Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung und These
2. Der Identitätsbegriff: Kollektive - und nationale Identität
2.1. Europäisches Identitätsbewusstsein im Wandel der Zeit
2.2. Zwischenfazit: Fehlendes „Wir-Gefühl“ und dessen Wichtigkeit
3. Orient vs. Okzident? Wie sich das Morgen - und Abendland gegenseitig beeinflusst haben
3.1. Identitätsbildung durch Abgrenzung
4. Schlussfolgerung: Neue Angst - alte Vorurteile
Literaturverzeichnis
Vorwort
Basierend auf den Master den ich zurzeit an der RWTH Aachen absolviere, meinem vorherigen Europa Studium der an der Universität Maastricht und meinem besonderen Interesse an geschichtlichen Entwicklungen im Bereich der europäischen Integration, wird sich diese Arbeit vor allem mit dem Thema der europäischen Identitätsbildung- und Selbstverständnis befassen. Die Frage wie wir als EU Bürger Europa und die EU definieren ist aktueller denn je. Die EU wird meistens mit bestimmten Werten verbunden, auf welche die EU basiert. Doch kommt es auf eine tatsächlich allgemeingültige Formulierung an, so gibt es abgesehen von Definitionen aus dem Lexikon, keinen gemeinsamen Konsens. Man kann beobachten, dass sich Menschen eher mit ihrem Heimatland identifizieren, und diesem bestimmte Eigenschaften auch leichter zusprechen können. Das „Wir- Gefühl“ als Europäer kommt erst zum usdruck wenn man sich von „ nderen“ zu unterscheiden versucht. Durch das Feststellen von Unterschieden entsteht also eine konkretere Idee darüber, was Europa und das EU Konstrukt bedeuten könnte. Dabei kommt es darauf an, mit welchen „ nderen“ man sich vergleicht. Da es zu diesem Zeitpunkt vor allem Konfliktpotenzial zwischen Europa und der arabischen-islamischen Welt gibt, möchte ich dieses im Rahmen dieser Seminararbeit zum Anlass nehmen, den historischen Prozess der europäischen Identitätsentstehung zu diskutieren und vor allem zu evaluieren, inwiefern die arabische Welt und der damit einhergehende Islam diese Identität geprägt haben und Vorurteile seitens der europäischen Bevölkerung gesellschaftlich stets verankert sind. Dazu wird zu allererst ein allgemeiner Einblick in den Unterschied zwischen nationaler - und europäischer Identität gegeben. Dann soll auf die geschichtlichen Einflüsse der arabischen Welt auf Europa eingegangen werden. Westliche und arabische Kultur haben sich gegenseitig beeinflusst und inspiriert. Des Weiteren soll nicht nur den geschichtlichen Geschehnissen auf den Grund gegangen werden, sondern es ist möglich, diese bis in die Gegenwart zu verfolgen. Was für ein Feindbild hat es gegeben und wie sieht dieses heute aus? Darauffolgend werden die konkreten Unterschiede die man angesichts der verschiedenen Kultur der arabischen Welt festgemacht hat analysiert und in Relation zum europäischen Bewusstsein und Selbstverständnis gestellt. Ziel soll es sein, dem Leser einen Einblick in die Verstrickung westlicher und arabischer Kultur zu geben und zu zeigen, wie ein Identitätsbild sich durch Abgrenzung zeichnen lässt und dass alte Feindbilder in Relation zur heutigen Zeit gesetzt werden können.
Schlüsselbegriffe
Europäische Identität, Bewusstsein, Abgrenzung, Arabisch-islamische Welt, Orient, Okzident
1. Einleitung und These
Als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Besuch des türkischen Ministerpräsidenten hmet Davutoğlu im Januar 2015 eine Äußerung des früheren Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und später auch des Bundespräsidenten Christian Wulff wiederholte, war die Diskussion groß. Damals sagte sie: "Der Islam gehört zu Deutschland - und das ist so, dieser Meinung bin ich auch." Dass über diese Aussage so heftig debattiert werden würde, war absehbar. Nicht umsonst stellt sich seit jeher die Frage, in wie weit der Islam und generell die arabische Kultur den Westen mitgestalten soll. Dabei haben beide Kulturräume eine lange, eng miteinander verbundene Geschichte. In dieser Arbeit gilt es, diese näher zu erörtern. Wie sehr oder wie wenig gegenseitiger Einfluss von unterschiedlichen europäischen Stimmen akzeptiert oder sogar gewünscht ist, ist entscheidend für den Charakter der Europa zugesprochen werden soll. Wie sich Europa selbst sieht und versteht hat großen Einfluss auf seine Wirkung nach außen. Was also soll typisch europäisch sein? Soll Europa ein einzig europäischer Kulturraum sein, oder definiert Europa sich durch multikulturelles Zusammenleben? Fakt ist, dass man wohl kaum auf einen allgemeingültigen Nenner kommen wird. Auch diese Arbeit soll nicht darauf hinauslaufen, Europa ein Identitätskonstrukt zu geben. Die These, die in folgender Argumentation allerdings aufgestellt wird, ist dass jegliche Identitätsfindung, egal wie diese schlussendlich nun aussehen soll, sich häufig durch Abgrenzung zum „Anderen“, etwas das als Fremd betrachtet wird, entsteht.
Bezüglich der methodischen Vorgehensweise muss verdeutlicht werden, dass keine geschichtswissenschaftliche Herangehensweise mit historischen Quellen die behandelt werden verwendet wird. Eher ist es eine Recherche die auf unterschiedliche, literarische Quellen basiert und schlussendlich einen Zusammenhang feststellen wird. Dabei soll nicht nur die historische, sondern auch die kultur - und sozialwissenschaftliche Sichtweise beachtet und herangezogen werden. Das bedeutet, dass auch wenn das geschichtliche Zusammenspiel zweier Kulturkreise geschildert wird, ebenso die kulturellen und gesellschaftlichen Auswirkungen und Folgen einer Betrachtung bedürfen.
Im Laufe der Arbeit werden immer wieder ähnliche Begriffe fallen, die von verschiedensten Historikern und Autoren unterschiedlich definiert werden. Im Grunde wird hier allerdings die beispielsweise islamische mit der arabischen Welt oft in einem Atemzug erwähnt, obgleich sie keine deckungsgleichen Termini sind und sich beispielsweise die hauptsächlich muslimische Türkei kulturell und historisch stark vom arabischen Raum unterscheidet. Gemeint sind hier aber vor allem die Staaten der arabischen Halbinsel, der Arabischen Liga und die Türkei und weniger jene aus dem asiatischen und pazifischen Raum. Wenn die Bezeichnung des Orients oder Abendlandes verwendet wird um diesen Teil der Erde und damit einhergehenden islamisch-arabische Kulturkreis zu benennen, dann ist auch dieser geografisch gesehen im Mittelmeerraum und Nahen Osten zu verorten und bezieht arabisch- sprachige Länder mit ein. Als Gegenpol dazu versteht sich der Okzident oder das Morgenland als westliche Welt; hauptsächlich Europa und Nordamerika.1 Es ist dazu zu erwähnen, dass es gewiss nicht nur geografische sondern auch bestimmte gesellschaftliche Charakteristika sind, die eine Gesellschaft zu einer „westlichen“ oder „arabischen“ Gesellschaft machen.2
2. Der Identitätsbegriff: Kollektive - und nationale Identität
Bevor auf die kollektive Identitätsbildung durch konkrete Abgrenzung eingegangen wird, soll zunächst der Identitätsbegriff an sich studiert werden. Vor allem Wilfried Loth hat kollektive Identität zu definieren versucht. Für ihn stellt Identität keinen abgeschlossenen Zustand dar, sondern sie akzentuiert sich in einem fortlaufenden Konflikt- und Differenzierungsprozess zwischen sozialer Erwartung und personaler Einzigartigkeit immer wieder neu. 3 Nicht nur individuelle Identität wandelt sich im Laufe der Zeit, sondern auch die einer Gemeinschaft. Allerdings erweist es sich als schwierig, diese sich stetig verändernde Gruppenidentität zu fassen. Gemeinsam erlebte Erfahrungen und deren Bewertung tragen ihr bei. Weiter heißt es bei Loth, es handle sich um einen dialektischen Prozess, in dem „individuell erlebte Wirklichkeiten im Licht kollektiver Wirklichkeitsmodelle und Wissensbestände gedeutet werden“.4 Einerseits identifizieren sich Individuen mit diesem Kollektiv, welches aber durchaus nicht das Einzige sein muss. Menschen können sich mehreren Gruppen gleichzeitig zugehörig fühlen - multiplen Identitäten.
Dies funktioniert allerdings nur ohne innere oder äußere Konflikte, also solange die unterschiedlichen Identitäten keine tendenziell unvereinbare Ansprüche stellen, da es sonst schnell zu einem Loyalitätsproblem zwischen konkurrierenden Identitätsgruppen kommen kann.5 Dies lässt sich beobachten, wenn die Identität basierend auf das Herkunftsland betrachtet wird. Nicht alle Nationalidentitäten konkurrieren automatisch miteinander, aber sie stehen auch nicht immer in hundertprozentigem Einklang zueinander, nur weil sie durch ihre geografisch gemeinsame Lage einander berühren.
Bei der Bildung von Nationen spielen dreierlei Komponenten eine Rolle: ethnische Gemeinsamkeiten, gemeinsame kulturelle Traditionen und gemeinsame Erfahrungen, gesammelt in einem kollektives Gedächtnis.6 Eine Nation dient somit als Willensgemeinschaft derjenigen, die sich einem gesellschaftlichen Projekt zur Ordnungsgestaltung widmen und gleichzeitig als große Solidargemeinschaft, „die durch das Gefühl für die Opfer gebildet wird, die erbracht wurden und die man noch zu erbringen bereit ist“7, wie Ernest Renan, übrigens ein Islamkritiker, in seiner Rede „Qu’est-ce qu’une nation?“ am 11. März 1882 in der Sorbonne formulierte. In Kontrast zur nationalen Identität bildet sich europäisches Bewusstsein nicht nur durch gemeinsame Traditionen, die nationalstaatlich übergreifend sind, sondern sie entsteht auch auf der Basis eben dieser nationalstaatlicher Funktionsdefizite. Allerdings tritt sie nicht an die Stelle regionaler oder nationaler Identität, sondern ergänzt sie.
2.1. Europäisches Identitätsbewusstsein im Wandel der Zeit
Wie sich Europa selbst verstanden hat, veränderte sich mit der Zeit. In größeren Zeitsprüngen soll im folgenden Abschnitt kurz geschildert werden, wie Europäer sich in den aufeinanderfolgenden Epochen sahen und wodurch der europäische Charakter geprägt und modifiziert wurde.
Beginnend in der frühen Neuzeit, stellte sich Europa als eine Christliche Republik vor. Das Vordringen der Osmanen aus dem "Morgenland" machte es für die Europäer notwendig, sich selbst zu definieren. Die Osmanen waren für die frommen Christen in Europa als Heiden zu verurteilen und hielten ihnen zufolge das Christentum davon ab, sich auszubreiten. Um dies zu ändern, bedurfte es militärischer Zusammenarbeit aller europäischen Nationalstaaten. Die „Türkengefahr“, wie sie damals beschrieben wurde, galt es auszubremsen. Zu dieser Zeit lässt sich also bereits erste Abneigung zum Morgenland erkennen, auf die im späteren Verlauf dieser Arbeit noch intensiver eingegangen wird. So wurde die Selbstdefinition Europas als Christliche Republik vom 15. bis ins 16. Jahrhundert immer ausgeprägter, da sich Katholiken sowie Protestanten immer mehr von Ungläubigen umgeben sahen. Als Einheit konnte man dieser Gefahr besser standhalten.
Im 18. Jahrhundert erfolgte durch die Aufklärung und dessen neuen Zeitgeist eine weitere Idee, der man eine Gemeinsamkeit zuteilen konnte. Kultur wurde ein Sammelbegriff für die gemeinsamen Bräuche und Traditionen, die über sämtliche Ländergrenzen hinweg existent zu sein schienen. Als Veranschaulichung und Sinnbild für Europa dienten die europäischen Umrisse wie sie auf der Weltkarte dargestellt waren. Verbunden werden sollte mit diesem Erteil die gemeinsame Kunst, Wissenschaft, Expansion in überseeische Gebiete, Reichtum, Christlichkeit und das politische System. Kulturell betrachtet, und vor allem durch Persönlichkeiten wie Herder oder Adelung und bis ins 19. Jahrhundert auch von Voltaire und Kant niedergeschrieben, sah sich Europa allen anderen Erdteilen überlegen.8
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1 Vgl. Nissel, 2006, Vom Kulturerdteil Orient zur Islamischen Welt. Eine geographische Spurensuche, S. 94
2 Hall, 1994, Der Westen und der Rest: Diskurs und Macht, S. 137-179
3 Vgl. Loth, 2002, Europäische Identität in historischer Perspektive, S. 4
4 Ebd., S. 5
5 Ebd., S. 6
6 Vgl. Halbwachs, 1985, Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen.
7 Ernest Renan, 1947, Oeuvres complètes, Bd. 1, Paris 1947, S. 887-906
8 Vgl. Duchhardt, 2003. Jahrbuch für Europäische Geschichte, S. 207-208