Literatur und Antifaschismus in der Autobiografie Klaus Manns


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2010

26 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Klaus Mann - Thematische Kurzbiografie

2. Der Wendepunkt – Die Autobiografie

3. Methodisches Vorgehen

4. Ergebnisse
4.1 Politisierung Klaus Manns
4.2 Auf der Suche nach dem Kollektiv - Debatte vor dem Exil
4.3 Die Sammlung – Im europäischen Exil
4.4 Decision – Exil in den USA

Fazit

Literatur

Einleitung

Stellt sich die Frage nach der Erfassung einer Faschismus-Debatte im Dritten Reich, deren Art und Ausprägung sowie deren Zeitzeugen, dann ist gerade aus kommunikations-wissenschaftlicher Perspektive eine Systematisierung äußerst herausfordernd.

Mag eine qualitative Analyse thematischer Publikationen in den letzten Jahren der Weimarer Republik – zunehmend reduziert – formal zwar noch möglich sein, spätestens mit der ungeschminkten Repression und Zensur des nationalsozialistischen Regimes verliert das klassische Forschungsfeld der Kommunikationswissenschaft, die Analyse frequentierter, massenmedialer Publikationen, in Hinblick auf die benannte Themenstellung seinen originären Forschungsgegenstand.

Nichtsdestotrotz sollte aber gerade das Szenario des intellektuellen, widerständischen und enttarnenden Kommunikationsprozesses in den Jahren des Dritten Reiches besondere Berücksichtigung finden. Denn neben der analytischen und präventiven Charakterisierung des nationalsozialistischen Faschismus, stellen die persönlichen Züge und existenzgefährdenden Anstrengungen antifaschistischer Autoren und Publizisten ein besonderes (kommunikations-) historisches Zeitdokument dar.

Eine Analyse solcher Betrachtungsweise umfasst einen entsprechend vielschichtigen Forschungsgegenstand – vom aktiven politischen Widerständler über den Philosophen zum Künstler; und darüber hinaus. Gemein ist ihnen die Wahrnehmung des nationalsozialistischen Faschismus als Zeitzeugen, durch deren unterschiedlichen Zugänge dieser erst Kontur erhält.

Klaus Mann dürfte unbestritten zu jenen Figuren zählen, denen eine besondere Rolle innerhalb dieses Forschungsfeldes zufällt. Als Sprössling einer der bedeutendsten deutschen Schriftstellerfamilien, mit den Privilegien eines intellektuellen, bürgerlichen Elternhauses ausgestattet, erlebt Mann bereits als Jugendlicher und junger Erwachsener die Wirren des Ersten Weltkrieges und der Weimarer Republik. Sowohl in den deutschen Großstädten und Provinzen sowie mit distanzierten Blick – und im geistigen Austausch –als Reisender vom europäischen und außereuropäischen Ausland.Diese vielfältigen Blickwinkel und Perspektiven lassen den einst eher unpolitischen Schriftsteller während der Katastrophe des Dritten Reiches zu einem antifaschistischen Exilanten werden, der den literarischen Kampf gegen den Faschismus aufnimmt.

Doch diese heute verbreitete Wahrnehmung und Akzeptanz Manns als politischer Literat im Kampf gegen den Nationalsozialismus entspricht nicht zwingend der damaligen. Seine Stellung als selbsternannter antifaschistischer Fürsprecher zwischen bürgerlicher Herkunft und sozialistischer Utopie, zwischen künstlerischem Genius und gesellschaftlicher Verantwortung machten ihn zu einem ambivalent bewerteten Charakter, der eben nicht nur Beobachter, sondern gleichsam auch Sujet einer intellektuellen Faschismus-Debatte war. So liefert Manns während des Krieges verfasste Autobiografie Der Wendepunkt nicht nur Zeugnis dieser Debatte, sondern kann durchaus auch selbst als Produkt dieser verstanden werden; als Reaktion auf die langwierige intellektuelle Auseinandersetzung und literarische Zwistigkeit im Kampf gegen den Faschismus.

Klaus Manns persönliche Wahrnehmung und autobiografisch Verschriftlichung dieser Debatte ist daher Forschungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Hierbei ist Der Wendepunkt Ausgangspunkt und primärer Gegenstand der Untersuchung, ist sie doch die intendierte Dokumentation und Reaktion eines Exilanten-Schicksals, das aus einer literarischen und intellektuellen Faschismus-Debatte heraus schwerwiegende individuellen Konflikte und persönlichen Konsequenzen bezeugt: Das Leben eines stets kritisch beäugten antifaschistischen Literaten.

1. Klaus Mann - Thematische Kurzbiografie

Klaus Heinrich Thomas Mann, im Weiteren nur Klaus Mann, wurde am 18. September 1906 in München geboren. Familiär und freundschaftlich mit der literarischen und künstlerischen Gesellschaft unweigerlich verbunden und stark vernetzt, beginnt Mann seine schriftstellerische Karriere bereits als Jugendlicher in den Jahren der Weimarer Republik.

Nach ersten Veröffentlichungen in Zeitschriften, erscheinen 1925 die Erzählung Vor dem Leben sowie 1926 der Debut-Roman Der Fromme Tanz in Buchform. Die thematische Orientierung dieser frühen Werke korrespondiert zumeist mit dem realen, eher jovial-exzessiven Lebenswandel Manns, der während der 1920er Jahre vielfach im europäischen und außereuropäischen Ausland verreist. Einen konkreten Bezug zu aktuellen zeitgeschichtlichen Ereignissen in Deutschland, wie der politischen Radikalisierung, den Putschversuchen oder der Massenarbeitslosigkeit findet man in diesen Frühwerken in gleichem Maße nicht wie eine offene politische Ausrichtung (vgl. Schaenzler 1999: S.35f.).

Eine Auseinandersetzung mit den politischen Entwicklungen erfolgt erst am Ende dieser Dekade mit dem Erstarken der Nationalsozialisten. Jedoch beschreibt Mann diese Phase später selbst aber noch als wenig leidenschaftlich (Mann 2006: S.344 ff.). Einer der ersten tatsächlich öffentlich getätigten Kommentare bezüglich der politischen Ereignisse erfolgte im Herbst 1930 während eines Vortrags vor dem Wiener Kulturbund: Selbst wer „in politics bis gestern noch apathisch war“ (Mann 1931: S.94), müsse nach den enormen Gewinnen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter Partei (NSDAP) bei der Reichstagswahl am 14. September 1930 aufgerüttelt sein (vgl. ebd).

Von nun an folgte eine zunehmende öffentliche sowie private Kampfkorrespondenz gegen den Nationalsozialismus und den diesem verfallenen oder neutral gesinnten Schriftstellern und Intellektuellen. Aktivitäten dieser Art sowie die Mitarbeit am Kabarett Die Pfeffermühle, welches sich – gegründet von Erika Mann, Magnus Henning und Therese Giehse – ab 1933 satirisch gegen Nationalsozialismus wandte, rückten Mann früh in den Fokus der Nationalsozialisten. Sein Name wurde bereits auf der dritten Ausbürgerungsliste vom 13. November 1934 geführt (vgl. Dirschauer 1973: S.23). Um die Gefahr für seine Person und seine Familie wissend, flüchtete Mann bereits am 13. März 1933 ins vorerst europäische Exil, wo er seine ihm oftmals zugesprochene Lebens- oder zumindest Wirkungsaufgabe antrat, als entschlossener antifaschistischer Literat, Essayist, Herausgeber und später sogar Soldat in der US-Army.

2.Der Wendepunkt– Die Autobiografie

Klaus Manns Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht ist eine Abwandlung der1942 in englischer Sprache in New York erschienenen Autobiografie The Turning Point. Thirty - Five Years of this Century. Nach Kind dieser Zeit, welche die Jahre von 1906 bis 1924 umfasst, ist Der Wendepunkt Manns zweite – und letzte – Autobiografie.

Die deutsche Fassung, für die Mann seit 1946 erheblich Teile überarbeitete, erweiterte und gar neu schrieb, wurde erst kurz vor dessen Tod 1949 fertiggestellt. Der Wendepunkt erschien in Deutschland postum 1952. Dieser Textfassung wurden in einer erweiterten Neuauflage im Jahr 2006 fehlende und abweichende Passagen und Entwürfe hinzugefügt, die in der ursprünglichen Ausgabe von dessen Schwester Erika Mann und einem Lektor eigenmächtig gestrichen wurden. Diese vorliegende Fassung umschließt das Leben Klaus Manns von der Kindheit bis zum Nachkriegssommer 1945.

Die Relevanz der Autobiographie Der Wendepunkt für die angestrebte Untersuchung liegt in ihrer Form und Funktion begriffen. Sie dokumentiert im Gegensatz zu Briefen und Tagebucheinträgen – deren Analyse hinsichtlich des Vielschreibers Mann und angesichts des Umfangs, in dieser Arbeit kaum möglich wäre – Konflikte und Debatten nicht nur aus einer emotionalen und „kurzsichtigen“ Perspektive des Alltags, sondern beschreibt die Faschismus-Debatte als Ganzes. Sie kann gleichsam auch als literarische Reaktion auf diese verstanden werden und dokumentiert damit eindrucksvoll die Wechselseitigkeit von Literatur und Antifaschismus im Exil.

Die bei Exil-Literaten oftmals symptomatische, untrennbare Verbindung zwischen realen Lebenskonflikten und künstlerischem Werk findet hier bereits im Titel Ausdruck. Beschreibt der Wendepunkt eine im Text manifestierte Lebensentscheidung; einen realen Wandel, der sich aus der erzählten Vergangenheit ableitet. Bei dieser Vergangenheit handelt es sich, wie zu späterem Zeitpunkt noch ausführlicher beschrieben, gewiss auch um eine für Mann gleichsam unbefriedigende und kräftezehrende intellektuelle Debatte im Kampf gegen den Faschismus. Mit der Entscheidung für den Eintritt in die militärischen Kampfhandlung auf Seiten der US-Army setzt er den finalen Wendenpunkt in seinem persönlichen ­– bis dato intellektuellen – antifaschistischen Kampf: Der Schriftsteller stellt die Tat über das Wort.

Der Wendepunkt verbindet somit die politische Gegenwart des Nationalsozialismus mit der ihr untrennbar gewordenen, eigenen Identitätskrise und Krisenbewältigung des Künstlers, Antifaschisten und Menschen Manns. So ist die Gegenwart als Autobiografen-Situation – im Falle Manns der Nationalsozialismus und das Exil – nicht nur Anlass des Lebensberichts, sondern gleichsam auch das Motiv, welches eingebracht wird (vgl. Klöss 1989: S. 35).

Den Augenblick der Autobiografie-Idee hält Mann als Tagebucheintrag aus dem Jahre 1941 in ihr selbst präzise fest (vgl. Mann 2006: S.579ff.). Die chronologische Struktur der Autobiografie erhält an diesem Punkt einen Bruch. Die Gegenwart ist innerhalb der erzählten Zeit erreicht und wird in gewisser Weise von einem distanziert narrativen Erzählmodus in eine unmittelbare, dramatische Form überführt, die aus Tagebucheinträgen und Briefen besteht. Diesem Bruch entsprechend gliedert Susanne Klöss die Autobiografie Der Wendepunkt in drei Zeitabschnitte.

Der erste Abschnitt, die Kapitel eins bis zehn, folge einem chronologischem Lebensbericht bis zum 2. September 1939, dem faktischen Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Das Kapitel elf stelle mit Tagebucheinträgen von Juni 1940 bis Dezember 1942 die zweite Zäsur dar, während Kapitel zwölf mit privaten, teils fiktiven Briefen, den dritten und letzten zeitlichen und formalen Schnitt darstelle (vgl. Klöss 1989: S.40). Entscheidend für die in dieser Arbeit angestrebte Untersuchung der von Klaus Mann subjektiv wahrgenommen Faschismus-Debatte deutscher Intellektueller im In- und Ausland sind nach Meinung des Autors überwiegend die Kapitel Auf der Suche nach einem Weg (1928-1930), Die Schrift an der Wand (1930-1932), Exil (1933-1936), Der Vulkan (1936-1939) sowie das aus Tagebucheinträgen bestehende Kapitel Die Entscheidung (1940-1942).

3. Methodisches Vorgehen

Ziel dieser Arbeit ist die qualitativ inhaltsanalytische Erfassung und Strukturierung einer von Klaus Mann subjektiv wahrgenommenen und in dessen Autobiografie Der Wendepunkt sowie in weiteren ergänzend herangezogenen Zeitdokumenten beschriebenen Faschismus-Debatte.

Der Wendepunkt, entstanden von 1941 bis 1949, thematisiert unter anderem die gemeinsamen antifaschistischen Unternehmungen sowie die thematische Auseinandersetzungen deutscher (Exil-) Literaten und Intellektueller. Darüber hinaus ist sie zugleich Beleg einer persönlichen Werdung zum Antifaschisten. Die 1952 veröffentlichte Autobiografie, in der Ausgabe von 2006, stellt somit die Analyseeinheit der folgenden Untersuchung dar.

Mit dem Untersuchungsgegenstand Autobiografie unvermeidbar einher geht die Problematik manifester und latenter Text-Bedeutung (vgl. Brosius/ Koschel 2005: S.138), da der Autor Klaus Mann subjektiv und kontextbedingt agierte, reflektierte und schrieb.Der Quelle kann unter Berücksichtigung dieser Umstände somit kaum unterstellt werden, dass sie hinsichtlich Analyse-Dimensionen und Kategorien hinreichend aus sich selbst spricht (vgl. Löblich 2008: S.434). Die Untersuchung erfolgt somit überwiegend als Mischform qualitativer und hermeneutischer Inhaltsanalyse.

Eine rein deduktive Dimensionen- und Kategorienbildung erscheint bei der Analyse subjektiver Lebenserfahrung und -entwürfe in gestelltem Untersuchungsbereich ebenfalls als äußerst problematische und gleichsam unbefriedigende Lösung, weshalb der Entwurf der vierAnalysedimensionen Politisierung Klaus Manns, Debatte vor dem Exil, Debatte im europäischen Exil und Debatte in den USA weitestgehend induktiv beziehungsweise chronologisch erfolgt. Auf eine Kategorienbildung, die wiederum Ausprägungen einer Faschismus-Debatte standardisieren könnte, wurde angesichts des subjektiven Forschungsgegenstandes verzichtet. Es wurde stattdessen eine zusammenhängende Ergebnisdarstellung gewählt, die sowohl die Chronologie, als auch die thematischen und politischen Debatten jeweils deutlich zu veranschaulichen versucht.

Die Subjektivität, die einer solchen, teilweise hermeneutischen Vorgehensweise anheftet, schränkt den Geltungsanspruch unstrittig ein. Weder die Extraktion einzelner Textpassagen, noch die Einteilung dieser in Analysedimensionen, können einen allgemeingültigen Anspruch erheben (vgl. Früh 2007: S.65). Somit erweist sich die Diskrepanz zwischen intersubjektivem wissenschaftlichen Anspruch und individuellem Untersuchungsobjekt als problematisch, birgt aber eben in der Kommunikationswissenschaft bislang vernachlässigte und gerade in der Untersuchung einer historisch betrachteten Faschismus-Debatte unerlässliche Aspekte in sich, die dieses Vorgehen rechtfertigen.

4. Ergebnisse

Im Folgenden wird eine zusammenhängende textliche Ergebnisdarstellung gewählt, basierend auf Zitaten und sinngemäßer Wiedergabe der analysierten Passagen.

4.1 Politisierung Klaus Manns

Wenngleich sich Klaus Mann in seiner Autobiografie als junger Schriftsteller und Bohème anfänglich eher unpolitisch bezeichnet (Mann 2006: S.113; S.287ff.), ist sein Blick auf die politischen Umstände durchaus bereits durch die kindlichen Wahrnehmungen des Ersten Weltkrieges (1914-1919) als „kollektives Abenteuer“ (ebd.: S.73) sensibilisiert. Die Bedeutung und Rolle des Schriftstellers in politisch unruhigen Zeiten thematisiert Klaus Mann erstmals an der naheliegenden Figur seines Vaters Thomas Mann unddessen Betrachtungen eines Unpolitischen. Diesen attestiert der Sohn später jedoch „stupende[...] Irrtümer“ (ebd.: S.81) in der Verteidigung der germanischen Kultur gegen die militant-humanitäre Haltung der westlichen Zivilisation.

„Er verwechselte die brutale Arroganz des preußischen Imperialismus mit den reinen Offenbarungen des deutschen Genius von Dürer und Bach bis zu den Romantikern und zum Zarathustra.“ (Mann 2006: S.81 f.)

Die eigenen zarten politischen Zweifel am Ersten Weltkrieg führt Klaus Mann auf den Anti-Kriegs-Roman Die Waffen nieder von Bertha von Suttner zurück, nach dessen Lektüre er als Zwölfjähriger begann, „fundamentale Tatsachen zu begreifen“ (ebd.: S.85), die die Glaubwürdigkeit der Instanzen, in Gestalt von Lehrern, Zeitungen und dem Generalstab, infrage stellten.

Die Bedeutung dieser Ereignisse für die spätere Wahrnehmung des Nationalsozialismus und Faschismus in Deutschland projiziert Mann auf seine ganze Generation, „deren Schicksal es war, an der Wende zwischen zwei kulturellen Epochen zu leben“ (ebd.: S.91). Was Mann hier als „doppelten Begriff von Gott und Welt“ (ebd.) bezeichnet und mit der poetischen Metapher zweier Welten beschreibt, deren eine „Hälfte ihres Seins noch auf der unbeweglichen, vom Himmelsdache überwölbten Scheibe, als die unsere Erde sich dem mittelalterlichen Menschen darstellte, mit der anderen schon im dynamisch-revolutionären Kosmos des Kopernikus“ (ebd.: S.91f.) umschreibt, formuliert beziehungsweise „marxisiert“ der für Mann durchaus prägende Philosoph Ernst Bloch 1934 in seinem Werk Erbschaften dieser Zeit als „Ungleichzeitigkeit“. Demnach sind Menschen nur äußerlich alle im selben Jetzt, leben aber „klassenhaft“ (Bloch 1972: S.182) ungleichzeitig: „Je nachdem, wo einer leiblich, vor allem klassenhaft steht, hat er seine Zeiten“ (ebd.). Diese Träumerei in die Vergangenheit ermögliche dem Faschismus während anhaltender politischer und gesellschaftlicher Wirren die massenhafte Erreichbarkeit der älteren, traditionellen Schichten. Vor allem das Bauerntum und die verelendete Mittelschicht, seien empfänglich, weil das für sie „unerträgliche Jetzt mit Hitler mindestens anders scheint, weil er für jeden gute alte Dinge malt“ (ebd.: S. 182).

Mann bezeichnet die Thesen Blochs später in seiner Exil-Zeitschrift Die Sammlung1 als „kühne Bestandsaufnahme“, der es gelänge, den Kardinalfehler des Sozialismus, das Metaphysische per se als konterrevolutionär zu erklären, aufzuheben und zu überwinden (vgl. Mann 1934: S.206ff.).

Als Neunzehnjähriger mochte Klaus Mann 1925 diese Gefahr des Faschismus trotz einer vehementen Aversion gegen jede Art des Totalitarismus aber noch nicht erkannt haben, da ihm bis dato „jede Vorstellung von den infernalischen Methoden und Konsequenzen der faschistischen Diktatur“ fehlte (Mann 2006: S. 218, S.284).

„Der Faschismus. Ich haßte ihn damals, wie ich ihn heute hasse, nur, dass zu jener Zeit meine Aversion durchaus instinktiver oder emotioneller Natur war, ohne intellektuelle Grundlage.“ (Mann 2006, S.218)

Den Faschismus verstand der vielreisende Klaus Mann Mitte der 1920er noch als italienisches Phänomen, dessen Anzeichen er nördlich der Alpen aufgrund seiner Abwesenheit noch nicht wahrzunehmen vermochte. Wenngleich die Wahl des Generalfeldmarschalls Paul von Hindenburg den jungen Literaten alarmierte: „Ein alter Militarist als Haupt der Republik von Weimar? Nun war meine Stimme dem relativ liberalen, relativ intelligenten Kandidaten verlorengegangen, und der preußische Junker hatte es geschafft...“ (ebd.: S. 219).

Doch diese Halbherzigkeit im politischen Interesse und Handeln sollte Mann bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten weitgehend beibehalten, da er sich „eher aus einem naiven Pflichtgefühl heraus“ (ebd.: S.289) den politischen Problemen der Epoche widmete. Mann begründet seine Haltung mit der These, man müsse an der Politik gelitten haben, um über sie zu schreiben. Für ihn indes habe die 1920er-Dekade wenig mit Massenelend und politischer Spannung zu tun gehabt, eher mit Wohlstand und kulturellem Hochbetrieb. Diese Bemerkung zeigt, wie Mann sich zwar schon früh über seine gesellschaftliche und politische Bedeutung als Schriftsteller Gedanken macht, eine Notwendigkeit realer Taten aber noch nicht unbedingt damit verbunden sieht.

Die Abneigung gegen den Faschismus ist im Falle Manns, der sich in jener Zeit eher zum deutschen Liberalismus rechnet (vgl. ebd.: S.286), wohl kaum einer explizit marxistischen Überzeugung zuzuordnen. Zwar spricht er sich in den ersten Jahren des Exils für den Sozialismus aus, nähert sich der Kommunistischen Internationalen an und entwickelt Interesse am kulturellen Leben der Sowjetunion. Die Haltung der Kommunisten billigt er indes aber nie (vgl. Mann 1985: S.1; Kröhnke 1981: S. 20, S.69).

Einegesinnungsfundierte Faschismustheorie, wie sie Georgi Dimitroff liefert, findet sich im Werke Klaus Manns somit nicht. Die Verfallserscheinungen der bürgerlichen Gesellschaft, wie sie der Generalsekretär der Kommunistischen Internationalen 1935 mit der Hinwendung zum Faschismus skizziert (vgl. Dimitroff 1975: S.91ff.) sind für Mann als primär Kulturschaffenden in Deutschland so nicht greifbar – zumindest im Sinne dessen, was er vermutlich als „politische Leiden“ bezeichnet. Denn „offenbar gab es doch noch einen starken Sektor des angeblich ruinierten Mittelstandes, der willens und fähig blieb, beträchtliche Summen für Theaterkarten, Bücher, Bilder, Zeitschriften und Grammophonplatten auszugeben“ (Mann 2006: S.289).Umso größer fällt später die Anerkennung Manns für die Weitsicht und den Mut des Faschismustheoretikers Dimitroff aus, der alleine „einer sehr großen, sehr gemeinen und zu beinah allem entschlossenen Macht gegenüber“ (Mann 1985) trat. Dessen provokante Zwischenfragen als Angeklagter beim Reichstagsbrand-Prozess vor dem Leipziger Reichsgericht sollten laut Mann die einzig tröstlichen Worte bleiben, die im Jahr der Machtergreifung aus Deutschland kamen – bezeichnenderweise von einem Bulgaren (vgl. ebd.). Dieser kritische und hier beißend pointierte Blick auf den intellektuellen Widerstand in Deutschland zeichnete Mann bereits zu frühem Zeitpunkt nationalsozialistischer Machtgewinnung aus. Die exponierte Rolle als Beobachter, wenn nicht gar als eine Art Moralist, der Intellektuellen-Debatte über und während des nationalsozialistischen Faschismus sollte von da an sein Thema bleiben und ihn mit an der publizistischen Spitze des literarischen Widerstandes führen. Zuerst in einem engagierten Überzeugungskampf um Mitstreiter, anschließend in der Erzeugung zahlreicher antifaschistischer Veröffentlichungen und Vorträge im Exil.

4.2 Auf der Suche nach dem Kollektiv - Debatte vor dem Exil

Die politische Involviertheit, die Klaus Mann während der 1920er Jahre nach eigener Aussage noch als wenig leidenschaftlich charakterisiert, scheint erst mit der zunehmenden Macht der nationalsozialistischen Bewegung zu wachsen.

„Unsere Welt war bedroht. [...] Wir weigerten uns noch immer zuzugeben, daß irgendeine politische Partei, eine Bande von Abenteurern und Fanatikern [...] dazu imstande sein sollte, den gesamten Bestand abendländischer Werte und Traditionen in Frage zu stellen.“ (Mann 2006: S.337)

Unter „Wir“ schließt Mann zu diesem Zeitpunkt, dem Dekaden-Übergang, besonders Bruno Frank ein, der es unternahm, die „noch halb latente Krise erzählerisch zu deuten“ (ebd.). Doch handle es sich bei diesem schriftstellerischen Tenor, der für Mann (s)einem freiheitlichen europäischen Geist folgte (vgl. Mann 1969: S.72), bereits 1930 um eine minderbeachtete Strömung, da sich der Faschismus nebst der Presse auch bereits breit auf Philosophen und Literaten übertrug: „Alles, was sich auf den ‚Zeitgeist‘ verstand und sich mit ihm gut zu stellen wünschte, sah im Nationalsozialismus das Kommende‘“ (Mann 2006: S.339).

In diesem Zusammenhang geht Mann stark mit der links-gerichteten Presse, dem Feuilleton und jüdischen Kritikern ins Gericht, die von dieser Welle getragen, beispielsweise in Lobeshymnen über Ernst von Salomon und Ernst Jünger ausbrechen. Mit der Preisung solch politisch radikaler respektive anarchisch-nihilistischer Haltungen (vgl. Kerker 1977: S.102) vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Bewegung, hätten diese den dünnen Zweig selbst abgeschnitten, auf dem sie gerade noch sitzen durften (vgl. Mann 2006: S.339).

Gerade in Bezug auf Ernst Jünger sieht Mann bereits 1930 großes Gefahrenpotential. Dass dieser schreiben könne, mache ihn gefährlich. Wenngleich er mit dem „öffentlichen Unfug der Rechtsradikalen“ (Mann 1969: S.157) nichts gemeine habe, so sei sein finsterer Geist, sein Chaos, seine viel proklamierte Materialschlacht unheilstiftend, da der Jugend vor der Idee der Ordnung so graue, dass sie von der katastrophalen Unterbrechung dieser durch Jüngers literarischer Heroisierung des Krieges, und dem Nationalsozialismus auf Seiten der der Realpolitik gleichermaßen fasziniert sei (vgl. ebd.: S.158 ff.).

Die kollektive Hinwendung beziehungsweise Nicht-Abwendung der Intellektuellen vom Faschismus irritiert Mann besonders in Gestalt des von ihm geschätzten Gottfried Benn. War dieser doch von dem „antihumanistischen, antichristlichen Radikalismus, der irrationalen Vehemenz der Hitler-Bewegung“ (Mann 2006: S.341) so angetan, dass Mann sich genötigt sah, dagegen Stellung zu beziehen. Dessen Verachtung des Bildungs- und Fortschrittglaubens sowie sein nihilistisches Artismus-Konzept, dass Kunst keinerlei reales Veränderungspotential zuspricht, mochte nicht einhergehen mit dem neugewonnen gesellschaftspolitischen Selbstverständnis Manns (vgl. Schaenzler 1999: S.145ff.; Kerker 1977: S.92f.). Benn würde mit der Auffassung eines historisch unwirksamen Künstlers, wie er es 1930 in seinem Essay Zur Problematik des Dichterischen skizziere und seiner damit unweigerlich politischen Dimension im künstlerischen Schaffen – in welcher er die faschistische Politik als folgerichtige Realisation seiner philosophischen und literarischen Visionen begrüße(vgl. Kerker 1977: S.93) - in die Nähe der Faschisten geraten. Dieser ersten direkten Konfrontation mit Benn in der bereits angesprochenen Rede vor dem Wiener Kulturbund 1930 sollte später aus dem Exil die berühmte Auseinandersetzung der beiden Literaten folgen, die im folgenden Kapitel 4.1.2 detaillierter betrachtet wird.

Neben dieser persönlichen „diabolischen Sympathie“ (Mann 2006: S. 342) im Falle Benns kategorisiert Mann noch weitere Typen des literarischen Umgangs mit dem nationalsozialistischen Faschismus im Frühstadium:Während in den literarischen Salons „mit frivoler Animiertheit“ (ebd.) über den Sieg einer nationalen Revolution gesprochen worden sei - von der man sich positive Wirkung auf dem Buchmarkt versprach -, setzten andere, zu denen er unter anderem Stefan Zweig zählt, zumindest weiterhin einen objektiven und verständnisvollen Maßstab in der Betrachtung der politischen Entwicklungen an. Mann reagierte auf Zweigs Bewertung des Wahlergebnisses von 1930 als „harmlose Revolte der Jugend“ mit einem offenen Brief, in dem er die Gefahr des Radikalismus anspricht. Nicht alles, was die Jugend radikal verfolge, führe in die Zukunft. Eine solche „Revolte gegen die Langsamkeit“ (Mann 1969: S.11), wie sie Zweig in seinem gleichnamigen Artikel gutheiße, könne laut Mann sich „auf schauerliche Weise [...] ins Negative“ (ebd.) verkehren. Doch seiner bereits besprochenen Halbherzigkeit sieht Mann gleichsam selbst seine Argumentationskraft geopfert, da der „Mangel an Kontakt mit der Nazi-Mentalität es [...] schwer oder unmöglich mache, eben diese Mentalität wirkungsvoll zu bekämpfen (vgl. Mann 2006: S.345). Schließlich bekämpfe man nicht, was man durchaus verachte, sondern begnüge sich bei offenbarem Unsinn und Aberwitz mit angewidertem Achselzucken. Zweig gegenüberbeschreibt er sogar Desinteresse gegenüber jenem hysterischen Neonationalismus (vgl. Mann 1969: S.11).

Wenngleich die reale Dimension der nationalen Bewegung Mann zu diesem Zeitpunkt weniger tangieren mochte, so sah er die Gefahren einer ideologischenNutzbarmachung der Literatur deutlich.

[...]


1 Die Sammlung ist im Querido-Verlag (Amsterdam) zwischen September 1933 und August 1935 mit einer durchschnittlichen Auflage von 3000 Exemplaren monatlich erschienen.

Fin de l'extrait de 26 pages

Résumé des informations

Titre
Literatur und Antifaschismus in der Autobiografie Klaus Manns
Université
Free University of Berlin  (Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft)
Cours
Hauptseminar Faschismusdebatte
Note
1,0
Auteur
Année
2010
Pages
26
N° de catalogue
V321239
ISBN (ebook)
9783668204416
ISBN (Livre)
9783668204423
Taille d'un fichier
500 KB
Langue
allemand
Mots clés
Faschismus, Antifaschismus, Klaus Mann
Citation du texte
Andreas Joos (Auteur), 2010, Literatur und Antifaschismus in der Autobiografie Klaus Manns, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/321239

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