Die Bismarcksche Außenpolitik. Weg zum Frieden oder Aufschub eines europäischen Konflikts?


Facharbeit (Schule), 2015

23 Seiten, Note: 1,6


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Politische Ausgangssituation
1.1 Anfänge Bismarcks
1.2 Europäische Ausgangslage

2. Bismarcksche Außenpolitik
2.1 Anfänge des Kaiserreichs (1871)
2.2 Saturiertes Kaiserreich (1871 – 1879)
2.3 Relative Sicherheit (1880 – 1884)
2.4 Politik der Aushilfen (1885 – 1890)

3. Analyse der Bismarckschen Außenpolitik

4. Langfristige Frieden oder Aufschub eines Konflikts?

Literaturverzeichnis

Bildquellenverzeichnis

Kurzfassung

Kapitel 1.1

- Ministerpräsident ab 1862
- Heeresreform unter schwierigsten Bedingungen

Kapitel 1.2

- Aufgabe als Ministerpräsident
- Krimkrieg (1853-1856)
- Favorisierung: Kleindeutsche Lösung
- Krieg gegen Dänemark (1864)
- „Bruderkrieg“ gegen Österreich (1866)
- Krieg gegen Frankreich (1870/1871)
- Kaiserproklamation in Versailles (1871)
- Alvenslebensche Konvention (1863)

Kapitel 2.1

- Neue Macht in der Mitte Europas (1871)
- Halbhegemoniale Stellung

Kapitel 2.2

- Saturiertheit als Vorgabe
- Drei-Kaiser-Abkommen (1873)
- „Mission Radowitz“ (1874)
- „Krieg-in-Sicht“-Krise (1874)
- Kissinger Diktat (1878)
- Berliner Kongress (1878)
- Zweibund (1879)

Kapitel 2.3

- Dreikaiservertrag (1882)
- Dreibund (1882)
- Innenpolitische Maßnahmen (1883/1884)
- Kolonialpolitik (1884/1885)

Kapitel 2.4

- Stellvertreterkonflikt auf dem Balkan (Anfang 1880-er Jahre)
- Ende des Dreikaiservertrags (1887)
- Wiederkehrendes Optionsproblem und Zweifrontendruck (1887)
- Orientdreibund (1887)
- Rückversicherungsvertrag (1887)
- Wirtschaftskrieg mit Russland (1887)
- Tod Kaiser Wilhelm I. und Kaiser Friedrich III., Nachfolger Wilhelm II. (1888)
- Innenpolitischer Druck auf Bismarck (1889)
- Rücktritt Bismarcks (1890)

Kapitel 3.

- Befugnisse Bismarcks
- Anspruch des Deutschen Reichs
- 4 außenpolitische Optionen
- Die Rolle Russlands
- Erbfeind Frankreich
- Reaktionäre Politik Bismarcks
- Optionen in Europa
- Selbstüberschätzung Bismarcks
- Leitlinien aus Bad Kissingen
- Kongressführung in Berlin
- Bismarcks Lernprozess durch Fehleinschätzungen
- schwierige Beziehung zu Russland
- Sicherheit durch Allianzenbildung
- Ablehnung des liberalen Englands und Friedrich Wilhelms III.
- Ende des Drei-Kaiser-Bunds
- System der Aushilfen
- Bismarcks Außenwirtschaftspolitik
- Entlassung Bismarcks

Kapitel 4.

- Deutschland als aufstrebende Macht
- Prinzip der Saturiertheit
- „Pulverfass Balkan“
- Politisches System im Kaiserreich
- Frankreich als eventuelle Option
- Vergleich zur Wiedervereinigung 1990
- „Unfähigkeit“ der Nachfolger

1. Politische Ausgangssituation

1.1 Anfänge Bismarcks

Als Otto von Bismarck am 23. September des Jahres 1862 durch König Wilhelm I. in die Position des preußischen Ministerpräsidenten eingesetzt wurde, fand er dort direkt zu Beginn eine Herkulesaufgabe vor sich. Er musste aufgrund der immer ernster werdenden Gefahr eines europäischen Krieges das preußische Militär reformieren. Diese Aufgabe traute der damalige Kriegsminister Albrecht von Roon nur Bismarck zu und so rief dieser Bismarck am 18. September 1862 mit den Worten „Periculum in mora! Dépêchez-vous! (Gefahr im Verzug! Beeilen sie sich!)“[1] nach Berlin, wo der preußische Landtag sich widerspenstig gegen eine Heeresreform stellte. Somit wurde Bismarck als Ministerpräsident ins kalte Wasser geworfen und im Falle eines Scheiterns war mit der Abdankung des preußischen Königs Wilhelm I. zu rechnen. Doch Bismarck bewies früh sein politisches Geschick, indem er die Heeresreform mit Hilfe einer Verfassungslücke ohne parlamentarische Zustimmung beschloss. Dadurch erwies sich Bismarck als starker, handelnder Politiker, denn diese Reform sorgte für die Siege in den späteren Einigungskriegen. Aufgrund dieser Siege wurde die Heeresreform nachträglich vom preußischen Landtag gebilligt und Bismarck konnte kein Verfassungsbruch mehr angelastet werden.

1.2 Europäische Ausgangslage

Als preußischer Ministerpräsident war er neben seinen innenpolitischen Aufgaben auch mit der Außenpolitik betraut, auf welche er sich auch von Beginn an konzentrierte, da die innenpolitische Situation durch den Konflikt um die Heeresreform bis 1866 noch sehr angespannt blieb. In Europa waren die Nachwirkungen des Krimkrieges noch deutlich spürbar und somit musste Bismarck versuchen, das Ziel einer deutschen Einigung unter schwierigen Umständen zu erreichen. Während des Krimkrieges kam es besonders zwischen den Großmächten Österreich und Großbritannien auf der einen Seite und dem russischen Zarenreich auf der anderen Seite vermehrt zu Konflikten außerhalb der europäischen Mitte, wodurch Bismarck in Europa eine kleindeutsche Lösung der deutschen Frage vorbereiten konnte. Der Krimkrieg endete ohne preußisches Zutun zugunsten von Preußen, da sich Österreichs pro-westliche Haltung letztendlich als Fehler erwies, denn dadurch kam es zum Bruch zwischen Wien und Sankt Petersburg und auch England, die man als starken Verbündeten ansah, wendete sich lieber der Weltpolitik zu. Somit konnte Bismarck bei der Umsetzung der kleindeutschen Lösung auf russische Unterstützung bauen. 1864 begann der Prozess der deutschen Einigung mit dem Krieg gegen Dänemark. Das dänische Königreich unter König Christian IX. wollte sich durch eine „Gesamtverfassung für den dänischen Staat“[2] von Deutschland endgültig trennen. Diese Verfassung sah jedoch auch die Trennung der Herzogtümer Schleswig und Holstein vor, die in Europa als „up ewig ungedeelt (auf ewig untrennbar)“[3] definiert waren. Dies führte zu einem gemeinsamen Vorgehen von Österreich und Preußen gegen das gegen geltende Verträge handelnde dänische Königreich. Im Krieg gegen Dänemark gelang es die Herzogtümer zurückzugewinnen, was jedoch die Schleswig-Holstein Frage zu einer innerdeutschen Frage machte. Diese führte zu einem Konflikt zwischen Österreich und Preußen über die Aufteilung der Elbherzogtümer. Daraufhin bereitete Bismarck den Boden in Europa für einen deutsch-österreichischen Krieg vor, da er schon 1856 feststellte, „dass Deutschland für zwei Großmächte zu eng sei und Preußen daher früher oder später für seine Existenz gegen Österreich fechten muss“[4]. Dies unterstrich Bismarck kurz vor Kriegsausbruch 1866 in der Kronratssitzung noch einmal, indem er sagte, dass „die ganze historische Entwicklung der deutschen Verhältnisse, die feindselige Haltung Österreichs treibe uns dem Krieg entgegen. Es würde ein Fehler sein ihm jetzt aus dem Wege zu gehen.“[5]. Da auch alle Vermittlungsversuche während dieser Krise fehlschlugen, forderte Bismarck eine kleindeutsche Bundesreform ohne Österreich. Wien wiederum beantragte eine Bundesexekution gegen Preußen im deutschen Bund, welche mit einer Mehrheit angenommen wurde. Diese Bundesexekution ersetzte eine klassische Kriegserklärung und Berlin löste den deutschen Bund daraufhin auf. Der darauffolgende Krieg im deutschen Bund endete mit einem klaren Sieg der Preußen in der Schlacht bei Königgrätz, bei der Preußen aufgrund von überlegener Kriegsführung eine deutlich stärkere österreichische Armee besiegen konnte. Jetzt hatte König Wilhelm I. „Blut geleckt“ und er wollte mit den Truppen auch in Wien einmarschieren, doch Bismarck sah in Österreich noch einen späteren Verbündeten, den man nicht durch eine solche Demütigung vergraulen sollte und er wollte eine Einmischung anderer europäischer Großmächte durch zu großen preußischen Gewinn verhindern. Am 23. August 1866 nach zwei Monaten Krieg konnte Bismarck den Kaiser überzeugen und Deutschland und Österreich schlossen den Friedensvertrag von Prag. Dieser preußische Sieg wurde auch in Frankreich als Demütigung wahrgenommen und „erwartete nun, für den preußischen Machtzuwachs entschädigt zu werden“[6]. Daher wollte sich Frankreich Luxemburg unter „den Nagel reißen“, doch nach einem Konflikt mit Preußen wurde Luxemburg während der Londoner Konferenz 1867 für immer neutral erklärt. Dies demütigte den französischen Kaiser Napoleon III. so weit, dass dieser den Hohenzollern aus Angst vor einer Einkreisung durch Preußen und Spanien die Thronfolge in Spanien verweigerte. Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen war als spanischer Thronfolger vorgesehen, doch Frankreich pochte auf dessen Verzicht, da sie eine zu große preußische Macht fürchteten. Der Konflikt mündete 1870, als Frankreich eine offizielle Verzichtserklärung Preußens auf den spanischen Thron und eine Entschuldigung vom preußischen König forderte. Nach dieser Forderung schrieb der König ein Telegramm, die „Emser Depesche“, an Bismarck, in welchem Wilhelm I. sehr ratlos wirkte. Dieses Telegramm sollte Bismarck im Willen des Königs veröffentlichen, doch Bismarck wollte es in diesem Wortlaut nicht Europa mitteilen und so änderte er es so ab, dass es „Paris […] nicht nur wegen des Inhalts, sondern auch wegen der Art der Verbreitung den Eindruck eines rothen Tuches auf den gallischen Stier macht“[7]. Die Emser Depesche erzürnte Paris so sehr, dass Frankreich Preußen den Krieg erklärte. Am 2. September 1870 ergab sich der französische Kaiser Napoleon III. und begab sich in preußische Gefangenschaft, einen Tag nach der entscheidenden Schlacht bei Sedan, die Preußen für sich entscheiden konnte. Nachdem Paris ab Dezember einen Monat lang dauerhaft bombardiert wurde, kam es zur Kapitulation Frankreichs am 28. Januar 1871. Dieser Krieg, in dem Nord- und Süddeutschland zusammen kämpften einte das Volk soweit, dass am 18. Januar 1871, also noch während des Krieges, das Deutsche Kaiserreich im Spiegelsaal von Versailles ausgerufen wurde. Frankreich musste nach dem Krieg hohe Reparationen an das Deutsche Reich zahlen und Elsass und Lothringen wurden von den Deutschen annektiert, was die Franzosen als große Demütigung empfanden. Außerdem versicherte der russische Zar Alexander II. während der Einigungskriege, wohlwollende Neutralität gegenüber Berlin, da durch die „Alvenslebensche Konvention“[8] schon 1863 die preußisch-russischen Verhältnisse gefestigt wurden.

2. Bismarcksche Außenpolitik

2.1 Anfänge des Kaiserreichs (1871)

Das neue Deutsche Kaiserreich brachte das Mächtekonzept der damaligen Zeit enorm ins schwanken, da sich nun eine neue Großmacht in der Mitte Europas gebildet hatte, die aufgrund der französischen Reparationszahlungen immer weiter aufblühte, während Frankreich weiter mit der Niederlage zu kämpfen hatte. Jedoch stellte Bismarck fest, dass das Reich „unter dem bedrohenden Gewehranschlag des übrigen Europa“[9] entstanden war, weswegen alle außenpolitischen Schritte mit äußerster Vorsicht zu machen waren. Bismarck selbst wurde im neuen Deutschen Reich vom Kaiser zum Reichskanzler ernannt, womit er die Rolle, die er schon als preußischer Ministerpräsident inne hatte weiter spielen konnte und wichtigster politischer Akteur blieb. In Europa selbst kam nun zu dem britisch-russischen Konflikt, der deutsch-französische Konflikt hinzu. Dazu bildete sich im Südosten eine neue Doppelmonarchie mit dem Kaiserreich Österreich-Ungarn. Somit befand sich Bismarck in einer schwierigen außenpolitischen Situation, in der das Deutsche Reich selbst „stärker als jede einzelne der vier Großmächte, zumindest im kontinentalen Maßstab, aber doch nicht stark genug um sich im Alleingang zu behaupten“[10] war und somit nur eine „halbhegemoniale Stellung“[11] inne hatte. Diese Stellung galt es für Bismarck, trotz der schwierigen europäischen Staatenverhältnisse, langfristig zu sichern.

2.2 Saturiertes Kaiserreich (1871 – 1879)

Um diese Sicherung des neuen deutschen Kaiserreiches zu gewährleisten, erklärte Bismarck das Deutsche Kaiserreich für „außenpolitisch saturiert“[12], womit er klarstellte, dass Deutschland nicht nach europäischer Hegemonie strebt, sondern sich in das fünf Mächte Konzept einfügen möchte. Bismarcks Fokus lag nun darauf, ein Bündnis zwischen Frankreich und Russland zu vermeiden, da dies „zu einer tödlichen Bedrohung werden“[13] könnte. Generell wollte Bismarck eine Isolierung Frankreichs mit Hilfe eines Bündnisses mit Russland und Österreich-Ungarn erreichen. Diesen deutschen Wunsch nutzten die Donaumonarchie und das Zarenreich aus, um ihrerseits Forderungen nach der Führung in diesem Bündnis zu stellen. So wollte Russland einen Ausgleich für die wohlwollende Haltung während der Einigunskriege und somit das Deutsche Reich als Juniorpartner an seiner Seite haben. Dies wollte Bismarck jedoch nicht, da er ein Bündnis mit deutscher Führung präferierte. Somit kam es zu mehreren Treffen der drei Großmächte, bei der am 22. Oktober 1873 ein noch sehr loses Drei-Kaiser-Abkommen geschlossen wurde, das einen ersten Draht zwischen den Nationen knüpfte. Dieses Abkommen sollte jedoch nur den Frieden wahren und zur Beratung im Kriegsfall führen, was keinen richtigen Schutz gegen ein aufstrebendes Frankreich bot. Als es im Frühjahr 1874 zu einem Treffen des österreichischen Kaisers Franz Joseph I. und dem russischen Zaren kam, sah Bismarck die Stellung Deutschlands in Europa trotz des Drei-Kaiser-Abkommens stark gefährdet. Diese Gefährdung beruhte auf der Annäherung Russlands an Österreich und auch an Frankreich, wodurch Bismarck eine Isolierung des Deutschen Reiches fürchtete. Um diese Einkreisung nun zu vermeiden leitete Bismarck die „Mission Radowitz“[14] ein und sandte den Diplomaten Joseph Maria von Radowitz nach Sankt Petersburg, um der russischen Regierung eine geteilte Hegemonie über Europa vorzuschlagen. Deutschland wollte „der russischen Politik im Orient folgen, wenn Russland im Westen Deutschland gegen Frankreich“[15] unterstützten würde. Doch der russische Kanzler Fürst Alexander von Gortschakow durchschaute Bismarcks Absichten und teilte den französischen und österreichischen Gesandten in Sankt Petersburg dies mit. Durch diesen Affront und durch Annäherung Österreich-Ungarns, Frankreichs und Italiens zu einer von der deutschen Presse titulierten „katholischen Liga“[16] gegen Deutschland, ließ Bismarck am 8. April 1874 den Artikel „Ist der Krieg in Sicht?“ veröffentlichen. Dieser Artikel führte zu einer europäischen Krise, in der das Deutsche Reich als Aggressor gesehen wurde. Erst ein Jahr später revidierte Bismarck diesen Artikel und Gortschakow stellte Bismarck bloß, indem er sich als Initiator des Friedens in der Krise brüstete. Nun wollte sich Deutschland nur noch auf die eigene Sicherheit in Europa konzentrieren und dabei kam die orientalische Frage gerade gelegen. Da Deutschland keinerlei Interessen auf dem Balkan hatte und die europäischen Probleme in die Peripherie getragen wurden, konnte Bismarck als „Zünglein an der Waage“ in diesem Konflikt agieren. Bismarck war sich bewusst, dass sowohl die Donaumonarchie als auch das Zarenreich auf deutsche Hilfe hofften, um ihre gegenseitigen Ziele zu erreichen. Doch Bismarck blieb stets neutral und gab selbst dem Drängen des Zaren während der „Livadia-Affäre“ nicht nach, in der der russische Zar eine Positionierung für Russland forderte, da das Zarenreich im Krieg gegen Frankreich 1870 genauso gehandelt habe. Aus diesen Ereignissen der Anfangszeit zog Bismarck seine Lehren und definierte die deutsche Rolle in Europa nochmals neu im Kissinger Diktat am 15. Juni 1877, in dem Bismarck einige seiner außenpolitischen Grundsätze formulierte. So wollte Bismarck den orientalischen Konflikt am Leben halten, damit alle anderen Staaten der deutschen Hilfe bedürfen. Außerdem galt es immer Frankreich zu isolieren und die anderen Mächte davon abzuhalten, sich mit Frankreich zu verbünden. Dazu wollte Bismarck selbst nie mit dem Deutschen Reich in den Krieg ziehen, sondern vielmehr als Vermittler wirken, falls ein Krieg ausbrechen sollte. Die Chance als Vermittler zwischen den Großmächten aufzutreten ließ nicht lange auf sich warten. Da der Druck für Bismarck zu groß wurde, entweder für die englisch-österreichische oder die russische Seite Partei zu ergreifen, lud Bismarck 1878 zum Berliner Kongress ein. Auf diesem wollte sich Bismarck als „ehrlicher Makler“[17] präsentieren, der total unvoreingenommen zwischen den Parteien vermittelt. Um dies zu erreichen und um einen erfolgreichen Ausgang des Kongresses zu garantieren, konnte Bismarck mit den Hauptbeteiligten der Orientkrise schon im Voraus eine Einigung erzielen. Außerdem legte Bismarck die Reihenfolge der Arbeitspunkte so, dass die wichtigsten und problematischsten Fragen zuerst kamen, wodurch man entweder früh Erfolg hatte oder der Kongress schon direkt bei der Kernfrage gescheitert war und die Schuld somit nicht auf den Vermittler übergehen können. Durch diese und weitere Maßnahmen, um den Kongress schnell zum Erfolg zu führen, erreichte Bismarck dann am 13. Juli 1878 eine Einigung mit allen beteiligten Staaten, die im Vertrag von Berlin festgehalten wurde. Durch diese in Europa als positiv bewertete Kongressführung erlangten Bismarck und das Deutsche Reich erstmals das Vertrauen der anderen Großmächte. Nur das Verhältnis zu Russland wurde durch die Kongressergebnisse deutlich geschwächt, da sich das Zarenreich von Deutschland hintergangen fühlte. Jedoch sah Bismarck angesichts dieses Vorwurfs keinerlei Veranlassung nun auf das Zarenreich zuzugehen sondern er wollte es „förmlich an die Seite Deutschlands und Österreich-Ungarns zurückprügeln‘“[18]. Bismarck wies dazu an, alle Vereinbarungen des Berliner Vertrages einzuhalten und forcierte nun einen Pressefeldzug gegen Russland, durch den das Dreikaiserverhältnis aufgehoben wurde und in Deutschland vor einem „deutschlandfeindlichen Kurs“[19] der russischen Regierung gewarnt wurde. Diese „Presseschlacht“ gipfelte im „Ohrfeigenbrief“ des russischen Zaren Alexander I. an den deutschen Kaiser, in dem er die deutsche Haltung als „völlige[n] Wiederspruch zu den Überlieferungen freundschaftlicher Beziehungen […], die seit mehr als einem Jahrhundert die Politik unserer beiden Regierungen geleitet hatten“[20] ansah. Dies veranlasste den deutschen Reichskanzler nun dazu, mit dem österreichisch-ungarischen Kanzler Andrássy einen Defensivbund gegen Russland auszuarbeiten, der laut Bismarck „Russland einlenken lassen […] werde“[21]. Jedoch war Kaiser Wilhelm I. zunächst weiter für einen deutsch-russischen Ausgleich, der eine Annäherung an Österreich-Ungarn nicht notwendig machte. Erst als Bismarck mit seinem Rücktritt drohte, lenkte der deutsche Kaiser, der sich zuvor schon mit dem Zaren traf, ein und am 7. Oktober 1879 wurde der Zweibund zwischen dem Deutschen Reich und der Donaumonarchie geschlossen. Der Zweibund ließ Russland letztendlich einlenken und sie schlossen eine neue Dreikaiservereinbarung nicht mehr aus. Bismarck prüfte jedoch vorerst einmal die englische Bereitschaft zu einem Anschluss an den Zweibund, welche aber nur begrenzt vorhanden war. Deshalb zog er einen zukünftigen Eintritt Russlands in den Zweibund vor.

2.3 Relative Sicherheit (1880 – 1884)

Nachdem der Zweibund geschlossen war, wollte Bismarck dadurch Druck auf Russland ausüben und sie in ein Bündnis mit Deutschland und Österreich-Ungarn einbinden. Im März 1880 war das russische Zarenreich dann auch bereit über ein neues Dreikaiserverhältnis zu verhandeln, jedoch favorisierte die Habsburgermonarchie unter dem neuen Außenminister Heinrich von Haymerle weiterhin ein Bündnis mit England. Erst als die Liberale Partei die Wahlen in England gewann und William Gladstone als Premierminister die Donaumonarchie „als ‚Feind der Freiheit‘ bezeichnet[e]“[22] war ein Bündnis mit England keine Option mehr. Da aber die neue englische Regierung eine Verständigung mit Russland antrieb, galt es für Bismarck nun auch Russland von den Vorzügen eines Dreikaiserverhältnisses zu überzeugen. Nach langwierigen Verhandlungen mit dem Zarenreich und der Habsburger Monarchie, die selbst die Ermordung des Zaren Alexander II. nicht stoppen konnte, wurde am 18. Juni der Dreikaiservertrag geschlossen. Anschließend an dieses erste Bündnis ergänzte Bismarck sein Bündnissystem am 20. Mai 1882 durch den Dreibund mit Italien und Österreich-Ungarn, welcher im Vertragsinhalt eigenständig vom Zweibund war. Der Dreikaiservertrag war in seinen Ausführungen eine Erweiterung des Dreikaiserabkommens von 1873, da dieses Mal klare Vereinbarungen festgeschrieben wurden. Dieser Vertrag schrieb vor, dass alle Beteiligten im Falle eines Krieges mit einer vierten Macht wohlwollende Neutralität üben mussten. Dazu wurden auch die Ansprüche auf die Regionen auf dem Balkan geklärt. Dieser Vertrag schuf Sicherheit für das Deutsche Reich auf dem Balkan, da man nun für keine Partei mehr Option ergreifen musste. Konträr zum Dreikaiservertrag stand der Dreibund, da auch dieser von den Beteiligten Unterstützung im Falle eines Angriffs zweier Mächte oder Frankreichs forderte. Dies wurde jedoch problematisch, wenn es zu einem Eingriff von russischer Seite kommen würde. Dazu kam noch, dass man durch den Kronprinzen Friedrich Wilhelm, der mit der Tochter der englischen Königin verheiratet war, Beziehungen zu England hegte. Mit diesem Bündnissystem, das in der Abbildung eins zu sehen ist, konnte Bismarck das Deutsche Reich in der Mitte Europas erstmals seit 1871 sichern und er kam „seiner Idealvorstellung aus Bad Kissingen schon recht nah“[23]. Dadurch wendete sich Bismarck den Innenpolitischen Problemen zu und erließ unter anderem die Sozialistengesetze mit der Kranken- und Unfallversicherung 1883 und 1884. Dazu sprach sich der 1882 auf den scheidenden russischen Außenminister Gortschakow folgende

Abb. 1: Bismarcks erstes Bündnissystem

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nikolai von Giers für eine weitere russisch-deutsche Zusammenarbeit aus. Später wendete sich Bismarck zum Teil auch der Kolonialpolitik zu, jedoch nur um ein englisches „Kolonialmonopol“ zu brechen, was Bismarck auf der Berliner Kongokonferenz 1884/1885 in kurzer Zusammenarbeit mit Frankreich gelang und um innenpolitisch den Linksliberalen nicht zu einer Parlamentsmehrheit zu verhelfen, da Bismarck unter dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm seine Entlassung und einen Systemwechsel nach englischem Vorbild fürchtete. Als 1885 der konservative Salisbury wieder zum englischen Premierminister wurde und Bismarck mit den Nationalliberalen 1884 eine Parlamentsmehrheit erreichte, beendete Bismarck seine Kolonialpolitischen Bestrebungen wieder.

[...]


[1] Andreas Rose: Deutsche Außenpolitik in der Ära Bismarck(1862-1890), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2013, S. 11

[2] Ebenda, S. 13

[3] Andreas Rose: Deutsche Außenpolitik in der Ära Bismarck(1862-1890), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2013, S. 13/14

[4] Ebenda, S. 6

[5] Ebenda S. 18

[6] Ebenda, S. 24

[7] Andreas Rose: Deutsche Außenpolitik in der Ära Bismarck(1862-1890), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2013, S. 31

[8] Ebenda, S. 12

[9] Ebenda, S. 35

[10] Ebenda, S. 49

[11] Ebenda, S. 49

[12] Andreas Rose: Deutsche Außenpolitik in der Ära Bismarck(1862-1890), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2013, S. 54

[13] Ebenda, S. 55

[14] Ebenda, S. 61

[15] Ebenda, S. 61

[16] Ebenda, S. 62

[17] Andreas Rose: Deutsche Außenpolitik in der Ära Bismarck(1862-1890), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2013, S. 72

[18] Ebenda, S. 82

[19] Ebenda, S. 82

[20] Andreas Rose: Deutsche Außenpolitik in der Ära Bismarck(1862-1890), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2013, S. 84

[21] Ebenda, S. 85

[22] Ebenda, S. 91

[23] Andreas Rose: Deutsche Außenpolitik in der Ära Bismarck(1862-1890), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2013, S. 96

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Bismarcksche Außenpolitik. Weg zum Frieden oder Aufschub eines europäischen Konflikts?
Note
1,6
Autor
Jahr
2015
Seiten
23
Katalognummer
V317775
ISBN (eBook)
9783668172128
ISBN (Buch)
9783668172135
Dateigröße
568 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bismarck, Außenpolitik, Politik 19. Jahrhundert, Bündnissystem, 19. Jahrhundert, Bismarck 1871-1890, Bismarcks Lebenswerk
Arbeit zitieren
Christian Horz (Autor:in), 2015, Die Bismarcksche Außenpolitik. Weg zum Frieden oder Aufschub eines europäischen Konflikts?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/317775

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