Ehre und Ehrverlust. Vergleich des Ehrverständnisses zweier Figuren in Ephraim Lessings „Minna von Barnhelm“ und Arthur Schnitzlers „Lieutenant Gustl“


Hausarbeit, 2014

16 Seiten, Note: 2,7

Julia O. (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ... 2
1.1 Disposition ... 2
1.2 Kontext ... 3
1.2.1 Tellheim ... 3
1.2.2 Lieutenant Gustl ... 4

2. Definition „Ehre“ ... 4
2.1 Männliche Ehre und Duell ... 5

3. Tellheims Ehrverständnis, Ehrverlust und Folgen ... 7

4. Vergleich: Lieutenant Gustls Ehrverständnis ... 10

5. Fazit ... 13

6. Literaturverzeichnis ... 15

1. EINLEITUNG

Das Wort Ehre gehört zu denjenigen, welchen ausführliche und glänzende Abhandlungen gewidmet wurden, ohne daß damit wahrlich auch nur eine genaue und feste Vorstellung verknüpft gewesen wäre.1

Trotz der festen Verankerung des Ehrbegriffes im damaligen und auch noch heutigen Sprachgebrauch, ist er ein vielschichtiger und kontextabhängiger Begriff, der nur schwer zu fassen und deuten ist. Die Komplexität und Reichweite der Ehre zeigt sich jedoch vor allem, wenn es um den Verlust selbiger geht.

Anhand der zwei vorliegenden Beispiele aus der deutschen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, möchte ich zentrale Motive der Ehre und des Ehrverlusts herausstellen und anschließend Parallelen und Unterschiede der Ehrenhaftigkeit beider Figuren aufzeigen.

Bei den Werken handelt es sich um die Komödie „Minna von Barnhelm“ von Gotthold Ephraim Lessing und die Novelle „Lieutenant Gustl“ von Arthur Schnitzler. Gegenstand dieser Seminararbeit sollen die Charaktere „Tellheim“ aus der vorliegenden Komödie Lessings und „Lieutenant Gustl“ aus der gleichnamigen Novelle Schnitzlers sein, deren beider Ehrverlust es zu untersuchen und anschließend gegenüberzustellen gilt.

1.1 DISPOSITION

Den Beginn der Analyse bildet eine kurze Inhaltsangabe beider behandelter Werke und eine Gegenüberstellung verschiedener Definitionen, die den Begriff „Ehre“ zu erklären versuchen. Ich möchte damit einhergehend eine allgemeine und inhaltliche Grundlage schaffen, um die Komplexität des Ehrbegriffs zu verdeutlichen und grundlegende Termini einzuführen. Außerdem folgt im Anschluss ein kurzer Exkurs bezüglich der Besonderheiten, die die männliche von der weiblichen Ehre abgrenzen.

Den Hauptteil dominiert die Analyse von Tellheims Ehrverständnis. Hier gilt es zunächst Tellheims durchaus ehrbares Verhalten zu behandeln und im Anschluss die Gründe für dessen Ehrverlust und die daraus resultierenden Folgen aufzuzeigen.

Es folgt der Vergleich zum Protagonisten der Novelle „Lieutenant Gustl“ und dessen Ehrverlust. Dabei werde ich vorrangig auf die Parallelen und Unterschiede zu Tellheims Ehrverständnis eingehen und diese versuchen herauszustellen.

Im letzten Abschnitt, dem Fazit, werde ich die Ergebnisse resultierend zusammenstellen und nochmals gegeneinander abwägen. Abschließend werde ich einen Ausblick auf ggfs. ungeklärte Fragen geben.

1.2 KONTEXT

Zunächst erachte ich es als sinnvoll, die Handlungen beider Werke kurz vorzustellen, bevor mit der Analyse begonnen werden kann. Anschließend werde ich einen Ausblick auf den weiteren Verlauf dieser Seminararbeit geben.

1.2.1 TELLHEIM

„Minna von Barnhelm“ oder „Das Soldatenglück“ ist ein Lustspiel von Gotthold Ephraim Lessing und zählt zu den bedeutendsten Komödien der deutschsprachigen Literatur. Die Komödie beinhaltet mehrere Ebenen, auf denen sich unterschiedlich stark ausgeprägte Handlungen abspielen. Auf der einen Seite gliedert sich die Handlung in eine äußere Ebene, die den Ehrverlust und die Wiederherstellung von Tellheims Ehre beinhaltet und in eine innere Ebene, die die Ereignisse im Wirtshaus schildert.

Die Komödie spielt unmittelbar nach dem Siebenjährigen Krieg im Jahre 1763, in einem Wirtshaus bei Berlin. Der unehrenhaft entlassene Major von Tellheim, wegen Bestechung angeklagt und in Ermangelung finanzieller Mittel, verweilt in einem Berliner Gasthof, um auf den Ausgang seines Prozesses zu warten. Minna, mit der sich Tellheim bereits vor Kriegsbeginn verlobte, reist ihm in den Berliner Gasthof hinterher, um ihn zur baldigen Hochzeit zu bewegen. Dieser lehnt eine Vermählung mit seiner wohlhabenden Verlobten jedoch ab, da ihm dies die Ehre verbiete und er sich ihrer unwürdig fühle. Um die Miete für das Zimmer in dem Gasthof zahlen zu können, muss Tellheim notgedrungen den einst von Minna erhaltenen Verlobungsring versetzen. Als der Wirt Minna den Ring zum Kauf anbietet, erkennt diese ihn und löst ihn aus, um Tellheim mit einer List für sich zu gewinnen: Sie gibt vor, ebenso mittellos und unehrenhaft zu sein, wie Tellheim, was einen Sinneswandel bei ihm herbeiführt. Da beide Protagonisten nunmehr wieder einander ebenbürtig sind, beschließt Tellheim alles nötige dafür zu tun, Minna nun doch zu ehelichen und sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Als ein Brief des Königs eintrifft und Tellheims rechtliche Rehabilitation, die Wiederherstellung seiner Ehre und den Erhalt des ihm zustehenden Geldes verkündet, erklärt Minna ihn aufgrund selbiger Gründe und des nun entstanden Standesunterschiedes nicht heiraten zu können. Mit dem Auftauchen von Minnas Oheim klärt sich die Situation jedoch auf. Zuletzt wird eine Doppelhochzeit zwischen Tellheim und Minna, sowie Werner und Franziska in Aussicht gestellt.

1.2.2 LIEUTENANT GUSTL

Bei der Novelle „Lieutenant Gustl“ handelt es sich, wie Lindken betont, um die „populärste Novelle des Dichters“2, nicht zuletzt da es bei der Veröffentlichung des Werkes im Jahre 1900 zu einem öffentlichen Skandal kam. Schnitzler verlor infolge dessen seine „Offizierscharge als Oberarzt durch die österreichische Militäradministration […], weil er durch die Figur Gustls das Ansehen der österreichischen Armee herabgesetzt habe“3.

Die Handlung der Novelle setzt ein, als Lieutenant Gustl am Abend im Konzert sitzt, sich langweilt und an das Duell am nächsten Tag mit einem Doktor denkt. Als es nach dem Konzert zu einem Gedränge kommt, wird er von dem satisfaktionsunfähigen Bäckermeister blamiert. Da er den Bäckermeister nicht zum Duell fordern kann, wie in einem solchen Fall üblich, entscheidet er sich dafür, sich am nächsten Morgen zu erschießen. Als er am darauffolgenden Tag aufwacht und in einem Café sein Frühstück einnehmen will, bevor er sich das Leben nimmt, erfährt er, dass der Bäckermeister am Vorabend an einem Schlaganfall verstorben sei. Erleichtert, sich nun doch nicht umbringen zu müssen, konzentriert sich Lieutenant Gustl auf sein Duell mit dem Doktor am Nachmittag.

2. DEFINITION „EHRE“

Schlägt man im Duden4 Seite 448 auf, sieht man einen Begriff etwa ein Drittel der aufgeschlagenen Seite einnehmen – „Eh│re“. Die aktuelle und gängige Definition lautet: „Ansehen aufgrund offenbaren od. vorausgesetzten (bes. sittlichen) Wertes; Wertschätzung durch andere Menschen. […]“. Grundsätzlich weicht diese Begriffsbestimmung nicht sehr weit von der seit 1734 gültigen Definition aus Zedlers Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste ab: „Ehre […]‚ ist eine Meynung andrer Leute, nach der sie einem Menschen einen Vorzug vor den andern beylegen‘“5. Heutzutage gilt also wie noch vor gut 300 Jahren die Meinung, Ehre sei eng mit dem Ansehen durch andere Menschen verknüpft. Eines hat die gegenwärtig aktuelle Definition jedoch eingebüßt – mittlerweile räumt die Ehre, wie sie im Duden steht, niemandem mehr einen Vorzug vor einem anderen Menschen ein. Jedoch noch im 19. Jahrhundert, wie Ute Frevert darlegt, galt „Ehre in der deutschen Gesellschaft […] als ‚Kapital‘, ‚das einem Jeden Vertrauen, Ansehen, Kredit, Amt werben und erhalten muß‘“6 und definierte den „Verkehrskurs eines Menschen“7. Die Herabsetzung des Wirkungshorizontes der Ehre ist also ein neuzeitliches und noch sehr junges Phänomen hinsichtlich der traditionsreichen und langen Geschichte des Ehrbegriffes.

Definiert wird der wissenschaftliche Ehrbegriff vor allem durch die Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Ehre. Die persönliche Würde eines Menschen, die grundsätzlichen jedem aufgrund seines Menschseins zusteht und überdies in den Grund- und Menschenrechten verankert ist, bildet den universellen Geltungsanspruch an die innere Ehre. Werte, die zur Auslegung eines guten oder schlechten Rufes oder der Achtung innerhalb einer Gesellschaft Ausschlag geben, wie beispielsweise Moralität, Tugendhaftigkeit und Sittlichkeit, können Einfluss auf die innere Ehre nehmen, jedoch nicht durch externe Faktoren, Einflüsse und Personen verletzt werden. Ebenso von der äußeren Anerkennung durch seine Mitmenschen unabhängig, ist die Selbstwertschätzung, die ebenfalls unter die Kategorie der inneren Ehre fällt.

Die äußere Ehre, oder auch bürgerliche Ehre genannt, hingegen, kennzeichnet das Ansehen, das einer Person aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position (Kapital, Herkunft etc.) oder angeeigneter Fähigkeiten und Fertigkeiten eingeräumt wird. Die äußere Ehre beschreibt also primär die Stellung eines Menschen innerhalb einer Gesellschaft, wodurch sie der Öffentlichkeit ausgesetzt und durch diese bedingt wird.

Wie im weiteren Verlauf dieser Seminararbeit deutlich werden wird, kann die Ehre als sozial determinierendes Instrument, das Lebenschancen und Handlungsräume einschränken und erweitern kann, wirken.8

2.1 MÄNNLICHE EHRE UND DUELL

„Bislang war die Ehre von Männern in Anlehnung an die Sprachregelungen des 19. Jahrhunderts in engem Konnex mit ihren öffentlichen Funktionen – als Staatsbürger, Amtsträger oder Erwerbspersonen – gesehen worden.“9 Anders als bei den Frauen, deren Ehre sich an ihrem Körper und Geschlecht orientierte (= Geschlechtsehre, ausschließlich auf das weibliche Geschlecht bezogen10), sei eine „männliche Sexualehre“11 ausgeschlossen, wie Ute Frevert berichtet. Vielmehr stelle die männliche Ehre ein soziales Machtinstrument dar, so Wilms, das auf den Erwerb und Erhalt sozialer Anerkennung abziele und auf diese Weise letztendlich identitätsstiftend wirke.12 Vornehmlich Bürger männlichen Geschlechtes unterwarfen sich einem ‚kollektiven Ehrenkodex‘, der das Duell als ‚Urform‘ des männlichen Zweikampfes im Falle einer Ehrverletzung vorsah. Besonders hier wird „die Ambivalenz und Vielschichtigkeit der (Mannes-) Ehre“13 und die enge Verknüpfung von Ehre, Gewalt und Männlichkeitsvorstellungen deutlich. So stellte das Duell noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Medium dar, die verlorene Ehre und damit einhergehend die verletzte Männlichkeit wiederherzustellen, um zu beweisen, dass „sie ihre ‚Ehre‘ höher schätzten als ihr Leben“14. Yvonne Wilms definiert das Duell im Sinne der männlichen „Ehrverpflichtungen“ wie folgt:

Es handelte sich dabei um einen freiwilligen Zweikampf nach festgelegten Regeln mit gleichen, potentiell tödlichen Waffen, der von den Kontrahenten vereinbart wurde, um eine Ehrenstreitigkeit auszutragen. Das Duell entstand insofern (erstens) als eine Fusion der Begriffe von Ehre und Beleidigung mit (zweitens) der archaisch-kriegerischen Idee von Vergeltung und Rache, die (drittens) unter agonal-spielerischen Gesichtspunkten durchgeführt wird.15

Die Unbescholtenheit des Rufes und Ansehens, also die persönliche Ehre, galt in der Frühmoderne demnach als höchstes Gut, das es um jeden Preis zu beschützen und zu wahren galt. Das Duell fungierte als Selbsthilfemöglichkeit im Falle des Ehrverlustes und definierte sich durch 3 oben erwähnte emotionale Gegebenheiten: das Vorhandensein eines Ehrgefühls das durch einen anderen verletzt wurde, das Bedürfnis sich zu rächen und die Lust am Zweikampf.

Schlussendlich herrschten nicht nur grundsätzlich unterschiedliche Definitionen von männlicher und weiblicher Ehre, Männlichkeit definierte sich darüber hinaus auch in einem hohen Maße über Ehrenhaftigkeit und über das Duell, als wiederherstellendes Medium.

[…]


1 Wilms, Yvonne: Ehre, Männlichkeit und Kriminalität. LIT Verlag; 1. Aufl. Münster 2009 S. 9.
2 Lindken, Hans Ulrich: Arthur Schnitzler. Die Erzählenden Schriften, 2 Bde. Frankfurt/M. 1961 S. 76.
3 Ebd. S. 77f.
4 Duden - Deutsches Universalwörterbuch: Bibliographisches Institut; Auflage: 6., überarbeitete und erweiterte Auflage. 1. Oktober 2006, S. 488.
5 Johann Heinrich Zedler: Grosses und Vollständiges Universal-Lexikon. 64 Bde. Leipzig 1732-54, Bd. 8, Sp. 415.
6 Frevert, Ute: "Mann und Weib, und Weib und Mann". Geschlechterdifferenzen in der Moderne. München 1995 S. 170.
7 Ebd.
8 Vgl. Wilms, Yvonne. 7ff.
9 Frevert, Ute: "Mann und Weib, und Weib und Mann". S. 212.
10 Vgl. Ebd. S. 213.
11 Ebd. S. 212.
12 Vgl. Wilms, Yvonne. S. 6.
13 Ebd.
14 Frevert, Ute: Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991 S.11.
15 Wilms, Yvonne. S. 23.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Ehre und Ehrverlust. Vergleich des Ehrverständnisses zweier Figuren in Ephraim Lessings „Minna von Barnhelm“ und Arthur Schnitzlers „Lieutenant Gustl“
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Deutsche Philologie)
Note
2,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
16
Katalognummer
V319919
ISBN (eBook)
9783668191860
ISBN (Buch)
9783668191877
Dateigröße
622 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ehre, Ehrverlust, Tellheim, Minna von Barnhelm, Leutnant Gustl, Lessing, Schnitzler, Lieutnant, Gustl
Arbeit zitieren
Julia O. (Autor:in), 2014, Ehre und Ehrverlust. Vergleich des Ehrverständnisses zweier Figuren in Ephraim Lessings „Minna von Barnhelm“ und Arthur Schnitzlers „Lieutenant Gustl“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/319919

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