Die Soziologie Theodor W. Adornos - Dissonanzen. Einleitung in die Musiksoziologie


Dossier / Travail de Séminaire, 2004

22 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Dissonanzen
2.1 Über den Fetischcharakter der Musik und die Regression des Hörens
2.2 Die gegängelte Musik
2.3 Kritik des Musikanten
2.4 Zur Musikpädagogik
2.5 Das Altern der Neuen Musik

3. Typen musikalischen Verhaltens
3.1 Der Experte
3.2 Der gute Zuhörer
3.3 Der Bildungshörer (Bildungskonsument)
3.4 Der emotionale Hörer
3.5 Der Ressentiment-Hörer (Musikant)
3.6 Der Jazzexperte und der Jazzfan
3.7 Der Unterhaltungshörer

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In dieser Arbeit beschäftige ich mich mit der Musiksoziologie Theodor W. Adornos. Dabei wird ein Fokus auf die Dissonanzen sowie auf die Typologie der Hörer, die Adorno in seiner Einleitung zur Musiksoziologie erstellt, gelegt. In den Dissonanzen übt Adorno Kritik an der gesellschaftlichen Situation[1] der Musik und des gesellschaftlichen Umgangs mit Musik. Auf diese Kritik soll eingegangen werden indem ich versuche, die Kernaussagen der einzelnen Abschnitte der Dissonanzen zu extrahieren und im Gesamtkontext Adornos Philosophie zu reflektieren.

Adornos Kritik an den herrschenden Verhältnissen in der Musiklandschaft kulminiert und wird auf den Punkt gebracht in der Typologie der Hörer. Aus diesem Grunde beschäftige ich mich im zweiten Teil dieser Arbeit mit eben dieser durch Adorno vorgenommen Hörertypologie.

In seiner Analyse verfährt Adorno normativ.[2] Die Musik und das Musikgeschehen werden mit Werturteilen versehen, beispielsweise wird in gute (neue Musik) und schlechte (leichte) Musik unterschieden. Dieser normative Ansatz rührt daher, dass Adorno keinesfalls eine bloße Beschreibung der musikalischen Landschaft vornehmen will. Vielmehr will Adorno ergründen, warum die Verhältnisse so sind und weshalb es unterschiedliche Arten im Umgang mit Musik gibt. Auf diese Weise wird Musik dann vor dem Hintergrund der dialektischen Philosophie der Aufklärung betrachtet, die so wichtig ist für Adornos Verständnis von Gesellschaft. Denn eine bloße Beschreibung der Verhältnisse liefert keinen normativen Rahmen für eine Veränderung der Verhältnisse.

2. Dissonanzen

Adorno selbst charakterisiert die Intention der in den Dissonanzen zusammengefassten Texte folgendermaßen: „Sie gelten dem, was der Musik in der verwalteten Welt widerfährt, unter Bedingungen planender, organisierender Erfassung, die der künstlerischen Freiheit und Spontaneität die gesellschaftliche Basis entziehen.“[3]

Der Text „Über den Fetischcharakter der Musik und die Regression des Hörens“ entstand aus Adornos Tätigkeit beim Princeton Radio Research Project heraus, dessen musikalischen Teil er leitete. Dieser Text wurde im Sommer 1938 verfasst. Die „Gegängelte Musik“ entstand im Sommer 1948. Die dort geäußerte Kritik ist insbesondere vor dem Hintergrund der sozialistischen und kommunistischen Ostblock-Diktaturen zu verstehen. Anfang der 50er Jahre entstand die „Kritik des Musikanten“ im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit der musikalischen Jugendbewegung[4] respektive einem derer führenden Vertreter Erich Doflein. In Fortsetzung Adornos Kritik an der musikalischen Jugendbewegung wurde im Dezember 1957 der Aufsatz „Zur Musikpädagogik“ veröffentlicht. Im weiteren Verlauf wurde zu diesem Thema noch die „Tradition“ 1960 und 1961 veröffentlicht – auf diesen Text werde ich in dieser Seminararbeit jedoch nicht weiter eingehen. Die Dissonanzen schließen mit dem „Altern der neuen Musik“, ursprünglich ein Vortrag, gehalten im Süddeutschen Rundfunk im April 1954.

2.1 Über den Fetischcharakter der Musik und die Regression des Hörens

Adorno beklagt, dass die Kunst, respektive die Musik, ihren autonomen und damit wahren Charakter verloren habe.[5]

Das adornosche Paradigma der Kunst im Allgemeinen und der Musik im Speziellen, sieht vor, dass die Kunst keinen eigentlichen Zeck haben darf. Eben durch ihre Zwecklosigkeit erfüllt die Kunst ihre gesellschaftliche Funktion, nämlich die, aufzubegehren gegen das Schlechte der Gesellschaft. Die Kunst muss kritisieren und darf nicht bloß wohlgefällig daherkommen. In dem Moment, wo der Kunst ein bestimmter Zweck zugeschrieben wird, verliert sie ihre Autonomie und damit ihren Wahrheitsgehalt.

Das Problem, das sich in diesem Kontext für die Musik ergibt, ist jenes der Instrumentalisierung, insbesondere und vornehmlich durch die Kulturindustrie. D.h. die Kunst hat größtenteils ihren autonomen Charakter dadurch verloren, dass sie dem Zweck der Unterhaltung der Massen und dem kapitalistischen Interesse der Unterhaltungsmusik-Produzierenden dient und dadurch jedes kritische und wahre Element verliert. Jedoch ist das Unterhaltsame der so missbrauchten Musik zweifelhaft: „[es] ließe sich fragen, wen die Unterhaltungsmusik noch unterhalte.“[6]

Die Unterhaltungsmusik, die leichte Musik, kann nicht mehr unterhalten, da sie nicht mehr zur Unterhaltung, im Sinne von Genuss, taugt, indem sie den Massen einen Genuss vorgaukelt, den sie ihnen aber durch die ihr inhärente Widersprüchlichkeit vorenthält. Den Massen wird vorgegaukelt, dass sie durch die Musik unterhalten werden, aber nur, um sie in ihrer Unterdrückung und Unmündigkeit gefangen zu halten. Die Massen wissen gar nicht, was es eigentlich zu genießen gäbe. Durch den Anschein des Genusses wird ihnen jedoch die Chance auf den wahren Genuss genommen. Insofern verschuldet die Kulturindustrie eine Vereinheitlichung und Verflachung der Musik. Durch die Verflachung der Musik sieht Adorno den Hörer von der Verpflichtung zum Denken entbunden.[7] Indem der leichten Musik der Wahrheitsgehalt abhanden gekommen ist, gibt es an ihr auch gar nichts mehr zu Denken. Sie dient lediglich noch dem vordergründigen Schein, der Unterhaltung der Massen, um diese in deren Unmündigkeit und Unfreiheit des Denkens gefangen zu halten, solcherart, dass diese ihre Unfreiheit gar nicht als solche begreifen, sondern auch noch begeistert aufnehmen. Die solcherweise Genießenden werden also um sich selber betrogen.[8]

Den Massen wird somit ein passiver Konsum leichter Musik anerzogen. Jedoch ist es gerade diese Passivität, welche die Massen in ihrem (von ihnen nicht wahrgenommenen) Elend verharren lässt. Durch das Erstarren in Passivität, in einer Haltung des gedankenlosen Konsums des von Oben vorgesetzten, berauben diese passiven Konsumenten sich selber der Möglichkeit zu wahrer Freiheit zu gelangen und zu begreifen, dass sie doch nur Gefangene ihrer blinden Konsumhaltung sind. Es bleibt allerdings fraglich, inwieweit dieser Zustand auf das eigentliche Unvermögen der Massen zurückzuführen ist oder inwieweit dieser Zustand durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, i.e. Kulturindustrie und die Herrschenden forciert wird.[9]

Allerdings beschränkt sich dieser Zustand keinesfalls mehr nur auf die leichte Musik! Auch die ernste Musik, die seriöse Musik, unterliegt einer Deprivation und Fetischisierung. Die Verarmung der seriösen Musik kommt dadurch zustande, dass es eine bestimmte Auswahl an Werken gibt, die wiederholt aufgeführt werden. Und diese Auswahl erfolgt nicht anhand von Qualitätskriterien, sondern richtet sich nach dem Publikumsgeschmack bzw. der Wirksamkeit der Werke: „das Bekannteste ist das Erfolgreichste“[10]. Und genau in diesem Punkt ist auch die ernste Musik auf dem Niveau der leichten Musik angekommen, genau in diesem Punkt wird auch die ernste, seriöse, Musik durch den Betrieb der Kulturindustrie vereinnahmt. Denn dadurch, dass lediglich die Wirkung, d.h. die Effekte, der äußere Schein der Werke in den Vordergrund gerückt wird, verlieren die Werke ihren Wahrheitsgehalt, da es nicht mehr auf ihr Inneres, ihre Struktur, ihr Ganzes ankommt.[11]

Zur Fetischisierung kommt es einerseits dadurch, dass die Hörer danach trachten, bestimmte Teile des Gehörten mitzunehmen, zu ihrem Eigentum zu machen. Dieses Verhalten manifestiert sich darin, wenn der Hörer eine bestimmtes Melodie, ein einzelnes Motiv, einer Symphonie pfeift, es damit zu seinem Eigentum macht, es damit aber zugleich dem Gesamtzusammenhang des Werkes entreißt und somit nur noch „Trümmer“[12] des ursprünglichen Werkes verbleiben. Indem ein Werk auf bestimmte eingängige Melodien reduziert wird, wird es seiner Ganzheit, seines wahren Charakters beraubt und zu einer bloßen Dinglichkeit degradiert. Durch eine Verdinglichung der Musik, einer Reduzierung dieser entweder auf bloße Fassade oder vom Gesamtsinn losgelöster Melodien, wird die Musik zerstört.

Andererseits kommt es zur Fetischisierung der seriösen Musik dadurch, dass sie in einem vollständig von der Kulturindustrie dominierten Apparat ihrer Freiheit beraubt wird und sich nicht mehr entfalten kann. Es gibt starre Aufführungsrituale derer die Musik sich unterordnen muss. Der Sinn der Musik wird gegenüber der, wie auch immer gearteten, Werkstreue in den Hintergrund gerückt. Durch diese prädisponierten Aufführungsgepflogenheiten wird die Spontaneität, durch die sich der wahre Charakter und die Einheit eines Werkes ausdrückt, unterdrückt. Es kommt zu einer Fixierung durch die sich das Werk nicht mehr in seiner Wesensart entfalten kann. Indem das sinfonische Werk bis in letzte Detail prädisponiert ist, wird der Musik jegliches Spannungsmoment genommen.[13]

Die Kulturgüter werden also ebenfalls dem Primat des Tauschwertes untergeordnet. Allerdings wird der Schein eines Gebrauchswertes aufrecht erhalten, um in der durchkapitalisierten Gesellschaft zu bestehen. Jedoch wird durch das Herbeiführen selbst nur einer Illusion eines Gebrauchswertes der wesentliche Kern aller Kulturgüter ad absurdum geführt, da sie ja eben nicht einem Gebrauchswert verpflichtet sind, sondern ihre Berechtigung aus ihrer prinzipiellen Nutzlosigkeit ziehen.

[...]


[1] Die Texte entstanden in den 40er bis 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Vgl. Kapitel 2 dieser Arbeit.

[2] Vgl. zu einer konträren Position z.B.: Silbermann, Alphons: Empirische Kunstsoziologie – Eine Einführung mit kommentierter Bibliographie, Stuttgart 1973.

[3] Adorno, Theodor W.: Dissonanzen Einleitung in die Musiksoziologie, Frankfurt 2003 (1962), S. 9.

[4] Vgl. zu diesem Thema z.B.: Abel-Struth, Sigrid (Hrsg.): Jugendbewegung und Musikpädagogik, Mainz 1987.

[5] Vgl. Adorno, Theodor W.: Über den Fetischcharakter der Musik und die Regression des Hörens, in: Ders.: Dissonanzen Einleitung in die Musiksoziologie, Frankfurt 2003 (1962), S. 15 und Horkheimer, M. / Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung – Philosophische Fragmente, Frankfurt 2003 (1944), S. 166f.

[6] Adorno, Theodor W.: Über den Fetischcharakter der Musik und die Regression des Hörens, in: Ders.: Dissonanzen Einleitung in die Musiksoziologie, Frankfurt 2003 (1962), S. 15.

[7] Vgl. ebenda, S. 17f.

[8] Vgl. ebenda, S. 19.

[9] Vgl. ebenda, S. 20f.

[10] Ebenda, S. 22.

[11] Vgl. ebenda, S. 22.

[12] Ebenda, S. 27.

[13] Vgl. ebenda, S. 31f.

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Die Soziologie Theodor W. Adornos - Dissonanzen. Einleitung in die Musiksoziologie
Université
University of Trier  (Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie)
Note
1,0
Auteur
Année
2004
Pages
22
N° de catalogue
V31845
ISBN (ebook)
9783638327374
Taille d'un fichier
501 KB
Langue
allemand
Annotations
Interpretation Adornos Musiksoziologie vor dem Hintergrund des adornoschen Begriffs der Kulturindustrie.
Mots clés
Soziologie, Theodor, Adornos, Dissonanzen, Einleitung, Musiksoziologie
Citation du texte
Felix Scholzen (Auteur), 2004, Die Soziologie Theodor W. Adornos - Dissonanzen. Einleitung in die Musiksoziologie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31845

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