Über Jahrzehnte hinweg haben Exponenten aus Politik und Wissenschaft beharrlich das kapitalmarktrechtliche Informationsparadigma als Panazee für die Nivellierung asymmetrischer Informationsverteilung zwischen den Marktakteuren kultiviert. Es gilt das auf wenige Silben simplifizierte Diktum: mehr Information ist gut, noch mehr Information ist noch besser. Als ideologischer Unterbau dient dem Gesetzgeber hierbei die neoklassische Markteffizienzhypothese, die Markteffizienz annimmt, wenn sämtliche marktrelevanten, öffentlich verfügbaren Informationen über das Wertpapier in seinem Preis enthalten sind. In diesem Zusammenhang kann eine defizitäre marktendogene Informationsversorgung eine marktexogene Maßnahme (regulatorischer Eingriff) bedingen. Folgerichtig versteht der Gesetzgeber die Markteffizienz somit als Prämisse und Rechtfertigung von kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten. Insofern ist es wohl kein Zufall, dass als Ursache von Marktinsuffizienzen oftmals ein mangelhafter Informationsfluss verantwortlich gemacht wird. Zusätzlich hierzu werden bei europäischen bzw. nationalen Gesetzgebungsvorhaben als Zielsetzung, die Verbesserung des Informationsflusses unter Nutzbarmachung von Informationspflichten ausgegeben. Die Folge: lautstarke Kritik aus der Wissenschaft, dass ein kaum mehr zu durchdringendes Regelungsdickicht, das vor allem den Anleger mit einer kognitiv nicht zu kompensierenden Informationschrestomathie überflutet, bestehen würde. Im Zuge der Aufarbeitung der Verwerfungen der Finanzkrise wurden als Reaktion auf die vehement vorgetragene Kritik tektonische Verschiebungen bei den kapitalmarktrechtlichen Regulierungsbemühungen vernehmbar. Vor dem Hintergrund der zu Tage getretenen verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnisse im Hinblick auf die beschränkte Informationsaufnahme- und Informationsverarbeitungskapazität von Anlegern, zeichnet sich im Zusammenhang mit den europäischen Regulierungsprojekten eine zunehmende Tendenz hin zu einer Reduzierung sowie verständlichen Strukturierung der Informationspflichten ab. Die Idee ist es, Anleger mittels komprimierter Informationsblätter (sog. „Beipackzettel“) über die wesentlichen Eigenschaften der relevanten Finanzprodukte zu informieren. Die verkürzten und inhaltlich strukturierten Informationsinhalte sollen dem Anleger hierbei ermöglichen auf Grundlage der wesentlichen Charakteristika eines Finanzproduktes eine sachgerechte Anlageentscheidung zu treffen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- A. Die Ratio kapitalmarktrechtlicher Gesetzgebung
- I. Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes
- II. Anlegerschutz
- 1. Institutioneller Anlegerschutz
- 2. Individueller Anlegerschutz
- 3. Symbiotische Verbindung des Anleger- und Verbraucherschutzes
- B. Informationsbasierter Anlegerschutz
- I. Genese und Entwicklung der Offenlegungsphilosophie
- II. Ökonomische Grundlagen des Informationsparadigmas
- 1. Adverse Selection: The Market for Lemons
- 2. Modellannahme des homo oeconomicus
- III. Informationsbasierter Anlegerschutz
- 1. Schutzkonzept des informationsbasierten Anlegerschutzes
- 2. Verwirklichung des Informationsmodells anhand des Prospekt- und Anlageberatungsrechts
- a. Prospektrecht
- aa. Prospektpflicht
- bb. Prospektinhalt
- cc. Prospekthaftung
- b. Anlageberatungsrecht
- c. Ergebnis
- IV. Information Overload und die Implikationen für den informationsbasierten Anlegerschutz
- 1. Phänomen des Information Overload
- 2. Verhaltenswissenschaftliche Implikationen für den informationsbasierten Anlegerschutz
- C. Paradigmenwechsel im Informationsregime – Der Übergang zum kondensierten Informationsregime im Spiegel der Gesetzgebung
- I. Kurzinformation im Prospektrecht
- II. Kurzinformation im Anlageberatungsrecht
- III. Die europäische PRIIP-Initiative
- IV. Fazit
- D. Kondensiertes Informationsregime - Die konkrete Ausgestaltung des KIID, VIB, PIB, und KID
- I. Erstellungspflicht bei Informationsblättern
- 1. Persönlicher Anwendungsbereich
- a. KIID
- b. VIB
- c. PIB
- d. KID
- 2. Sachlicher Anwendungsbereich
- a. KIID
- b. VIB
- c. PIB
- d. KID
- 3. Ergebnis
- II. Art und Weise sowie zeitliches Moment der Zurverfügungstellung
- 1. Art und Weise der Darstellung von Informationen
- a. KIID
- b. VIB
- c. PIB
- d. KID
- 2. Rechtzeitigkeit der Zurverfügungstellung
- 3. Ergebnis
- III. Inhalt und Form von Informationsblättern
- a. Offene Publikumsinvestmentvermögen
- aa. Formelle Anforderungen an offene Publikumsinvestmentvermögen
- bb. Materielle Anforderungen an offene Investmentvermögen
- aaa. Allgemeine inhaltliche Gestaltungsvorgaben
- bbb. Konkrete inhaltliche Gestaltungsvorgaben
- (1) Titel und Identität des Investmentvermögens gem.
- (2) Anlageziel und Anlagepolitik
- (3) Risiko und Ertragsprofil
- (4) Kosten und Gebühren
- (5) Bisherige Wertentwicklung und gegebenenfalls Performance-Szenarien
- (6) Praktische Informationen und sonstige Angaben
- b. Geschlossene Investmentvermögen
- 2. VIB
- a. Formelle Anforderungen bei Vermögensanlagen
- b. Materielle Anforderungen bei Vermögensanlagen
- aa. Allgemeine inhaltliche Gestaltungsvorgaben
- bb. Konkrete inhaltliche Gestaltungsvorgaben
- aaa. Art der Vermögensanlage
- bbb. Anlagestrategie, Anlagepolitik und Anlageobjekte
- ccc. Anlegergruppe
- ddd. Verschuldensgrad des Emittenten auf Grundlage des letzten aufgestellten Jahresabschlusses
- eee. Laufzeit und Kündigungsfrist der Vermögensanlage
- fff. Anlagerisiken
- ggg. Aussichten für die Kapitalrücklagen und Erträge
- hhh. Kosten und Provisionen
- 3. PIB
- a. Formelle und materielle Anforderungen an das PIB
- aa. Formelle Anforderungen an das PIB
- bb. Materielle Anforderungen an das PIB
- aaa. Allgemeine inhaltliche Gestaltungsvorgaben
- bbb. Konkrete inhaltliche Gestaltungsvorgaben
- (1) Art des Finanzinstruments
- (2) Funktionsweise des Finanzinstruments
- (3) Verbundene Risiken
- (4) Aussichten für die Kapitalrückzahlung und Erträge
- (5) Kostenangaben
- 4. KID
- a. Formelle Anforderungen an das KID
- b. Materielle Anforderungen an das KID
- aa. Allgemeine inhaltliche Gestaltungsvorgaben
- bb. Konkrete inhaltliche Gestaltungsvorgaben
- aaa. Titel und Identität des PRIIP-Herstellers
- bbb. Warnhinweis
- ccc. Um welche Art von Produkt handelt es sich?
- ddd. Welche Risiken bestehen und was könnte ich im Gegenzug dafür bekommen?
- eee. Was geschieht, wenn der [Name des PRIIP-Herstellers] nicht in der Lage ist die Auszahlung vorzunehmen?
- fff. Welche Kosten entstehen?
- ggg. Wie lange soll ich die Anlage halten und kann ich vorzeitig Geld entnehmen?
- hhh. Wie kann ich mich beschweren?
- iii. Sonstige zweckdienliche Angaben
- 5. Ergebnis
- E. Zivil- und aufsichtsrechtliche Sanktionen von Informationspflichtverletzungen
- I. Allgemeine Vorgaben für die Haftung
- 1. Produktübergreifende Haftungsvoraussetzungen bei KIIDS, VIBS und PIBS
- a. Irreführung
- b. Unrichtigkeit
- c. Vereinbarkeit mit den einschlägigen Stellen im Prospekt
- 2. Haftungsvoraussetzungen für das KID
- 3. Anlegerleitbild
- II. Zivilrechtliche Haftung für Kurzinformationsblätter
- 1. Spezialgesetzliche Haftung
- a. Rechtsdogmatische Standortbestimmung
- b. KID
- aa. Haftungsadressaten
- bb. Haftungsbegründende Kausalität
- cc. Verschulden und Haftungsausschluss
- dd. Anspruchsinhalt
- ee. Verjährung
- c. VIB
- aa. Haftungsadressaten
- bb. Haftungsbegründende Kausalität
- cc. Verschulden und Haftungsausschluss
- dd. Anspruchsinhalt
- ee. Verjährung
- d. KID
- aa. Haftungsadressaten
- bb. Pflichtverletzung und haftungsbegründende Kausalität
- cc. Verschulden und Haftungsausschlüsse
- dd. Anspruchsinhalt und Verjährung
- 2. Allgemein-zivilrechtliche Haftung
- a. Anlageberatung (PIB)
- aa. Haftungsadressaten
- bb. Pflichtverletzung und haftungsbegründende Kausalität
- cc. Verschulden
- dd. Anspruchsinhalt und Verjährung
- b. Zivilrechtliche Prospekthaftung bei fehlerhaftem KIID, VIB, PIB und KID
- aa. Anwendungsbereich
- bb. Prospektqualität von Kurzinformationsblättern
- cc. Einfluss der PRIIP-VO auf die Streitfrage
- c. Deliktische Haftung bei fehlerhaftem PIB
- III. Aufsichtsrechtliche Haftung für Informationsblätter
- 1. KIID
- 2. VIB
- 3. PIB
- 4. KID
- IV. Fazit
- F. Resümee und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Masterarbeit befasst sich mit den zivil- und aufsichtsrechtlichen Rechtsfolgen von Informationspflichtverletzungen im Zusammenhang mit Informationsblättern. Die Arbeit analysiert die Entwicklung des informationsbasierten Anlegerschutzes im Kapitalmarktrecht und beleuchtet die Herausforderungen des Information Overload. Der Fokus liegt auf der Analyse des kondensierten Informationsregimes, insbesondere der KIID, VIB, PIB und KID, sowie den damit verbundenen Haftungs- und Sanktionsmechanismen.
- Entwicklung des informationsbasierten Anlegerschutzes
- Herausforderungen des Information Overload
- Kondensiertes Informationsregime (KIID, VIB, PIB, KID)
- Haftung und Sanktionen bei Informationspflichtverletzungen
- Zivil- und aufsichtsrechtliche Rechtsfolgen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Masterarbeit ein und erläutert die Relevanz des Anlegerschutzes im Kapitalmarktrecht. Kapitel A beleuchtet die Ratio kapitalmarktrechtlicher Gesetzgebung und die Bedeutung des Anlegerschutzes. Kapitel B analysiert den informationsbasierten Anlegerschutz, seine Genese, ökonomischen Grundlagen und die Verwirklichung im Prospekt- und Anlageberatungsrecht. Kapitel C untersucht den Paradigmenwechsel im Informationsregime und den Übergang zum kondensierten Informationsregime. Kapitel D analysiert die konkrete Ausgestaltung des KIID, VIB, PIB und KID in Bezug auf Erstellungspflicht, Inhalt und Form. Kapitel E beschäftigt sich mit den zivil- und aufsichtsrechtlichen Sanktionen bei Informationspflichtverletzungen. Das Resümee und der Ausblick fassen die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammen und geben einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen.
Schlüsselwörter
Anlegerschutz, Kapitalmarktrecht, Informationsregime, Information Overload, Kondensiertes Informationsregime, KIID, VIB, PIB, KID, Haftung, Sanktionen, Zivilrecht, Aufsichtsrecht, Prospektrecht, Anlageberatungsrecht, PRIIP-VO.
- Quote paper
- Gleb Lidman (Author), 2016, Zivil- und aufsichtsrechtliche Rechtsfolgen von Informationspflichtverletzungen im Zusammenhang mit Informationsblättern, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/321537