Die Aussatz-Thematik in der Reiseerzählung „Bei den Aussätzigen“ von Karl May. Eine Brücke zwischen dem Christentum und dem Islam?


Trabajo, 2013

15 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Interdependenz von Religion, Gesellschaft und Politik
2.1 Islam
2.2 Christentum

3. Die Aussatz-Thematik im intra- und interreligiösen Kontext zwischen Christentum und Islam

4. Die Intention Karl Mays und die Aussage seines Werkes

5. Fazit

6. Bibliographie

1. Einleitung

„Sieh ich bin einer, den alles verlassen hat. Keiner weiß in der Stadt von mir, Aussatz hat mich befallen.“[1]

Dieser Ausschnitt eines Liedes steht sinnbildlich für die Situation der von Aussatz betroffenen Menschen in der Zeit zwischen 19. und 20. Jahrhundert. Die Thematik des Aussatzes wurde zu dieser Zeit oftmals in der Literatur reflektiert und gerne zu einem zentralen Thema bestimmt.[2] Auch die Reiseerzählung „Bei den Aussätzigen“ von Karl May greift diese Thematik auf und widmet ihr eine zentrale Rolle, was bereits in der Einleitung der Erzählung deutlich wird.[3]

Zwar ist Lepra und die Thematik des Aussatzes in Europa an die Ränder des Kontinents verdrängt worden[4], die Literatur lässt diese jedoch gerne in kolonialen und exotischen Gebieten wieder auftauchen[5], welche Damaskus und Syrien zur damaligen Zeit zweifelsohne darstellen.

Wie in bereits zuvor erschienen Werken auch wirkt es jedoch nicht so als sei es Karl Mays Anliegen eine reine Abenteuergeschichte zur Unterhaltung zu entwerfen und zu verfassen.[6] Viel mehr geht er auf religiöse Werte und auch Weltanschauungen ein, welche in Verbindung mit der Aussatz-Thematik Schwächen und Stärken des Islams sowie des Christentums offenbaren.

Die Wahl meiner Quelle lässt sich damit begründen, dass ich eine Abweichung zwischen der Intention des Autors und der tatsächlichen Wirkungs- und Aussagekraft seines Werkes sehe. So sehe ich in der Reiseerzählung Indizien für den Versuch eine Brücke zwischen den zwei Kulturen und Religionen des Islam und des Christentums zu konstruieren, wobei Karl May ein großes Fachwissen und Genauigkeit bezüglich seiner Schilderungen über die Kultur und Religion des Orients nachgesagt wird.[7]

Im Verlaufe dieser Arbeit soll daher genauer untersucht werden inwieweit diese Indizien und die Intention des Autors zum Tragen gekommen sind und was für ein Bild der zwei verschiedenen Glaubens- und Kulturkreise er tatsächlich geschaffen hat. So sollen zunächst beide Religionen in ihrem Wesen und ihrer Wirkung auf die Menschen genauer beleuchtet werden, woraufhin der Fokus auf die jeweilige Art des Umgangs mit den Aussätzigen gelegt wird.

Diese Ergebnisse werden schließlich auf den vorliegenden Text bezogen und interpretiert, wodurch am Ende eine Beantwortung meiner Fragestellung, ob es dem Autor gelungen ist eine Brücke zwischen dem Islam und dem Christentum zu bilden, gewährleistet ist.

2. Die Interdependenz von Religion, Gesellschaft und Politik

Im Folgenden soll auf die Verflechtungen und Verbindungen von Religion, Gesellschaft und Politik im arabischen Islam und dem europäischen Christentum eingegangen werden. Hierbei soll herausgearbeitet werden inwieweit die Religion das gesellschaftliche oder auch politische Geschehen der Regionen im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert beeinflusst hat.

Im weiteren Verlaufe der Arbeit soll dann Karl Mays Auffassung bezüglich des Islams und des Christentums in Hinblick auf die Aussatz-Thematik mit den erarbeiteten Ergebnissen verglichen und interpretiert werden.

2.1 Islam

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist es nicht ungewöhnlich, dass sich politische, gesellschaftliche und kulturelle Thematiken im arabischen Raum mit denen der Religion überschneiden. Der Islam hat im arabischen Raum einen weitreichenden Einfluss auf die Menschen und vermischt sich deutlich mit dem gesellschaftlichen Leben.[8] Er ist gar ein Entwurf einer Gesellschaftsordnung, welche unabhängig vom menschlichen Willen und gottgegeben ist. Die Regeln des Islam sollen demnach das komplette soziale Leben der Menschen bestimmen und abgrenzen.

Der französische Historiker Alexis de Tocqueville formulierte dies zu seiner Zeit wie folgt:

„Der Mohammedanismus ist diejenige Religion, welche die beiden Machtbereiche am vollständigsten miteinader vermengt und verwischt hat...so daß alles Handeln im bürgerlichen und politischen Leben mehr oder minder vom religiösen Gesetz geregelt wird.“[9]

Es wird klar, dass es in der islamischen Gesellschaft keine Unterscheidung zwischen weltlichen und religiösen Rechtsgelehrten gab.[10] Folglich verschmolzen die Ämter des Theologen sowie des Juristen und die Rechtsprechung, Gesetze und Verurteilungen waren stark an den theologischen Richtlinien ausgerichtet. Dieser Zusammenhang wird auch deutlich im Sprachgebrauch des Islam. Bestimmte Wörter weisen teils sehr verschiedene Bedeutungen auf und können je nach Situation sehr unterschiedlich interpretiert werden. Der Begriff Scharia, was aus dem arabischen übersetzt lediglich so viel wie Recht bedeutet, transportiert gleichzeitig einen religionsgeschichtlichen Inhalt und wird damit zu einem religiösen Begriff.[11] Scharia kann im islamischen Kontext beispielsweise Recht, islamische Rechtstradition, Lebenspraxis, gesellschaftliche Praxis, Staatsautorität oder auch islamischen Kult bedeuten. Dies zeigt, dass das weltliche Recht und das göttliche Recht eng miteinander verschlungen waren und staatliche sowie religiöse Institutionen größtenteils auf die gleichen Grundlagen zurückgriffen.

Ein anderer bedeutender Fakt, welcher für Überschneidungen zwischen weltlichem und geistlichem Leben spricht, ist die Identität der religiösen und sonstigen Ausbildung. Diese weist ebenso deutliche Parallelen in Religion und Gesellschaft auf.

Der islamische Gedanke der Vollständigkeit und Endgültigkeit bezüglich Gottes Botschaft in Form der Überlieferung des Propheten Muhammad und des Koran zeigen auf, dass nicht religiöse Lebensweisen oder Lebensentwürfe schlichtweg nicht geduldet wurden.[12] So kommt man zu dem Schluss, dass der Sachverstand bezüglich des gesellschaftlichen Lebens und jener in Bezug auf Gott ein und das Selbe darstellen.[13]

Ein anderer wichtiger Punkt ist die Kolonialisierung der islamischen Länder während des 19. Jahrhunderts.[14] Die Abhängigkeit und Vorherrschaft kolonialer Mächte in wirtschaftlichen aber auch sozialen Belangen machte es der islamischen Kultur und Gesellschaft schwer eine eigene, unabhängige Entwicklung zu vollführen.[15] Gegen diese Besatzung bildete sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine politische, konstitutionelle Bewegung, deren Ziel es war die Macht der Kolonialherrscher beziehungsweise Sultane zurückzudrängen. Zwar bildeten sich unterschiedliche politische Strömungen, doch waren in diesen Debatten stets religiöse Themen vertreten.[16]

Fasst man all diese Aspekte zusammen, dann lässt sich feststellen, dass in der islamischen Welt zu Beginn des 20. Jahrhunderts religiöse, politische und gesellschaftliche Strukturen eng miteinander verknüpft waren. Die Religion nahm eine zentrale Rolle im Leben der Menschen ein, war stetig vertreten und bildete den wichtigsten Indikator beziehungsweise Maßstab für richtiges Handeln.

2.2 Christentum

In Bezug auf die Verflechtungen von Religion, Gesellschaft und Politik unterscheidet sich das Christentum des beginnenden 20. Jahrhunderts deutlich vom Islam. Man kann davon sprechen, dass die Bedeutung des Christentums und seine Stellung in der europäischen Gesellschaft und dem alltäglichen Leben der Menschen eine deutlich weniger elementare Stellung einnahm als es zur gleichen Zeit der Islam im arabischen Raum tat.

Den sicherlich entscheidendsten Faktor bei der Entzweiung zwischen Christentum und Gesellschaft spielte die Industrialisierung Europas.[17] Weitreichende Eingriffe in das alltägliche Leben der Bevölkerung waren beispielsweise das Zurückdrängen und Abschaffen vieler Feiertage zugunsten von Arbeitszeit sowie die Tatsache, dass auch sonntags gearbeitet wurde. Die Naturwissenschaft erlangte im Zuge der Industrialisierung ebenfalls eine große Wertschätzung innerhalb der Bevölkerung und avancierte schnell zu einer revolutionären, zukunftsweisenden und problemlösenden Kraft im Auge der Gesellschaft.[18] Die Menschen verlangten nach etwas Realem beziehungsweise Konkretem und drängten so, sei es bewusst oder unbewusst, die Religion und das Christentum immer weiter in den Hintergrund des sozialen Blickfeldes.

Das Christentum verlor seine zentrale Bedeutung, welche über Jahrhunderte Ausgangspunkt und Leitmotiv für das Handeln der Menschen gewesen war.[19] Diese Entfremdung zwischen Alltag und Religion zog sich durch alle Schichten der Gesellschaft und kann in ihrem Ausmaß als eine Art Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche gesehen werden. Die Kirche ihrerseits wollte sich mit dieser religiösen Entwicklung nicht abfinden und akzeptierte höchstens in gewissem Maße den gesellschaftlichen Wandel.[20] Es wurde weiterhin auf der Vorstellung behaart, dass sich die Gesellschaft in ihrem Schaffen von der Religion und der Kirche her leiten lassen müsse. Dieses wirklichkeitsferne Denken und Handeln verstärkte den Effekt der Entzweiung zwischen Kirche und Gesellschaft weiter und führte zu einer gewissen Wirkungslosigkeit der Theologie.

Ein anderer zentraler und wichtiger Punkt bezüglich des Verhältnisses von Religion zu Gesellschaft und Politik ist der Ende des 19. Jahrhunderts in Europa aufkeimende Kulturkampf.[21] In diesen Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche ging es um den Einfluss, welchen die Kirche auf das alltägliche Leben haben durfte und gleichzeitig auch inwieweit der Staat in die kirchliche Autonomie eingreifen sollte. Im Zuge des Kulturkampfes kam es zu einem Abschied von dem Ideal des religiös einheitlichen Gemeinwesens und zusätzlich zu einer durch die Industrialisierung vorangetriebenen Individualisierung der Gesellschaft. Diese Individualisierung ließ die Menschen weiter von der Kirche abrücken und minderte deren Macht weitreichend.

[...]


[1] Rilke, Rainer Maria: Das Lied des Aussätzigen. In: Medizin in der Literatur der Neuzeit. Hg. v. Dietrich von Engelhardt. Hürtgenwald: Guido Pressler Verlag 1991. S. 64.

[2] Vgl. von Jagow, Bettina: Lepra. In: Literatur und Medizin. Hg. v. Bettina von Jagow und Florian Steger. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG 2005. S. 491-498.

[3] Vgl. May, Karl: Bei den Aussätzigen. Reiseskizze von Karl May. In: Grazer Volksblatt. Weihnachtsbeilage 40 (1907) 594. S. 10, Sp. 3, Z. 1-20.

[4] Rilke, Rainer Maria: Das Lied des Aussätzigen. In: Medizin in der Literatur der Neuzeit. Hg. v. Dietrich von Engelhardt. Hürtgenwald: Guido Pressler Verlag 1991. S. 57.

[5] Vgl. von Jagow, Bettina: Lepra. In: Literatur und Medizin. Hg. v. Bettina von Jagow und Florian Steger. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG 2005. S. 495.

[6] Vgl. Bartsch, Ekkehard: Im Reiche des Padischah. In: Zwischen Himmel und Hölle. Karl May und die Religion. Hg. v. Dieter Sudhoff. Bamberg: Karl-May-Verlag 2003. S. 53.

[7] Vgl. Bartsch, Ekkehard: Im Reiche des Padischah. In: Zwischen Himmel und Hölle. Karl May und die Religion. Hg. v. Dieter Sudhoff. Bamberg: Karl-May-Verlag 2003. S. 162.

[8] Vgl. Gellner, Ernest: Leben im Islam. Religion & Gesellschaftsordnung. Stuttgart: Klett-Cotta 1985. S. 13.

[9] Gellner, Ernest: Leben im Islam. Religion & Gesellschaftsordnung. Stuttgart: Klett-Cotta 1985. S. 13.

[10] Vgl. Gellner, Ernest: Leben im Islam. Religion & Gesellschaftsordnung. Stuttgart: Klett-Cotta 1985. S. 13.

[11] Vgl. Schulze, Reinhard: Geschichte der islamischen Welt im 20. Jahrhundert. München: Beck 1994. S. 21.

[12] Vgl. Troll, Christian W.: Unterscheiden um zu klären. Orientierung im christlich-islamischen Dialog. Freiburg im Breisgau: Herder 2008. S. 32.

[13] Vgl. Gellner, Ernest: Leben im Islam. Religion & Gesellschaftsordnung. Stuttgart: Klett-Cotta 1985. S. 17.

[14] Vgl. Schulze, Reinhard: Geschichte der islamischen Welt im 20. Jahrhundert. München: Beck 1994. S. 47.

[15] Vgl. Schulze, Reinhard: Geschichte der islamischen Welt im 20. Jahrhundert. München: Beck 1994. S. 48.

[16] Vgl. Schulze, Reinhard: Geschichte der islamischen Welt im 20. Jahrhundert. München: Beck 1994. S. 50.

[17] Vgl. Seresse, Volker: Kirche und Christentum. Grundwissen für Historiker. Paderborn: Schöningh 2011. S. 237.

[18] Vgl. Greschat, Martin: Das Zeitalter der Industriellen Revolution. Das Christentum vor der Moderne. Stuttgart: Kohlhammer 1980. S. 145.

[19] Vgl. Mirow, Jürgen: Geschichte des deutschen Volkes. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 2. Auflage. Gernsbach: Katz 1996. S. 701.

[20] Vgl. Greschat, Martin: Das Zeitalter der Industriellen Revolution. Das Christentum vor der Moderne. Stuttgart: Kohlhammer 1980. S. 236.

[21] Vgl. Seresse, Volker: Kirche und Christentum. Grundwissen für Historiker. Paderborn: Schöningh 2011. S. 293.

Final del extracto de 15 páginas

Detalles

Título
Die Aussatz-Thematik in der Reiseerzählung „Bei den Aussätzigen“ von Karl May. Eine Brücke zwischen dem Christentum und dem Islam?
Universidad
University of Paderborn  (Für Germanistik und vergleichende Literaturwissenschaft)
Curso
"Unrein“? Aussätzige in der deutschsprachigen Literatur
Calificación
1,0
Autor
Año
2013
Páginas
15
No. de catálogo
V317993
ISBN (Ebook)
9783668172081
ISBN (Libro)
9783668172098
Tamaño de fichero
653 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
aussatz-thematik, reiseerzählung, aussätzigen, karl, eine, brücke, christentum, islam
Citar trabajo
Jan Neusesser (Autor), 2013, Die Aussatz-Thematik in der Reiseerzählung „Bei den Aussätzigen“ von Karl May. Eine Brücke zwischen dem Christentum und dem Islam?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/317993

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