Textfassungen im Vergleich. Textdarstellungen in verschiedenen Ausgabetypen von Heinrich Heines "Deutschland. Ein Wintermährchen"


Dossier / Travail, 2012

14 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das 'Winterrnährchen und seine Geschichte

3. Fassungen in verschiedenen Ausgabetypen
3.1 Textfassungen in wissenschaftlichen Ausgaben
3.2 Textfassungen in Studien- und Leseausgaben

4. Schluss

5. Literaturverzeichnis
5.1 Textausgaben
5.2 Sekundärliteratur
5.3 digitale/ elektronische Quellen

1. Einleitung

Heinrich Heines Deutschland. Din Wintermährchen (nachfolgend Wintermährchen genannt) durchlebte bereits eine wechselvolle Geschichte. Es wurde abgemildert, gekürzt, beschnitten, in Auszügen wiedergegeben und verschlimmbessert. Exemplare dieses Textes wurden verboten, beschlagnahmt, verbrannt und dienen heute dazu, Diskussionen über Freiheit im Deutschunterricht anzuheizen. Ein Text, der Geschichte schrieb. Es ist eine Geschichte, die sich allein schon an den vielen verschiedenen Ausgaben des Wintermährchens ablesen lässt. Allein zu Heines Lebzeiten kannte der Text mindestens drei inhaltlich verschiedene Ausführungen. Und auch nach seiner Zeit fand es viele verschiedene Wiedergaben, darunter Übersetzungen in mindestens 18 verschiedenen Sprachen[1] sowie Bearbeitungen für die Schule und die universitäre Lehre.

Wie ein Text wiedergegeben wird — in welcher Gestalt, mit welchen Zusatzmaterialien — hängt unzweifelhaft mit der Zielgruppe zusammen, an die sich ein Text wenden soll. Studierenden und Wissenschaftlern, so ist die allgemeine Auffassung, kann man historisch veraltete Schreibweisen und mittlerweile ungebräuchliche Worte zumuten. Schülern allerdings nicht. Der Jugend [2] uliebed wird in historische Vorlagen mitunter ohne erkennbares Muster eingegriffen und erläutert.

Mein Ziel ist es in dieser Arbeit, einige Textwiedergaben samt den Gründen für ihre Gestaltung vorzustellen und das Für und Wider ihrer Ausformung zu erhellen. Dabei werde ich auch auf einige ideologische Denkmuster zu sprechen kommen, die ich für veraltet und unlogisch halte und die ich zu relativieren versuchen werde. Ich werde anfangs in aller Kürze auf jene Textwiedergaben zu sprechen kommen, die zu Heines Lebzeiten das Licht der literarischen Welt erblickten. Im Anschluss werde ich die Textfassungen der zwei heute gebräuchlichen wissenschaftlichen Ausgaben — die DHA[3] und die HSA[4] — vorstellen und die Gründe für deren Textauswahl nennen und kritisch beleuchten. Ebenso möchte ich auf nichtwissenschaftliche Ausgaben, sog. Leseausgaben, zu sprechen kommen und in diesem Teil besonders das Problemfeld der sprachlichen Modernisierung historischer Texte behandeln. In einer abschließenden Betrachtung werde ich neue Wege und Bedingungen der Textwiedergabe darlegen.

2. Das 'Winterrnährchen und seine Geschichte

Texte antworten immer auf die Zeitumstände, unter denen sie entstehen. Das gilt besonders für Texte politischer Schriftsteller wie Heinrich Heine. Die Schriften des liberalen, systemkritischen Heine stießen bei der preußischen Staatsmacht, die zu Heines Lebzeiten politisch den Ton in den deutschen Territorien angab, auf wenig Gegenliebe. Im jahre 1833 wurde in Preußen und 1835 im gesamten Gebiet des Deutschen Bundes seine Schriften verboten. Er war den Entscheidern Preußens also schon als Unruhestifter bekannt, als er im Jahre 1844 mit dem Winterrnährchen zu einem erneuten Versuch ausholte, den preußischen Staat und die deutsche Kultur ins Lächerliche zu ziehen. Seine Unternehmung war umso mehr gewagt, als dass für ihn die gleichen restriktiven Regeln galten wie für alle Produzenten kultureller Erzeugnisse. Texte mit einem Umfang von weniger als 20 Druckbögen (=320 Seiten) mussten die Vorzensur passieren. Alle oberhalb dieser Grenze liegenden Publikationen wurden von Zensoren in der Nachzensur, also nach der Veröffentlichung, begutachtet.

Einen Text wie das 'Winterrnährchen, das voller politischer Anspielungen und teils offener Kritik an den Staat Preußen ist, in deutschen Landen zu veröffentlichen, war somit keineswegs leicht. Um ihn ohne Vorzensur veröffentlichen zu können, entschied er sich, seinen Reisebericht zusammen mit den Neuen Gedichten abdrncken zu lassen. Zusammen mit diesen 33 Gedichten wuchs der Umfang des Buches auf 27 Druckbögen und musste nicht zur Vorzensur. Das hieltjulius Campe, Heines bevorzugter Verleger, nicht davon ab, die zuständige Zensurstelle um eine Vorab-Impri- matur, also eine Genehmigung des Inhalts des Wintermährchens zu bitten, bevor es erscheinen sollte. Dieses wurde von der Zensurbehörde, namentlich durch Syndikus Sieveking, ausdrücklich abgelehnt, mit dem Hinweis auf die Bestimmungen der 20- Bogen-Regel. Der Text erschien mit einigen selbstgewählten Änderungen[5] ohne offizielle Zensur

Da Heine diesen Text aber für hoch brisant hielt, wünschte er sich einen Separatdruck, der allerdings aufgrund seines geringen Umfangs die Vorzensur passieren musste. Die dort vom Zensor Hoffmann gestrichenen Stellen hätten dem Text jede Intention genommen. Nach der darauf folgenden Berufung wurde der Druck des

Winternährchen in einer weniger streng zensierten Fassung genehmigt,[6] die dennoch die Streichung und Neudichtung ganzer Strophen vorsah.

3. Fassungen in verschiedenen Ausgabetypen

3.1 Textfassungen in wissenschaftlichen Ausgaben

Die Geschichtlichkeit eines Textes darzustellen, ist spätestens seit Friedrich Beißner das Ziel umsichtiger Editoren. Beißner selbst hat dazu den sog. Treppenapparat entwickelt, mit dem er die Stufen der Textentwicklung in kaskadenartiger Abstufung darstellen konnte. So entsteht ein Schema, in dem eine frühe Textstufe durch eine spätere Stufe abgelöst wird. Die ursprüngliche Struktur der Texte geht dabei innerhalb dieses ineinander verschränkten Systems aus Texten verloren. Dieses System wird auch von den derzeit tonangebenden wissenschaftlichen Heine-Ausgaben verwendet, der DHA und der HSA.

Doch zunächst zur Wahl der Textgrundlage für den edierten Text. Die HSA und die DHA geben den Erstdruck Di des Wintermährchens als Vollabdruck wieder und unterdrücken alle anderen historisch bezeugten Fassungen. Zwar wird nicht explizit genannt, dass man damit dem Autorwillen gerecht werden wolle. Implizit teilen allerdings beide Ausgaben mit, dass der Autor eine zentrale Rolle bei der Textauswahl spielt. So wird bei der HSA die Billigung des Autors als Kriterium der Textauswahl herausgestellt. Sie verstrickt sich allerdings in Widersprüche wenn sie sagt, dass man es einerseits als Aufgabe sehe, »alle überlieferten Heine-Texte in der Gestalt darzubieten, in der sie mit Billigung des Dichters dem Lesepublikum seiner Zeit bekannt geworden sind [.. .]«[7]. Andererseits folgt man bei Buchveröffentlichungen in mehreren Auflagen dem Prinzip »die letzte, von Heine nachweislich selbst betreute als die seiner schöpferischen Intention am ehesten gerecht werdende Fassung als Vorlage für den Text der Säkularausgabe -]«[8] zu wählen. Ein Widerspruch, wie sich leicht an Heines Wintermährchen nachweisen lässt. Und ein Verbrechen an Texten generell, die mit so einem Verfahren ihrer Qualität als historischem Zeugnis beraubt werden. Wären diese Grundsätze konsequent befolgt worden, so hätte in der HSA das Wintermährchen in der Form des Separatdrucks, also zensiert, abgedruckt werden müssen. Denn auch dieser Druck wurde nachweislich von Heine überwacht, und zwar als letzter.

Ähnlich problematisch sind die Prinzipien der DHA. Diese Ausgabe folgt bei der Textwiedergabe dem Prinzip der Restitution. Das bedeutet »möglichste Wiederherstellung des durch Zensoren, Redakteure und andere fremde Hände entstellten originalen Textes [und] möglichste Wiederherstellung der durch Drucker, Korrektoren und Schreiber entstellten originalen Schreibweise.«[9] Das hat u. a. eine Emendation des als Beispiel genannten Wortes »umflittert«, das in der ersten Auflage des 'Buchs Le Grand als »umflimmert« wiedergegeben wird, zur Folge. Die DHA hält sich in diesem Beispiel an das Wort »umflimmert« aus der Erstausgabe und druckt nur dieses ab. Indem die DHA aber nur diese Form wiedergibt, nimmt sie einem anderen Text die Möglichkeit zu wirken — obwohl er genau das auf das zeitgenössische Publikum tat. Ich spreche hier bewusst von einem anderen Text und nicht von einer anderen Fassung eines Textes. Denn eine Abweichung zum Erstdruck an nur einer einzigen Stelle lässt den Text, der nach dieser Abweichung folgt, zu einem neuen Text werden.Jede Änderung auf der Mikroebene eines Textes muss Konsequenzen für die Betrachtung der Makroebene haben. Denn das neue Wort hat unmittelbaren Einfluss auf das Verständnis des Rezipienten, der mit diesem Wort den weiteren Text unterbewusst weiterliest. Wenn man also platt behauptet, dass Fassungen eines Textes sich durch Textidentität und Textvarianz auszeichnen, so hat man dabei den Leser aus dieser Bestimmung herausdefiniert.

Wie weit man die Strahlkraft eines Wortes und damit die Bedeutung einer »Variante« bemessen muss, ist Sache der Interpretation. Damit diese aber möglich wird, darf nicht einmal eine noch so kleine Abweichung fahrlässig in den Variantenapparat abgeschoben werden. Denn jede historische, veröffentlichte Ausformung eines Textes hat sich einst als Ganzes einem historischen Leser dargeboten und hatte somit eine Wirkung. Solche Analysen werden m. E. allerdings in den Hintergrund gedrängt, wenn man eine singuläre historische Ausformung überbetont, eine andere dafür in das Dickicht des Variantenapparats, in Einzelteilen zerlegt, verbannt.

Ein beliebter genannter Grund für solches Vorgehen ist die oben bereits erwähnte Intention des Autors, der man am besten gerecht werde, wenn man lediglich Drucke als Textgrundlage heranzieht, die von ihm überwacht wurden. Das ist leider ein viel verwendetes Argument, das für eine singuläre Uberlieferungssituation passend erscheint, für eine Vielzahl anderer Uberlieferungssituationen allerdings völlig ungeeignet ist. So kann man schon bei dem Erstdruck des Winternährchens in den 'Neuen Gedichten nicht von einer »Fassung« sprechen, die Heine so intendiert hat. Man muss hier die Selbstzensur Heines bedenken. Er wusste um die Sprengkraft seiner Worte und hat sie deswegen abgemildert. So heißt es in einem Brief vom 3. Mai 1844 an Campe: »Mit Censur kann es nicht gedruckt werden, obgleich ich bey der Durchsicht noch die grellsten Stellen strich, Ihretwegen, auch Ihretwegen bey der Conzepzion mich zügelte und gewiß auch jetzt noch ein Uebriges thäte.«[10] Die selbstgewählte Abhängigkeit Heines von Campe darf bei der Textgestalt nicht übersehen werden. Sie geht sogar soweit, dass Heine nach einem brieflichen Disput über Fragen der Zensur klein beigibt und in einem Brief vom 5.Juni 1844 an Campe schrieb:

Sobald ich Ihren Brief erhielt, [...], ging ich das Manuskript meines Gedichtes noch einmahl gewissenhaft durch, schrieb ganze Capitel um, änderte was nur zu ändern möglich war, und noch zum zweiten mahl machte ich Ausmerzungen, deren Spur Ihnen nicht entgehen wird. Aber in dieser Gestalt kann ich nichts mehr ändern und Sie werden durch die Lektüre sich überzeugen , daß das Gedicht jetzt zahm ist und für Sie nichts mehr von oben herab riskirt wird. Ich aber riskire wieder von unten herauf mißverstanden zu werden, [...].[11]

Man sieht: nur, weil es eine offiziell unzensierte »Fassung« ist, ist es deswegen noch längst keine, die der Intention des Autors am nächsten kommt. Will man eine »Fassung« dieses Textes zum edierten Text erheben, die der Autorintention nahe kommt, so müsste man an Hand der handschriftlichen Überlieferungen einen edierten Text konstruieren. Solches Vorgehen wäre allerdings eine divinatorische Leistung.

Dass man dennoch darauf bedacht ist, nur eine »Fassung« des Text als edierten Text mit dem Zusatz wiederzugeben, es handele sich dabei um den Autorwillen, hat m. E. seinen Grund darin, dass man materiellen und finanziellen Zwängen ein wissenschaftliches Gewand verleihen wollte. Es versteht sich, dass man in einer wissenschaftlichen Ausgabe nicht sämtliche Veröffentlichungen in einem Vollabdruck bieten kann. Solches Vorgehen würde jeden finanziellen Rahmen eines Editionsprojektes sprengen und, wie Siegfried Scheibe betont, dem Benutzer selbst die Aufgaben des Editors aufbürden.[12] Zugleich betont er, dass ein Editor die Verpflichtung habe, alle nicht aufgenommenen Textfassungen so wiederzugeben, dass sie vollständig rekonstruierbar werden.[13] Scheibe sieht darin keine Abwertung der nicht abgedruckten »Fassungen«.[14] Diese seien allesamt als gleichwertig zu betrachten.[15] Damit ist allerdings nicht geklärt, welche der gleichwertigen »Fassungen« man wiederzugeben habe. Scheibe hat in dieser Frage eine betont autorzentrierte Position, wie sie für die Zeit der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts in der Editionspraxis noch üblich war. Im Grunde könne »jede Fassung als Edierter Text abgedruckt werden«, da jede »Fassung« den Autor auf einer bestimmten Entwicklungsstufe repräsentiere.[16] Materielle Zwänge müssen aber zu der Wahl der abzudruckenden Fassung führen, »die das Werk und den Autor am zweckmäßigsten repräsentiert.«[17] In der Editionswissenschaft setze sich in dieser Frage das Prinzip »frühe Hand« durch, »daß also eine Textfassung vollständig geboten wird, die den Intentionen des Autors bei oder kurz nach der Ausarbeitung des Werks entspricht [.. ,]«.[18] Eine Ausgabe letzter Hand sei dabei allerdings auch legitim, da sie ebenfalls das Werk des Autors zu einer bestimmten Zeit darstelle.

Scheibe schrieb diese Gedanken in Bezug auf die Herausgabe der Texte Johann Wolfgang von Goethes, der sein Leben lang an seinen Texten gearbeitet hat, was je nach Lebensabschnitt zu verschiedenen Texten führte. Diese Gedanken sind für die Texte Heines nur begrenzt verwendbar. Nicht jede »Fassung« seiner Texte stellt ihn auf einer bestimmten Entwicklungsstufe dar, wie es allein das Winterrnährchen beweist. Mit dem Separatdruck des Winterrnährchens existiert ein stark veränderter Text, der unmittelbar nach dem Erstdruck erschienen ist. Natürlich kann man nun, wie Scheibe empfiehlt, den Erstdruck als zweckmäßigste Repräsentation zur Grundlage des edierten Textes heranziehen und den Separatdruck unterdrücken. So ist es letztlich auch bei der DHA und der HSA geschehen. Das Problem ist allerdings, dass der Editor hier entscheiden muss, welcher Text der zweckmäßigere ist. An welchen Kriterien misst er seine Entscheidung? Scheibe gibt darauf keine Antwort. Vermuten kann man nur, dass er den Autor und dessen Gedanken in divinatorischer Geistesverschmelzung mit dem Längstverstorbenen bestmöglichst darstellen möchte.

Solcherlei Positionen sind allerdings veraltet, wie Herbert Kraft feststellt. »Der Kunstcharakter des Werkes ist vom Willen des Autors nicht abhängig.«[19] Und:

Das Interesse an der Literatur fragt nicht nach Kriterien, die ihr äußerlich bleiben, darum auch nicht nach dem Willen des Dichters, sondern reflektiert das Werk in seiner eigenen Geschichtlichkeit, in Produktion und Rezeption als dem Prozeß seiner Geschichte.[20]

Kraft stellt sich damit dezidiert gegen den Begriff der Autorisation. Ihm zufolge könne der Wille des Autors über die Gestalt nicht das Maß für einen Editor sein. Das Maß solle vielmehr die Authentizität literarischer Texte sein, die sie durch ihre bloße Existenz gewinnen.

Die Kunst hat ihre Existenz in der Zeit, jeweils an der Stelle der Wirkung der geschichtlichen Wirklichkeit auf das Werk und der Wirkung des Werks auf die geschichtliche Wirklichkeit [...]. Das Werk kann nicht gegen seine geschichtliche Existenz — ungeschichtlich — konstruiert werden.[21]

Den Schluss, den er aus der sehr richtigen Beobachtung der »Faktizität der Texte« zieht, ist leider nicht verallgemeinernngsfähig: »Diejenige Fassung wird als >Text< ediert, die am Schnittpunkt von Produktion und Rezeption Werkcharakter begründet hat: der Erstdruck.[22] « Er verfällt damit zurück in die Spur, die er zuvor bekämpfte. Wird nämlich nur der Erstdruck als Textgrundlage herangezogen, so macht man die benannte Schnittstelle von Produktion und Rezeption vom Autor abhängig. Dabei heißt es doch bei ihm: »Auf das Gedicht kommt es an, nicht auf den Dichter.«[23] Konsequent zu Ende gedacht müsste daraus der Schluss gezogen werden, dass jede »Fassung« eines Textes, auf den produktiv, d. h. verändernd, eingewirkt wurde, auch abgedruckt werden muss. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Autor in einer späteren »Fassung« produktiv darauf einwirkte. Auch Veränderungen von fremder Hand können zu Texten führen, die rezipiert werden. Allein dadurch haben sie Anspruch auf Wiedergabe.

Bezogen auf das Wintermährchen gehören somit die vom Autor überwachten Drnkke, der Erst- und Separatdruck, abgedruckt und jeder weitere unbeaufsichtigte Druck wie z. B. die Wiedergabe in der 'Familienbibliothek der deutschen Cbssiked[24], die eine stark geraffte und Caput-Grenzen nicht beachtende Version wiedergibt. Um dadurch den Benutzer wegen der möglicherweise entstehenden Materialfülle nicht selbst die Arbeit des Editors zu überlassen, ist es ratsam, auf Textwiedergaben des Wintermährchens, die lediglich orthographische Veränderungen vornehmen, zu verzichten. Ein probates Mittel, um finanziellen wie materiellen Druck gerecht zu werden, ohne sich beugen zu müssen, ist die Herausgabe als hybride Edition. Dabei sollten die edierten Texte nach Möglichkeit in Form eines synoptischen Apparats präsentiert werden, in dem die einzige ordnende Achse eine historische Anordnung von links nach rechtssein sollte. Auf www.verbindungslinien.de habe ich eine solche Darstellung für das Wintermährchen angewendet. Der gedruckte Apparat sollte den Makro- und den Mikrokommentar enthalten[25], die Paralipomena zum Wintermährchen wiedergeben, allerdings auf eine textgenetische Darstellung in Form eines Treppenapparats verzichten. Denkbar wäre es, auch für die Handschriften zum Wintermährchen eine synoptische Darstellung zu wählen.

3.2 Textfassungen in Studien- und Leseausgaben

Der Darbietung von Texten in wissenschaftlichen Ausgaben habe ich deswegen so viel Aufmerksamkeit gewidmet, weil die dort edierten Texte meist als Grundlage für Studien- und Leseausgaben dienen. Leider wird noch immer selten, genauso wie in der Vergangenheit, der edierte Text der HKAs in seiner historischen Form präsentiert. Eine Formulierung, wie man sie häufig in bearbeiteten Texten findet, ist folgende:

Orthographie und Interpunktion wurden — bei Wahrung des historischen Lautstandes und unter Berücksichtigung der stilistischen wie der metrischen und rhythmischen Eigenheiten — auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln modernisiert. Fehlende Anführungszeichen sind ergänzt, offensichtliche Druckfehler stillschweigend berichtigt.[26]

So zu finden in einer Ausgabe des Wintermährchens einer der wohl wichtigsten Verleger bedeutender literarischer Texte: Reclam. Merkt man dieser Formulierung zwar den philologischen Anspruch an, so bewegen sich die dargestellten Maßgaben doch auf einem brüchigen Holzweg.

[...]


[1] http://www.worldcat.org/wcidentities/lccn-n79-81313, zuletzt abgerufen am 10. Dezember 2010.

[2] Peter Eisenberg (Hg.): Der Jugend ^uliebe. ^Literarische Texte, fürdie Schule verändert (^Valerio 11); Göttingen 2010.

[3] Manfred Windfuhr (Dg.')-.Historisch- kritische Gesamtausgabe der Werbe/ Heinrich Heine, Düsseldorfer Ausgabe (DHA), daraus: Winfried Woesler (Bearbeiter): Bd. 4 — Atta Troll: Ein Sommernachtstraum — Deutschland. Ein Wintermärchen, bearbeitet von Winfried Woesler, Hamburg 1985.

[4] Nationale Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar (Hg.): Heinrich Heine Säkularausgabe (HSA). Werke, Briejirechsel, Eebens^eugnisse, daraus: IrmgardMöller/ Hans Böhm (Bearbeiter): Bd. 2 — Gedichte 1827-1844 und Wersepen, Berlin/ Paris 1979.

[5] Vgl. HSA Bd. 2 К III, S. 35.

[6] Vgl. dazu DHA, Bd. 4, S. 969, 5-15.

[7] Karl-Heinz Hahn/ Pierre Grappin: Vorwort zur Heinrich-Heine-Säkularausgabe in: HSA, Bd. 1 KI, S. 9-23, hier: S. 17.

[8] Ebd.

[9] Manfred Windfuhr: Herausgeberbericht in: DHA (wie Anm. 3), Bd. 1, S. 1257-1274, hier: S. 1263.

[10] Brief anjulius Campe in Hamburg (1002), HSA Bd. 22, S. 103, 27ff.

[11] Brief anjulius Campe in Hamburg (1004), HSA Bd. 22, S. 107, 16-23.

[12] Vgl. Siegfried Scheibe: Zu einigen Grundprinzipien einer historisch-kritischen Ausgabe, in: Gunter Martens/ Hans Zeller (Hg.): Texte und Varianten. Prob/eme ihrerEdiiion und Interpretation., München 1971, S. 1-43, hier: S. 33.

[13] Ebd.

[14] Ebd., S. 36.

[15] Ebd., vgl. S. 33.

[16] Ebd., vgl. S. 35.

[17] Ebd., S. 33.

[18] Ebd. S. 35.

[19] Heibeit Kraft: Geschichtlichkeit, nicht Vermächtnis oder Authentizität statt Autorisation, in: deis.: Vditionsphilologie,Frankfurt a. M. 22001, S. 24-46, hier: S. 28.

[20] Ebd.

[21] Herbert Kraft: Die Geschichtlichkeit UterarischerTexte, zit. nach Kraft 2001 (wie Anm. 18), S. 34.

[22] Kraft 2001 (wie Anm. 18), S. 35.

[23] Ebd.,S.31.

[24] Familienbibliotbek der Deutscben Classiker. Bine Antbologie in 100 Banden, 26. Supplcmcntband, Hildburghauscn/ Amsterdam 1846, S. 126-187.

[25] Zu der Kommentierungsweise des Wintermährchens findet sich Ausführlicheres in der bei Herrn Dr. Jungmayr eingereichten Seminararbeit.

[26] Werner Bellmann (Hg.): Deutschland Ein Wintermärchen, Ditzingen 2004, S. 77.

Fin de l'extrait de 14 pages

Résumé des informations

Titre
Textfassungen im Vergleich. Textdarstellungen in verschiedenen Ausgabetypen von Heinrich Heines "Deutschland. Ein Wintermährchen"
Université
Free University of Berlin  (Institut für Deutsche und Niederländische Philologie)
Cours
Heinrich Heine (Modul Editorische Praxis)
Note
1,0
Auteur
Année
2012
Pages
14
N° de catalogue
V320265
ISBN (ebook)
9783668195325
ISBN (Livre)
9783668195332
Taille d'un fichier
501 KB
Langue
allemand
Mots clés
Heinrich Heine, Editorische Praxis, Literarwissenschaft, Editionswissenschaft, Wintermärchen, Textfassungen
Citation du texte
Patrick Ewald (Auteur), 2012, Textfassungen im Vergleich. Textdarstellungen in verschiedenen Ausgabetypen von Heinrich Heines "Deutschland. Ein Wintermährchen", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/320265

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