Ängste ernst nehmen? Die Diskussion über Pegida in Medien und Politik

Qualitative Leitfaden-Interviews mit Lokaljournalisten in Dresden


Bachelorarbeit, 2015

49 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. RELEVANZ DES THEMAS

2. THEORETISCHER HINTERGRUND
2.1 Näherungen an den Forschungsstand
2.1.1 Individuelle Betrachtung
2.1.2 Ethische und philosophische Prinzipien
2.1.3 Rollenverständnis von Journalisten
2.2 Rationalität und Ethik der Journalisten nach Weber
2.2.1 Ethik
2.2.1.1 Verantwortungsethik
2.2.1.2 Gesinnungsethik
2.2.2 Rationalität
2.2.2.1 Zweckrationalität
2.2.2.2 Wertrationalität
2.3 Theorie der instrumentellen Aktualisierung
2.3.1 Bewusstes Hochspielen
2.3.2 Bewusstes Herunterspielen
2.4 Kategorien

3. METHODE
3.1. Qualitative Leitfadeninterviews
3.2. Konstruktion des Leitfadens
3.3. Stichprobe und Rekrutierung
3.4. Ablauf des Interviews, Interviewerprotokoll und Transkription

4. ERGEBNISSE
4.1 Rollenselbstverständnis
4.2 Ethik
4.3 Rationalität
4.4 Instrumentelle Aktualisierung
4.4.1 Bewusstes Hochspielen
4.4.2 Bewusstes Herunterspielen

5. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

7. LITERATURVERZEICHNIS

8. ONLINE QUELLEN
Anhang 1: Kategorienschema
Anhang 2: Interviewleitfaden

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Einteilung nach Max Weber, eigene Darstellung nach Kepplinger (2011, S. 178)

Abbildung 2: Angaben zum Rollenselbstverständnis, Kategorie: Wichtig

Abbildung 3: Angaben zum Rollenselbstverständnis, Kategorie: Unwichtig

1. Relevanz des Themas

PEGIDA (Patriotische Europäer Gegen die Islamisierung Des Abendlandes), dieser Begriff dominierte im Dezember 2014 und Januar 2015 die Titelzeilen nahezu aller Medien. Eine politische Bewegung, die durch ihre Montagsspaziergänge in der Dresdner Innenstadt bekannt wurde. Kurz danach folgten in mehreren deutschen Städten Ableger der Bewegung und demonstrierten ebenfalls. Unklar war anfangs jedoch, wofür oder gegen was genau bei diesen Spaziergängen demonstriert wurde. Der Name der Bewegung deutet vorerst auf eine ablehnende Haltung gegenüber dem Islam hin, was eventuell der explodierenden Berichterstattung über die Glaubenskriege, Terroranschläge und Mord- und Raubzüge des Islamischen Staates und der Boko Haram zurechenbar wäre. Allerdings geht es bei Pegida eher um nationale Angelegenheiten, anfangs tatsächlich um die Asylpolitik, da durch die aufkommenden Flüchtlingsströme viele Menschen mit muslimischem oder anderem Glauben in Deutschland Asyl suchen. Dadurch kam aber bei vielen die Vermutung auf, diese Bewegung könnte sich am rechten Rand der Gesellschaft bewegen, da die Verweigerung der Aufnahme von flüchtenden Menschen, nur weil diese einen anderen Glauben haben, Züge von rechtspopulistischen Gedankengut aufweist. Natürlich berichteten auch die Medien über die Kritik und Ablehnung der Asylpolitik der Pegidisten. Deshalb entstanden im gesamten Bundesgebiet massive Gegendemonstrationen und Politiker sprachen sich gegen die Bewegung um Pegida aus. Später wurde klar, dass die „besorgten Bürger“ für noch viel mehr als nur die Asylpolitik auf die Straßen gingen. Obwohl sich die Organisatoren von Pegida des Öfteren von Rechtsradikalen und der NPD (Nationalsozialistische Partei Deutschland) distanzieren wollten, wurden sie immer wieder von diesen instrumentalisiert beziehungsweise in ihren Absichten mit deren rechten politischen Ansichten verglichen. Die Organisatoren wurden genauer beobachtet und in die Öffentlichkeit gezogen. Dadurch wurden natürlich all ihre Aussagen besonders genau abgewogen und vergangene Fehltritte regelrecht skandalisiert. Aber hat sie denn nicht genau das Verhalten der Medien und Medienschaffenden in ihren Ansichten zur sogenannten „Lügenpresse“ bestätigt? Hat ihnen dieses Maß an Öffentlichkeit und Publizität noch mehr Zulauf verschafft oder fingen die Anhänger an, sich nach Veröffentlichungen zu den Ungereimtheiten innerhalb des Organisatorenteams, zu distanzieren, aus Angst, sie könnten doch bei einer Bewegung mitgelaufen sein, die sich mehr als vermutet am äußeren rechten politischen Sektor befindet? Diese Wirkungen der Medien auf die Gesellschaft sind freilich nicht leicht zu bemessen, allerdings stellt sich noch eine andere Frage: Zielen Journalisten mit ihrer Berichterstattung nicht genau auf solche Wirkungen? Welche Gedanken machen sich Journalisten vor der Veröffentlichung eines Beitrags zu einem prekären Thema? Dies führt zu der Forschungsfrage, mit der sich diese Arbeit fortan beschäftigen wird:

Welche ethischen Grundannahmen und Motive verfolgen Journalisten in ihrer Berichterstattungüber Pegida?

Im folgenden Abschnitt wird erst auf den theoretischen Hintergrund eingegangen, in dem die Theorien, auf denen diese Arbeit basiert, herausgearbeitet werden. Daraus werden dann die Kategorien (Abschnitt 2.4) abgeleitet, die für die Qualitativen Leitfadeninterviews als Methode dieser Arbeit (Abschnitt 3) grundlegend sind. Nach der Erläuterung zum Ablauf und Transkription der Leitfadeninterviews werden im Abschnitt 4 die Ergebnisse interpretiert und in den theoretischen Rahmen gesetzt. Abschließend sollen im Abschnitt 5 Probleme diskutiert, Ergebnisse zusammengefasst und ein Ausblick gegeben werden.

2. Theoretischer Hintergrund

Journalistische Arbeit gilt als sozial privilegiert, da sie verfassungsrechtlichem Schutz unterliegt, welcher in den Kommunikationsfreiheiten in Art. 5 I GG verankert ist. Weil diese Grundrechte nur bei Verletzung eines anderen Grundrechts oder eines Verfassungsverstoßes eingeschränkt werden können, haben Journalisten mit ihrem Beruf einen erheblichen Handlungsspielraum (Donsbach, 1982, S. 91-93). Doch genau deswegen erhebt sich der Anspruch an Journalisten und die Medien, verantwortungsvoll und selbstregulierend mit ihren beruflichen Aufgaben umzugehen (Fengler, 2013, S. 105). Diese Arbeit basiert auf den theoretischen Annahmen der Rationalität und Ethik von Max Weber in Verbindung mit dem Modell der Instrumentellen Aktualisierung von Hans-Mathias Kepplinger. Nach der Vorstellung des bisherigen Forschungsstandes in Abschnitt 2.1 werden die Theorien und Modelle näher erläutert. Abschließend werden diese in ein Kategorienschema vereint.

2.1 Näherungen an den Forschungsstand

Wie bereits erwähnt, gilt der Arbeit von Journalisten ein besonderer Zuspruch an verfassungsrechtlichen Freiheiten. Allerdings sind diese auch mit einigen Berufsansprüchen verknüpft, da sie mit ihrer Arbeit maßgeblich an der Bildung der öffentlichen Meinung beteiligt sind, welche grundlegend für ein funktionierendes demokratisches System sind (Meier, 2011, S. 224). Um diese gewährleisten zu können, wurden für Journalisten eine Reihe informeller Normen, also Ethik-Kodizes oder professionelle Verhaltens- und Handlungsregeln, aufgestellt (Fengler, 2013, S. 108). Diese informellen Institutionen geben zwar bestimmte Grundregeln für journalistisches Arbeiten vor, allerdings arbeitet jeder Journalist als Individuum mit eigenen moralischen Ansprüchen und Vorstellungen an und von qualitativ hochwertiger Berichterstattung (Meier, 2011, S. 244). Unbestritten ist, dass Umwelt- und systemische Einflüsse auf den Journalisten vorherrschen, nichts desto trotz kann auch ein Journalist als Mensch seine Einstellungen, Gefühle und persönlichen Prinzipien nicht völlig ablegen (Altmeppen, 2004, S. 421). Deshalb muss die Betrachtung von ethischen Einflüssen und Vorgaben differenziert werden.

2.1.1 Individuelle Betrachtung

Dabei sollen nun einige Ethikkonzepte näher betrachtet und als für diese Arbeit relevant eingeteilt werden. Nach Pürer`s Konzept der gestuften Verantwortung steht die individuelle Verantwortung, also die der journalistisch handelnden Akteure, neben der Medien-System-Ethik und der Ethik der kollektiven Verantwortung als eigenständiges Ethikkonzept (1992, S. 319). Auch Lorettas unterscheidet verschiedene Ebenen der Ethik und Verantwortung, wobei hier zwei Ebenen für diese Forschungsarbeit relevant sind. Zum Einen die berufsbezogene Ebene, die sich mit dem allgemeinen journalistischen Handeln und grundlegenden Ansprüchen daran auseinandersetzt. Zum Anderen die personale Ebene, in der der einzelne Journalist und seine Möglichkeiten an der Mitwirkung der Kommunikation betrachtet werden (Thomaß, 2004, S. 412). Weischenberg unterscheidet, ähnlich wie Pürer, zwischen einer Individualethik, Professionsethik und Institutionsethik (Weischenberg, 2004, S. 218). Auch wenn diese Unterteilungen getroffen werden können, muss immer bedacht werden, dass die Betrachtungsebenen immer im Wechselspiel miteinander fungieren. Wenn nun auch die individuelle Ebene der Akteure näher betrachtet werden soll, so kann die Ethik und Verantwortung von journalistischer Arbeit nicht allein in diesen Bereich fallen. Denn die idealisierte Sichtweise, dass ein Mensch immer nach denselben Normen und in verschiedenen Situationen kongruent handeln soll, wird allein schon durch die dynamische Entwicklung von der Gesellschaft und den unterschiedlichen sozialen oder Mediensystemen, in denen sich jeder Mensch bewegt, zerstört (Weischenberg, 2004, S. 218-219). In einer nach wirtschaftlichem Aufschwung strebenden Gesellschaft wie in Deutschland, spielen natürlich in jedem Beruf auch ökonomische Ziele eine immer bedeutendere Rolle. Auch wenn vor mehr als 20 Jahren im Journalismus mit einer repräsentativen Befragung unter Journalisten im Jahr 1992 nachgewiesen werden konnte, dass sogenannte extrinsische Handlungsantriebe, wie ökonomisches Einkommen und der Grad an Aufmerksamkeit, weniger wichtig waren als die sogenannten intrinsischen Merkmale, die auf die Erfüllung von gesellschaftlichen Aufgaben zielen, so nimmt die Relevanz dieser Handlungsantriebe für Journalisten, wie in jedem anderen Beruf deutlich zu (Neuberger, 2007, S. 148/149). Denn, wie bereits erwähnt, wächst der ökonomische Druck weiter und wird auch von Journalisten und Medien stärker wahrgenommen (Lünenborg, Berghofer, 2010, S. 47). Dennoch sorgen die Sozialverantwortung, der Journalisten in ihrer Arbeit unterliegen und die Ansprüche an die Berichterstattung aus Gesellschaft und demokratischer Prinzipien für das idealistische Bild des Funktionierens einer Mediengesellschaft und des Journalistenberufs (Weischenberg, 2004, S. 177). Deshalb soll nun innerhalb der Individualeben ein tieferer Blick in den idealistischen Part journalistischer Arbeit und den Handlungsantrieben dieser geworfen werden. Doch wie schon in der Unterscheidung der Ebenen für ethische Verantwortung, lassen sich auch in der mikroanalytischen Ebene selbst noch weitere Modelle ethischer Konzepten unterscheiden.

2.1.2 Ethische und philosophische Prinzipien

Individualethisch wird grundsätzlich einmal zwischen einem normativ-ontologischen Ansatz und einem empirisch-analytischem Ansatz differenziert. Ersterer wird von Vertretern der traditionellen Publizistikwissenschaft postuliert und dabei geht es eher darum, danach zu suchen, was im Journalismus sein soll, nicht was bereits ist. Die Verantwortung wird am Journalist als Individuum festgemacht und moralische Gewissensnormen dienen als Handlungs- und Verhaltenorientierung (Schicha, 2010, S. 34-35). Während diesem Ansatz vorgeworfen wird, er sei gegenüber der Sicherung von Normenvielfalt in einer pluralistischen Gesellschaft und in der Unterscheidung zwischen individueller und institutioneller Ethik zu einschränkend, bezieht sich der empirisch-analytische Ansatz auf eine systembezogene Verantwortung(Schicha, 2010, S. 35). Doch auch dieser Ansatz wird vielfach auf einen einschränkenden Charakter hin kritisiert, da man bei dem Schluss von dem Funktionieren eines Systems die moralischen und ethischen Grundzüge der individuellen journalistischen Arbeit ausschließe (Weischenberg, 2004, S. 202-209). Neben diesem Paradigmenstreit gab es auch in den USA Ende der 1940er Jahre verschiedene Sichtweisen der Ethik und moralischen Verantwortung von Journalisten. So setzte John C. Merrill, im Gegensatz zu der Hutchins Commission, die einen Journalisten im Dienste der Menschheit und der social responsibility sieht, ebenfalls auf eine subjektive, individuelle Selbstverpflichtung und Eigenengagement von Journalisten (Thomaß, 2004, S. 408).

Eine andere Sichtweise vertritt auch Bucher, der feststellt, dass journalistisches Handeln zwar intentional, aber trotzdem institutionell ist und dass die Bedingungen der Institution, also einer Redaktion oder ähnlichem, erst die Freigabe für ein intentionales Handeln sind (Bucher, 2004, S. 271). Allerdings stellt er auch fest, dass die Intentionalität grundlegend für die Analyse der journalistischen Ethik ist. Paul Grice nahm an, dass ein Kooperationsprinzip die Handlungsprinzipien und -maximen von journalistischem Handeln am besten untermauern könnte. Das heißt, dass jeder Kommunikator seinen Beitrag danach ausrichtet, wie es der Zweck verlangt. Zudem wird das Prinzip noch auf vier Maximen ausgeweitet: die Maxime der Qualität, Quantität, der Relation und der Modalität. Unter der Abwägung dieser vier Aspekte kann nun eine Orientierung kommunikativen Handelns im Einzelfall vorgenommen werden (Bucher, 2004, S. 273-274). Um auf dem Pfad der Intentionalität zu bleiben, lässt sich zwischen der deontologischen und der teleologischen Ethik unterscheiden.

Dabei ist deontologisch auf das Wesen von Handlungen und teleologisch auf das Hinterfragen von Folgen der Handlung ausgerichtet (Thomaß, 2004, S. 409).

Der deontologische Ansatz beruht auf der sogenannten Pflichtethik nach Immanuel Kant, welche besagt, dass Ethik aus eigenen Entscheidungen entsteht, welche in Abwägung von Gewissen, Vernunft und anhand von als „gut“ geltenden Werten getroffen werden, einordnen (Meier, 2011, S. 240). Eine ähnliche Unterscheidung zur Ethik als Handlungsmaxime für journalistische Arbeit traf auch Max Weber, welche als theoretische Grundlage dieser Forschungsarbeit dient und auf die unter Punkt 2.2 näher eingegangen werden soll. Allerdings müssen diese Unterscheidungen weiter hinterfragt und weitergedacht werden. So ist doch fraglich in welcher moralischen Beziehung der teleologische Ansatz journalistischer Arbeit steht, wenn das Handeln auf Nutzen und Folgen ausgerichtet ist. Dafür soll folgend das Rollenverständnis von Journalisten und die Umsetzung von Wirkungsabsichten in der Berichterstattung näher betrachtet werden.

2.1.3 Rollenverständnis von Journalisten

Nicht selten werden die Medien in Deutschland als vierte Gewalt im Staate betitelt. Dies gründet auf der Machtposition, die die Medien und Journalisten innehaben, denn sie stellen Öffentlichkeit her und beeinflussen somit Meinungen und Einstellungen in der Bevölkerung. Aber die Einflüsse bestehen nicht nur auf die Gesellschaft, sondern auch auf die Politik. So schätzten nach einer Befragung von Bundestagsabgeordneten und Hauptstadtjournalisten beide Parteien den Einfluss von Medien auf die Politik höher ein als umgekehrt (Kepplinger, 2011, S. 24). Und vor allem die Journalisten befanden, dass diese ungleiche Verteilung durchaus seine Berechtigung hat und der Einfluss von Medien auf Politik auch noch ausgebaut werden könne (Kepplinger, 2011, S. 25). Daraus lässt sich schließen, dass Journalisten mit ihrem indirekten Machtanspruch ein gewisses Rollenverständnis legitimeren möchten. So herrscht schon seit der „Mainzer Schule“ das Bild eines links orientierten Journalisten, der Politik und Gesellschaft kritisiert, sich für „gute“ und „sittliche“ Werte einsetzt und die öffentliche Meinung mithilfe der gewonnen Macht aus Mechanismen wie der der Schweigespirale beeinflusst (Neuberger, Kapern, 2013, S. 83). Allerdings geht das Rollenverständnis freilich mit dem gesellschaftlichem, wirtschaftlichem und politischen Wandel einher. So wurde das Bild des Missionars mit der Aufgabe der Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben 1992 noch von der Mehrheit der Journalisten vertreten (vgl. Schneider, Schönbach, Stürzebecher, 1993: 20). Mehr als 20 Jahre später herrscht der „neutrale Vermittler und Informationsdienstleister“ als mehrheitlich vertretenes Rollenverständnis unter Journalisten (Neuberger, Kapern, 2013, S. 83). Die Kritik- und Kontrollfunktion („Watchdog“), welche unter den US-Journalisten als wichtigste Aufgabe und Rolle angesehen wird, ist unter den deutschen Journalisten mit nur 24% vergleichsweise gering vertreten (Altmeppen, Greck, 2012, S. 111). Auch in der Vergleichsstudie zwischen Journalisten allgemein und Politikjournalisten im speziellen ist das Selbstverständnis in Bezug auf Information und Vermittlung mehr ausgeprägt als in Bezug auf Kritik und Kontrolle (Lünenborg, Berghofer, 2010, S. 37-39). So stimmen die Politikjournalisten mit 82,7% mehrheitlich zwar dem Motiv das Publikum „neutral und präzise zu informieren“ zu, allerdings wird unter ihnen im Gegensatz zum Durchschnitt aller Journalisten der Punkt „komplexe Sachverhalte erklären und vermitteln“ mit 95,5% noch höher eingestuft (Lünenborg, Berghofer, 2010, S. 37-39). Auch in der Kategorie Kritik und Kontrolle stimmen die Politikjournalisten dem Motiv „Kritik an Missständen zu üben“ mit knapp 20% mehr zu als der Durchschnitt. Gleiches lässt sich in dem Ziel „Bereiche Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kontrollieren“ und „politische Tagesordnung beeinflussen/Themen auf die Agenda setzen“ ablesen (Lünenborg, Berghofer, 2010, S. 37-39). Auch wenn die Qualität der Informationsvermittlung allen voran zu liegen scheint, ist es den Journalisten, vornehmlich aus dem Ressort Politik, immer noch sehr wichtig Kritik und Kontrolle an Staat, Politik und Gesellschaft zu üben. Wenn nun Journalisten, wie eingangs schon beschrieben, einen gewissen Machtanspruch ausüben, dann liegt es nahe, dass sie mit dieser „Macht“ auch bestimmte Wirkungen erzeugen wollen. Also Einfluss nehmen auf öffentliche Meinungsbildung, politisches Wissen, Politik und gesellschaftliche Strukturen (Neuberger, Kapern, 2013, S. 84). Daraus wäre möglicherweise ziel- und zweckgerichtetes Handeln ablesbar, was den Bezug zu den bereits dargestellten verschiedenen philosophischen und ethischen Handlungsmaximen darstellt. Auf die grundlegende Differenzierung nach Max Weber, auf der diese Arbeit beruht, wird nun näher eingegangen.

2.2 Rationalität und Ethik der Journalisten nach Weber

Obwohl Max Weber, wegen seines eigenen Scheiterns als Politiker in der Demokratischen Partei, zuerst ablehnte den Vortrag „Politik als Beruf“ zu halten, willigte er später doch aus politisch motivierten Gründen wieder ein. So sollte der linkssoziale bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner an seiner Stelle den Vortrag halten. Doch da Weber ihn für einen „Gesinnungspolitiker ohne Augenmaß für die Folgen seiner Handlungen“ hielt, übernahm er die Rede, um den „würdelosen Pazifisten“ nicht zu Wort kommen zu lassen (Mommsen, Schluchter, 1992, S. 119/120). Auf genau diese Kritik an Eisner und dessen revolutionäre Gesinnungspolitik ging Max Weber in dem Vortrag am 28. Januar 1919 dann auch ein (Mommsen, Schluchter, 1992, S. 125). Er unterteilte die Berufe des Politikers und des Journalisten in zwei verschiedene Handlungsmaximen. Dabei unterschied er diese einerseits in Bezug auf Rationalität und andererseits auf Ethik.

Die ersten Ausführungen zu einem Verantwortungsbewusstsein finden sich, als Weber den politischen Eliten das Prinzip der Eigenverantwortung für ihr Handeln zuschreibt (Weber, 1919, S. 190). Daraufhin wird der Journalist als Teil einer Pariakaste beschrieben, wobei er in dieser von der Gesellschaft nach den „ethisch tiefstehenden Repräsentanten" des Journalismus sozial eingeschätzt wird (Weber, 1919, S. 191). Dabei vergleicht er Journalisten mit Gelehrten und stellt fest, dass sie in Bezug auf den „Geist“ von guter journalistischer Arbeit und auf das Verantwortungsgefühl den Gelehrten in nichts nachstehen (Weber, 1919, S. 192). Außerdem schreibt er ihnen ein besonderes Maß an Selbstdisziplin zu, da er ausführt mit welcher Diskretion die „tüchtigen Journalisten“ unter den doch zur Versuchung leitenden und wirkungsvollen Bedingungen des journalistischen Berufs arbeiten. Zudem lässt sich feststellen, dass er eine Unterschätzung aus Sicht der Bevölkerung wahrnimmt, die sich wohl auf die Taten der verantwortungslosen Journalisten stützt, welche mit „ihrer oft furchtbaren Wirkung“ im Gedächtnis der Leute bleibt (Weber, 1919, S. 192). Er befindet die Kritik an Journalisten, verantwortungslos und würdelos zu sein, als eine Art Abwehrmechanismus, da die besondere Stellung, die Wirkungsmöglichkeiten und Möglichkeiten der Einflussnahme Furcht bei den Leuten auslöse (Weber, 1919, S. 196).

Weber sieht auch in der Abschaffung des Anonymitätsprinzips der Journalisten keinen sicheren Weg zur Erhöhung des Verantwortungsbewusstseins der Journalisten.(Weber, 1919, S. 195). Allerdings findet er in Journalisten keine politischen und vor allem verantwortungsvollen Führer, obwohl er dennoch postuliert, dass ein journalistischer Werdegang einer der zentralsten Wege zur politischen Berufstätigkeit ist (Weber, 1919, S. 195).

Als politische Führungsperson sieht er beispielsweise das amerikanische Vorbild, den „Boss“, welcher gesinnungslos, ohne moralische Prinzipien, innerhalb der Durchschnittsethik der Politik handelt und eben nicht nach sozialer Ehre sondern nach Macht und Einkommen strebt (Weber, 1919, S. 216). Aus den drei entscheidenden Qualitäten, die einen Politiker auszumachen scheinen, Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß, schließt Weber auch eine der Todsünden in der Politik, nämlich die Verantwortungslosigkeit (Weber, 1919, S. 229). Webers Ausführungen zur Ethik beginnen mit denen zur absoluten Ethik nach dem Evangelium, also der Christlichen Ethik.

2.2.1 Ethik

Max Weber war ein sehr gläubiger Mann und schrieb der christlichen Ethik deshalb einen hohen Stellenwert zu, warnte aber gleichzeitig vor einem leichtfertigen Umgang mit dieser (Weber, 1919, S. 234). Eine unabdingbare Folge der absoluten Ethik ist für Weber die Wahrheitspflicht, also trotz einer Kriegsschuld die Publikation aller Dokumente, ungeachtet der Folgen, und einseitige, bedingungslose Schuldbekenntnis (Armbrecht/Zabel, 1994, S. 245). Das ideale Bild des Politikers nach Weber steht dem entgegen, denn eine unplanmäßige Publikation könnte eben auch Folgen hervorrufen, welche „nicht wieder gut zu machen sind.“ (Weber, 1919, S. 237). Hier unterscheidet Weber schließlich zwischen der Gesinnungsethik und der Verantwortungsethik.

2.2.1.1 Verantwortungsethik

Ganz grundsätzlich ausgedrückt wird die verantwortungsethische Maxime von der Übernahme der Verantwortung aller voraussehbarer Folgen des Handelns geleitet (Weber, 1919, S. 237). Der Verantwortungsethiker wird die voraussehbaren Folgen seines Tuns nicht auf andere übertragen, nur weil oder gerade weil er weiß, dass die Menschheit unterprivilegiert und in direkten Worten ausgedrückt: „dumm“ ist, sondern er wird sie sich selbst zurechnen (Weber, 1919, S. 238). Da die Mittel der Politik in Webers Zeiten aus Gewalt und Macht bestehen und Politiker diese Mittel einsetzen um ihren Motiven der Herrschaft und des Reichtums näher zu kommen, muss sich der Politiker seiner Verantwortung bewusst sein (Weber, 1919, S. 247). Er muss also im Vornherein wissen, auf was er sich einlässt, wenn er gerade zu solchen Mitteln greift und dass aus guten Absichten nicht ausschließlich Gutes folgen kann. Er wird deswegen, als reifer und „menschlich echt“ angesehener Politiker, in heroischer Art auch bei einem Scheitern die Verantwortung für sein Handeln übernehmen (Weber, 1919, S. 250). Auf Grund dessen wird der Verantwortungsethiker, welcher das Idealbild eines politischen Führers abgibt, von Weber auch als Held bezeichnet (Weber, 1919, S. 252).

2.2.1.2 Gesinnungsethik

Wie bereits erwähnt, war Weber ein religiöser Mann, weswegen er die Gesinnungsethik auch mit einer religiösen Definition präsentiert: „der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim“ (Weber, 1919, S. 237). Da Webers Rede in Zeiten der Revolution stattfand, bezog er sich mit dieser Maxime auf die Anarcho-Syndikalisten, welche er für die Revolution verantwortlich machte und ihnen gleichzeitig keinen Erfolg versprach (Grünewald, 2010, S. 86). Dabei stellte er fest, dass diese aus reiner Gesinnung handeln und ein Scheitern beziehungsweise negative Folgen ihres Handelns verleumden und auf die Menschen und ihre „Dummheit“ abwälzen würden (Weber, 1919, S. 237). Der Gesinnungsethiker übernimmt also keine Verantwortung für sein Handeln, ganz gleich ob die Folgen negativ oder positiv ausfallen. Er trägt dabei nur die Verantwortung, dass der Antrieb der Gesinnung oder die reine Gesinnung an sich, erhalten bleibt (Weber, 1919, S. 238). Weber meint, der Gesinnungsethiker sei ein „kosmisch-ethischer Rationalist“ (1919: 240), welcher die „ethische Irrationalität der Welt“ (1919: 240) nicht ertrage. Damit meint er, dass der Gesinnungsethiker idealerweise jedes Handeln mit unsittlichen Mitteln ablehnen müsste, allerdings hat der Krieg etwas anderes an die Realität hervorgebracht, nämlich dass auch Gesinnungsethiker sich des Mittels der Gewalt bedienen. Damit sieht Weber ein Scheitern der Gesinnungsethik an der Zweck- Mittel Abwägung (Weber, 1919, S. 240). Darüber hinaus stellt er fest, dass das Mittel der Gewalt bereits in vielen Glaubenskriegen von verschiedenen Religionen legitimiert wurde und die Verantwortung auf andere abgewälzt wurde (Weber, 1919, S. 244 f.).

Die Unterschiede in Bezug auf die Zweck-Mittel Abwägung ordnet Weber zwei korrespondierenden Handlungsmaximen der Rationalität zu, welche den eben dargestellten Ethiktypen entsprechen und folgend erläutert werden.

2.2.2 Rationalität

Max Weber entwickelte Typologien von Handlungen innerhalb des methodologischen Individualismus der theoretischen Ökonomie, die einer idealisierten Vorstellung entsprangen (Albert, 2007, S. 16). So stellt sich rationales Handeln für ihn als Handeln unter bestimmten Grundsätzen dar, deren Bedingungen im Kenntnisbereich des Handelnden liegen (Albert, 2007, S. 16).

Ein Zitat von Jon Elster (1989, S. 99) setzte soziale beziehungsweise moralische Normen in Beziehung zu rationalem Handeln:

„ Rational action is concerned with outcomes. Rationality says: If you want to achieve Y, do X. By contrast, i define social norms by the feature that they are not outcome-oriented. The simplest social norms are of the type: Do X, or don ´ t do X. More complex norms say: If you do Y, then do X., or: If others do Y, then do X. More complex norms still might say: Do X if it would be good if everyone did X. Rationality is essentially conditional and future-oriented. Social norms are either unconditional or, if conditional, are not future-oriented. “

Auch andere vertraten die Meinung, dass sich selbst gesetzte Normen und moralische Vorstellungen kein motivgeleitetes Handeln hervorruft, also nicht in dem Sinne als rationales Handeln gelten kann (Finkel, 2007, S. 30). Obwohl diese Aussage im Endeffekt dieselbe Unterscheidung wie die von Weber trifft, erscheint sie auch ebenso idealistisch und deshalb unwahrscheinlich. Diese Handlungsmaxime wird für eine selbstregulierende Ethik von journalistischen Akteuren als störend empfunden, denn die Interessen, die aus einer Zweck-Mittel Abwägung entstehen, widersprechen der journalistischen Unabhängigkeit (Brosda, 2010, S. 263).

[...]

Ende der Leseprobe aus 49 Seiten

Details

Titel
Ängste ernst nehmen? Die Diskussion über Pegida in Medien und Politik
Untertitel
Qualitative Leitfaden-Interviews mit Lokaljournalisten in Dresden
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Politische Kommunikation)
Veranstaltung
Bachelorarbeit
Note
1,2
Autor
Jahr
2015
Seiten
49
Katalognummer
V323323
ISBN (eBook)
9783668225176
ISBN (Buch)
9783668225183
Dateigröße
1337 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit basiert auf den theoretischen Annahmen der Rationalität und Ethik von Max Weber in Verbindung mit dem Modell der Instrumentellen Aktualisierung von Hans-Mathias Kepplinger.
Schlagworte
ängste, diskussion, pegida, medien, politik, qualitative, leitfaden-interviews, lokaljournalisten, dresden
Arbeit zitieren
Katharina Geiger (Autor:in), 2015, Ängste ernst nehmen? Die Diskussion über Pegida in Medien und Politik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/323323

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