Nähe und Distanz aus der Perspektive von Helmuth Plessner


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2011

15 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung... 2

2 Rekonstruktion von Plessners Ansatz... 2
2.1 Lebenskreis... 2
2.2 Organisationsform Pflanze-Tier-Mensch... 4
2.2.1 offene Form... 4
2.2.2 geschlossene Form... 5
2.2.3 Verarbeitung von Reiz und Reaktionen... 5
2.2.4 Passive Hinnahme und aktive Gestaltung... 7
2.2.5 exzentrische Positionalität, Tier und Person... 8
2.3 Anthropologische Grundgesetze... 9
2.3.1 Gesetz der natürlichen Künstlichkeit... 9
2.3.2 Das Gesetz der vermittelten Unmittelbarkeit... 10
2.3.3 Das Gesetz des utopischen Standorts... 10

3 Zwischen Nähe und Distanz... 11
3.1 Schamhaftigkeit und Geltungsbedürfnis... 12
3.2 Innen und Aussen... 12
3.3 Scham als Bruchstellenerlebnis... 13

4 Plessners Position im Kontext... 14

5 Literatur... 15

1 Einleitung

Helmuth Plessner (1892- 1985) gilt als einer der Hauptvertreter der Philosophischen Anthropologie. Diese entwickelte sich in der ersten Hälfte des 20.Jhdt. und wurde neben Plessner auch durch Max Scheler, Arnold Gehlen u.a. mit auf den Weg gebracht. Als Katalysatoren waren daran viele andere Forscher und Forschungstendenzen beteiligt. Besonders zu erwähnen ist der holländische Physiologe F.J.J. Buytendijk, der sich auf Einladung Schelers an der Universität Köln aufhielt und mit Plessner freundschaftlich verbunden war. Ebenso stand er mit den Philosophen Nicolai Hartmann und Edmund Husserl in engem Kontakt [1]. Die in diesen Jahren begründete Denkschule beeinflusste das Kulturleben signifikant. Plessner selbst, hatte allerdings wenig Glück und sein Hauptwerk ‚Die Stufen des Organischen und der Mensch‘ stand seinerzeit im Schatten von Heideggers Werk ‚ Sein und Zeit‘ und Schelers Arbeit über ‚Die Stellung des Menschen im Kosmos‘. Seine Arbeit wurde nicht recht wahrgenommen, außerdem gab es Auseinandersetzungen mit Scheler wegen Plagiatsvorwürfen. Später drängte ihn das erzwungene Exil in der Türkei und Holland aus dem Feld. Nach dem Krieg galt Anthropologie als veraltet und bürgerlich und wurde besonders von der Frankfurter Schule mit Jürgen Habermas geradezu bekämpft. Erst als Plessners gesammelte Schriften 1981 herauskamen fand er die verdiente Akzeptanz[2].

Das zentrale Element in Plessners Werken ist das Konzept der exzentrischen Positionalität. Im Folgenden werde ich den von Plessner geschaffenen Begriff und seine Konstruktion erklären um dann das Phänomen der Scham zu betrachten. Zuletzt will ich noch eine Einordnung von Plessners Arbeiten in den geschichtlichen Kontext vornehmen.

2 Rekonstruktion von Plessners Ansatz

Plessner versucht mit seiner Konzeption der exzentrischen Positionalität den Dualismus von Materie und Geist zu überwinden und den Status des Menschseins frei von Naturwissenschaft, Metaphysik oder Ontologie herauszuarbeiten. Seine Philosophie baut auf biologischen Tatsachen auf und verweist darauf, dass der Mensch gleichzeitig ein Geistwesen und ein Körperding ist. Das Paradox ist, dass wir einen Körper haben, zugleich aber Leib sind. Die daraus folgenden Konsequenzen entfaltet er in seinem Hauptwerk „die Stufen des Organischen und der Mensch“ (1928). Er gelangt in seinen Werken von einer Interpretation biologisch-systemischer Tatsachen bis zu einer philosophischen Grundlegung der Soziologie.

2.1 Lebenskreis

Einer der wesentlichsten Katalysatoren für Plessner waren die Arbeiten von J. v. Uexküll. Bereits 1909 begründete dieser mit seinem Buch „ Umwelt und Innenwelt der Tiere“ die Biologie philosophisch[3].

Lebewesen und Objekte sind in eine Umgebung als Objekte aufgenommen. Die Lebewesen wiederum gestalten aber auch die Umwelt, sie stehen mit der Umwelt in einen Wirkkreis miteinander in Verbindung. Für das Lebewesen teilt sich dabei die Umwelt in eine Merkwelt und eine Wirkwelt. Dazwischen ist eine Lücke die bei Uexküll als „neuer Kreis“ bezeichnet wird (siehe Abbildung) und die Plessner mit der Sphäre des Bewusstseins füllt.

Original-Abbildung aus „Theoretische Biologie“ von Jakob Johann von Uexküll, 1920. (Quelle Wikipedia) [Hinweis: Dies ist eine Leseprobe. Abbildungen und Tabellen werden nicht angezeigt]

Es schiebt sich ein neuer Kreis, der innerhalb des eigenen Zentralorgans verläuft, zur Unterstützung des äußeren Funktionskreises ein und verbindet das Handlungsorgan mit dem Merkorgan. “ (aus: Theoretische Biologie 1920)

Plessners Vorstellungen bauen darauf mit der Idee auf, dass jedes Lebewesen in einen Lebenskreis eingebettet ist. Der führt durch ihn hindurch und durch ihn ist es untrennbar mit seiner Umwelt verbunden. In diesem Lebenskreis hat es seine Existenznische in der es teils durch Anpassung, teils durch aktive Gestaltung seinen Platz findet. Der Sinn seiner Existenz ist die Erfüllung seiner Funktion im Gefüge der verschiedenen Lebenskreise.

Uexküll stellte dabei den Gedanken der Angepasstheit des Organismus in den Vordergrund, während Plessner darunter eher Eingepasstheit in ein Milieu versteht, denn Feindschafts- und Freundschaftsverhältnisse stehen immer in Verbindung mit der Umwelt. Dabei gibt es keine Hierarchien zwischen unteren und höheren Stufen[4]. Alles Leben beruht auf Interaktionen, sie sind der Mittelpunkt der Biologie [5].

Nach Uexküll lebt jeder Organismus in seiner Welt in einem abgeschlossenen Lebensraum in den er eingeschlossen ist. [6] Die Umwelten sind ganz auf den entsprechenden Stil des Tieres oder der Pflanze zugeschnitten und haben nichts miteinander zu tun. Es ist allerdings möglich, dass sie sich teilweise überschneiden (z.B. die Welt der Vögel und der Fische) oder von anderen Umwelten umgriffen werden. Für Plessner trifft Angepasstheit oder Anpassung dabei nicht den Punkt, denn durch den wechselseitigen Einfluss von Lebewesen und Umwelt sind die Grenzen dynamisch und ständig in Bewegung. [7] Die Grenze gibt immer auch Informationen aus der Umwelt weiter, wodurch diese immer auch mit in den Organismus einbezogen ist. Umwelt, Milieu und Organismus sind zwar abgegrenzt, aber nicht voneinander getrennt, die Grenzen fallen nicht mit den Konturen zusammen.[8] Eine Grenze greift immer über sich hinaus und verweist auf das was dahinter ist, daher ist in einem umgrenzten Körper die Umwelt schon von vorneherein antizipiert. [9] Für Lebewesen fallen zwar bei empirischer Betrachtungsweise die Konturen mit den Grenzen zusammen, aber in Wirklichkeit besteht eine Verflechtung mit dem Milieu. Das Milieu greift durch Lebewesen und Umwelt hindurch. Das Paradox ist, dass die Kontur einen harten Grenzwert hat, die Grenze aber nicht.[10] Aus der Sicht der Phänomenologie ist die Grenze zur Welt ein Horizont.

2.2 Organisationsform Pflanze-Tier-Mensch

Für lebendige Dinge gibt es einen Zwang zur Abgeschlossenheit als physischer Körper und zugleich einen Zwang zur Aufgeschlossenheit in die Umwelt als Organismus.[11] Der Organismus erfüllt seinen Zweck nur durch seine Einbettung in einen Lebenskreis. Wie vereinbart sich das mit der unvermeidlichen Geschlossenheit eines Körpers? Die Lösung findet sich in der Form des Dings. Seine Gestalt macht es sinnlich fassbar ohne dass es selbst in Erscheinung tritt. Damit wird der Konflikt zwischen Organisation und Körperlichkeit ausgeglichen. [12] Es gibt zwei Möglichkeiten, entweder ist die Form offen und der Umwelt zugewandt oder aber in sich geschlossen und auf ein Zentrum hin orientiert.

2.2.1 offene Form

Die offene Form liegt bei der Pflanze vor, ihr Organismus ist direkt in die Umwelt eingegliedert. Das Wesen wird damit zu einem unselbstständigen Abschnitt eines Lebenskreises. Morphologisch zeigt sich das auch durch die Hinwendung zur Umwelt und Ausrichtung aller Flächen auf die Umwelt sowie dem Fehlen eines Zentrums. Funktionsträger sind die zur Umwelt hin ausgerichteten Flächen. Das Stützgewebe durchzieht den gesamten Organismus von seinen äußeren bis in seine innersten Schichten. Es gibt keine Zentralorgane mit denen der Körper als Ganzes verbunden ist, seine Teile bleiben überwiegend gegeneinander selbstständig. Die Fortpflanzung der Pflanzen geschieht aufgrund der offenen Form durch Einflüsse aus der Umwelt wie Bestäubung durch Wind oder Insekten. Bei der Pflanze sind die Oberflächen unmittelbar durch das Sonnenlicht am Stoffwechsel beteiligt. Das Charakteristische der offenen Form der Pflanze ist ihre Gebundenheit an einen Ort mit der sie in die rhythmisch ablaufenden Prozesse in die Umwelt eingepasst ist. Bewegungen erfolgen nur aufgrund des Wachstums. Die offene Form ist von der geschlossenen Form des Tieres strikt getrennt, obwohl es auch Übergangsformen gibt, wie z.B. die Korallen.

2.2.2 geschlossene Form

Geschlossen heißt hier gegenüber der Umwelt. Solche Organismen sind eingegliedert in einen Lebenskreis und machen sich zu einem selbstständigen Abschnitt davon. Hier ist alles nach außen hin abgekammert und in das Medium „Umwelt“ mittelbar eingegliedert. Auf diese Weise entsteht eine neue Existenzbasis die eine auf sich selbst gestellte Existenz mit sich bringt.

Zwischen dem Lebenskreis und dem Organismus ist eine vermittelnde Schicht, die den Kontakt mit dem Medium übernimmt. [13] Hier besteht immer ein Informationsgefälle, denn sonst wäre die Grenze keine Grenze. Sie muss einerseits in lebendiger Beziehung zum Körper und andererseits in direktem Kontakt mit der Umwelt stehen. Dabei dürfen sie den Körper nicht hermetisch abschließen und müssen eine Vermittlung zwischen Innen- und Aussenwelt ermöglichen.

Der Ausgleich zwischen der physischen Aufgeschlossenheit des Körpers gegenüber dem Medium, und der Abgeschlossenheit ist ein gegensinniger Prozess. [14] Aufgrund dieses Antagonismus schließt sich der Organismus zu einer Einheit zusammen. Der Organismus hat dabei nichts als nur seinen eigenen Körper als Ressource um diesen Antagonismus aufzubauen. Er muss, um gegen das Medium eine geschlossene Einheit zu bilden die Grenze in sich selber haben, d.h. in sich selber in einen Antagonismus zerfallen. Kraft dessen schließt sich der Organismus zu einer Einheit zusammen.

Der organisatorische Sinn dieses Antagonismus bleibt nur erhalten, wenn ein Zentrum da ist das dieses Gegeneinander technisch aufrechterhält. [15] Die Gesamtorganisation des Organismus besteht je nach Entwicklungsstand aus vielen, jeweils unselbstständigen Funktionsträgern. Bei Tier/Mensch sind das die Organe, nur zusammen bilden sie ein sinnvolles Ganzes. Der Organismus ist nur aufgrund der jeweiligen Antagonismen eine lebendige Einheit, aber dazu braucht es ein übergeordnetes Zentrum das alle Organe zusammenfasst und repräsentiert.

[...]


[1] vgl. Fischer 2006, S. 324

[2] vgl. Wikipedia vom 20.Juli 2011

[3] vgl. Wikipedia vom 20.Juli 2011

[4] vgl. Plessner in Lessing S. 114

[5] vgl. ebd.

[6] vgl. ebd. S. 115

[7] vgl. ebd. S. 117

[8] vgl. ebd.

[9] vgl. ebd.

[10] vgl. ebd. S. 119

[11] vgl. SOM_b S. 283

[12] vgl. ebd. S 282- 283

[13] vgl. ebd. S 292

[14] vgl. ebd. S 293

[15] vgl. ebd.

Fin de l'extrait de 15 pages

Résumé des informations

Titre
Nähe und Distanz aus der Perspektive von Helmuth Plessner
Université
Munich School of Philosophy
Cours
Hauptseminar - Plessners „exzentrische Positionalität“ und die Leibphänomenologie.
Note
1,7
Auteur
Année
2011
Pages
15
N° de catalogue
V323009
ISBN (ebook)
9783668221987
ISBN (Livre)
9783668221994
Taille d'un fichier
529 KB
Langue
allemand
Mots clés
exzentrische Positionalität, Lebensform, Pflanze-Tier-Mensch, Schamhaftigkeit
Citation du texte
Roland Wegscheider (Auteur), 2011, Nähe und Distanz aus der Perspektive von Helmuth Plessner, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/323009

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