“Our words seem small beside the loss you have endured”. Rhetorische Vergleichsanalyse der nationalen Trauerreden zum Oklahoma Bombing von Bill Clinton und der "Tucson Memorial Speech" von Barack Obama


Term Paper (Advanced seminar), 2010

19 Pages, Grade: 1,3


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die presidential eulogy
2.1. Begründung des rhetorischen Genres
2.2. Rhetorische Merkmale der national eulogy

3. Clinton
3.1. Das Oklahoma-Attentat
3.2. Die Oklahoma Bombing Memorial Prayer Service Address
3.3. Reaktion auf die Rede

4. Obama
4.1. Das Tucson-Attentat
4.2. Die Tucson Memorial Speech
4.3. Reaktion auf die Rede

5. Vergleich der Reden

6. Fazit

7. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Wenn ein Mensch stirbt, wird bei seiner Trauerfeier eine Rede gehalten. Der Redner preist den Gestorbenen und versucht, die Hinterbliebenen zu trösten. In einem weitaus größeren Umfang hat sich diese Tradition nach Staatstragödien mit zahlreichen Opfern etabliert: Das Regierungsoberhaupt wendet sich an die Nation und versucht, das Ereignis in Worte zu fassen und das Volk in seiner Trauer zu einen. Beispiele für Trauerreden von USPräsidenten sind diese von Clinton und Obama, die in den Medien sehr gelobt wurden. Bill Clinton sprach am 23. April 1995 nach dem Anschlag auf ein Regierungsgebäude in Oklahoma, Barack Obama am 12. Januar 2011 in Tucson, anlässlich des Attentats auf die US-Politikerin Gabrielle Giffords. Die Umstände beider Reden sind sehr ähnlich. Sowohl Clinton als auch Obama gehören der Partei der Demokraten an und sind zum Zeitpunkt der Rede in einer innenpolitisch schwierigen Situation. 1994 hatten die Republikaner unter der Führung von Newt Gingrich die Mehrheit im Senat errungen, Clintons Populariät war auf einem Tiefpunkt. Barack Obama sieht sich 2011 mit Sarah Palin und der Tea Party konfrontiert. Zudem wurden beide Anschläge als Angriff auf die Demokratie gewertet. Clinton und Obama standen somit mit ihren jeweiligen Reden vor der Aufgabe, sowohl Trauer zu spenden und den Schock der Menschen in Worte zu fassen als auch das Land zu einen.

Hauptaufgabe dieser Arbeit soll es sein, mit Hilfe einer Analyse der Reden herauszufinden, ob und mit welchen Mitteln ihnen dies gelungen ist. Zu Beginn werde ich dazu den theoretischen Hintergrund der presidential eulogy beleuchten. Anschließend wende ich mich, der Chronologie folgend, zunächst Clintons Rede zu, indem ich sie in einem einleitenden Überblick historisch einordne und daraufhin einer konkreten Analyse unterziehe. Im Anschluss werde ich Obamas Rede kontextualisieren und detailliert betrachten. Es folgt eine Gegenüberstellung und ein abschließendes Fazit.

2. Die presidential eulogy

2.1. Begründung des rhetorischen Genres

Nach einem traumatischen Ereignis, dass das Leben einer Nation verstört, erfüllt die nationale Trauerrede das Bedürfnis der Gemeinschaft nach Trost. Durch den Tod werden sich die Menschen der eigenen Sterblichkeit bewusst. Die Hauptaufgabe des Redners ist es deshalb, den Trauernden Trost zu spenden.

The members of the audience, pained by a sense of loss, are forced into brutal confrontation with their own mortality. Even if the speaker has never heard or read a eulogy, he will, if he is not an insensitive clod, deliver eulogistic rhetoric. The situation demands it. The audience expects it.[1]

Das gewählte Staatsoberhaupt muss den Erwartungen der Zuhörer gerecht werden. “He is the person who can express our sorrow, all our fears, and reassure us that events such as this one will not be allowed to imperil our democracy.”[2]

Kathleen Hall Jamieson und Karlyn Kohrs Campbell haben sich intensiv mit der presidential eulogy als einer eigenen Gattung der Rhetorik auseinandergesetzt und den Begriff national eulogy geprägt.

We have chosen 'national eulogy' as the name for this genre to capture its unique blend of eulogistic content and elements that reconstitute the nation. National eulogies are addresses to the nation about the meaning of events that have shaken the citizenry. Whereas the inaugural reconstitutes the audience as the people, when successfull, the national eulogy transforms the wounded polity into a resilient nation.[3]

Die national eulogy ist ein „[...] comparatively recent genre“[4].[5] Jamieson und Campell charakterisieren sie als eine rhetoric hybrid, eine Mischform aus Aristoteles' drei Redegattungen, der Lob-, Gerichts- und der Parlamentsrede. Sie ist durch mindestens zwei Charakteristika gekennzeichnet: “Such fusion is rule governed“[6] und “identification of different generic elements and occasionally of whole genres within such acts allows the critic to understand how such acts work, and to predict their appearance”[7].

Weiterhin werden vier Unterschiede zur individuellen Trauerrede aufgezeigt: Zum Einen nimmt der Präsident eine vermittelnde Rolle ein. Priesterähnlich spricht er die aus einzelnen Individuen bestehende Nation auf einer persönlichen Ebene an. In dieser Funktion betet er im Namen des Volkes, fordert die Zuhörenden auf, mit ihm zu beten, und spricht zu der Nation über den Glauben in sich selbst und in Gott. Weiterhin gibt er dem Ereignis einen Sinn „[...] by helping the citizenry to come to terms with calamity, evil, or terrorism, and to see these events in larger, ongoing national perspective, and by addressing such questions as why the tragedy happened and what meaning it has for the nation.“[8] Die nationale Trauerrede vermittelt, dass die Toten das Beste der Nation symbolisieren. Das Staatsoberhaupt wandelt im Laufe der Rede Symbole der Zerstörung in Symbole der Auferstehung und Erneuerung um. Zudem erläutert der Redner, wie die Regierung sicherstellen wird, dass sich eine solche Tragödie nicht wiederholt. Somit erfüllt eine national eulogy fünf Funktionen:

Acknowledge the death,transform the relationship between the living and the dead from present to past, ease the mourner's terror at confronting their own mortality, console them by arguing that the deceased lives on, re-knit the community.[9]

2.2. Rhetorische Merkmale der national eulogy

Ronald Carpenter und Robert Seltzer untersuchten das oft verwendete rhetorische Mittel der Wiederholung in der politischen Trauerrede.[10] Diese wird genutzt, um die Zuhörer zur Handlung zu motivieren, oder um die Gestorbenen zu ehren. Zudem enthält die nationale Trauerrede Elemente der individuellen Trauerrede. Ein wichtiger Aspekt sind bildliche Ausdrücke; auf die Macht der Symbole weisen Campbell und Jamieson hin.[11] Diese kreieren eine politische Identität des Volkes. Besonders nach terroristischen Anschlägen, bei denen die Opfer als Symbol der Nation ausgewählt wurden, werden die Toten als Metaphern der Courage und der Entschlossenheit dargestellt. Die Realität in der nationalen Trauerrede wird so konstruiert, dass der Tod der Opfer eine Umwertung erfährt, „because the terrorists have made those who died and the places where they died symbols of something larger.“[12]

3. Clinton

3.1. Das Oklahoma-Attentat

Am 19. April 1995 gegen 9 Uhr morgens explodierte vor dem Alfred P. Murrah Federal Building in Oklahoma City eine Autobombe. 168 Menschen starben, mehr als 600 wurden verletzt. Das Gebäude, der Sitz mehrerer Regierungsbehörden, wurde nahezu vollständig zerstört. Es war zu dem Zeitpunkt der verheerendste Angriff auf die Zivilgesellschaft der USA. Die Erkenntnis der Verwundbarkeit durch Terror war ein Schock für die ganze Nation. Das Datum hatte symbolische Bedeutung; es war der Jahrestag der Gefechte von Lexington und Concord, der ersten Kämpfe des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs 1775.[13] Zudem kamen am 19. April 1993 im Zuge der Räumung der Branch-Davidianer Sekte durch das FBI 82 Sektenmitglieder ums Leben. Die Motive des Verantwortlichen USAmerikaners Timothy McVeigh waren Menschenhass und eine rechtsextreme Gesinnung. Der damals 26-jährige Veteran aus dem Zweiten Golfkrieg war gemeinsam mit zwei weiteren Mittätern Mitglied der so genannten „Michigan-Miliz“, einer regierungsfeindlichen, bewaffneten Vereinigung. Er wurde zum Tode verurteilt und im Juni 2001 hingerichtet.

Am 23. April 1995 hielt Präsident Bill Clinton die Oklahoma Bombing Memorial Prayer Service Address beim Trauergottesdienst.

3.2. Die Oklahoma Bombing Memorial Prayer Service Address

Clintons Rede dauert zehn Minuten. Er benutzt einen einfachen Sprachstil mit vielen Wiederholungen und sprachlichen Bildern. Die am häufigsten verwendeten Begriffe sind America und children. Zu Beginn wendet sich Clinton namentlich an den anwesenden Gouverneur von Oklahoma, an dessen Frau sowie an Reverend Graham, der den Gottesdienst leitet. Clinton wendet sich aber auch an die trauernden Familien, die Einwohner von Oklahoma City, die Bewohner des Staates Oklahoma und an alle fellow Americans. Durch diese Steigerung wird gleich zu Beginn die Gemeinschaft deutlich, die der Präsident ansprechen will, sie alle sind our fellow Americans. Das Possesivpronomen our intensiviert diese Wirkung. Clinton spielt seine eigene Rolle herunter. Nach der Capatio Benevolentiae „I am honored to be here today to represent the American people.“[14] verdeutlicht er, dass auch „Hillary and I come as parents, as husband and wife, as people who were your neighbors [...]“[15] . Dieser Satz schafft ein Identifikationsebene mit dem Publikum, auch das Präsidentenpaar sind Eltern, Eheleute und Nachbarn, die Nennung des Vornamens von Clintons Ehefrau verstärkt diesen Eindruck noch.

Today our Nation joins with you in grief. We mourn with you. We share your hope against hope that some may still survive. We thank all those who have worked so heroically to save lives and to solve this crime, those here in Oklahoma and those who are all across this great land and many who left their own lives to come here to work hand in hand with you. We pledge to do all we can to help you heal the injured, to rebuild this city, and to bring to justice those who did this evil.[16]

[...]


1 Jamieson, K. H.: Generic constraints and the rhetorical situation. 1973. In: Philosophy and Rhetoric 6. S.163.

2 Campbell, Karlyn Kohrs: Interview mit der University of Minnesota. 12. Januar 2011.

3 Campbell, Karlyn Kohrs und Jamieson, Kathleen Hall: Presidents creating the presidency. Deeds done in words. Chicago 2008. S.74.

4 Ebd.

5 Nach dem Erdbeben von San Francisco 1906 erwartete die Bevölkerung eine Reaktion der Politik, doch Roosevelt sprach nur mit Kaliforniens Gouverneur und dem Leiter des Amerikanischen Roten Kreuzes. Im Gegensatz dazu wurde Reagans Ansprache anlässlich des Unglücks der Challenger 1986 als “a reassuring message to a saddened nation” (LaFranchi 1986, S. 3) bezeichnet. Auch Clintons Nachfolger George W. Bush wandte sich nach den Anschlägen auf das World Trade Center 2001 und dem Hurricane Katrina an die Nation.

6 Jamieson, K. H. & Campbell, K. K.: Rhetorical Hybrids: Fusions of Generic Elements. Quarterly Journal of Speech Nr. 68/1982. S.147.

7 Ebd.

8 Campbell, Karlyn Kohrs und Jamieson, Kathleen Hall: Presidents creating the presidency. Deeds done in words. Chicago 2008. S.86.

9 Jamieson, K. H. & Campbell, K. K.: Rhetorical Hybrids: Fusions of Generic Elements. In: Quarterly

Journal of Speech Nr. 68/1982. S.147.

10 Vgl. Carpenter, R. H. & Seltzer, R. V.: Situational style and the rotunda eulogies. In: Central States Speech Journal. Nr. 22/1971. S.11-15.

11 Vgl. Campbell, Karlyn Kohrs und Jamieson, Kathleen Hall: Presidents creating the presidency. Deeds done in words. Chicago 2008. S.86.

12 Ebd.

13 Vgl ebd.

14 Ebd.

15 Ebd.

16 Ebd.

Excerpt out of 19 pages

Details

Title
“Our words seem small beside the loss you have endured”. Rhetorische Vergleichsanalyse der nationalen Trauerreden zum Oklahoma Bombing von Bill Clinton und der "Tucson Memorial Speech" von Barack Obama
College
Free University of Berlin  (Peter Szondi Institut)
Grade
1,3
Author
Year
2010
Pages
19
Catalog Number
V319505
ISBN (eBook)
9783668187085
ISBN (Book)
9783668187092
File size
698 KB
Language
German
Keywords
Barack Obama, Bill Clinton, Trauerrede, Rhetorik
Quote paper
B.A. Janina Jasencak (Author), 2010, “Our words seem small beside the loss you have endured”. Rhetorische Vergleichsanalyse der nationalen Trauerreden zum Oklahoma Bombing von Bill Clinton und der "Tucson Memorial Speech" von Barack Obama, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/319505

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