Soziologische Gegenwartsdiagnose. Carpe Diem, der schmale Grat zwischen Erlebnis und Gewohnheit


Essai, 2013

12 Pages


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Inhaltsangabe

2. Textimmanente kritische Diskussion

3. Textübergreifende Diskussion und Verortung im Seminar

4. Literaturverzeichnis:

1. Inhaltsangabe

Den Begriff der Erlebnisgesellschaft prägte der deutsche Soziologe Gerhard Schulze durch sein gleichnamiges Buch: Egozentrik und Oberflächlichkeit als Ergebnis der Suche nach Erlebnis

Schulze beschreibt in seinem Buch „Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart“ die zunehmende Erlebnisorientierung unserer Gesellschaft und die Etablierung eines internationalen Erlebnismarktes, welcher sich zu einem beherrschenden Bereich des alltäglichen Lebens entwickelt. Alles, was angeboten wird, wird ausprobiert, auch das Innovative, weshalb selten etwas lange neu bleibt. Allerdings wird die Abwechslung schnell zur Wiederholung und das tägliche Erlebnisangebot zur Selbstverständlichkeit und somit geht die Suche nach dem absoluten Highlight weiter. Statt der Sehnsucht nach Schönem ist eher die Vermeidung der Langeweile das Motto (vgl. Schulze (1992), S. 542).

Entgrenzung bedeutet im Letzten der Verlust von Gewissheiten, jedoch verlangen wir Menschen nach Gewissheiten und wenn wir keine vorfinden, setzten wir uns selber welche. Beispiele für diese konstruierten Gewissheiten, sind alltagsästhetische Schemata oder kollektive Erlebnisrouten. Darunter versteht man, dass Gruppen von Dingen, Personen, Situationen als zusammengehörig definiert und mit bestimmten Reaktionsmustern besetzt werden. Weiter gibt es soziale Milieus und einzelne Szenen, und es gibt erlebnisrationale Strategien, also neuartige Handlungsmuster, welche häufig Rationalität in Frage stellen. Sie lassen sich allerdings vor dem Hintergrund innenorientierten Handelns verstehen, und die fundamentale Semantik, ein elementares Kategoriensystem darstellt, das Ähnlichkeiten oder Unähnlichkeiten zu beurteilen und eine Konsistenz herzustellen helfen soll (vgl. Schulze (1993), S. 413 f).

Er kritisiert dabei, dass man sich vor allem mit sich selbst zu beschäftigen beginnt, wenn das Erlebnis zum beherrschenden Thema wird. „Je mehr die Menschen begannen, sich mit Urlauben, Wochenenden, Garderoben, Autos, Fernsehangeboten, Illustrierten, Speisekarten, generell: mit dem Erlebnisgehalt ihrer unmittelbaren Zukunft auseinanderzusetzten, desto uninteressanter wurden andere soziale Milieus.“ Will Schulze folglich damit zum Ausdruck bringen, dass das Suchen nach immer neuen und extremeren Erlebnissen egozentrisch macht? Aber statt kleiner Lebensstilgrüppchen findet man in unserer Gesellschaft eine ausgeprägte überregionale Einfachstruktur sozialer Milieus.

Weiter warnt er davor, dass das Wettrennen von einem Event zum nächsten, schnell zu einer Flucht aus der Langeweile werden kann. Bloß kein Wochenende, an dem keine Termine im Kalender stehen und so weiter. Die Angst vor der Lücke treibt uns dazu, immer wieder Termine abzumachen, die Augen nach neuen Highlights offen zu halten. Und wenn es schon nicht mehr der eigenen Wille ist, wenn man bereits merkt, dass alles eigentlich zu viel wird, dass man es gar nicht mehr genießen kann, nicht mehr viel mitnehmen kann, dann hört man trotzdem nicht auf, denn auf der anderen Seite ist immer auch noch der soziale Druck. Da ist die Angst, dass man als langweilig gilt, dass man etwas verpassen könnte, dass man nicht mehr dazugehört, wenn man damit aufhört. Das innere Erleben, das wirklich betroffen sein von den Dingen, welche man sieht, macht, erlebt, fehlt häufig, ja ist vielleicht auch gar nicht gesucht. Was den wirklichen Reiz ausmacht, ist nur kurzfristig der Kick, auf lange Sicht sucht man Bestätigung durch die Reaktion der Anderen, des Publikums, nicht das Werk oder die Aktion selber (vgl. Schulze (1992), S. 547). Der Kick hält nicht lange an und das ist vielleicht sogar der Grund, warum man immer weiter sucht, statt sich richtig auf etwas einzulassen, den Mut zu haben, Gefühle zuzulassen, etwas an sich heran zu lassen, sich dadurch auch verändern zu lassen; man sucht einfach immer wieder auf ein Neues den Kick. Es geht nicht so sehr darum, das Leben oder die Gesellschaft zu erkennen, sondern vielmehr an Gefühle ranzukommen. So kommt es dazu, dass mehr und mehr „Nebenattribute und Oberflächenreize inhaltliche Tiefenstrukturen“ überlagern (vgl. Schulze (1992), S. 547).

Enthusiastische Identifikationen mit Lebensphilosophen, welche die Entfesselung programmierten, finden nicht mehr statt. Jimmy Hendrix, Jim Morrison und Co. sind nicht nur physisch tot. Bei dieser Fülle an Angeboten ist es auch ein Ding der Unmöglichkeit, sich wirklich damit identifizieren zu können. Während des Aktes des Konsumierens, drängt sich schon wieder das nächste Angebot auf. Jedoch lässt sich natürlich nur das Erlebnisangebot kaufen und nicht das Erlebnis an sich. Dafür ist jeder selbst verantwortlich. Das Auto bietet ein möglichst gutes Fahrgefühl, ob es jedoch auch ein Fahrerlebnis bietet, kann nur jeder individuell entscheiden. Dabei sind Erlebnisse „Zustände, die wesentlich Nebenprodukte sind“ (Elster (1987)), sobald sie mit Ernst und Entschlossenheit angestrebt werden, werden sie automatisch fragwürdig (vgl. Schulze (1992), S. 548).

Am Anfang des 19. Jahrhunderts hatte das Erlebnis noch Feierabendcharakter, es fand noch keine Intensivierung des Erlebnisses statt und deswegen war eine Befriedigung noch leicht erreichbar. Die Jahre nach 1945 waren geprägt von einer materiellen und von einer ideellen Not. Zum Einen mussten sie um das Überleben kämpfen und zum Anderen eine normative Wertordnung wiedergewinnen. Dabei wurde schnell die Arbeit zum Sinn des Lebens ernannt. Aus heutiger Sicht war die damalige Zeit geprägt durch eine Enge und Beschränktheit, sowohl im materiellen Sinn, als auch im ideellen (vgl. Schulze (1993), S. 405 f).

Entstehen konnte die skizzierte Erlebnisgesellschaft zum Einen durch den steigenden Lebensstandart und das daraus entstandene Mehr an Freizeit und zum Anderen durch die Fülle von Angeboten im Bereich der Dienstleistungen und Waren. Durch diese Angebote wurden Möglichkeiten geschaffen, die eine Entgrenzung des Subjekt-Situations-Verhältnisses hervorriefen. Da es nun nicht mehr nötig war, seine Situation zu verändern, denn durch den Wohlstand wurde sie nicht mehr als beengend empfunden, entstanden neue und frei wählbare Handlungsmöglichkeiten. Dieser Prozess entspricht einem Modernisierungsphänomen (vgl. Schulze (1997), S. 86). Das Subjekt tritt dabei soziologisch gesehen in den Vordergrund, jedoch bleiben Situationen eine individuelle Erfahrung, da sie nicht kollektiv, sondern eben nur vom Einzelnen gemacht wurden (vgl. Schulze (1992), S. 75). Weiter verändern sich dadurch die Wahrnehmungen, Bewertungen und Einstellungen von einer Außenorientierung hin zu einer Innenorientierung. Während in der Nachkriegszeit der Fokus auf die Situation, auf die Pragmatik von Dingen gerichtet ist, wird es mit steigendem Wohlstandsniveau schwieriger, den äußeren Nutzen der Gegenstände zu definieren und ein Ansteigen des materiellen Lebensstandards wird immer unkonkreter erfahrbar. Die Tatsache des nunmehr fehlenden ökonomischen Druckes, rief letztendlich eine Orientierungskrise hervor, die darin besteht, dass die äußeren Kriterien wie Nutzen, Qualität und Reichtum, nicht mehr weiter zur Orientierung dienen. (vgl. Schulze (1992), S. 258).

Die Subjekte stehen nun ständig vor dem Anspruch, die eigenen Bedürfnisse zu definieren und infolge des psychophysischen Charakters von Erlebnissen kommt zusätzlich ein Enttäuschungsrisiko dazu. Auf der einen Seite, kann man sich nie sicher sein, dass man sich richtig entschieden hat, auf der anderen Seite wir das ständig Neue schnell zur Gewohnheit (vgl. Schulze (1992), S. 14). Um der Langeweile zu entgehen, sucht man immer neue Situationen, was einen erneuten Orientierungsbedarf hervorruft. Dabei kann es schnell zur Abhängigkeit von Angeboten kommen.

Auf dem Erlebnismarkt treffen sich Erlebnisnachfrage und -angebot, es treffen sich innenorientierte und außenorientierte Rationalitätstypen, wobei der außenorientierte Handlungstyp die Vorherrschaft gewinnt, da dieser besser voraussagbar ist und nicht so subjektabhängig, wie der innenorientierte. Zudem fungiert der Erlebnismarkt als Ersatz für die frühere Möglichkeit kollektiver Selbsterfahrung (vgl. Schulze (1992), S. 410).

[...]

Fin de l'extrait de 12 pages

Résumé des informations

Titre
Soziologische Gegenwartsdiagnose. Carpe Diem, der schmale Grat zwischen Erlebnis und Gewohnheit
Université
University of Augsburg
Auteur
Année
2013
Pages
12
N° de catalogue
V316953
ISBN (ebook)
9783668158245
ISBN (Livre)
9783668158252
Taille d'un fichier
541 KB
Langue
allemand
Mots clés
soziologische, gegenwartsdiagnose, carpe, diem, grat, erlebnis, gewohnheit
Citation du texte
Conni Endres (Auteur), 2013, Soziologische Gegenwartsdiagnose. Carpe Diem, der schmale Grat zwischen Erlebnis und Gewohnheit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/316953

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