Goethes Novellen. Betrachtet in Hinblick auf die Novellentheorie des 18. und 19. Jahrhunderts


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2014

16 Pages, Note: 2

Lisa Gebauer (Auteur)


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Giovanni Boccaccio

3. Deutsche Novellendefinitionen
3.1 Wieland,Schlegel,Schiller,Goethe
3.2 Heyse

4.GoethesNovellen
4.1 UnterhaltungendeutscherAusgewanderten
4.3 DieWahlverwandtschaften
4.2 DieNovelle

5.Fazit

6.Literaturverzeichnis
6.1 Primärliteratur
6.2 Sekundärliteratur

1. Einleitung

„Wissen Sie was“, sagte Goethe, „wir wollen es Die Novelle nennen, denn was ist eine Novelle anders als eine sich ereignete unerhörte Begebenheit. Die ist der eigentliche Begriff und so vieles, was in Deutschland unter dem Titel Novelle geht, ist gar keine Novelle, sondern bloß Erzählung oder was Sie sonst wollen. In jenem ursprünglichen Sinne einer unerhörten Begebenheit kommt auch die Novelle in den Wahlverwandtschaften vor.“1

Johann Wolfgang von Goethe, der wohl bekannteste deutsche Dichter unserer Zeit, definierte die Novelle am 29. Jänner 1827 mit diesen Worten. Gleichzeitig hatte er damit den Titel für seine Erzählung in Prosaform gefunden: Novelle. Bereits zuvor näherte sich Goethe dieser literarischen Gattung an. Seine Novellensammlung mit dem Titel Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten vom Jahre 1795 aber auch der Novellenroman Die Wahlverwandtschaften (1809) kann man laut der bis dato vorhandenen Sekundärliteratur als seine Prototypen der Novelle ansehen. Auch in dem im Jahre 1821 erstmals veröffentlichten Werk Wilhelm Meisters Wanderjahre sind Novellen zu finden. Doch ob die deutsche Novelle nun tatsächlich mit Goethe beginnt, ist gar nicht so leicht zu sagen. Um diese Frage zu beantworten sollte man sich von gattungsgeschichtlichen Aspekten lösen und überlegen, ob man die ästhetischmoralischen Forderungen von Goethe für die literarische Rezeption als verbindlich ansehen sollte oder nicht.2 Um diese Entscheidung treffen zu können, muss man also auch andere Meinungen zu den differenzierten Aspekten, die eine Novelle als solche beschreiben, betrachten. Man würde wohl nicht von einer Novellentheorie sprechen, hätte sich nur Goethe überlegt was eine Novelle ausmacht. Literaten wie Christoph Martin Wieland, welcher von einer Simplizität des Plans 3 spricht, und August Wilhelm Schlegel der die Gattung definiert, indem er nach merkwürdigen Begebenheiten 4 sucht, sind nur ein kleines Beispiel dafür, wie unterschiedlich die Auffassung der Merkmale dieser Gattung sind. Doch auch die Betrachtung einer bekannten und etwas jüngeren Definition, die von Paul Heyse, darf in einer Arbeit wie dieser nicht fehlen. Seine Ansichten zur Novelle hat er 1871 in der Einleitung des von ihm gemeinsam mit Herman Kurz herausgegebenen Deutschen Novellenschatzes dargelegt. In Anspielung an Giovanni Boccaccios Dekameron, auch Falkennovelle genannt, in welcher man den Falken modern ausgedrückt als Hauptfigur bezeichnen könnte, sieht Heyse den Falken als Sinnträger und novellistische Pointe zu gleich - und genau so ein Dingsymbol soll laut Heyse eine gute Novelle haben.5 Was muss ein Text also aufweisen, dass man ihn als Novelle bezeichnen kann? Und warum bezeichnen moderne Literaten ältere Werke als Novelle? Um den Versuch starten zu können, diese Fragen zu beantworten, muss ich den gewaltigen Sektor der Novellen stark einschränken und möchte mich in der vorliegenden Arbeit hauptsächlich mit Goethes Novellen beschäftigen und seine eigene, die seiner Zeitgenossen und auch modernere Definitionen an Hand ausgewählter Texte näher betrachten.

2. Giovanni Boccaccio

Was ist eine Novelle? Diese Frage ist nicht mit einem Satz zu beantworten und auch die Suche nach einer Definition könnte sich mit der heute vorliegenden Literatur als schwierig erweisen, denn viele namhafte Dichter und Lyriker haben versucht zu klären, welche Merkmale und Traditionen eine Novelle aufweisen kann. Somit sollte man nicht einfach eine Definition als die richtige heranziehen. Viel mehr gilt es mit weitem Blick auf die Novellentheorie der letzten Jahrhunderte zu sehen, um sich einen Überblick über die imposante Theorie der deutschen Novelle zu schaffen.

Um vom Ursprung der Novelle erzählen zu können, muss man eine Zeit durchleuchten, welche um einiges weiter zurück liegt als der Moment der Hochblüte der Novelle. Das „ZehnTage-Werk“ - Il Decamerone - vom italienischen Schriftsteller Giovanni Boccaccio gilt im Großteil der Sekundärliteratur als das Vorbild der darauffolgenden Novellensammlungen. Eine neue Ära beginnt nun, welche sich von den mittelalterlichen Novellen mit der Pointierung auf den mittelalterlichen Ordo und dem kirchlichen Pastoral, zu Herzenswahrheiten, Innerlichkeit und Subjektivität hinentwickeln.6 Boccaccio erzählt im Dekameron, der vermutlich zwischen 1349 und 1353 entstand, von sieben jungen Frauen und drei jungen Männern, welche sich auf einem Landgut in der Nähe von Florenz zehn Tage lang Geschichten erzählen. Die Gruppe flüchtet vom Pestschrecken in diese Idylle, um nach selbstbestimmten Regeln zu leben. Die neunte Geschichte im Dekameron ist für die Novellentheoretiker der späteren Zeit nicht mehr wegzudenken: Die Falkennovelle

Die Geschichte handelt vom Ritter Federigo, der sich unsterblich in die edle Dame Giovanna verliebt. Federigo verliert sein ganzes Hab und Gut, um ihr seine Liebe mit Geschenken zu zeigen. Schließlich bleibt ihm nur noch sein Haus und sein Falke. Nachdem Giovannas Gatte stirbt, zieht sie mit ihrem kleinen Sohn auf ein Landgut, und wird somit zu Federigos Nachbarn. Der Sohn der Dame findet großen Gefallen an den Künsten des Falken und wird krank. Er bittet seine Mutter Federigo zu fragen, ob er denn den Falken haben dürfe, denn so würde er bestimmt schnell wieder gesund werden. Die besorgte Mutter bittet also Federigo sie zum Mittagessen einzuladen, um ihn dann nach dem Falken fragen zu können. Federigo ist hoch entzückt über diesen Vorschlag und möchte die Dame standesgemäß bewirten, tötet den Falken und serviert ihn zum Mittagessen, weil er diese Speise für die beste hält um um sie zu werben. Nach dem Essen meint Giovanna, dass sie in Wirklichkeit gekommen sei, um den Falken für ihren Sohn zu holen. Federigo bricht in Tränen aus und erklärt, dass sie beide den Falken soeben verspeist haben. Giovanna ist gerührt, kehrt aber jedoch mit großer Sorge zu ihrem kranken Sohn zurück. Wenig später verstirbt und Giovanna beschließt Federigo zu heiraten, weil er sogar bereit war, ihr seinen größten Besitz - den Falken - zu opfern. Zusammen leben sie nun ohne Geldsorgen, da Giovanna das Erbe ihres Mannes durch den Tod des Sohnes geerbt hat.

Der Falke gilt als mittelalterliches Symbol der Liebe, aber ist auch bereits seit der Antike jener Vogel, der dem Licht zustrebt, Symbol der Sonne und des Lichtes ist, und somit als Lebenssymbol angesehen wird.7 Da in der Geschichte ebenso der Tod eine größere Rolle spielt, könnte dem Falken auch das Unglückssymbol zugeordnet werden, da durch den Tod des Falken der Knabe stirbt. Doch er würde in der Literatur wohl nicht als Lebenssymbol gelten, würde er auch nicht zugleich Glückssymbol sein - hätte Federigo den Falken nicht gehabt und getötet, wäre er wohl nie mit Giovanna zusammengekommen. Erst wieder in der Romantik erzählen Novellen von solch extremen Gegenteilen, Abgründe und Nachtseiten, aber auch von Höhenflügen und Grenzen des Alltag.8 Während in den mittelalterlichen novellenähnlichen Texten die Liebe noch nicht ganz so groß geschrieben wird, steigert sich mit Boccaccio die Gefühlsintensität immens. Auch das symbolisiert also der Falke: die Liebe. Die starken Gefühle zu Giovanna veranlassen Federigo den Falken zu töten, er verliert alles. Dadurch verliebt sich Giovanna jedoch in Federigo und der Ritter gelangt wieder zu Reichtum9. Man könnte die Liste der Symbole des Falken noch sehr weit fortsetzen, haben doch schon so viele Menschen über diese Novelle nachgedacht. Heute gilt sie als ein Muster für diese Gattung, doch auch Goethe erkannte seiner Zeit, rund 400 Jahre später, den Wert dieser Geschichte. Im Jahre 1776 fasste Goethe den später wieder verworfenen Plan, eine Novelle nach dem Modell des Dekameron Boccaccios zu schreiben. Es liegt deshalb Nahe, dass er mit dem später genannten Novellenmerkmal, die unerhörte Begebenheit, auch an jene Novelle dachte10.

3. Deutsche Novellendefinitionen

3.1 Wieland,$Schlegel,$Schiller,$Goethe$

Erst spät, nämlich am Ende des 18. Jahrhunderts, setzten dann auch in Deutschland mehrere, ernst gemeinte Versuche einer Adaption einer Novelle ein. Meist waren die Versuche der Schriftsteller verbunden mit dem theoretischen Erfassen, denn die Gattung der Novelle war nicht nur für die Bürger und Bürgerinnen eine neue Form, sondern eben auch für die Autoren.11 So versucht beispielsweise Wieland, der schon 1780 seine Kollegin Sophie von La Roche um neu geschriebene, deutsche Novellen für seine Literaturzeitschrift Der teutsche Merkur bat12, die Novelle als kurz und mit einem Roman auf Grund der Simplizität des Plans nicht zu vergleichende Textsorte, zu charakterisieren. Somit sind zwar eher allgemeine, aber formale Merkmale einer Novelle bekannt, an welche dann andere Schriftsteller weiterarbeiten konnten.13 Zehn Jahre nach Goethes Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten schrieb auch Wieland eine Novelle im Stil der Rahmenerzählung Boccaccios, Das Hexameron von Rosenhain. Auch hier erzählen sich Damen und Herren einer belesenen Gesellschaft Geschichten, die sich aber im Gegensatz zu Boccaccios und Goethes Rahmenhandlung nicht in einer Notlage befinden (Pest bzw. der Ausbruch der Französischen Revolution), sondern gesellig beisammen sitzen wollen, und sich zum Zeitvertreib Geschichten erzählen. In den Vorgesprächen der Erzählenden ist ausdrücklich von Novellen die Rede, und auch eine Novellendefinition ist zu finden, so lässt Wieland die Figur Herr M. sprechen:

[...]


1 Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. 1823 - 1832, Leipzig

2 Vgl. Wolfang Rath: Die Novelle, 2. Auflage, Göttingen (UTB) 2000, S. 101.

3 Vgl. Herbert Krämer: Theorie der Novelle. Arbeitstexte für den Unterricht, 1. Auflage, Stuttgart (Reclam) 1999, S. 9.

4 Vgl. Christoph Strosetzki: August Wilhelm Schlegels Rezeption spanischer Literatur, in: Der Europäer A. W. Schlegel, hg. v. Jochen Strobel, Berlin (de Gruyter) 2010, S. 143 - 159, hier: S. 152.

5 Vgl. Elena Wassmann: Die Novelle als Gegenwartsliteratur, 1. Auflage, St. Ingbert (Röhrig) 2009, S. 60.

6 Vgl. Wolfang Rath: Die Novelle, 2. Auflage, Göttingen (UTB) 2000, S. 67.

7 Vgl. ebd., S. 69.

8 Vgl. Winfried Freund: Novelle, erweiterte und bibliographisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart (Reclam) 2009, S. 91f.

9 Vgl. Wolfang Rath: Die Novelle, 2. Auflage, Göttingen (UTB) 2000, S. 70.

10 Vgl. Burkhard Meyer-Sickendiek: Affektpoetik. Eine Kulturgeschichte literarischer Emotionen, 1. Auflage, Würzburg (Königshausen & Neumann) 2005, S. 321.

11 Vgl. Winfried Freund: Novelle, erweiterte und bibliographisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart (Reclam) 2009, S. 11.

12 Vgl. Wolfang Rath: Die Novelle, 2. Auflage, Göttingen (UTB) 2000, S. 83.

13 Vgl. Winfried Freund: Novelle, erweiterte und bibliographisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart (Reclam) 2009, S. 11.

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Goethes Novellen. Betrachtet in Hinblick auf die Novellentheorie des 18. und 19. Jahrhunderts
Université
University of Innsbruck  (Germanistik)
Note
2
Auteur
Année
2014
Pages
16
N° de catalogue
V319143
ISBN (ebook)
9783668182905
ISBN (Livre)
9783668182912
Taille d'un fichier
1339 KB
Langue
allemand
Mots clés
Johann Wolfgang von Goethe, Novelle, literarische Gattung
Citation du texte
Lisa Gebauer (Auteur), 2014, Goethes Novellen. Betrachtet in Hinblick auf die Novellentheorie des 18. und 19. Jahrhunderts, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/319143

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