Monstrosität im Mittelalter. Die "Melusine" Thürings von Ringoltingen


Hausarbeit, 2015

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ... 1

2. Einführung Monstrosität im Mittelalter ... 2

3. Entstehung der Melusinensage ... 4

4. Entwicklung vom Schönen zum Monströsen in der Melusine ... 5
4.1. Begegnung Reymunds mit der schönen Melusine ... 6
4.2. Das Versprechen ... 8
4.3. Wer ist die Melusine? ... 9
4.4. Die missgestaltenen Söhne ... 10
4.5. Die Entdeckung der Melusine ... 11
4.6. Reymunds Reue und die Melusine als „Tiermensch“ ... 13

5. Schlussbetrachtung ... 14

6. Literaturverzeichnis ... 16

1. Einleitung

Wenn man sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Beschäftigung mit der älteren deutschen Literatur stellt, begreift man schnell, dass die Literatur uns mit Bedeutungsmustern versorgt, die als eine Art kulturelles Mittel unsere gegenwärtige Welt begreifbar machen.1 Denkt man an das Mittelalter zurück, stellt man fest, dass der Begriff Monster unmittelbar mit dieser Zeit verbunden ist. Es gibt zahlreiche Klischees über das Mittelalter, die uns dieses als eine Zeit voller menschenfressender Riesen, Feuer spuckender Drachen oder anderer ungeheuerlicher Kreaturen beschreiben.2 Monster, Ungeheuer und Wundervölker waren im Mittelalter keinesfalls nur mythisch-märchenhafte Wesen, sondern gehörten als geglaubte Fiktion zur mittelalterlichen Vorstellungskraft. Antunes verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass auch heute die Faszination der Menschen für ungeheuerliche Kreaturen noch allgegenwärtig ist, da die Kinoindustrie im Genre Science-Fiction erfolgreicher denn je agiert. Der Begriff der Monster bot bereits im Mittelalter eine Vielzahl an Auswahlmöglichkeiten zur Definition dieser Wesen. Viele Autoren beschäftigten sich intensiv mit dieser Problematik, unternahmen jedoch selten einen Versuch, diese begriffliche Unschärfe zu beseitigen.3 Sie bieten uns letztendlich unzählige Beispiele für monströse Kreaturen, tragen jedoch nicht zu der Klärung der Definition eines Monsters bei. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die Forschung zum Begriff Monster über verschiedene Disziplinen ausgeweitet worden ist und zudem eine Vielzahl an Forschungsberichten veröffentlicht wurden. Ziel dieser Ausarbeitung ist es nicht, ein ausführliches und umfassendes Bild dieser verschiedenen Forschungsströme zu zeichnen, sondern viel mehr einen kurzen Überblick über die Grundlagen dieser Forschungen zu geben. Für die Untersuchung des Monströsen im Mittelalter wurde die Melusine Thürings von Ringoltingen ausgewählt, anhand derer ein beispielhafter Überblick über unterschiedliche Interpretationen von Monstern und Monströsem gegeben werden soll. Es soll dabei untersucht werden, inwiefern ein Kontakt zwischen Menschen und „andersartigen“ Wesen zustande kommen kann und ob es unmittelbar zu einem Konflikt innerhalb dieser Kombination kommen muss. Im Mittelpunkt der Analyse soll zudem die Herangehensweise des Autors stehen, der mit Wortwahl und Dynamik in der Erzählung genau bestimmen kann, wie und wann sich das dargestellte Wesen als Monster herausstellt und wie dieses dabei beschrieben wird. Da Monster oft mit dem Bösen gleichgesetzt werden, gilt es auch zu untersuchen, ob das Andersartige als hässlich wahrgenommen wird und in diesem Zusammenhang sogar ethisch verurteilt wird. Thürings Melusine bietet auch ohne das Vorkommen von Riesen, Drachen oder anderen animalischen Wesen einen sehr guten Einblick in das Verständnis von Monstern im Mittelalter. Die geschickte Wandlung von der schönen Melusine zu einer bösen Schlange, einem schändlichen Wurm steht dabei exemplarisch für die unterschiedlichen Auffassungen von Übernatürlichkeit und Andersartigkeit. Die Frage nach dem Monströsen in dem Werk Thürings versucht diese Ausarbeitung zu beantworten. Vor der Analyse einiger in diesem Zusammenhang elementarer Textstellen, soll zunächst der beschriebene Überblick über Monster im Mittelalter in das Thema einführen, um ein besseres Verständnis der später folgenden Textstellen zu gewährleisten. Im Anschluss daran, soll ein kurzer Exkurs zur Historie der sogenannten Melusinensage in die Thematik von Thürings Werk einführen. Ein kurzer Überblick über die Entstehungsgeschichte soll diesen Exkurs zusätzlich bekräftigen. Darauf folgend soll das Hauptaugenmerk dieser Arbeit auf der Analyse des Textes und für das Thema Monster relevante Textpassagen liegen. Diese sollen die unterschiedlichen Ansätze zur Findung eines Monstrositätskonzeptes verdeutlichen und zeigen, mit welcher Vielfalt man dem Monströsen in mittelalterlichen Texten begegnen kann. Abschließend wird in der Schlussbetrachtung bewertet, ob und inwieweit die Melusine tatsächlich als Beispiel für mittelalterliche Monstrosität dient.

2. Einführung Monstrosität im Mittelalter

Das Monster an sich kann ausschließlich über die Unfassbarkeit definiert werden.4 Ein einheitliches Monstrositätskonzept liegt nicht vor. Am häufigsten wurden jedoch die Schriften von Plinius, Augustinus und Isidors verwendet.5 Insbesondere auf Augustinus wird im Folgenden noch explizit verwiesen. Das deutsche Wort Monster und auch die etwas ältere Version Monstrum ist heute noch bekannt als Wort für Ungeheuer oder Fabelwesen. Ebenso wie die das englische Wort monster, stammen sie über das lateinischen Wort monstrum, vom lateinischen Verb monere. Das Verb monere kann mit erinnern, voraussagen oder mahnen übersetzt werden. Das Lateinische monstrum bedeutet entsprechend zunächst Zeichen oder noch genauer Wunderzeichen. Im engeren Sinne versteht man darunter, eine menschliche oder tierische Missgeburt, die durch Zeichen als Unheil verkündet wurde. Synonym dafür konnte auch der lateinische Begriff prodigium verwendet werden.6 Konträr zu dem Begriff Prodigium, gab es den Begriff der Wundervölker des Ostens. Diese Völker lebten der mittelalterlichen Vorstellung nach an den Randbezirken der bewohnten Welt und stellten ganze Rassen missgebildeter Menschen dar. In der Realität gab es natürlich wahrhaftig Mißgeburten und diese waren auch Teil der Lebenswirklichkeit der Menschen, jedoch sind die Wundervölker ein literarischer Topos, der sich mindestens bis zu Ktesias von Knidos (um 400 v. Chr.) zurückverfolgen lässt. Dieses Wissen gelangte bis in die Zeit des Mittelalters und blieb während der gesamten Epoche anerkanntes geographisches Wissen. Dies schlägt sich auch in den Hereforder und Ebstorfer Weltkarten nieder, denn an den südlichen Randgebieten waren diese Wundervölker aufgezeigt.7 Mystik und Theologie waren angehalten die Präsenz dieser Monster und Wundervölker im Kontext der Schöpfung zu erklären. Dies geschah auf zwei Arten. Auf der einen Seite wurden Monster daher in die universelle Symbolik eingeordnet. Man bezog sich dabei auf das Pauluswort und sah in allen übernatürlichen Dingen, eine moralische Bedeutung. Diese moralische Bedeutung sollte uns Tugenden oder Laster lehren und hatte zudem eine allegorische Bedeutung und symbolisierte das Übernatürliche.8 Eco verweist in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen von Hugo von St. Victor und seine Erläuterung zur Universellen Symbolik. Aber das Wort, so sagt man, bedeutet etwas anderes, je nachdem, ob man es wörtlich oder allegorisch versteht. So bezeichnet Löwe wörtlich ein Tier, allegorisch Christus.9

Jedes dieser Wesen erhält demnach eine Bedeutung durch mystische und moralische Lehren. Aus diesem Grund werden Monster Teil der göttlichen Vorsehung und es stellt sich die Frage, wie Monster, wenn sie von Gott in einen Weltenplan eingefügt worden sind, monströs sein können?10 Dieses Problem wurde vom heiligen Augustinus in seinem Werk über den Gottesstaat ebenfalls thematisiert. Augustinus galt dadurch als wichtigste Autorität zur Beurteilung der Frage, ob es Monster und Wundervölker aus christlicher Sicht tatsächlich gibt.

Aber man muß nicht glauben, daß es alle diese Menschenarten, von denen man spricht, wirklich gibt. Doch wer irgend als Mensch, das heißt als sterbliches, vernunftbegabtes Lebewesen geboren wird, mag er an Leibesgestalt, Farbe, Bewegung oder Stimme uns noch so fremdartig vorkommen, mag er Kräfte, Teile, Eigenschaften haben, welche er will, er stammt in jedem von jenem Ersterschaffenen ab […] Ebenso wie man die bei uns 7 Ebd., vorkommenden menschlichen Mißgeburten rechtfertigt, kann man auch etwaige mißgestaltete Völker rechtfertigen.11

In diesem Ausschnitt gibt Augustinus letztendlich die Sichtweise des Mittelalters vor. Missgeburten sind demnach ein Teil des für uns nicht sichtbaren Plan Gottes und nicht als Störung der Ordnung aufzufassen. Monster sind göttliche Kreaturen, die auch zur gottgewollten Ordnung der Natur gehören. Viele mittelalterliche Mystiker, Theologen und auch Philosophen bemühen sich darum zu zeigen, dass in der großen Symphonie der kosmischen Harmonien auch die Monster, sei es auch nur als Kontrast (wie die Schatten und das Helldunkel eines Gemäldes), zur Schönheit des Ganzen beitragen.12 Monster sind entsprechend nicht unnormal, sondern durch Gottes Willen auf der Welt und tragen zur Schönheit der Welt bei. Konträr dazu, entwickelte sich im Spätmittelalter eine andere Auffassung von Monstrosität. Der deformierte Körper wurde zunehmend als schuldbehaftet empfunden und verlor nach und nach den gottgewollten Status. Aber auch dies ist verbunden mit einem Widerspruch. Wenn Monstrosität als Zeichen von Sündhaftigkeit interpretiert wird, muss man das Monster als menschlich anerkennen, denn nur Menschen können schuldig werden. Daher wird vor allem im Spätmittelalter die „Monstrosität“ mancher exotischer Völker, nicht als Ausdruck von göttlicher Schöpfungskraft verstanden, sondern als Zeichen von Untugend. Monstrosität und Hässlichkeit sind nicht nur die Folge von Gottes Strafe, sondern auch die Konsequenz aus ungehorsamen menschlichen Verhalten.13

3. Entstehung der Melusinensage

Im Lexikon der Gestalten des Mittelalters wird die Melusine als mythische Ahnfrau, Dämonin, Fee, Mahrte, Meerfrau [und] Schlangenmensch14 definiert. In der Literatur verbinden sich Melusinen und andere Feen zumeist mit sterblichen Männern. Auf diese Weise wird das prekäre Verhältnis von Wunderbarem und Tatsächlichem15 diskutiert und die Grenzen der göttlichen Naturordnung16 aufgezeigt.

[...]


1 Hübner, Gert: Ältere deutsche Literatur. Eine Einführung. Tübingen 2006, S. 6.

2 Antunes, Gabriele: An der Schwelle des Menschlichen. Darstellung und Funktion des Monströsen in mittelhochdeutscher Literatur. Trier 2013, S. 1.

3 Antunes: An der Schwelle des Menschlichen, S. 5.

4 Antunes: An der Schwelle des Menschlichen, S. 25.

5 Ebd., S. 25.

6 Matuschka, M.E.v.: Monstren. In: Lexikon des Mittelalters. Bd. 6. Stuttgart 1977-1999, S. 772f..

7 Ebd., S. 773.

8 Eco, Umberto (Hrsg): Die Geschichte der Hässlichkeit, München 2007, S. 143.

9 Eco: Die Geschichte der Hässlichkeit, S. 143.

10 Ebd., S. 145.

11 Augustinus, Aurelius: Vom Gottesstaat (De civitate Die). Vollständige Ausgabe in einem Band. Buch 1 bis 10. Buch 11 bis 22. Aus dem Lateinischen übertragen von Wilhelm Thimme. Eingeleitet und kommentiert von Carl Andresen. München 2007, S. 293.

12 Eco: Die Geschichte der Hässlichkeit, S. 147.

13 Antunes: An der Schwelle des Menschlichen, S. 71.

14 Kellner, Beate: Aspekte der Genealogie in mittelalterlichen und neuzeitlichen Versionen der Melusinengeschichte. In: Genealogie als Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Kilian Heck und Bernhard Jahn, Tübingen 2000 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 80), S. 13-38, hier: S. 13.

15 Kellner: Aspekte der Genealogie, S. 13.

16 Ebd., S. 13.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Monstrosität im Mittelalter. Die "Melusine" Thürings von Ringoltingen
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
2,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
18
Katalognummer
V318045
ISBN (eBook)
9783668172265
ISBN (Buch)
9783668172272
Dateigröße
1117 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
monstrosität, mittelalter, melusine, thürings, ringoltingen
Arbeit zitieren
Janine Simon (Autor:in), 2015, Monstrosität im Mittelalter. Die "Melusine" Thürings von Ringoltingen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/318045

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