Bildungstheorien des Nationalsozialismus

Heute noch in Deutschland vorhanden oder von der Bildfläche verschwunden?


Bachelorarbeit, 2015

58 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1.0 Einleitung

2.0 Reformpädagogik in der Weimarer Republik
2.1 Arbeitsschulen
2.2 Landerziehungsheime
2.3 Waldorfschule

3.0 Machtergreifung Hitlers im Jahre 1933

4.0 Menschenbild im Nationalsozialismus
4.1 Leitbilder der neuen Pädagogik ab 1933
4.1.1 Körper, Charakter und Geist
4.1.2 Gleichschaltung, Gemeinschaftsgefühl und Unterordnung
4.1.3 Rassegedanke
4.2 Ideologie der Erziehung

5.0 Erziehung
5.1 Formationserziehung am Beispiel der Hitler-Jugend
5.2 Allgemeine Änderungen im Schulwesen
5.3 Nationalpolitische Erziehungsanstalten und Adolf-Hitler-Schulen im Vergleich
5.3.1 Nationalpolitische Erziehungsanstalten
5.3.2 Adolf-Hitler-Schulen
5.4 Generelle Wichtigkeit der Jugend

6.0 Bildungstheorie im Nationalsozialismus

7.0 Heutiges Schulsystem

8.0 Bildungstheorien heutzutage

9.0 Schlussbetrachtung

10.0 Quellen und Literatur
10.1 Literatur
10.1.1 Primärliteratur
10.1.2 Sekundärliteratur
10.2 Elektronische Quellen

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Bildungsorte und Lernwelten in Deutschland

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.0 Einleitung

Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit den nationalsozialistischen Bildungstheorien in der Zeit von 1933-1945, um anschließend Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu heutigen Bildungstheorien herauszuarbeiten.

Die Zeit von 1933-1945 ist von religiöser und politischer Verfolgung und von Gewalt und Tod geprägt. Die Nationalsozialisten stellen in dieser Zeit die Regierung in einem Staat mit dem Führer und Reichskanzler Adolf Hitler an der Spitze. Mit der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 endete die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten. Schon 1921 verhalf Adolf Hitler der NSDAP zu ihrem allmählichen Aufstieg und baute sie in der Folgezeit zunehmend aus. Hierzu gehörten z.B. die Aufstellung der SS und die Bildung der HJ. Die NSDAP konnte sich allerdings zunächst nicht wirklich durchsetzen. Die 1929 aufgekommene Weltwirtschaftskrise, ausgelöst durch den sogenannten Schwarzen Freitag am 25. Oktober 1929, war eine der wichtigsten Bedingungen für den Aufstieg der Nationalsozialisten. Die mit der Weltwirtschaftskrise einhergehende Arbeitslosigkeit begründete einen massenhaften Andrang neuer Parteigenossen innerhalb der NSDAP. Mit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30.01.1933 gelang es den Nationalsozialisten, die Macht über das Deutsche Reich an sich zu reißen.

Bereits Mitte der sechziger Jahre begannen Wissenschaftler mit der historischen Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus, indem sie eine Studie zur Schulpolitik dieser Zeit durchführten. Absicht war es, die Veränderungen im Bildungswesen und die mit ihnen einhergehenden Umorientierungen zu untersuchen. Mitte der siebziger Jahre wurde nationalsozialistischen Bildungseinrichtungen besondere Beachtung geschenkt. Daran anschließend folgte schon bald die Veröffentlichung von Sammlungen über amtliche Erlasse und Richtlinien, die eine weitere Analyse der schulpolitischen Neuerungen durch das NS-Regime erlaubten. Eine Sammlung fand in dieser Studie ebenfalls Verwendung, diese ist von Renate Fricke-Finkelnburg.

Um die Bildungstheorien der Nationalsozialisten näher beleuchten zu können, werde ich mit der vor der Zeit des Nationalsozialismus angewandten Bildungstheorie der Reformpädagogik in der Weimarer Republik beginnen. Anschließend beleuchte ich den Übergang der Weimarer Republik zum Deutschen Reich und zum nationalsozialistischen Staat durch die Machtergreifung Hitlers. Um die Bildungstheorien der Nationalsozialisten besser nachvollziehen zu können, gehe ich auf die verschiedenen vorherrschenden Menschenbilder während dieser Zeit und die allgemeine Erziehung ein. Dieses Kapitel wird neben den allgemeinen Schuländerungen die Formationserziehung der HJ beleuchten und sich mit den sog. Eliteschulen des NS-Regimes beschäftigen. Danach werde ich die Evolutionstheorie des Sozialdarwinismus, dessen Hitler ein großer Vertreter war, vorstellen. Anschließend stelle ich das heutige Bildungssystem vor und gehe auf die heute angewandten Bildungstheorien ein, um abschließend Gemeinsamkeiten und Unterschiede innerhalb der Bildungstheorien und des Schulwesens herauszuarbeiten.

2.0 Reformpädagogik in der Weimarer Republik

Wie die Kapitelüberschrift schon andeutet, vernachlässige ich die Entstehungsgeschichten und deren Gründungsväter der reformpädagogischen Ansätze im nachstehenden Kapitel und beschränke mich lediglich auf die Reformpädagogik zur Zeit der Weimarer Republik bis zum Ende des Deutschen Kaiserreiches.

Anfang des 20. Jahrhunderts ist der Vereinheitlichungs- und Systematisierungsprozess in Deutschland bereits weit vorangeschritten. Neben den höheren und den Volksschulen, die sich in öffentlicher Trägerschaft befanden, bestanden bereits Mittelschulen. Diese waren allerdings zumeist in privater Trägerschaft.[1] Der zuvor stattgefundene Ausbau des höheren Schulwesens hatte eine immer größer werdende Schülerzahl zur Folge. Dadurch sank das Niveau an den höheren Schulen, sodass man den Zulauf durch den Ausbau des mittleren Schulwesens reduzieren wollte. Die Absicht, die das Ministerium verfolgte, war, dass durch den Ausbau des Mittelschulwesens, die Schüler, die einen Einstieg in das Berufsleben planten, von den höheren Schulen ferngehalten werden zu können.[2] Die Deutsche Lehrerversammlung legte dazu 1912 folgende Aspekte der Vereinheitlichung fest:[3]

„1. Zusammenfassung und <organische> Gliederung aller Bereiche des Bildungswesens vom Kindergarten bis zur Hochschule.
2. Beseitigung aller strukturellen und finanziellen Hinderungsgründe für einen Besuch weiterführender Schulen.
3. Aufhebung der konfessionellen Trennung im Schulwesen.
4. Errichtung eines reichseinheitlichen Schulwesens und einer Reichsschulbehörde.
5. Einheitliche Regelung der Vorbildung und Besoldung der Lehrer.“[4]

Bereits in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wurden viele Forderungen der DLV umgesetzt und der Besuch der vierjährigen Grundschule war für alle obligatorisch. Die Grundschulen waren in den Volksschulen eingegliedert, was zur Folge hatte, dass alle Schüler/innen einen Teil der Volksschule besuchen mussten. Privatschulen, die zuvor von sozial höher gestellten Schichten besucht wurden, hatte man durch die nun für alle verpflichtende öffentliche Grundschule ersetzt oder zumindest zurückgedrängt. Dadurch wuchs das gesellschaftliche Ansehen der Volksschullehrer, da sie nun nicht mehr als Lehrer der Unterschicht galten.[5]

Anfang des 20. Jahrhunderts wuchs das Interesse an reformpädagogischen Ansätzen in Deutschland. Ab 1918, also nach dem Ersten Weltkrieg, wurden diese Ansätze öffentlich anerkannt. Die neue Schule sollte nun vielmehr am Subjekt gestaltet werden und andere Lerninhalte vermitteln als zuvor. Das Subjekt wurde von nun an mit neuen didaktischen Methoden wie Selbsttätigkeit, Selbsterziehung und Gruppenarbeit erzogen. Jedwede Erziehung war von nun an am Lernenden orientiert stattfinden. Diese starke Orientierung der Erziehung vom Kinde aus ist ein pädagogischer Ansatz den bereits Jean-Jacques Rousseau im 18. Jahrhundert vertrat. In seinem Hauptwerk „Emil oder über die Erziehung“ beschreibt Rousseau das Prinzip des Wachsenlassens. Rousseaus Erziehungsprinzip nimmt dabei an, dass sich jedes Kind selbst erzieht und entfaltet, ähnlich wie es bei Pflanzen stattfindet. Voraussetzung hierfür ist allerdings, sowohl beim Zögling als auch bei der Pflanze, dass genügend Nahrung vorhanden ist, um wachsen zu können.[6] Außerdem soll jeder Einfluss von außen vermieden werden, sodass die Hauptaufgabe der Erzieher darin besteht, sich vollumfänglich der Erziehung des Zöglings zu widmen. Er soll lediglich bei der freien Entfaltung unterstützend tätig werden und die Individualität des Zöglings respektieren.[7] Diese Art der Erziehung nennt man negative Erziehung.

In den golgenden Absätzen werde ich die wichtigsten reformpädagogischen Ansätze während der Weimarer Republik kurz vorstellen und näher beleuchten, sodass ein Überblick der verschiedenen Ansätze entsteht.

2.1 Arbeitsschulen

Die Konzeption der Arbeitsschulen entspringt einem Zitat von Johann Amos Comenius. Seine anthropologische[8] Ansicht beschreibt, dass die Arbeit und menschliches Handeln eine entscheidende Rolle für den Menschen spielt. Der Mensch sieht die Arbeit als Existenzbedingung der Gesellschaft. Deshalb ist es naheliegend, Arbeit als Werkzeug der Erziehung nutzen zu können und Arbeitsschulen zu gründen.[9]

„Dem Menschen ist ... der Wissensdrang eingepflanzt und die Fähigkeit, Arbeit nicht nur geduldig auf sich zu nehmen, sondern zu begehren. Das tritt schon im frühesten Kindesalter zutage und begleitet uns durchs ganze Leben.“[10]

Gründer und Entwickler der Arbeitsschule in der Weimarer Republik war Georg Kerschensteiner. Seine Absicht war es,[11]

„ ... (den) Wert unserer Schulerziehung, soweit sie die großen Volksmassen genießen, beruht im wesentlichen weniger auf der Ausbildung des Gedankenkreises als vielmehr in der konsequenten Erziehung zu fleißiger, gewissenhafter, gründlicher, sauberer Arbeit, in der stetigen Gewöhnung zu unbedingten Gehorsam und treuer Pflichterfüllung und in der autoritativen unablässigen Anleitung zum Ausüben der Dienstgefälligkeit“.[12]

Er wollte also weniger den Geist der Zöglinge bilden, sondern diese vielmehr zu fleißigen und gewissenhaften Arbeitern ausbilden. In seinen Augen sollte das Hauptaugenmerk darauf liegen, einen brauchbaren Staatsbürger zu erziehen.[13] Das Konzept der Arbeitsschule orientierte sich nicht an den pädagogischen Ansätzen Jean-Jacques Rousseaus, sondern zum Teil an denen von Johann Heinrich Pestalozzi. Bei dessen Ansatz sollen Kopf, Herz und Hand des Zöglings die gleiche Bedeutsamkeit zugeschrieben werden. Kopf, Herz und Hand standen bei Pestalozzi für die intellektuellen, emotionalen und handwerklichen Fähigkeiten des Zöglings. Diese drei Kräfte sollten bei der Erziehung des Zöglings in Einklang gebracht werden. Das Herz spielte allerdings in der Arbeitsschule eine untergeordnete Rolle, weshalb hier lediglich von einem Teil seines Ansatzes gesprochen werden kann. Der Unterricht der Arbeitsschule war nicht am Zögling ausgerichtet, sondern diente lediglich der Erfüllung der Sache. Die Zöglinge erzogen beziehungsweise entwickelten sich nicht von selbst wie bei Rousseau, sondern wurden von den Lehrern geführt. Diese Schulen befanden sich zumeist eher außerhalb der Städte, um gewährleisten zu können, dass die Familie keinerlei Einfluss auf den Zögling nehmen konnte. Grund hierfür war, dass man der Familie als Sozialisationsinstanz eher skeptisch gegenüber stand.[14] Um diesen Ansatz Pestalozzis umzusetzen, hatten Erziehung und Schule drei Aufgaben, die aufeinander aufbauen, zu erfüllen:[15]

1. „Berufsbildung bzw. deren Vorbereitung,
2. Versittlichung der Berufsbildung und
3. Versittlichung des Gemeinwesens als „höchste Erziehungsaufgabe der öffentlichen Schule.“[16]

Die Berufsbildung beziehungsweise die Vorbereitung derer soll dazu dienen, den Zögling zu befähigen, einer Berufstätigkeit nachzukommen und den Staat somit in irgendeiner Form zu fördern.[17]

Die Versittlichung der Berufsbildung befähigt den Zögling dazu, ein tieferes Verständnis seiner Berufstätigkeit zu entwickeln und nicht nur bloße Lebenserhaltung in ihr zu sehen.[18]

Die Versittlichung des Gemeinwesens setzt ein moralisches Verständnis und eine intellektuelle Begabung des Zöglings voraus, sodass er mit seiner Persönlichkeit ein Teil zur Entwicklung des Gemeinwesens beitragen kann.[19]

2.2 Landerziehungsheime

Gründer der Landerziehungsheime war Hermann Lietz. Er gründete bereits 1898 das erste Landerziehungsheim in Ilsenburg im Harz.[20] Ähnlich wie bereits die Arbeitsschulen, lagen die Landerziehungsheime, wie der Name bereits verrät, in ländlichen Gegenden, um den angenommenen negativen Einfluss der Großstädte und der Familie von den anvertrauten Zöglingen abzuwenden.[21] Die Landerziehungsheime wollten die

„Kinder zu harmonischen, selbstständigen Charakteren, zu deutschen Jünglingen, die an Leib und Seele gesund und stark, die körperlich, praktisch, wissenschaftlich und künstlerisch tüchtig sind, die klar und scharf denken, warm empfinden, mutig und stark wollen“[22]

heranerziehen. Die Landerziehungsheime hatten als Schwerpunkt eine naturwissenschaftliche Orientierung. Die Zöglinge hatten sich neben naturwissenschaftlichem Unterricht sportlich betätigen, praktisch Arbeiten und sich geistig und emotional weiterentwickeln.[23] Hier lässt sich Pestalozzis pädagogischer Ansatz von Kopf, Hand und Herz erneut wiederfinden. Anders als bei den Arbeitsschulen legen die Landerziehungsheime eine stärkere Gewichtung auf das Herz, sodass bei den Landerziehungsheimen durchaus von einem Einklang der drei Fähigkeiten des Zöglings gesprochen werden kann.

Außerdem wurden die Schüler/innen koedukativ unterrichtet, was zur Folge hatte, dass sowohl für Jungen, als auch für Mädchen derselbe Unterricht in allen Fächern angeboten werden konnte. Diese Unterrichtungsform war zur damaligen Zeit eine Neuerung innerhalb des Bildungssystems und wurde von Teilen der Gesellschaft nicht nur positiv aufgenommen. Des Weiteren waren die Lehrer in den Landerziehungsheimen mit den Schülern gleichgestellt, sodass sie als Mitlernende verstanden wurden und nicht, wie bei den Arbeitsschulen, als Vorgesetzte.[24]

2.3 Waldorfschule

Rudolf Steiner gilt als Gründer der ersten Waldorfschule in Stuttgart.[25] Er selbst gründete diese allerdings nicht, sondern Emil Molt, der Steiners Dreigliederungsbewegung angehörte. Steiners Pädagogik beruht auf einem anthroposophischen Menschenbild, welches die Befreiung des Geistes von politischen und wirtschaftlichen Zwängen als oberstes Ziel hatte. Grund hierfür war die damalige Menschenentwicklung durch die Industrialisierung. Dadurch wurde der Mensch laut Steiner unmenschlich. Die Rettung der Menschheit sah er deshalb in der Dreiteilung des sozialen Organismus. Seine Idee hierfür hatte er den Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit der Französischen Revolution entnommen und neu interpretiert:[26] Freiheit hatte es von nun an im Geistesleben zu geben, Gleichheit sollte im Rechts- und Staatsleben existieren und Brüderlichkeit sollte es von nun an im Wirtschaftsleben geben.[27] Kurz gesagt forderte Steiner damit Individualismus, Demokratie und Sozialismus. Lediglich der Individualismus wurde von Steiners Angehörigen der Dreigliederungsbewegung Molt durchgesetzt. Auf einer Betriebsratssitzung 1919 wurde dem Staat jede Aufsicht über das Bildungssystem entzogen, sodass die Waldorfschule gegründet werden konnte.[28]

Auch hier wird der pädagogische Ansatz Pestalozzis verfolgt. Lediglich die Begrifflichkeiten unterscheiden sich. Steiner spricht von Denken, Fühlen und Wollen, wobei davon ausgegangen werden kann, dass diese äquivalent zu Kopf, Herz und Hand sind. Es steht also auch bei Steiners Waldorfschule das Erleben vor der reinen Wissensvermittlung. Zensuren und sitzenbleiben gibt es an den Waldorfschulen nicht. Lediglich ein Schulzeugnis, welches die persönliche Entwicklung des Charakters und den Fortschritt des Zöglings beinhaltet, wird ausgestellt. Während des Nationalsozialismus wurde die Waldorfschule wegen ihrer Ausrichtung auf das Individuum verboten, konnte sich aber nach dem Krieg 1945 erneut etablieren und existiert bis heute.[29]

3.0 Machtergreifung Hitlers im Jahre 1933

Bei der Machtergreifung Hitlers werde ich mich im Folgenden lediglich auf die Reichstagsregierungen ab 1930 beschränken, um zu beleuchten, wie Hitler Reichskanzler und später Führer und Reichskanzler werden konnte.

Am 16.04.1925 wurde Paul von Hindenburg im zweiten Wahldurchgang, als parteiloser Kandidat, zum Reichspräsidenten gewählt. Obwohl er sich zur Monarchie bekannte, leistete er den Eid auf die Weimarer Verfassung. Viele Monarchisten sahen in ihm eine Art „Ersatzkaiser“. Ohne das Parlament zu informieren ernannte Hindenburg im März 1930 den Zentrumspolitiker Heinrich Brüning zum Reichskanzler und übertrug ihm somit die Regierungsgeschäfte. Die Ernennung Brünings legte den Grundstein für eine ganze Reihe von Präsidialkabinetten.[30] Am 18.07.1930 löste Reichspräsident Paul von Hindenburg den Reichstag auf, wozu ihn Artikel 25 der Weimarer Verfassung ermächtigte, in dem es heißt[31]: „Der Reichspräsident kann den Reichstag auflösen, jedoch nur einmal aus dem gleichen Anlaß.“[32] Der Reichspräsident konnte also nach eigenem Ermessen den Reichstag jederzeit auflösen. Bereits bei den Reichstagswahlen am 14.09.1930 erhielt die NSDAP einen starken Stimmenzuwachs. Seit dieser Wahl wurde die Regierung Brünings von der SPD zwar toleriert, aber nie wirklich akzeptiert. Die Sparpolitik, die Brüning verfolgte, fand im Parlament allerdings keine Mehrheit, sodass diese mit dem Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten durchgesetzt werden musste. Brüning wollte damit die Funktion des Parlaments lediglich auf eine beratende Tätigkeit degradieren.[33] Diese sogenannten Präsidialkabinette ohne Parlamentsmehrheit waren dennoch mit der Regierungsführung durch den Reichspräsidenten beauftragt. Spätere Regierungen, wie beispielsweise die von Papen und Schleicher, hatten ebenfalls diese Form.[34] Reichspräsident Hindenburg verlangte am 07.10.1931, dass die Politik Brünings rechtsorientierter Handeln sollte, um die NSDAP in die Regierung einzubinden und so auf der Grundlage einer stabilen Parlamentsmehrheit regieren zu können.[35] Daraufhin empfingen Hindenburg und Brüning am 10.11.1931 Adolf Hitler, um eine Zusammenarbeit mit der NSDAP zu besprechen und somit den Druck, den die Nationale Opposition auf die Regierung ausübte, zu reduzieren. Die Verhandlungen scheiterten.[36] Am 10.04.1932 fand die Wahl des Reichspräsidenten statt. Hitler hatte sich neben Hindenburg ebenfalls zur Wahl aufstellen lassen. Im ersten Wahldurchgang erhielt er 30% der Stimmen, im zweiten 37%. Hindenburg wurde im zweiten Wahldurchgang erneut zum Reichspräsidenten gewählt.[37] Der Reichswehr- und Innenminister Wilhelm Groener verbot am 13.04.1932 die SS und die SA, aufgrund der vorherigen Randalen durch diese Organisationen während der Reichspräsidentenwahl. Am 30.05.1932 musste Brüning zurücktreten, da General Kurt von Schleicher Brünings Regierung stark kritisierte, indem er ihr vorwarf, die rechtsorientierten Parteien zu wenig in seiner Politik zu berücksichtigen und den Interessen der ostdeutschen Landwirtschaft keinerlei Beachtung zu schenken. Von Hindenburg teilte von Schleichers Ansicht, dass Brüning die Integration der Nationalsozialisten nicht ausreichend berücksichtigte.[38] Sein Nachfolger war Franz von Papen. Dieser wurde bereits am 01.06.1932 zum Reichskanzler ernannt. Auch seine Regierung hatte im Parlament keine Mehrheit und war somit auf das Vertrauen des Reichspräsidenten angewiesen. Franz von Papen konnte, wie zuvor bereits Brüning, ebenfalls nur über die Notverordnung des Reichspräsidenten regieren. Am 04.06.1932 löste Reichspräsident Hindenburg auf Antrag des Reichskanzlers von Papen den Reichstag auf. Von nun an regierte der Reichskanzler durch die Notverordnung des Reichspräsidenten und ohne den Reichstag. Eine Woche später hob von Papen das zuvor ergangene Verbot der SS und SA wieder auf. Im Gegenzug dazu versprach ihm Hitler, dass die NSDAP die Regierung von Papens toleriere. Von Papen gelang es am 20.07.1932 durch eine Notverordnung des Reichspräsidenten, die sozialdemokratische Regierung Preußens abzusetzen und ließ sich selbst zum Reichskommissar Preußens ernennen (sog. Preußenschlag). Damit war der Grundstein für die Gleichschaltung des Reiches gelegt. Bei den daran anschließenden Reichstagswahlen am 31.07. 1932 blieb die NSDAP die stärkste Partei mit 37,4%. Von Papen bot Hitler an, in seinem Kabinett Vizekanzler zu werden. Das lehnte Hitler jedoch ab. Aufgrund eines Misstrauensvotums am 12.09.1932 löste Hindenburg den Reichstag erneut auf. Am 17.11.1932 trat von Papen offiziell als Reichskanzler zurück, da seine angestrebte Politik im Reich keinen Anschluss fand.[39] Sein Nachfolger wurde Kurt von Schleicher. Hindenburg ernannte ihn am 03.12.1932 als Nachfolger von Papens zum Reichskanzler, da die zuvor geführten Gespräche mit Hitler über eine Beteiligung der NSDAP an einer Regierung zu keinem Ergebnis kamen. Grund hierfür war, dass Hitler sich nicht mit der Position des Vizekanzlers zufrieden geben wollte, Hindenburg ihn aber nicht zum Reichskanzler ernennen wollte. Schleichers Bemühungen, eine Massenbasis für seine Regierung zu schaffen, scheiterten. Grund hierfür waren die Führungen der SPD und der NSDAP, mit deren Unterstützung Schleicher nicht rechnen konnte. Noch während Schleichers Zeit als Reichskanzler wurde Papen bereits von Hindenburg damit beauftragt, mit Hitler Verhandlungen über die Bildung einer durch die NSDAP geführten Reichsregierung mit Hitler als Reichskanzler zu führen. Am 28.01.1933 erklärte Schleicher seine Regierung für gescheitert und trat mit dieser zurück. Er empfahl Hindenburg ebenfalls, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen.[40] Am 30.01.1933 ernannte Reichspräsident Hindenburg Hitler zum Reichskanzler eines konservativen Kabinetts.[41] Mit der von Hindenburg unterschriebenen Verordnung zum Schutz von Volk und Staat, auch bekannt als Ermächtigungsgesetz, stand der nationalsozialistischen Diktatur nichts mehr im Wege. Hindenburgs Teilnahme am Tag von Potsdam und sein im Bild festgehaltener Handschlag mit Hitler am 21.03.1933[42] steigerte das Ansehen der Regierung Hitlers und machte sie für einen großen Teil der Bevölkerung erst gesellschaftsfähig.[43] Hitler galt nun endgültig nicht mehr als politisches „Schmuddelkind“.

Schließlich verstarb Hindenburg am 02.08.1934, sodass der alleinigen Herrschaft Hitlers nichts mehr im Wege stand. Von nun an wurden Eide auf die Person Hitlers und nicht mehr auf die Verfassung geleistet.[44] Am gleichen Tag, an dem Hindenburg verstarb, vereinigte Hitler die Ämter des Reichspräsidenten und schuf so das Amt des Führers und Reichskanzlers.[45]

4.0 Menschenbild im Nationalsozialismus

„... Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muß weggehämmert werden. In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird. Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. Jugend muß alles sein. Schmerzen muß sie ertragen. Es darf nichts Schwaches, Zärtliches an ihr sein. Das freie, herrliche Raubtier muß erst wieder aus ihren Augen blitzen. Stark und schön will ich meine Jugend. Ich werde sie in allen Leibesübungen ausbilden lassen. Ich will eine athletische Jugend. Das ist das Erste und Wichtigste. So merze ich die Tausende von Jahren der menschlichen Domestikation aus. So habe ich das reine, edle Material der Natur vor mir. So kann ich das Neue schaffen.

Ich will keine intellektuelle Erziehung. Mit Wissen verderbe ich mir die Jugend. Am liebsten ließe ich sie nur das lernen, was sie ihrem Spieltrieb folgend sich freiwillig aneignen. Aber Beherrschung müssen sie lernen. Sie sollen mir in den schwierigsten Proben die Todesfurcht besiegen lernen. Das ist die Stufe der heroischen Jugend. Aus ihr wächst die Stufe des Freien, des Menschen, der Maß und Mitte der Welt ist, des schaffenden Menschen, des Gottmenschen. In meinen Ordensburgen wird der schöne, sich selbst gebietende Gottmensch als kultisches Bild stehen und die Jugend auf die kommende Stufe der männlichen Reife vorbereiten...“.[46]

Das Menschenbild, welches Hitler hier in einem Gespräch propagiert, ist nicht nur ein erschreckendes, sondern auch ein brutales. Er spricht von Raubtieren, die ein kultisches Bild als Gottmenschen verkörpern sollten, um eine heroische Jugend zu werden. Aufgrund der Tatsache, dass Hitler vom Gottmenschen Raubtier spricht, kann davon ausgegangen werden, dass er sich eine brutale und furchtlose Kämpfernatur als Leitbild der Jugend vorstellte. Diesem Leitbild sollte allerdings alles Menschliche fremd sein.[47]

Um dieses Ziel erreichen zu können, galt es, ein Volk in Uniform heranwachsen zu lassen, dessen Zweck es sein sollte, das Menschenmaterial an die Art der Armee auszurichten.[48] In der Armee dienen zu dürfen, galt als die höchste Schule vaterländischer Erziehung. Hier sollte der junge Rekrut nicht nur Gehen und Stehen erlernen, sondern auch den Umgang mit sämtlichen Waffen. Des Weiteren sollte die Wehrmacht den Rekruten für sein späteres sonstiges Leben weiterformen.[49] Aus Hitlers Aussage lässt sich entnehmen, dass jede spätere Lebenszeit, außerhalb der Wehrmacht, keine richtige Lebenszeit ist, sondern lediglich ein sonstiges Leben darstellt.

„In dieser Schule soll der Knabe zum Mann gewandelt werden; und in dieser Schule soll er nicht nur gehorchen lernen, sondern dadurch auch die Voraussetzung zum späteren Befehlen erwerben. Er soll lernen zu schweigen, nicht nur, wenn er mit R e c h t getadelt wird, sondern soll auch lernen, wenn nötig, U n r e c h t schweigend zu ertragen.“[50]

Den Rekruten wurde also schon während ihrer Ausbildung beigebracht, zu schweigen, wenn es notwendig ist. Hierbei sollte Recht oder Unrecht keine Rolle spielen. Die jungen Rekruten hatten nur zu funktionieren und zu gehorchen. Um dieses Erziehungsziel erreichen zu können, bediente sich Hitler verschiedene pädagogische Leitbilder, auf die im Folgenden weiter eingegangen werden wird.

4.1 Leitbilder der neuen Pädagogik ab 1933

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten verschwand die zuvor angewandte Reformpädagogik der Weimarer Republik allmählich aus dem Bildungssystem des NS-Regimes. Dies hatte das Ende der liberalen und individualisierten Erziehungs- und Schulpolitik zur Folge. Die neue Erziehung wurde lediglich noch als Instrument der politischen Führung des Volkes eingesetzt. Zunächst änderte man allerdings nicht das Schulsystem als solches, sondern wollte zuallererst den Lehrkörper säubern und bestehende Lehrmittel und Lehrpläne aktualisieren, um dann die Grundlage für eine neue Schulpolitik zu schaffen. Diese Aktualisierungen beinhalteten die Grundprinzipien der nationalsozialistischen Weltanschauung. Erst im Jahre 1937 begann man mit der Umstrukturierung der Schulen. Diese fanden mit Hilfe von verbindlichen Reichsrichtlinien und Erlassen statt.[51]

Dennoch wurden bereits ab 1933 neue Werte und Ziele der Erziehung propagiert, die stark auf die Funktionalität der Erziehung, Gleichschaltung, Rassenfragen und die Unterordnung in das Gemeinschaftswesen abzielten. Durch Hitlers Buch „Mein Kampf“, in dem er der Erziehung ein ganzes Kapitel widmete, wurden seine Vorstellungen von den Zielen der nationalsozialistischen Erziehung der Öffentlichkeit vorgestellt und es entstanden darauf aufbauend neue pädagogische Leitbilder. Des Weiteren trugen Werke von Ernst Krieck[52] und Alfred Baeumler[53] maßgeblich zur Entwicklung dieser neuen Leitbilder bei. Im Folgenden soll auf die wichtigsten neuen pädagogischen Leitbilder eingegangen werden. Besonders wichtig sind hierbei die körperliche Ertüchtigung, die Gleichschaltung und der Rassegedanke.[54]

4.1.1 Körper, Charakter und Geist

„Der völkische Staat hat in dieser Erkenntnis seine gesamte Erziehungsarbeit in erster Linie nicht auf das Einpumpen bloßen Wissens einzustellen, sondern auf das Heranzüchten kerngesunder Körper. Erst in zweiter Linie kommt dann die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten. Hier aber wieder an der Spitze die Entwicklung des Charakters, besonders die Förderung der Willens- und Entschlußkraft, verbunden mit der Erziehung zur Verantwortungsfreudigkeit, und erst als letztes die wissenschaftliche Schulung. Der völkische Staat muß dabei von der Voraussetzung ausgehen, daß ein zwar wissenschaftlich wenig gebildeter, aber körperlich gesunder Mensch mit gutem, festem Charakter, erfüllt von Entschlußfreudigkeit und Willenskraft, für die Volksgemeinschaft wertvoller ist als ein geistreicher Schwächling. Ein Volk von Gelehrten wird, wenn diese dabei körperlich degenerierte, willensschwache und feige Pazifisten sind, den Himmel nicht erobern, ja nicht einmal auf dieser Erde sich das Dasein zu sichern vermögen.“[55]

Bereits hier werden Erziehungsgrundsätze beschrieben, die die Erziehung ab 1933 beeinflussten. Im Vordergrund standen für Hitler die körperlichen und charakterlichen Fähigkeiten. Gesundheit und Persönlichkeit waren in seinen Augen wichtiger, als ein intellektueller Geist. Der Geist sollte den anderen Fähigkeiten untergeordnet werden. Ein weiteres Indiz hierfür sind die Änderungen in den Lehrplänen, die eine stärkere Einbindung von sportlichen Aktivitäten innerhalb der Schule aufweisen sollten. Des Weiteren verpflichteten die nationalsozialistischen Jugendorganisationen, wie beispielsweise die HJ oder auch der BDM, zu einem umfangreichen Sportprogramm, um Hitlers Wunsch der übermäßigen Leibeserziehung nachzukommen. Das obige Zitat verdeutlicht die Bedeutung der körperlichen Erziehung, die lediglich dazu dienen sollte, die Sicherung des Daseins auf der Erde sicherzustellen und die Jugend somit zu einer kämpferischen Haltung zu erziehen. Hitler bezieht sich hier auf das Überleben des deutschen Volkes im Kampf mit anderen und insbesondere dem jüdischen Volke.[56]

Hierzu und zur Eroberung des für Hitler lebensnotwendigen Lebensraumes im Osten, ist ein gutes Militär notwendig, um sich verteidigen zu können und sich mit Waffengewalt diesen Lebensraum zu sichern.

4.1.2 Gleichschaltung, Gemeinschaftsgefühl und Unterordnung

Bevor allerdings eine hierarchische Unterordnung stattfinden konnte, musste erst einmal das Schulsystem gleichgeschaltet werden. Bis 1929 gehörten die Lehrer verschiedenen Lehrerverbänden an, welche durchaus verschiedene Staatsauffassungen vertraten. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise wurden die Nettogehälter der Lehrerschaft auf den Stand von 1913 zurückgesetzt. Die Verbundenheit zu bisher bestehenden Lehrerverbänden blieb hierbei allerdings unberührt. 1929/30 bildete sich der NSLB aus den Reihen der Lehrerschaft, obwohl zuvor keinerlei Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus stattgefunden hatten. Durch den häufigen Wechsel der Regierungsparteien, war die Angst in der Lehrerschaft weit verbreitet, ihre Eigenverantwortung und pädagogische Unabhängigkeit zu verlieren. Und dennoch sehnte sich ein großer Teil innerhalb der Lehrerschaft nach Autorität, Leistung, Strenge und Zucht. Dies hatte zur Folge, dass der Nationalsozialismus einen stetig wachsenden Zulauf von Seiten der Lehrer hatte. Ein weiterer möglicher Aspekt, der den Zulauf zum Nationalsozialismus innerhalb der Lehrerschaft erklären könnte, ist die Tatsache, dass Lehrer auch zu dieser Zeit bereits Beamte waren und Angst haben mussten, ihre Existenzgrundlage zu verlieren, wenn sie sich dem Nationalsozialismus entgegenstellten. Bei der offiziellen Gründung des NSLB am 21.04.1929 in Hof, waren 48 Männer und zwei Frauen anwesend. Diese wählten Hans Schemm zum Leiter des NSLB. Schemm wies darauf hin, dass die Hauptaufgabe des NSLB die Unterstützung der NSDAP sei und ihr zu neuen Mitgliedern verhelfen solle. Er wies außerdem darauf hin, dass der NSLB nicht dazu da sei, pädagogische Interessen zu vertreten, sondern zum Erlangen der politischen Macht der Nationalsozialisten beitragen sollte.[57]

Nach der Festlegung, den NSLB über das gesamte Reichsgebiet auszudehnen, wurde Schemm von Hitler zum Reichsleiter ernannt und der NSLB wurde als eigenständige Organisation innerhalb der NSDAP anerkannt. Dies hatte zur Folge, dass jeder Lehrer im NSLB gleichzeitig auch Mitglied der NSDAP war. Die Parteizugehörigkeit war nachzuweisen. Somit begab sich der NSLB in Abhängigkeit zur NSDAP.[58]

Mit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 10.01.1933 war bereits ein Anteil von 5% der Lehrerschaft Mitglied der NSDAP. Am 31.03.1933 wurde das Vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder verkündet. Dies hatte zur Folge, dass am 07.04.1933 das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in Kraft trat, welches das Regime dazu legitimierte, politisch andersdenkende aus dem Beamtentum zu entlassen. Und das, obwohl sogar viele demokratisch eingestellte Lehrer bereits waren, ihren Dienst auch im nationalen Erziehungswesen zu verrichten.[59]

„Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden. Auf die Dauer von drei Monaten nach der Entlassung werden ihnen ihre bisherigen Bezüge belassen. Von dieser Zeit an erhalten sie drei Viertel des Ruhegeldes (§ 8) und entsprechende Hinterbliebenenversorgung.“[60]

Schemm hatte von nun an die Absicht, sämtliche Lehrervereine dem NSLB zu unterstellen, oder diese bei einer Nichtunterstellung aufzulösen. Dieser setzte einen neuen Paragraphen in Kraft, welcher die Beitrittsbestimmungen regelte. Er richtete sich hauptsächlich gegen Juden und nichttragbare Mitglieder.[61] Ab dem 01.05.1933 setzte die NSDAP eine Beitrittssperre in Kraft, welche zur Folge hatte, dass von nun an auch der Beitritt im NSLB ohne Mitgliedschaft der NSDAP möglich war.[62]

Die eigentliche Gleichschaltung begann also mit der Unterordnung sämtlicher weiterbestehender Lehrervereine unter die Leitung des NSLB. Diese machte eine Gleichschaltung innerhalb des Erziehungswesens erst möglich und sorgte dafür, dass Kinder und Jugendliche die nationalsozialistische Ideologie gelehrt bekamen. Des Weiteren sorgte sie dafür, dass die Unterordnung ebenfalls im Erziehungswesen eine tragende Rolle spielte.[63]

Zu dem bereits unter 4.1.1 erläuterten Antiintellektualismus folgt der Antiindividualismus. Dieser stellte innerhalb der Erziehung der Nationalsozialisten einen weiteren, wichtigen Pfeiler dar. Ernst Krieck, der damalige Rektor der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main und Pädagoge, schrieb in seiner Publikation Menschenforschung – Grundzüge der vergleichenden Erziehungswissenschaft (1925 erstmalig erschienen)[64]:

„Solange man nicht die Gemeinschaft wirklich als das oberste Subjekt und zugleich als das oberste Objekt des Erziehungsvorgangs erfasst hat, solange man nicht eine Erziehungswirkung kennt, die von der Gemeinschaft unmittelbar ausgeht, und eine Erziehungswirkung, welche die Gemeinschaft unmittelbar formt, solange wird man in der Gemeinschaft auch nicht ein wirkliches, organisches Wesen sehen ... , sondern eben nur wieder die Summe von Einzelmenschen. Der Einzelne bleibt das unbedingt konstitutive Element der Gemeinschaft. Es ist aber jeder Organismus Mehr, Ursprünglicheres und Höheres als die Summe, als das zweckhaft mechanische Gefüge der Einzelnen: es ist vor allem einheitlich lebendes Wesen, von dem das geistige Leben der Glieder erst ausgeht.“[65]

Für Ernst Krieck war also nur noch die Volksgemeinschaft von Bedeutung und nicht mehr der einzelne Mensch. Dies bedeutete für ihn, dass der Einzelne für sich nichts Ganzes und Selbstständiges sein kann. Diese bedingungslose Einordnung musste laut Krieck bereits im Kindesalter antrainiert werden.[66] Das Gefühl einer Wir-Gesellschaft wird außerschulisch ebenfalls von den verschiedenen Jugendorganisationen vermittelt. Beispiele hierfür sind das JV, die JM, die HJ und der BDM. Hier lernten die Kinder und Jugendlichen allerdings nicht nur ihr Selbstvertrauen als Angehöriger der deutschen Rasse zu stärken, sondern auch wachsam gegenüber anderen Menschen, die nicht zu diesem wir zählen, zu sein. Gemeinschaft bedeutet allerdings nicht gleich Gleichheit. Die Gleichheit die im Zuge der Französischen Revolution gefordert wurde, wurde von den Nationalsozialisten stark kritisiert. Für die Nationalsozialisten bedeutete Gemeinschaft, die rassenbedingte Gemeinsamkeit und dadurch die Überlegenheit des Deutschen Volkes allen anderen Völkern und Ländern gegenüber. Die Nationalsozialisten schafften dadurch zwar die Klassen- und Schichtunterschiede ab, generierten jedoch eine neue Art von Selektion. Diese Selektion fand nun anhand des Nutzens für die völkische Gemeinschaft statt. Des Weiteren unterschieden die Nationalsozialisten zwischen der sogenannten Masse und der Elite. Auch hier fand eine hierarchische Selektion und Ordnung statt. Die Elite stand über der breiten Masse. Für die Elite wurden gesonderte Schulen errichtet (Ordensburgen, Napola, Adolf-Hitler-Schulen usw.), die bereits selektierte Kinder und Jugendliche zu Führerpersönlichkeiten ausbilden sollten. Für die Masse musste das Führer-Gefolgschafts-Prinzip weiterhin erlernt werden. Dies geschah, wie oben bereits erwähnt, bereits im Kindesalter. Damit die Kinder und Jugendlichen dieses Prinzip erlernten und verinnerlichten, wurde es bereits in der Schule angewandt. Hier hatte sich der Schüler dem Lehrer unterzuordnen und lernte gleichzeitig bereits Zucht, Ordnung, bedingungslosen Gehorsam und kritikloses Annehmen von Aussagen beziehungsweise selbst zu befehlen. Außerschulisch wurde den Kindern und Jugendlichen dieses Prinzip ebenfalls innerhalb der bereits genannten Jugendorganisationen beigebracht, die einen großen Teil der Freizeit einnahmen. Hier mussten sich die Kinder und Jugendlichen auch in ein hierarchisches und teilweise militarisiertes System einfügen.[67]

[...]


[1] Vgl. Bölling, Rainer: Lehrerarbeitslosigkeit in historischer Perspektive. In: Recht der Jugend und des Bildungswesens. 34. Jahrgang, 1986, S. 198-212, zit. n. Langewiesche, Dieter (Hrsg.); Tenorth, Heinz-Elmar (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte – Die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur. (München: Beck 1989), Bd. 5, 1. Aufl., S. 158.

[2] Vgl. Langewiesche, Dieter (Hrsg.); Tenorth, Heinz-Elmar (Hrsg.) (1989), S. 159.

[3] Vgl. Lanz, Alma: Nationalsozialismus und Reformpädagogik – Am Beispiel von Adolf Reichweins Schulmodell Tiefensee. (München/Ravensburg: Grin, 2007), S. 4f.

[4] Langewiesche, Dieter (Hrsg.); Tenorth, Heinz-Elmar (Hrsg.) (1989), S. 160f.

[5] Vgl. Lanz, Alma (2007), S. 5.

[6] Vgl. Lanz, Alma (2007), S. 6.

[7] Vgl. Lebendiges Museum online: Reformpädagogik. [online] Homepage: Lebendiges Museum online. URL: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/kaiserreich/alltagsleben/reformpaedagogik.html [Stand 15.12.2015].

[8] Anthropologie: die Wissenschaft vom Menschen

[9] Vgl. Skiera, Ehrenhard: Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart – Eine kritische Einführung. (München: Oldenbourg, 2010), 2. Aufl., S. 105f.

[10] Comenius, Johann Amos: Große Didaktik. (Düsseldorf/München: Helmut Küpper, 1657/1970), 4. Aufl., S. 38. (Übersetzt und hrsg. von Andreas Flitner), zit. n. Skiera, Ehrenhard (2010), S. 105.

[11] Vgl. Skiera, Ehrenhard (2010), S. 114ff.

[12] Hackl, Bernd: Die Arbeitsschule. Geschichte und Aktualität eines Reformmodells. (Wien: Verlag f. Gesellschaftskritik, 1990), S. 75f., zit. n. Skiera, Ehrenhard (2010), S. 116.

[13] Vgl. Skiera, Ehrenhard (2010), S. 116f.

[14] Vgl. Lanz, Alma (2007), S. 7.

[15] Vgl. Skiera, Ehrenhard (2010), S. 116f.

[16] Kerschensteiner, Georg: Begriff der Arbeitsschule. (Leipzig/Berlin: G.B. Teubner, 1930), 8. Aufl., S. 20ff., zit. n. Skiera, Ehrenhard (2010), S. 117.

[17] Vgl. Kerschensteiner, Georg (1930), 8. Aufl., S. 20ff., zit. n. Skiera, Ehrenhard (2010), S. 117.

[18] Vgl. ebd.

[19] Vgl. ebd.

[20] Vgl. Skiera, Ehrenhard (2010), S. 173.

[21] Vgl. Skiera, Ehrenhard (2010), S. 175.

[22] Skiera, Ehrenhard (2010), S. 175.

[23] Vgl. ebd.

[24] Vgl. Lanz, Alma (2007), S. 8.

[25] Vgl. Lanz, Alma (2007), S. 9.

[26] Skiera, Ehrenhard (2010), S. 239ff.

[27] Vgl. Steiner, Rudolf: Aus der Akasha-Chronik. (Dornach: Rudolf Steiner, 1995), S. 229, zit. n. Skiera, Ehrenhard (2010), S. 241.

[28] Skiera, Ehrenhard (2010), S. 241f.

[29] Vgl. Lanz, Alma (2007), S. 9.

[30] Vgl. Lebendiges Museum online: Paul von Hindenburg 1847-1934. [online] Homepage: Lebendiges Museum online. URL: https://www.dhm.de/lemo/biografie/paul-hindenburg [Stand 10.12.2015].

[31] Vgl. Lebendiges Museum online: Heinrich Brüning 1885-1970. [online] Homepage: Lebendiges Museum online. URL: https://www.dhm.de/lemo/biografie/heinrich-bruening [Stand 10.12.2015].

[32] documentArchiv.de (2004): Die Verfassung des Deutschen Reiches („Weimarer Verfassung“). [online] Homepage: documentArchiv.de. URL: http://www.documentarchiv.de/wr/wrv.html [Stand 15.12.2015].

[33] Vgl. Lebendiges Museum online: Heinrich Brüning 1885-1970.

[34] Vgl. Lebendiges Museum online: Präsidialkabinette. [online] Homepage: Lebendiges Museum online. URL: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/innenpolitik/praesidialkabinette.html [Stand 15.12.2015].

[35] Vgl. Lebendiges Museum online: Heinrich Brüning 1885-1970.

[36] Vgl. ebd.

[37] Vgl. Lebendiges Museum online: Adolf Hitler 1889-1945. [online] Homepage: Lebendiges Museum online. URL: https://www.dhm.de/lemo/biografie/adolf-hitler [Stand 10.12.2015].

[38] Vgl. Lebendiges Museum online: Heinrich Brüning 1885-1970.

[39] Vgl. Lebendiges Museum online: Franz von Papen 1879-1969. [online] Homepage: Lebendiges Museum online. URL: https://www.dhm.de/lemo/biografie/franz-papen [Stand 10.12.2015].

[40] Vgl. Lebendiges Museum online: Kurt von Schleicher 1882-1934. [online] Homepage: Lebendiges Museum online. URL: https://www.dhm.de/lemo/biografie/kurt-schleicher [Stand 10.12.2015].

[41] Vgl. Lebendiges Museum online: Adolf Hitler 1889-1945.

[42] germanhistorydocs: Hitler und Hindenburg am Tag von Potsdam (21. März 1933). [online] Homepage: germanhistorydocs. URL:http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/sub_image.cfm?image_id=3771&language=german [Stand 16.11.2015].

[43] Vgl. Lebendiges Museum online: Paul von Hindenburg 1847-1934.

[44] Vgl. ebd.

[45] Vgl. Lebendiges Museum online: Adolf Hitler 1889-1945.

[46] Axhausen, Hartmut: Zur Bildungstheorie der Nationalsozialisten. (München: Ludwig-Maximilians-Universität, 1983), S. 59.

[47] Vgl. ebd.

[48] Vgl. Hitler, Adolf: Mein Kampf. (München: Zentralverlag der NSDAP, 1942), Bde. 1 u. 2, 727. – 731. Aufl., S. 459.

[49] Vgl. ebd. S. 459.

[50] Ebd. S. 459.

[51] Vgl. Lanz, Alma (2007), S. 10f.

[52] Insbesondere Krieck, Ernst: Philosophie der Erziehung. (Jena: 1922), nationalsozialistisch geprägter Lehrer, Schriftsteller und Professor.

[53] Insbesondere Baeumler, Alfred: Handbuch der Lehrerbildung (1930-1933), nationalsozialistisch geprägter Philosoph und Pädagoge.

[54] Vgl. Lanz, Alma (2007), S. 10ff.

[55] Hitler, Adolf (1942), Bde. 1 u. 2, 727. – 731. Aufl. S. 452.

[56] Vgl. Lanz, Alma (2007), S. 12.

[57] Vgl. Zimmermann, Christina: Lehrer, Schule und Unterricht im Nationalsozialismus. (München/Ravensburg: Grin, 2006), 1. Aufl., S. 9-15.

[58] Vgl. Horn, Klaus-Peter: Pädagogische Zeitschriften im Nationalsozialismus. Selbstbehauptung, Anpassung, Funktionalisierung. (Weinheim: Dt. Studienverlag, 1996), S. 93, zit. n. Zimmermann, Christina (2006), S. 13.

[59] Vgl. Bölling, Rainer (Hrsg.): Sozialgeschichte der deutschen Lehrer. Ein Überblick von 1800 bis zur Gegenwart. (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1983), S. 136, zit. n. Zimmermann, Christina (2006), S. 14.

[60] documentArchiv.de (2004): §4 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 07.04.1933.

[61] Vgl. Bölling, Rainer (Hrsg.), S. 136f., zit. n. Zimmermann, Christina (2006), S. 15.

[62] Vgl. Zimmermann, Christina (2006), S. 9-15.

[63] Vgl. ebd.

[64] Vgl. Lanz, Alma (2007), S. 12f.

[65] Krieck, Ernst: Menschenformung – Grundzüge der vergleichenden Erziehungswissenschaft. (Leipzig: Quelle und Meyer,1925), S. 16.

[66] Vgl. Axhausen, Hartmut (1983), S.15f.

[67] Vgl. Lanz, Alma (2007), S. 13f.

Ende der Leseprobe aus 58 Seiten

Details

Titel
Bildungstheorien des Nationalsozialismus
Untertitel
Heute noch in Deutschland vorhanden oder von der Bildfläche verschwunden?
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg
Note
1,8
Autor
Jahr
2015
Seiten
58
Katalognummer
V320293
ISBN (eBook)
9783668206908
ISBN (Buch)
9783668206915
Dateigröße
706 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Adolf, Hitler, Bildung, Bildungstheorie, Nationalsozialismus, Schulsystem, Drittes Reich, zweiter Weltkrieg, Bildungssystem, Erziehungswissenschaft, Pädagogik der Nazis, Reformpädagogik, Darwinismus, Sozialdarwinismus, Pädagogik
Arbeit zitieren
Simon Schülken (Autor:in), 2015, Bildungstheorien des Nationalsozialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/320293

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