Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Zur Philosophie Arthur Schopenhauers
1. Die Welt als Wille und Vorstellung
2. Intellekt und Erkenntnis
3. Vom Wesen des Charakters
II. Der Dichter und der Philosoph
1. Schopenhauers Einfluß auf Wilhelm Busch
2. Die Bildergeschichte
3. Die Synthese: Zur Invarianz des Charakters in der Geschichte
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Die vorliegende Arbeit nimmt Bezug zur philosophischen Theorie Arthur Schopenhauers und dessen Einfluß auf die Werke des Dichters Wilhelm Busch. Inwiefern eine solche Synthese sinnvoll und möglich ist, wird im folgenden am Beispiel der Bildergeschichte „Hans Huckebein – der Unglücksrabe“ dargestellt.
Im Rahmen dieser Auseinandersetzung liegt der Focus der Untersuchung auf der Betrachtung der Invarianz des Charakters. Das erste Kapitel (I.) beschränkt sich daher auf eine skizzenhafte Darstellung der Auffassung Schopenhauers über die Welt als Wille und Vorstellung, Intellekt und Erkenntnis sowie das Wesen des Charakters. Darauf aufbauend stellt Kapitel II den Bezug zur Bildergeschichte her, beschreibt das Verhältnis von Autor und Philosoph, um letztlich durch die Interpretation der Bildergeschichte auf dem Hintergrund der philosophischen Theorie eine freie Synthese zu versuchen.
Biographische Hintergründe des Autors sowie des Philosophen wurden nicht untersucht und daher nicht berücksichtigt.
I. Zur Philosophie Arthur Schopenhauers
1. Die Welt als Wille und Vorstellung
Nach Arthur Schopenhauer – Schüler Immanuel Kants – und seiner Vorstellung über weltliches Dasein und Erscheinung gründet alles Leben (vgl. Natur – Tier – Mensch) auf einem jeder Erscheinung innewohnenden Drang zur Verwirklichung ihrer selbst. Schopenhauer spricht hier von dem Willen zum Leben. Dieser Wille ist für ihn a priori vorhanden, bezeichnend für das Ding an sich, die Ursprünglichkeit, der innere Gehalt, das Wesentliche der Welt. Er gilt als frei und allmächtig.[1] Jede Erscheinung ist somit Ausdruck und Erfüllung des Willens zum Leben. Dennoch ist sie bloß als sichtbarer oder äußerer Spiegel des Willens zu verstehen.[2]
Bsp.: Ich sehe ein grünes Blatt. Doch das Blatt ist nicht grün, indem ich es als grün definiere, sondern indem ich es als das erkenne, was es in seiner Ursprünglichkeit ist: Ein grünes Blatt.
Durch diese Spiegelbildlichkeit verwirklicht sich der Wille in der Welt in unterschiedlichen Formen und Abstufungen.
Das Leben insgesamt betrachtet Schopenhauer als ein Geschenk, das aus dem Nichts hervorgeht und nach dem Tod wieder ins Nichts zurückkehrt.[3] Der Wille bezieht sich jedoch nur auf die Gegenwart; Vergangenheit und Zukunft lassen sich erst im Zusammenhang mit der Erkenntnis verstehen. So ist es dieser Wille der gesamten Natur, der die Welt erschaffen hat und trägt.[4] Dazu bemerkte Schopenhauer:
„Dem Willen ist das Leben, dem Leben die Gegenwart sicher und gewiß.“[5]
2. Intellekt und Erkenntnis
Während Kant annahm, daß sich die Welt dem Menschen durch seinen a priori vorhandenen Intellekt erschließt, bringt nach Schopenhauer erst die Natur den Intellekt hervor. Der Wille ist a priori. Wille und Leib werden als identisch betrachtet, wobei der Leib als gegenständliche und sichtbare Erscheinung wahrgenommen wird. Erkenntnis definiert er nur als eine Teilfunktion des Leibes (Gehirns), wodurch dem Menschen die Möglichkeit der Vorstellung von Dingen und letztlich von der Welt gegeben ist.[6] Mittels des Intellekts – dem erkennenden Bewußtsein - wird somit dem Menschen die Vorstellung von der Welt möglich.
Der Prozeß des Erkennens ist jedoch stets vom entsprechenden Subjekt abhängig. D. h. der Mensch erhält seine Vorstellung von den Dingen in der Welt darüber, wie er sie durch seine individuelle Lebensgestaltung, seine Beziehungen erfährt. Anders ausgedrückt: Jeder Mensch entdeckt die Welt durch seine eigene Brille; alles andere entzieht sich seiner Wahrnehmung.[7] Schopenhauer drückt das so aus:
„Die Welt ist meine Vorstellung. Dies ist eine Wahrheit, welche in Beziehung auf jedes lebende und erkennende Wesen gilt; (...).“[8]
Diese Abhängigkeit der erscheinenden Welt vom Subjekt ist eine gesetzmäßige. Sie folgt den a priorischen Gesetzmäßigkeiten Raum, Zeit und Kausalität. Erst durch den Prozeß des Erkennens der Dinge in der Welt, erschließt sich dem Menschen eine objektive Vorstellung derselben. Doch auch dieser Objektivismus ist nach Schopenhauer nur „objektiver Schein“ der Vorstellung über die Welt, denn letztlich stellt er nichts Anderes dar, als eine gegenständliche Projektion der subjektiven Sicht von den Dingen.[9]
3. Vom Wesen des Charakters
So wie jedes Ding ist auch das Individuum Mensch lediglich eine Erscheinung. Der Mensch steht unter allen Erscheinungen als vollkommenstes Wesen an höchster Stelle. Doch auch dessen Vollständigkeit setzt sich Schopenhauer zufolge erst durch die im Verlauf seines Lebens verwirklichte zusammenhängende Reihe seiner Handlungen und Taten zusammen.[10]
Der Charakter eines Menschen definiert sich nach Schopenhauer als das innerste Wesen, welches durch einen durch den Menschen selbst ausgewählten Dämon bestimmt ist, der ihn leitet und lenkt.[11] Einmal vorhanden, kann das Wesen als Erscheinung – analog zum Willen – kein anderes mehr werden:
„Das Daseyn überhaupt aber dieses Objekts und die Art seines Daseyns, d. h. die Idee, welche in ihm sich offenbart, oder mit anderen Worten, sein Charakter, ist unmittelbar Erscheinung des Willens.“[12]
Der Mensch erscheint Schopenhauer somit als eine determinierte Erscheinung des Willens. Der Charakter ist intelligibel; d.h. er ist stets in allen Taten des Menschen – wenn auch in leicht veränderter Form – wiederzufinden.[13]
„Wie die Natur konsequent ist, so ist es der Charakter; ihm gemäß muß jede einzelne Handlung ausfallen, wie jedes Phänomen dem Naturgesetz gemäß ausfällt (...).“[14]
„Jeder Mensch ist demnach Das, was er ist, durch seinen Willen, und sein Charakter ist ursprünglich; (...).“[15]
Der Mensch lebt folglich in der Welt als vollkommene Existenz - vor aller Erkenntnis. D. h. seine Entfaltungsmöglichkeiten liegen in ihm, er muß sie bloß entdecken und verwirklichen. Dies geschieht durch Erkenntnis. Durch das Entdecken seiner selbst und der Welt, lernt der Mensch seinen Willen / seine Bestimmung kennen. So erwirbt er sich im Verlauf seines Lebens empirisch und a posteriori seinen Charakter.[16]
Aus dem Charakter heraus lassen sich Motive und daraus resultierende Handlungen ableiten. So fällt der Mensch Entscheidungen nach intellektueller Abwägung von Pro und Contra-Argumenten. Dennoch ist die Entscheidung aus dem ursprünglichen und unbestimmbaren Willen als vollkommene Notwendigkeit hervorgegangen. So kann der Mensch durchaus in Konflikt zu seinen Motiven geraten. Die Motive können auch dazu führen, daß die Richtung des Strebens verändert wird.[17]
Wie bereits angeführt, geht Schopenhauer davon aus, daß der Mensch dämonisch sei. Das Böse der eigenen Natur zeige sich in den Motiven und Handlungen, werde dem Individuum jedoch erst mit der Zeit bewußt. Schopenhauer spricht hier von dem Erschrecken des Individuums über sich selbst, wenn es erkennt, daß es ganz anders ist als ursprünglich angenommen.[18] Dennoch gesteht er dem Wesen Reue als eine Änderung der Erkenntnis zu. Aber: Ich kann niemals bereuen, was ich gewollt, lediglich das, was ich getan habe.[19]
Im Vergleich zum Tier besitzt der Mensch jedoch die vollkommene Wahlentscheidung oder Deliberationsfähigkeit; denn er hat Vernunft und kann sich daher auch von abstrakten Vorstellungen lenken lassen. Das Tier dagegen verfügt über diese Fähigkeit nicht. Daher offenbart sich in seiner Gestalt die Notwendigkeit der Bestimmung des Willens durch das Motiv ganz unmittelbar.[20]
II. Der Dichter und der Philosoph
1. Schopenhauers Einfluß auf Wilhelm Busch
Wie aus Briefen Buschs hervorgeht – Erwähnung finden hier insbesondere die Briefwechsel mit seiner Nichte Grete Meyer-Thomson in den Jahren 1892-1907 – hat sich der Autor mit der Philosophie Arthur Schopenhauers auseinandergesetzt:[21]
„Ich las Darwin, ich las Schopenhauer damals mit Leidenschaft.“[22]
Wie Joseph Ehrlich anführt, habe der Dichter jedoch nur jene Gedanken der Lehre des Philosophen übernommen, die ihn als Künstler interessierten.[23] Starken Einfluß nahmen vor allem folgende Schriften des Philosophen:[24]
1. Die Welt als Wille und Vorstellung
2. Preisschrift über die Grundlage der Moral
3. Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde
4. Preisschrift über die Freiheit des Willens
5. Über den Willen in der Natur
6. Parerga und Paralipomena
7. Abhandlung über das Sehen und die Farben
[...]
[1] vgl. Schopenhauer 1988, S. 362
[2] vgl. ebd.
[3] vgl. ebd.
[4] vgl. Volpi 1999, S. 1.367
[5] Schopenhauer 1988, S. 366
[6] vgl. Volpi 1999, S. 1.365
[7] vgl. Volpi 1999, S. 1.368
[8] Schopenhauer 1988, S. 31
[9] vgl. ebd.
[10] vgl. Schopenhauer 1988, S. 361 f.
[11] vgl. ebd., S. 357
[12] Schopenhauer 1988, S. 377
[13] vgl. ebd., S. 380
[14] Schopenhauer, 1988, S. 383
[15] Schopenhauer 1988, S. 384
[16] vgl. ebd., S. 398
[17] vgl. Schopenhauer 1988, S. 382
[18] vgl. Schopenhauer 1988, S. 387
[19] vgl. ebd., S. 387
[20] vgl. Schopenhauer 1988, S. 389
[21] vgl. Ehrlich 1963, S. 7 f.
[22] Busch zit. n. Ehrlich 1963, S. 7
[23] vgl. Ehrlich 1963, S. 9
[24] vgl. Ehrlich 1963, S. 10 f.