Die Wurzeln des homo oeconomicus lassen sich bereits im 18. Jahrhundert bei dem Philosophen und Staatstheoretiker Adam Smith entdecken, währenddessen Dahrendorf erst 1958 zu der Gedankenkonstruktion des homo sociologicus fand. Allerdings hat das ökonomische Verhaltensmodell des homo oeconomicus und andere Lehrsätze der Wirtschaftswissenschaft nicht die dramatische Asien-Krise und den längsten anhaltenden Aufschwung der US-amerikanischen Geschichte in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kommen sehen. Die Politik konnte sich nicht auf die Empfehlungen der Ökonomen verlassen. In der hier vorliegenden Hausarbeit möchte der Autor daher aus der Sicht der modernen Politikwissenschaft der Problemstellung nachgehen, ob das Verhaltensmodell des homo oeconomicus die Möglichkeit eröffnet, menschliches Handeln erklären und eventuell sogar vorhersehen zu können – kann das Modell des homo oeconomicus die Verhaltensweise eines Menschen erklären und prognostizieren? Oder bedarf es vielleicht einer Modellerweiterung, um die oben geschilderten Fehlprognosen zu verhindern?
Um diese Frage hinreichend näher zu beleuchten und abschließend eine Antwort formulieren zu können, wird im Folgenden zunächst eingehend das Modell als solches mit seinen hervorstechenden Charakteristika vorgestellt werden (Kapitel 1), ehe sich der argumentative Teil anschließt. Im Verlauf der Argumentation wird der Autor die Kritiker des Modells zu Wort kommen lassen und diskutieren (Kapitel 2), inwieweit diese Kritik gerechtfertigt ist. Dabei werden dem Leser zwei durchaus interessante Experimente zur Veranschaulichung unterbreitet. Nachdem auf diese Weise die Grenzen des Modells ausgelotet worden sind, wird in der Zusammenfassung die Ausgangsfrage unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse wieder aufgegriffen, um zu sehen, ob das Verhaltensmodell des homo oeconomicus sich in der Realität bewährt hat und geeignet ist, menschliche Verhaltensweisen und menschliches Handeln erklären und prognostizieren zu können. Überdies wird abschließend betrachtet, ob eine begrenzte Erweiterung oder sogar eine totale Revision des Modells angeraten ist, um Politik und Gesellschaft verlässliche Prognosen bieten zu können.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Hauptteil
1. Das ökonomische Verhaltensmodell des homo oeconomicus
1.1. Präferenzen und Restriktionen
1.2. Situationen und Probleme der Interdependenz
2. Grenzen des Modells
2.1. Bounded Rationality
2.2. Zwei Experimente
2.3. Niedrigkostensituationen
III. Zusammenfassung
IV. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Schon seit längerer Zeit hat das ökonomische Verhaltensmodell des homo oeconomicus Eingang in die Forschung gefunden. Originär aus dem Wirkbereich der Wirtschaftswissenschaften stammend, erfreut sich das Modell auch in den Sozialwissenschaften zunehmend großer Beliebtheit. Und dies zumal in den letzten Jahren die von Karl Polanyi vertretene These der „Ökonomisierung der Lebenswelten“[1] in einer globalisierten Welt immer mehr Raum griff.
Was liegt dem Forschungsbereich der Sozialwissenschaften, insbesondere der Politikwissenschaft, also näher, als dem weithin bekanntesten soziologischen Modell, dem von Ralf Dahrendorf entwickelten Modell des homo sociologicus, den homo oeconomicus entgegenzustellen, um der stetig wachsenden Bedeutung der Wirtschaft im gesellschaftlichen Zusammenleben und gerade der Politik gerecht zu werden. Hieß es ja schließlich nicht zuletzt im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 1992: „It' s the economy stupid“.
Und warum sollten Menschen Probleme im sozialen und politischen Bereich überhaupt vom Prinzip her anders angehen als diejenigen im ökonomischen Sektor.[2] Es lässt sich also keinen vernünftigen Grund finden, um das Modell des homo oeconomicus alleine bei den Wirtschaftswissenschaften anzusiedeln und somit die Sozialwissenschaften vom Modell des homo oeconomicus fern zu halten. Zumal das Menschenbild des homo oeconomicus auf eine weitaus größere Tradition verweisen kann als der Dahrendorfsche homo sociologicus: Die Wurzeln des homo oeconomicus lassen sich bereits im 18. Jahrhundert bei dem Philosophen und Staatstheoretiker Adam Smith entdecken, währenddessen Dahrendorf erst 1958 zu der Gedankenkonstruktion des homo sociologicus fand.
Allerdings hat das ökonomische Verhaltensmodell des homo oeconomicus und andere Lehrsätze der Wirtschaftswissenschaft nicht die dramatische Asien-Krise und den längsten anhaltenden Aufschwung der US-amerikanischen Geschichte in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kommen sehen. Die Politik konnte sich nicht auf die Empfehlungen der Ökonomen verlassen.
In der hier vorliegenden Hausarbeit möchte der Autor daher aus der Sicht der modernen Politikwissenschaft der Problemstellung nachgehen, ob das Verhaltensmodell des homo oeconomicus die Möglichkeit eröffnet, menschliches Handeln erklären und eventuell sogar vorhersehen zu können - kann das Modell des homo oeconomicus die Verhaltensweise eines Menschen erklären und prognostizieren? Oder bedarf es vielleicht einer Modellerweiterung, um die oben geschilderten Fehlprognosen zu verhindern?
Um diese Frage hinreichend näher zu beleuchten und abschließend eine Antwort formulieren zu können, wird im Folgenden zunächst eingehend das Modell als solches mit seinen hervorstechenden Charakteristika vorgestellt werden (Kapitel 1), ehe sich der argumentative Teil anschließt. Im Verlauf der Argumentation wird der Autor die Kritiker des Modells zu Wort kommen lassen und diskutieren (Kapitel 2), inwieweit diese Kritik gerechtfertigt ist. Dabei werden dem Leser zwei durchaus interessante Experimente zur Veranschaulichung unterbreitet. Nachdem auf diese Weise die Grenzen des Modells ausgelotet worden sind, wird in der Zusammenfassung die Ausgangsfrage unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse wieder aufgegriffen, um zu sehen, ob das Verhaltensmodell des homo oeconomicus sich in der Realität bewährt hat und geeignet ist, menschliche Verhaltensweisen und menschliches Handeln erklären und prognostizieren zu können. Überdies wird abschließend betrachtet, ob eine begrenzte Erweiterung oder sogar eine totale Revision des Modells angeraten ist, um Politik und Gesellschaft verlässliche Prognosen bieten zu können.
II.Hauptteil
1. Das ökonomische Verhaltensmodell des homo oeconomicus
Doch zunächst einmal stellt sich die Frage: Was meint der Begriff homo oeconomicus überhaupt? Dem ursprünglichen lateinischen Wortsinn zufolge bedeutet der Ausdruck homo oeconomicus der Haushalter oder der Wirtschaftende[3] - schlicht der ökonomisch denkende und handelnde Mensch.
„Der ökonomische Mensch im allgemeinsten Sinne ist also derjenige, der in allen Lebensbeziehungen den Nützlichkeitswert voranstellt. Alles wird für ihn zu Mitteln der Lebenserhaltung, des naturhaften Kampfes ums Dasein und der angenehmen Lebensgestaltung.“[4]
Um als Wirtschaftender letztendlich erfolgreich und effizient tätig zu sein, muss sich der Mensch insbesondere einer Gabe bedienen, nämlich der Vernunft. Die Idee des Menschen als vernunftsbegabten Wesen geht auf die Aufklärung zurück und so wundert es nicht, dass bereits Adam Smith in seinen Schriften vom homo oeconomicus ausging. Smiths liberalistischer Ansatz glaubt im homo oeconomicus die Grundlage für die „Wohlfahrt der Nationen“ zu erkennen. Seiner Theorie zufolge würde der grenzenlose Egoismus des Einzelnen gemäß der freien Konkurrenz und dem Balancespiel zwischen Angebot und Nachfrage einen willkommenen Nebeneffekt mit sich bringen: soziales Verhalten.[5] Geht der homo oeconomicus, der allein seinen eigenen Interessen folgt, nämlich zum Bäcker, um sein Bedürfnis nach einem Brot zu stillen, tut er sich etwas Gutes - und unbeabsichtigt auch dem Bäcker, der für seine Leistung entlohnt wird, sei es mit Naturalien oder Geld. Der schottische Moralphilosoph Bernhard Mandeville formulierte dies in seiner „Bienenfabel“ folgendermaßen:
„Die Tugend, die von Politik gelernt gar manch schlauen Trick, auf der so vorgeschriebenen Bahn ward nun des Lasters Freund; fortan der Allerschlechteste sogar fürs Allgemeinwohl tätig war.“[6]
Smith sieht im unbeabsichtigten Handeln, das zur „Wohlfahrt der Nationen“ führt, die „unsichtbare Hand“ als Akteur. Das Menschenbild des homo oeconomicus liegt denn auch den klassischen und neoklassischen Wirtschaftstheorien zugrunde.
Die Begrifflichkeit des homo oeconomicus bezeichnet also vielmehr noch ein Modell individuellen Verhaltens, das das menschliche Handeln als eine rationale Auswahl aus zahlreichen Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten darstellt. Denn die Annahme, dass der einzelne Mensch sich seines Verstandes und seiner Vernunft bedienen kann, führt zwangsläufig dazu, dass ein Akteur rational handelt. Man spricht demnach beim Modell des homo oeconomicus auch von einem Akteursmodell, in dessen Fokus individuelle oder kollektive Handelnde stehen. Der Akteur agiert als homo oeconomicus immer auf der Basis eines zuvor durchgeführten rationalen Abwägungsprozesses, der die ihm zur Verfügung stehenden Alternativen eingehend betrachtet auf ihren Kosten und Nutzen.[7]
Als vordringliches Ziel des wirtschaftlich denkenden und handelnden Menschen gilt bei diesen rationalen Überlegungen letztendlich die Maximierung des persönlichen Nutzens.[8] Das Nutzen maximierende Individuum orientiert sich dazu am Optimumprinzip, Maximalprinzip und am Minimalprinzip. Beim Optimumprinzip ist der Einzelne bestrebt, den größtmöglichen Nutzen zu erzielen, indem Ziel und Aufwand miteinander in Einklang gebracht werden. Während hingegen beim Maximalprinzip versucht wird, mit dem gegebenen Aufwand ein bestmögliches Ergebnis zu erreichen, bemüht man sich beim Minimalprinzip, ein gestecktes Ziel mit möglichst geringem Aufwand zu erreichen.
1. 1. Präferenzen und Restriktionen
Ein Grundproblem ist zumal die Abwägung des persönlichen Nutzens durch die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Gut oder eine Handlungsalternative. Dabei lassen sich zwei entscheidende Einflussfaktoren ausmachen: Zum einen sind dies die jeweiligen Präferenzen, das heißt, die Vorlieben eines Menschen, die er mit der Zeit entwickelt und zum anderen sind dies die Restriktionen, die ihm seine Mitmenschen und gesellschaftliche sowie staatliche Institutionen auferlegen.[9]
Als Präferenzen gelten Bedürfnisse, Nöte, Wertvorstellungen und Anschauungen, die sich der homo oeconomicus durch einen tief greifenden Sozialisationsprozess über die Jahre hinweg erworben hat.[10] Als charakteristisches Merkmal weisen Präferenzen eine Unveränderbarkeit und Konstanz auf, die den Entscheidungen des homo oeconomicus eine gewisse Stabilität und Unabhängigkeit zu den aktuellen Handlungsmöglichkeiten bringt.[11]
Nun hat der Einzelne allerdings unterschiedliche Präferenzen, so dass die Beurteilung einer Handlungsalternative von Fall zu Fall äußerst verschiedenartig ausfallen kann. Von seinen eigenen Präferenzen geleitet und ihnen verpflichtet trifft der homo oeconomicus seinen Entschluss, welche Alternative ihm eher die Maximierung seines Nutzens - und damit auch die Erfüllung seiner Bedürfnisse - verspricht. Um zu erkennen welche Wahlmöglichkeit ihm die Nutzenmaximierung am ehesten verheißt, misst der homo oeconomicus seinen verschiedenartigen Präferenzen naturgemäß einen festen Stellenwert zu - der Kinobesuch mit dem Freund muss beispielsweise hinter dem Heimspiel von Mainz 05 zurücktreten.
Rationales Handeln, das ausgerichtet ist an den jeweiligen Präferenzen, kann einem Außenstehenden aber zuweilen als äußerst irrational erscheinen, wie dies zum Beispiel beim Altruismus häufig der Fall ist.
Den Präferenzen stehen die Restriktionen gegenüber. Meist durch die Umwelt vorgegeben, schränken sie das Individuum teils in solchem Maße ein, dass seine Präferenzen nicht mehr verwirklicht werden können. Restriktionen können vornehmlich in zwei Gruppen eingeteilt werden: Auf der einen Seite sind gesellschaftliche Beschränkungen wie etwa Gesetze und Rechtsnormen zu nennen, auf der anderen Seite lassen sich gesellschaftliche Institutionen wie Normen und Werte anführen. Als stark beschränkend können in diesem Sinne soziale Normen wirken, die dem Homo Oeconomicus ebenfalls durch den gesellschaftlichen Sozialisationsprozess „eingeimpft“ wurden und ihm manchmal schon im Kopf bestimmte Grenzen setzen, was zu tun oder zu lassen ist.
Lässt man gesellschaftliche Beschränkungen und gesellschaftliche Institutionen beiseite bleibt gleichwohl noch eine alles überragende Größe für die Ursache von Restriktionen: die Knappheit der Ressourcen.[12] Ein Mensch wird nie unendlich viel Geld und nie unendlich viel Zeit zur Verfügung haben, um alle seiner Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen. Es fehlt einfach an den notwendigen Mittel, das heißt, den Ressourcen, zur Verwirklichung der Präferenzen, die überdies alle miteinander konkurrieren. Die Knappheit der Ressourcen zwingt den homo oeconomicus zu entscheiden, welche Präferenz unter Verwendung der gegebenen Mittel Vorrang genießt.
[...]
[1] Polanyi, Karl 1995: The great transformation, 3. Auflage, Frankfurt/Main: Suhrkamp.
[2] Vgl. Kirchgässner, Gebhard 1991: Homo oeconomicus: Das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Tübingen: Mohr, S. 1
[3] Vgl. Schmidt, Manfred G. 1995: Wörterbuch zur Politik, Stuttgart: Kröner, S. 405.
[4] Spranger, Eduard 1950: Lebensformen. Geisteswissenschaftliche Psychologie und Ethik der Persönlichkeit, 8. Auflage, Tübingen: Neomarius., S.148.
[5] Vgl. Smith, Adam 1974: Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, München: Beck.
[6] Mandeville, Bernhard 1980: Die Bienenfabel, Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 84.
[7] Vgl. Kirchgässner, G. 1991: Tübingen, S. 14.
[8] Vgl. Kirchgässner, G. 1991: Tübingen, S. 14.
[9] Vgl. Kirchgässner, G. 1991: Tübingen, S. 13.
[10] Vgl. Kirchgässner, G. 1991: Tübingen, S. 13 f.
[11] Vgl. Kirchgässner, G. 1991: Tübingen, S. 38.
[12] Vgl. Kirchgässner, G. 1991: Tübingen, S. 12.
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