ludwig XVIII. die reaktionären Bourbonen an die Spitze Frankreichs zurückkehren. Dem Ziel der Restauration zum Trotz beschließt der Wiener Kongress, dass sowohl Frankreich als auch die deutschen Fürstentümer Verfassungen erlassen sollen. Es bleibt jedoch den Fürsten überlassen, wann sie eine Verfassung einführen und inwiefern sie demokratische Prinzipien in ihr verwirklichen. Die Karlsbader Beschlüsse von 1819 ebnen zugleich den Weg für die konsequente Unterdrückung und Bekämpfung oppositioneller Bewegungen im Deutschen Bund.[2]

Ludwig I. ordnet 1820 eine Verfassung für Hessen-Darmstadt an. Sie schreibt eine erbliche Monarchie vor, in der zwei repräsentative Kammern Einfluss auf die Politik nehmen. Die erste Kammer besteht hauptsächlich aus den Vertretern des Adels, aus den Repräsentanten der alten Standesherren, dem katholischen Bischof und dem evangelischen Prälaten. Die zweite Kammer setzt sich zum größten Teil aus Abgeordneten zusammen, die gemäß eines sehr eingeschränkten Zensuswahlrechts gewählt werden, so dass die Interessen der Kleinbürger, Arbeiter und Bauern in diesem System überhaupt keine Beachtung finden. Indem die Vertreter des Großbürgertums das Recht haben, den Staatshaushalt und den Erlass von Steuern zu kontrollieren, wälzen sie ihre Lasten von sich auf die nicht repräsentierten Volksschichten ab. Als relativ fortschrittlich ist zu bemerken, dass die Verfassung formell die Unabhängigkeit der Justiz gewährleistet. In der Praxis wird sie aber wie die Kirche vom Staat gelenkt.

Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Hessen-Darmstadt sehen wie folgt aus. Sechs Siebtel der Bevölkerung leben auf dem Land, so dass die Agrarwirtschaft den Hauptwirtschaftszweig des Großherzogtums darstellt. Da die Mediatisierung nicht konsequent zu Ende geführt ist, behalten die ehemals reichsunmittelbaren Standesherren einen Teil ihrer Privilegien. Dadurch sind die Bauern sowohl ihrem Standesherrn als auch der großherzoglichen Regierung unterstellt, was sie zu erhöhten Abgaben zwingt. Die Leibeigenschaft ist zwar bereits abgeschafft worden, die Bauern befinden sich aber auf Grund hoher Verschuldung bei ihrem Gutsherrn in großer Abhängigkeit. Starker Bevölkerungsanstieg, schwere Missernten, fallende Getreidepreise und die Belastungen der napoleonischen Kriege verstärken den Pauperismus unter der Landbevölkerung.[3] Die revolutionäre Situation in Hessen in den Jahren 1815 bis 1835 lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Waren die Verhältnisse nach 1815 auch stabil restauriert, so gab es doch besonders in Hessen Gründe, die Lage als latent revolutionär einzuschätzen. Zu ihnen gehören die Bewegung der Gießener und Darmstädter ,Schwarzen‘, die bäuerliche Steuerverweigerung im Odenwald 1819, der oberhessische Septemberaufstand von 1830 und die Oppositionswelle von 1832 bis 1834, darunter auch die Aktivitäten des Büchner/Weidig-Kreises.[4]

Als 1830 der französische König Karl X. verfassungswidrige Verordnungen erlässt, kommt es in Paris zur Julirevolution, in deren Verlauf Karl X. gestürzt wird und das kapitalistische Bürgertum den Liberalen Louis Philippe von Orléans als König einsetzt. Der in Frankreich neu etablierten Macht des Finanzbürgertums, die durch den neuen „Bürgerkönig“[5] gestützt wird, stellt sich eine sozialpolitische Opposition entgegen. Diese Bewegung manifestiert sich in der Arbeiterschaft und wird in der französischen ,Gesellschaft der Menschenrechte’ organisiert. In Deutschland motiviert die Julirevolution die verschiedenen oppositionellen Kräfte. So kommt es im selben Jahr in Oberhessen zu Aufständen von Bauern und Kleingewerbetreibenden, die sich hauptsächlich gegen Amtsgebäude richten. Auf dem Hambacher Fest versammelt sich 1832 erstmals die gesamte ideologische Vielfalt der politischen Opposition. Diese Massenversammlung gibt dem Deutschen Bund Anlass, seine Unterdrückungspolitik und Demagogenverfolgung auszuweiten. Anstatt sich dieser Politik zu beugen, führt eine Gruppe von unter hundert Revolutionären 1833 einen Überfall auf die Frankfurter Konstablerwache durch. Ihr Ziel besteht darin, eine provisorische republikanische deutsche Regierung zu proklamieren und die Geldbestände der Banken zu beschlagnahmen. Letzteres bringt besonders das finanzkräftige liberale Bürgertum gegen die Revolutionäre auf. Da sich der Putschversuch durch ausgesprochenen Dilettantismus auszeichnet, werden die Putschisten schnell besiegt. Die erneuten Unterdrückungsmaßnahmen beenden fürs Erste das öffentliche Auftreten oppositioneller Bewegungen und drängen diese in den Untergrund.[6]

1.2 Georges Jacques Danton

Etwa 20 Jahre nach dem Ende der Herrschaft Napoleons über Europa setzt sich der revolutionäre „deutsch-französische Ideentransfer“[7] im Vormärz, beflügelt durch die französische Julirevolution und durch das Wirken von Heinrich Heine und Ludwig Börne, rege fort.[8] In diesem gesellschaftlichen Klima sind die Geschehnisse der Französischen Revolution sowie ihre wichtigsten Akteure im Bewusstsein der Deutschen präsent und angesichts der politischen und sozialen Lage sowie revolutionärer Bestrebungen im Deutschen Bund von ungebrochener Aktualität. In den politischen Debatten der 1830er Jahre entbrennt sogar eine kontroverse Diskussion über die Beurteilung des jakobinischen Staatsterrors.[9]

Gerade nach 1830 entwickelte sich ein neues Interesse an der Begründung der „Terreur“, was sich an Neuausgaben von Schriften z. B. Marats (Les chaînes de l’esclavage), Robespierres (Œuvres et discours choisies) und Saint-Justs (Œuvres) ablesen lässt […].[10]

Bereits in seiner Streitschrift Der Hessische Landbote nimmt Büchner auf die Französische Revolution Bezug und kann, obwohl sich das Pamphlet hauptsächlich an die wenig gebildete bäuerliche Bevölkerung richtet, auf ein entsprechendes Hintergrundwissen seiner Leser setzen.[11] Unter den Agitatoren der Französischen Revolution bleibt besonders Georges Jacques Danton (1759-1794) als schillernde, charismatische und tragische Gestalt im kollektiven Bewusstsein der Deutschen und polarisiert zugleich:

Für die weitaus meisten Zeitgenossen Büchners – so wollte es die bürgerliche Geschichtsschreibung – rangierte George-Jacques Danton unter den vielgenannten Heroen der Revolution, deren man sich mit Bewunderung oder Schaudern erinnerte, an erster Stelle.[12]

Der französische Anwalt und Politiker gilt Büchners Zeitgenossen als Mitbegründer des Cordeliers-Klubs […], Urheber der Demonstration auf dem Marsfeld (16./17. Juli 1791), Initiator des Tuileriensturms vom 20. Juni und 10. Aug. 1792 sowie Begründer der Revolutionsarmee, Retter Frankreichs, aber auch Hauptverantwortlicher der Septembermorde […], Schöpfer des Revolutionstribunals und dennoch Gegner des Staatsterrors der Jakobiner, der „Terreur“ […].[13]

Danton gehörte ebenso wie Maximilien de Robespierre, Antoine de Saint-Just, Jacques-René Hébert, Jean Paul Marat und Louis-Philippe Legendre zu den Wortführern des politischen Klubs der Jakobiner, in dem der von Danton und Legendre mitbegründete Cordeliers-Klub eine eigene Sektion bildete. Nach der Verhaftung Ludwigs XVI. und der Auflösung der Nationalversammlung wurde Danton für kurze Zeit Justizminister im Provisorischen Vollzugsrat und anschließend Abgeordneter im neu geschaffenen Nationalkonvent. Als im September 1792 die ausländischen Invasoren immer weiter nach Paris vorrückten, massakrierten die aufgebrachten Pariser Massen bis zu 1400 politische Gefangene. Da Marat zu diesen grausamen Morden aufrief und Danton als Justizminister sie zumindest geschehen ließ, verlor die Revolution und mit ihr Danton beim europäischen Bürgertum in der Folge erheblich an Zuspruch.[14] Zugleich brachte ihm die „Niederwerfung der inneren konterrevolutionären Kräfte im Augenblick der höchsten Gefahr“[15] den Ruf eines Helden der Revolution ein. Mehrmals konnte dieser populäre und rhetorisch brillante Volksführer mit Entschlossenheit und Mut die Menschenmassen zum Kampf gegen die Monarchie und zur Rettung der jungen Republik mobilisieren.[16] Um den Krieg gegen die konterrevolutionären Bestrebungen im Innern der Republik unter die geregelte Führung des Staates zu bringen, anstatt ihn abermals der ausufernden Lynchjustiz der Menschenmengen zu überlassen, wurde auf Dantons Betreiben hin am 10. März 1793 das Revolutionstribunal geschaffen, das nur auf Freispruch oder Todesstrafe entscheiden konnte und dessen Urteile unanfechtbar waren. Der Wohlfahrtsausschuss als „Exekutivorgan des Nationalkonvents“[17] und der Sicherheitsausschuss als politische Polizei vervollständigten den institutionellen Rahmen für die folgende Schreckensherrschaft. Danton übernahm im April 1793 den Vorsitz im ersten Wohlfahrtsausschuss, war aber bereits im Juli, als Robespierre in den Wohlfahrtsausschuss gewählt wurde, bereits aus selbigem wieder ausgeschieden. Am 12. Juni 1793 heiratete Danton in zweiter Ehe die 16-jährige Sébastienne-Louise Gély, die ihren Ehemann und auch Büchner noch bis ins Jahr 1858 überlebt. Nach der Enthauptung Marie-Antoinettes und 22 gemäßigter Abgeordneter der Gironde im Oktober 1793 schloss sich Danton der liberalen Opposition an und forderte das Ende der jakobinischen Schreckensherrschaft. Es kam am 21. März 1794 zur letzten Unterredung zwischen Danton und Robespierre. Am 24. März wurden der radikale Hébert und sein Gefolge hingerichtet. Bereits eine Woche später wurden auf Betreiben Saint-Justs und weiterer Personen, mit der Zustimmung Robespierres und des Nationalkonvents, auch Danton und seine politischen Mitstreiter verhaftet. Nach einem kurzen Prozess vor dem Revolutionstribunal wurden sie am 5. April 1794 ebenfalls guillotiniert. Danach dauerte es keine vier Monate, bis auch Robespierre und Saint-Just auf dem Schafott endeten, diesmal allerdings ohne jegliches Verfahren.[18]

Büchners historische Quellen, wie z. B. Unsere Zeit, charakterisieren Danton „als leidenschaftlichen und zugleich pragmatischen Republikaner, als Volkstribunen“[19], dem aber auch der Ruf des korrupten Revolutionsgewinnlers anhaftete.[20] Die Girondisten prangerten vor ihrer Zerschlagung seine „undurchsichtige Ausgabenpolitik“[21] an und schließlich bildete die vermeintliche Verwicklung Dantons in die Korruptionsaffäre um die Auflösung der Indienkompanie einen zentralen Bestandteil der Anklage gegen ihn.[22] In Unsere Zeit wird ihm vor allem zur Last gelegt, Bestechungsgelder vom König und vom Herzog von Orléans angenommen zu haben. Die Septembermorde geschahen laut Unsere Zeit auf Dantons schriftliche Anweisungen hin, die eine genaue Liste der zu ermordenden Gefangenen umfassten. Die Quelle bezeichnet ihn ferner als Atheisten und betont seine ausufernde Genusssucht einschließlich seiner Vorliebe für sexuelle Ausschweifungen.[23] Trotz seiner Kühnheit und Tatkraft attestiert ihm Unsere Zeit zugleich eine „mit Charakterstolz nothwendig verbundene Trägheit“[24] und insbesondere vor seiner Verhaftung eine verhängnisvolle Unentschlossenheit.[25] Dantons imposante Stimme gilt zusammen mit seiner respekteinflößenden Mimik noch in der Vormärzzeit als eines seiner charakteristischen Merkmale. So steht im Brockhaus aus dem Jahr 1843:

[W]enn er sprach, erregten sein heftig bewegtes Gesicht, sein drohender Blick und das Betäubende seiner rauhen Stimme Furcht, Schrecken und Überwältigung.[26]

In der Nachmärzzeit würdigen ihn Karl Marx und Friedrich Engels in ihrer Schrift Revolution und Konterrevolution in Deutschland aus dem Jahr 1852 als den „größten bisher bekannten Meister[...] revolutionärer Taktik“[27]. Karl Gutzkow, Büchners Förderer und erster Leser von Dantons Tod, betont in seinem Kommentar von 1835 den tragischen Aspekt an Dantons Schicksal:

Die Dantonisten hatten schon Blut an den Händen, das Blut des Septembers, das nicht vergossen wurde, um zu strafen, sondern um zu schrecken. Die Aristokraten in der Stadt, die Könige vor den Thoren hatten sie in eine chirurgische Verzückung versetzt, die mit lächelnder Miene ein faules Glied amputiert. Die Dantonisten hatten der Revolution ein Opfer gebracht, ihr Gefühl, ihre Humanität, ihre der Ruhe geweihten Nächte. Sie hatten so viel gethan, daß sie nicht glaubten, die Revolution verlange sie selbst noch als Opfer.[28]

Gutzkow zeichnet das Bild eines Danton, der durch seine Verantwortung für die Septembermorde große moralische Schuld auf sich lud und dem Staatsterror den Weg bereitete, dem er schließlich selbst zum Opfer fiel.

2. Georg Büchners Umgang mit seiner Quelle Unsere Zeit

Die Geschichte der Französischen Revolution und mit ihr der Dantonistenprozess gelten als „archivalisch und publizistisch besonders gut dokumentiert“[29]. Nach dem Studium historiographischer Quellen setzt Büchner etwa ein Fünftel von Dantons Tod aus Material zusammen, das „der etablierten bürgerlichen Historiographie der Restaurationsepoche“[30] sowie der Literatur und Philosophie entstammt.[31] Der Abschnitt 2.1 der vorliegenden Bachelorarbeit bietet einen Überblick sowohl über Büchners wichtigste historiographische Quellen als auch über seine Inspiration durch Literatur und Philosophie. Zu seinen historiographischen Quellen zählen insbesondere die Werke von Thiers, Mercier und Friederich sowie das biographische Geschichtslexikon Galerie historique des Contemporains. Der Schwerpunkt in diesem Kapitel liegt dabei auf Friederichs Unsere Zeit, da diese weit verbreitete, auf Deutsch verfasste historiographische Reihe den Blick von Büchners deutschen Zeitgenossen auf die Französische Revolution widerzuspiegeln und zugleich deren Bild über die Französische Revolution zu beeinflussen vermag.[32] Im Abschnitt 2.2 wird Büchners Umgang mit Unsere Zeit in Dantons Tod untersucht, wobei die Textstellen im Fokus liegen, die Danton in den Mund gelegt werden bzw. die seiner Charakterisierung dienen.

2.1 Georg Büchners Quellen

Büchners Anspruch, die Ereignisse und Figuren in seinem Drama historisch korrekt darzustellen, verdeutlicht er in seinen Briefen an die Familie vom 5. Mai und 28. Juli 1835. Im Mai schreibt er über Dantons Tod:

Im Fall es euch zu Gesicht kommt, bitte ich euch, bei eurer Beurtheilung vorerst zu bedenken, daß ich der Geschichte treu bleiben und die Männer der Revolution geben mußte, wie sie waren, blutig, liederlich, energisch und cynisch. Ich betrachte mein Drama wie ein geschichtliches Gemälde, das seinem Original gleichen muß.[33]

Im Juli führt er seine Forderung nach historischer Authentizität in der dramatischen Dichtung weiter aus:

[D]er dramatische Dichter ist in meinen Augen nichts, als ein Geschichtsschreiber, steht aber über Letzterem dadurch, daß er uns die Geschichte zum zweiten Mal erschafft und uns gleich unmittelbar, statt eine trockne Erzählung zu geben, in das Leben einer Zeit hinein versetzt, uns statt Charakteristiken Charaktere, und statt Beschreibungen Gestalten gibt. Seine höchste Aufgabe ist, der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe als möglich zu kommen.[34]

Die Erfüllung dieser Aufgabe begründet er im weiteren Verlauf des Briefes damit, dass der Dichter Lehren über das Leben und nicht über die Moral erteilen soll:

Der Dichter ist kein Lehrer der Moral, er erfindet und schafft Gestalten, er macht vergangene Zeiten wieder aufleben, und die Leute mögen dann daraus lernen, so gut, wie aus dem Studium der Geschichte und der Beobachtung dessen, was im menschlichen Leben um sie herum vorgeht.[35]

[...]


[1] Vgl. Eke 2005: Einführung in die Literatur des Vormärz, S. 7-19

[2] Vgl. ebd. S. 23-28 und Jancke 1975: Georg Büchner. Genese und Aktualität seines Werkes. Einführung in das Gesamtwerk, S. 36-41

[3] Vgl. Jancke 1975: Georg Büchner. Genese und Aktualität seines Werkes. Einführung in das Gesamtwerk, S. 41 ff.

[4] Dedner/Mayer (Hgg.) 2000a: Georg Büchner. Marburger Ausgabe. Bd. 3.2: Danton’s Tod. Text, Editionsbericht, S. 159

[5] Eke 2005: Einführung in die Literatur des Vormärz, S. 31

[6] Vgl. ebd. S. 31 f. und Jancke 1975: Georg Büchner. Genese und Aktualität seines Werkes. Einführung in das Gesamtwerk, S. 44 ff.

[7] Eke 2005: Einführung in die Literatur des Vormärz, S. 39

[8] Vgl. ebd.

[9] Vgl. Funk 2002: Georg Büchner. Dantons Tod. Erläuterungen und Dokumente, S. 16 ff.

[10] Ebd. S. 17

[11] Vgl. Büchner 2013: Der Hessische Landbote, S. 9 f.

[12] Poschmann 1985: Georg Büchner. Dichtung der Revolution und Revolution der Dichtung, S. 96

[13] Funk 2002: Georg Büchner. Dantons Tod. Erläuterungen und Dokumente, S. 21

[14] Vgl. ebd. S. 22 und Neuhuber 2009: Georg Büchner. Das literarische Werk, S. 50 f.

[15] Poschmann 1985: Georg Büchner. Dichtung der Revolution und Revolution der Dichtung, S. 96

[16] Vgl. ebd. S. 96 f.

[17] Neuhuber 2009: Georg Büchner. Das literarische Werk, S. 52

[18] Vgl. ebd. S. 51 ff., Funk 2002: Georg Büchner. Dantons Tod. Erläuterungen und Dokumente, S. 25 f., 32 und 132 ff. und Werner 1988: „Dantons Tod“. Im Zwang der Geschichte, S. 11 f.

[19] Funk 2002: Georg Büchner. Dantons Tod. Erläuterungen und Dokumente, S. 21

[20] Vgl. ebd.

[21] Dedner/Mayer (Hgg.) 2000c: Georg Büchner. Marburger Ausgabe. Bd. 3.4: Danton’s Tod. Erläuterungen, S. 12

[22] Vgl. ebd.

[23] Vgl. Dedner/Mayer (Hgg.) 2000b: Georg Büchner. Marburger Ausgabe. Bd. 3.3: Danton’s Tod. Historische Quellen, S. 115, 121 und 131

[24] Ebd. S. 231

[25] Vgl. ebd. S. 225

[26] Brockhaus 1843, IV,74, zit. nach Funk 2002: Georg Büchner. Dantons Tod. Erläuterungen und Dokumente, S. 85

[27] Marx/Engels 1951: Revolution und Konterrevolution in Deutschland, S. 141

[28] Gutzkow 1835: Danton’s Tod von Georg Büchner, zit. nach Poschmann 1985: Georg Büchner. Dichtung der Revolution und Revolution der Dichtung, S. 97 f.

[29] Funk 2002: Georg Büchner. Dantons Tod. Erläuterungen und Dokumente, S. 139

[30] Neuhuber 2009: Georg Büchner. Das literarische Werk, S. 54

[31] Vgl. ebd.

[32] Vgl. Dedner/Mayer (Hgg.) 2000b: Georg Büchner. Marburger Ausgabe. Bd. 3.3: Danton’s Tod. Historische Quellen, S. 98 f.

[33] Büchner 2012: Briefwechsel, S. 59 f.

[34] Ebd. S. 66

[35] Ebd. S. 66 f.

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Das Bild des Georges Jacques Danton in Deutschland um 1835 und Georg Büchners Darstellung des Georg Danton in einer kritischen Gegenüberstellung
Hochschule
Technische Universität Dortmund  (Institut für deutsche Sprache und Literatur)
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
41
Katalognummer
V316024
ISBN (eBook)
9783668151277
ISBN (Buch)
9783668151284
Dateigröße
678 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bild, georges, jacques, danton, deutschland, georg, büchners, darstellung, gegenüberstellung
Arbeit zitieren
Christian Kremer (Autor:in), 2015, Das Bild des Georges Jacques Danton in Deutschland um 1835 und Georg Büchners Darstellung des Georg Danton in einer kritischen Gegenüberstellung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/316024

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