Warum kleidet sich der Mensch? Ein Überblick über soziologische, psychologische und psychoanalytische Faktoren


Academic Paper, 2013

17 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis:

Einleitung

1.Die Schutz-Theorie

2.Die Scham-Theorie

3.Die Schmuck-Theorie

4.Die soziologische Sicht

5.Die psychologische Sicht

6.Die psychoanalytische Sicht

Literaturverzeichnis

Einleitung

Modische Kleidung, also Mode, ist abzugrenzen gegen Kleidung, die nicht auf die Mode verweist, sondern andere Bedeutungen besitzt oder konkrete Funktionen erfüllt (z.B. Schutzkleidung, Sportkleidung) oder kulturelle Kleidung, die stark normiert ist (z.B. Militärkleidung, Trachten oder Priestergewänder).

Oft hängen Kleidung und Persönlichkeit eng miteinander zusammen. So sind Kleidungseinstellungen mit „Geschlechtsrollenklischees und Persönlichkeitsvariablen verknüpft.“[1] Folglich werden dem Kleidungsträger nur durch eine bestimmte Farbe, Form oder Muster eines Kleidungsstückes bestimmte Attribute zugeschrieben. Dies hat auch Elke Drengwitz für Frauen und ihre Persönlichkeitsmerkmale formuliert.[2] Einigen Attributen sind wir uns vollends bewusst und setzen gerade diese bestimmten Kleidungsstücke buchstäblich taktisch-strategisch ein, um eine bestimmte Botschaft unseres Selbst auszulösen. Dabei verschmelzen reale Selbsteinschätzung, Ideal-Selbstdefinition und Wunschvorstellung miteinander. Wiederum gibt es einige Menschen, die ‚aus der Reihe tanzen‘ möchten, um gerade gegen die gedachten Attribute anzukämpfen. Weiter kann Kleidung einen Menschen zu einem völlig anderen werden lassen - nebensächlich von dem Aspekt der Persönlichkeitsmerkmalszuschreibung. So kann Kleidung diverse Körperstellen verhüllen, korrigieren und in Szene setzen, aber auch Makel verstecken und ‚anpassen‘. Das meiste davon wird getan, um gut auszusehen, sein Gegenüber zu beeindrucken und nonverbal zu kommunizieren. Warum nun kleidet sich der Mensch überhaupt? Als Antwort auf diese Frage lassen sich zunächst einmal grundlegende Motive finden wie Schutz, Scham und Schmuck, aber es gehören auch soziologische, psychologische und psychoanalytische Faktoren dazu, auf die im Folgenden eingegangen wird.

1. Die Schutz-Theorie

Menschen können in unseren Breitengraden nicht völlig ohne Kleidung auskommen. So ist Kleidung in der Schutz-Theorie, auch genannt ‚The Protection Theory‘, folglich ein Ersatz für körperliche Mängel gegenüber anderen Lebewesen.[3] Zunächst liegen Aspekte des Schutzes gegen Kälte, Hitze, Staub, Nässe, Wind und vor Verletzungen durch z.B. Insekten oder Dornen nahe. Das Kleidungsverhalten begann von „dem Augenblick an, da der Mensch die Funktion der Kleidung als Schutz gegen Unbill der Natur entdeckte.“[4] Diese in unserer Gesellschaft geläufigsten Aspekte sollten allerdings nicht überbewertet werden. Auch in bestimmten Berufsgruppen[5] wird strapazier- und widerstandsfähige Schutzkleidung benötigt. Vor allem heutzutage - so Flügel[6] - wird gerade unter dem Aspekt der Hygiene eher zu viel als zu wenig Kleidung getragen. Weiter kann Kleidung einen physischen Schutz in extremen Situationen bieten, aber auch einen psychischen[7]. „Unter dem Gesichtspunkt des körperlichen Schutzes kann man Bekleidung - neben Ernährung, Unterkunft usw. - zu den menschlichen Grundbedürfnissen rechnen.“[8]

2. Die Scham-Theorie

Vergleichbar stellt die Nacktheit in der Scham-Theorie, auch ‚Modesty Theory‘ genannt, einen körperlichen Mangel dar, wobei auf die eigene Blöße mit Scham[9] reagiert und der Wunsch nach Bedeckung hervorgerufen wird. So steht bereits in der Bibel 1. Mose 3,7: „Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.“[10] Die Position gegen Nacktheit stellt sich gegen die eigene Neigung oder Neigung Anderer, gegen Unterdrückung eines Wunsches oder Befriedigung, Ekel oder Missbilligung und kann sich auf verschiedene Körperteile richten. Im Gegensatz dazu, seine körperlichen Reize offen zu zeigen, steht nun die Neigung, sie schamhaft zu verhüllen. Nach Hermann Wirtz ist es sogar so, dass „besonders prüde Menschen jede Andeutung von Sinnlichkeit tunlichst vermeiden [wollen].“[11] Jeder Mensch, jede Gesellschaft und jede Kultur kennt das Schamgefühl und läuft daher - jeder nach seinen eigenen Maßstäben dafür, was anständig, sittlich oder schamhaft ist - nie ganz nackt herum. „Ohne Körperbemalungen, passende Frisuren, Lendenschnur, Stammestätowierungen, Schmuck oder eben nur die Bedeckung bestimmter Körperpartien kamen sich die in tropischen Regionen lebenden Landbewohner genauso schamlos nackt vor wie wir ohne entsprechenden Anzug im Büro.“[12]

3. Die Schmuck-Theorie

Schmücken (‚The Decoration Theory‘) und Verzieren des Körpers ist das grundlegendste Motiv der Kleidung und der ästhetische Hauptantrieb des Menschen. Flügel klassifiziert das Schmücken in Verführung, Trophäen und Einschüchterung, Rang-, Berufs-, regionale und nationale Abzeichen und Zurschaustellung von Reichtum[13]. Auch hier besteht ein Mangelgefühl, weiter noch ein Minderwertigkeitsgefühl, welches wir versuchen, durch Schmücken und Bereichern unseres Selbst zu unterbinden. Zu Schmuck gehören auch Bemalungen, Ziernarben, Tattoos u.v.m. Dabei muss nach Franz Kiener von einer Ansprechbarkeit für Schmuck ausgegangen werden. Das heißt ein gewisses Gespür für Schmuck setzt ein gewisses Empfinden für Schönheit voraus.[14] Der Drang des Schmückens im Sinne des Verschönerns geht in einigen Gesellschaftsgruppen „über das Bekleidungsverhalten hinaus bis zu körperlichen Eingriffen.“[15] Dabei beinhaltet diese Ansicht nicht nur Piercings und Tattoos, sondern auch jegliche weitere ästhetisch-ärztliche Eingriffe.

Bei Kindern lassen sich diese drei Funktionen recht leicht ablesen. Für die Schutzfunktion ist zumeist - besonders bei Kleinkindern - die Mutter zuständig, die dafür sorgt, dass ihr Kind witterungsgemäß und praktisch gekleidet ist. Die Schamfunktion ist bei Kleinkindern recht wenig ausgeprägt, sie laufen im Sommer auch gern als Nackedei herum. Mit zunehmendem Alter macht sich dann aber Scham breit und Mädchen verlangen, bevor überhaupt Brustansätze zu erkennen sind, nach Badeanzügen oder Bikinis - sicherlich auch ihrem Nachahmungstrieb folgend. Am ausgeprägtesten ist die Schmuckfunktion: Welches Kind freut sich nicht über den Inhalt einer Verkleidungskiste? Wie oft wird Mamas Lippenstift verwendet, um sich zu verschönern? Und wie gern schlüpfen kleine Mädchen in die Highheels ihrer Mutter? Allerdings lässt sich sagen, dass diesen drei grundlegenden Motiven für Kleidung neben ihren Funktionen eine weitere Leistung zuzuschreiben ist und zwar die Ausdrucksfunktion, denn Scham- und Schmuckverhalten als vestimentäre (die Kleidung betreffende) Funktion offenbart etwas über die Person des Trägers, drückt sein Inneres symbolisch aus. Somit ermöglichen bereits diese Funktionen Kleidung nonverbale Kommunikation, da sie Mitteilungen über ihren Träger machen.

4. Die soziologische Sicht

In erster Instanz ist Kleidung aus soziologischer Sicht ein Symbol, d.h. Menschen demonstrieren mit ihrer Kleidung ihr soziales Milieu und ihre dazugehörige Wertorientierung. Eine Einteilung in unterschiedliche Gruppierungen findet statt. Eva-Maria Ziege stellt die Bedeutsamkeit der Mode dar, die nicht nur als klarste Form der Unterscheidung dient, sondern auch der Kommunikation und somit auch einer Annäherung zweier Individuen. Mode entpuppt sich folglich als ein „nicht wegzudenkender Gegenstand der klassischen Soziologie.“[16] Dabei setzt Ziege zwei Schwerpunkte für ihre Ausführungen fest, nämlich Mode als Unterscheidungsmerkmal von Zentrum und Peripherie, also auch öffentlicher und privater Sphäre, und Mode als Zeichensystem für Kommunikation. Für den Wechsel der Mode werden von verschiedenen Soziologen unterschiedliche Aspekte verantwortlich gemacht z.B. das Handeln von Konsumentinnen und Konsumenten oder das Konkurrenzdenken auf dem kapitalistischen Markt. So lässt vor allem die marktbildende Kraft des Luxus Kleiderordnungen verschwinden, aber trotzdem Unterschiede bestehen. Deutlich bleiben Unterschiede zwischen Frauen- und Männerbekleidung, zu einigen Zeiten klar und eindeutig, zu anderen milder und verschwommener. Für die heutige Zeit ist auffällig, dass Frauen sich verstärkt der Männerkleidung bedienen, andersrum es aber geradezu zu Zurückweisungen kommt. Natürlich gibt es hierbei auch Ausnahmen. Soziologisch betrachtet belegen Studien, dass die Mode durch Nachahmung ihren Unterscheidungscharakter verliert und dadurch entwertet wird.[17] Formen in der Mode ändern sich nach einem Regelmuster und zwar recht langsam. Infolgedessen ist Mode „ein geordnetes Phänomen und diese Ordnung der Mode ist selbsttragend“[18]. Dabei kann ihre Entwicklung sich diskontinuierlich fortsetzen, aber auch endogen verlaufen - ausgenommen die saisonalen (Mikrodiachronie) Variationen. Zusätzlich zu praktischen Aufgaben der Kleidung und Mode erfüllt sie auch wesentliche psychische und soziale Funktionen, welche der Markt der Textil- und Bekleidungsindustrie auch auf ökonomischer Ebene reflektiert. Zusammenfassend ist Modewandel demnach eine komplexe sozialpsychologische Reaktion auf gesellschaftlichen Wandel, der sich orientiert an einem Zeitgeistmodell, welches sozialpsychologische mit soziologischen und semiotischen Aspekten verbindet - so wie Ziege es darstellt. Damit schließt Ziege sich der Ansicht Blumers[19] an, dass Mode aus vielfältigen Möglichkeiten kollektiv ausgewählt wird.

Meiner Ansicht nach ist das Modell von Sommer[20] einleuchtender, da er die kollektive Wahl einschränkt auf einzelne soziale Gruppierungen. Dabei ordnet er präzise unterschiedlichen sozialen Milieus - angelehnt an das Milieu-Konzept des Heidelberger Sinus-Instituts aus dem Jahr 1986 - Lebensziele und -stile zu, aus denen der getragene Kleidungsstil resultiert[21]. Für das Kleidungsverhalten von Kindern aus soziologischer Sicht ist die Betrachtung des Lebenslaufes von entscheidender Wichtigkeit.

[...]


[1] Dollase, Rainer in: Baacke, Dieter u.a.: Jugend und Mode. Kleidung als Selbstinszenierung. Leverkusen 1988, S. 117.

[2] ebd.: S. 118.: „ ‚romantisch verspielt‘ kleiden sich ‚sensible, gefühlsbetonte und anlehnungsbedürftige Mädchen und Frauen‘, sie tragen z.B. wehende Kleider, Rüschen-Kleider und weich fallende Blusen. ‚sportlich-sachlich‘ kleiden sich ‚betont natürliche, kameradschaftliche, vitale, fröhliche und verläßliche Mädchen und Frauen‘, sie tragen z.B. saloppe Hosen, Faltenröcke, Rippenpullis und kurze Jacken. ‚feminin-aktiv‘ kleiden sich ‚weiblich-reizvolle, einfühlsame und anpassungsbereite‘ Damen, sie tragen z.B. adrette, figurbetonte Kleider, Blusen/Pullover in Kombination mit Rock. ‚emanzipiert-dynamisch‘ kleiden sich ‚elegante, darstellungsbetonte und selbstbewußte Mädchen und Frauen‘, sie tragen z.B. Jackenkleider, Complets, elegante Nachmittags- und Abendkleider. ‚progressiv-extravagant‘ kleiden sich ‚eigenwillige, demonstrative, fortschrittliche und betont nonkonformistische Mädchen und Frauen‘, sie tragen, was gefällt - Hauptsache es ist ungewöhnlich und sehr individuell.“

[3] Andere Lebewesen wie Tiere haben z.B. einen Panzer, Fell oder ein Federkleid, welches sie schützt.

[4] Justo, Graciette Ruf da Cunha Duarte: Kleidung als symbolische Selbstinszenierung. Nonverbale Botschaften über das Individuum. Diplomarbeit für die Prüfung zum Erwerb des Akademischen Grades. Kassel 2005, S. 2.

[5] Schutzkleidung im Krieg oder Ausrüstungen im Sport und bei anderen Arbeiten.

[6] Flügel, John C. in: Ebner, Claudia C.: Kleidung verändert. Mode im Kreislauf der Kultur. Bielefeld 2007, S. 17.

[7] Psychischer Schutz vor Geistern, Krankheiten oder auch ‚moralischen Gefahren‘. Dieser Schutz beinhaltet z.B. die Mönchskutten als Schutz vor Verführung, der Businessanzug speziell bei Frauen vor unmoralischen Angeboten oder die Bernsteinkette für die Reifung der Milchzähne.

[8] Wirtz, Hermann-J. (Hrsg.): Kleider machen Leute - Leute machen Kleider. Baumwolle, Textilien und Bekleidung in der Weltwirtschaft. 1. Auflage, Düsseldorf 1981, S. 17.

[9] Schamgefühl als negativ empfundener Hemmungsimpuls. Steht als erste Instanz gegen sexuelle Formen der Zurschaustellung.

[10] Die Bibel mit Apokryphen nach der Übersetzung Martin Luthers in der revidierten Fassung von 1984. Stuttgart 1999, S. 5.

[11] Wirtz, Hermann-J.: Düsseldorf 1981, S. 23.

[12] Payer, Margarete und Payer, Alois: Freie Informationen für freie Bürger: Länder und Kulturen – Internationale Kommunikationskulturen. In: http://www.payer.de, Kapitel 10: Kulturelle Faktoren – Kleidung und Anstand, 3.3 Schamvermeidung als Funktion von Kleidung. Stuttgart 2001.

[13] vgl.: Flügel, John C. in: Ebner, Claudia C.: Bielefeld 2007, S. 18 ff.

[14] vgl.: Kiener, Franz: Kleidung, Mode und Mensch. München/Basel 1956, S. 50.

[15] Wirtz, Hermann-J.: Düsseldorf 1981, S. 19.

[16] Ziege, Eva-Maria: Die Kunst der Unterscheidung. Soziologie der Mode. In: Leviathan, März 2011, Heft 1, S. 143.

[17] vgl.: ebd. S. 146.

[18] ebd. S. 147.

[19] vgl.: Blumer, Herbert in: Schnierer, Thomas: Modewandel und Gesellschaft. Die Dynamik von „in“ und „out“. Opladen 1995, S. 68 f.

[20] vgl. ebd., S.74 ff.

[21] Der hier wiedergegebene Ausschnitt bezieht sich auf die Zuordnung von Milieu und Kleidungsstil. Im „ konservativ gehobenen“ Milieu trägt man z. B. einen „zeitlosen, gediegenen Kleidungsstil mit dem Bestreben nach Distinktion“, im „ kleinbürgerlichen“ Milieu trägt man „unauffällige, zweckmäßige, natürliche“ Kleidung, im „ aufstiegsorientierten“ Milieu bevorzugt man „korrekte, exklusive und zeitgemäße“ Kleidung und im „ hedonistischen“ Milieu wird der Kleidungsstil bestimmt vom Willen, „anders aussehen zu wollen. Kleidungsstile werden provokativ zur Massenmode gesetzt.“ Hier sind auch die Gruppenstile jugendlicher Subkulturen angesiedelt.

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Details

Title
Warum kleidet sich der Mensch? Ein Überblick über soziologische, psychologische und psychoanalytische Faktoren
College
University of Osnabrück
Grade
1,0
Author
Year
2013
Pages
17
Catalog Number
V322286
ISBN (eBook)
9783668209411
ISBN (Book)
9783668209466
File size
676 KB
Language
German
Keywords
warum, mensch, überblick, faktoren
Quote paper
Karolin Strohmeyer (Author), 2013, Warum kleidet sich der Mensch? Ein Überblick über soziologische, psychologische und psychoanalytische Faktoren, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/322286

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