Heinrich von Kleists Texte verstören und irritieren den Leser. Kleists Poetik der Irritation wird als "Erschütterungskunst" empfunden, die ihre Leser oft ratlos zurücklässt. Rätselhaftigkeit charakterisiert auch die Erzählung "Michael Kohlhaas", wobei die Unauflösbarkeit des Änigmas schon das reine Vorgangsverständnis erschwert. Diese aus einer unauflösbaren Rätselhaftigkeit entspringende irritierende und verstörende Wirkung liegt neben nicht aufgelösten Inkonsistenzen und Widersprüchen in der Erzählung, die von Kleist intendiert sind, um die "gebrechliche[n] Einrichtung der Welt" in ihrer ganzen Komplexität, Opazität und Widersprüchlichkeit zu repräsentieren, vor allem in einer Ubiquität einer exzessiven Gewaltdarstellung begründet.
Die Funktionen und Bedeutungen der Gewaltdarstellung stehen in der Forschungs- und Rezeptionsgeschichte nicht selten im Fokus des Interesses an den Texten, deren zentrales Thema häufig Gewalt in allen ihren Facetten darstellt und in nahezu jedem Text verhandelt wird. Gewalt wird in Kleists Michael Kohlhaas in drei exemplarischen Diskursfeldern verhandelt. Zum ersten wird Gewaltdarstellung als Begründung für eine sozialkritische Fortführung der Aufklärung genutzt. Zweitens stellt Kleists Text Gewalt als meist einziges probates Mittel zur Durchsetzung legitimer libertärer Forderungen heraus. Und drittens instrumentalisiert Kleist Gewaltdarstellung aber auch als Mittel einer Aufklärungskritik im Sinn einer kritischen Reflexion auf die Möglichkeiten und Grenzen des Perfektibilitätsstrebens der Aufklärung, das auf einem positiven, entwicklungsfähigen Menschenbild und auf einer vernünftig eingerichteten Weltordnung basiert. In dieser Hausarbeit soll die These einer Funktionstrias der Gewaltdarstellung als Fortführung der Aufklärung, als Aufklärungskritik und als Didaxe der Macht in Kleists Michael Kohlhaas nachgewiesen werden.
Der Titel der Hausarbeit „mit Feuer und Schwert, die Arglist, in welcher die ganze Welt versunken sei, zu bestrafen“ reflektiert alle drei Aspekte der Funktionstrias der Gewaltdarstellung in Kleists Michael Kohlhaas, indem durch die Benennung des Weltzustandes mit der Bezeichnung „Arglist“ eine Unordnung angedeutet wird, die auf institutionalisierten Vorurteilen und Machtmissbrauch beruht und durch eine Fortführung der Aufklärung beseitigt werden soll. Gleichzeitig rechtfertigt diese Arglist der Weltordnung aber auch den Einsatz von Gewalt zu libertären Zwecken.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- „zur Errichtung einer besseren Ordnung der Dinge“ – Gewaltdarstellung im Dienst einer sozialkritischen Aufklärung und zur Durchsetzung libertärer Forderungen
- ,,Das Rechtgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.\" Gewalt als Gesellschafts- und Justizkritik
- ,,daß es ein Werk Gottes wäre, Unordnungen gleich diesen, Einhalt zu tun“ – Gewalt als Autoritäts-, Religionskritik und Kritik am Staatskirchentum
- ,,Vermessener, im Wahnsinn stockblinder Leidenschaft\" – Gewaltexzesse als Ausdruck von Aufklärungskritik und negativer Anthropologie
- ,,Heilloser und entsetzlicher Mann!“ - Kleists negative Anthropologie
- ,,flogen, unter dem Jubel Hersens, aus den offenen Fenstern der Vogtei, die Leichen des Schlossvogts und Verwalters, mit Weib und Kindern, herab.“ - Exzessive Gewaltdarstellung als kritische Reflexion auf den revolutionären terreur
- Sprache der Gewalt in Kleists Michael Kohlhaas
- Unzuverlässiger Erzähler als Provokation zum kritischen Selbstdenken
- Nüchterne Faktizität des Erzählstils und komplexe Syntax als Ausdruck einer komplexen Welt
- Schlussbetrachtungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit analysiert die dreidimensionale Funktion von Gewaltdarstellung in Heinrich von Kleists "Michael Kohlhaas". Die Arbeit beleuchtet, wie die Gewaltdarstellung als Fortsetzung der Aufklärung dient, gleichzeitig aber auch als Aufklärungskritik und als Didaxe der Macht verstanden werden kann.
- Die Gewaltdarstellung als Mittel der sozialen und justiziellen Kritik
- Gewalt als Instrument zur Durchsetzung libertärer Forderungen
- Die Gewaltdarstellung als Ausdruck von Aufklärungskritik und negativer Anthropologie
- Die sprachliche Umsetzung der Gewaltdarstellung und ihre Bedeutung
Zusammenfassung der Kapitel
Das zweite Kapitel analysiert die Gewaltdarstellung als Fortführung der Aufklärung, indem es die Kritik am Staatskirchentum und die Dekonstruktion von Vorurteilen in Kleists Werk beleuchtet. Im dritten Kapitel wird die Gewaltdarstellung als Ausdruck von Aufklärungskritik betrachtet, indem die Exzesse von Michael Kohlhaas als Ausdruck von negativer Anthropologie gedeutet werden. Das vierte Kapitel schließlich analysiert die sprachliche Umsetzung der Gewaltdarstellung und ihre Bedeutung für das Verständnis des Textes.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter dieser Arbeit sind Gewaltdarstellung, Aufklärung, Aufklärungskritik, negative Anthropologie, Justizkritik, Libertarismus, Staatskirchentum, Sprache und Erzähltechnik. Die Arbeit konzentriert sich auf die Funktion der Gewaltdarstellung in Heinrich von Kleists "Michael Kohlhaas" und beleuchtet die verschiedenen Facetten, in denen Gewalt im Text dargestellt und reflektiert wird.
- Citation du texte
- Thomas Franz (Auteur), 2014, Gewaltdarstellung und ihre Funktionen in Heinrich von Kleists "Michael Kohlhaas", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/316991