Tschernobyl – damals und heute

Der Super-GAU im Fokus wissenschaftlichen Interesses


Livre Spécialisé, 2018

131 Pages


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis ... 5

„Eine gefährliche Lüge“ – Die Folgen und Auswirkungen des atomaren Unfalls von Tschernobyl ... 7

Einleitung ... 8

Kurzer geschichtlicher Abriss über die Atomenergie ... 10

Das Kernkraftwerk Tschernobyl ... 12

Der Unfall von Tschernobyl ... 18

Reaktionen und Notfallmaßnahmen nach der Katastrophe ... 24

Die Folgen und Auswirkungen der Katastrophe ... 35

Zusammenfassung ... 44

Literatur- und Quellenverzeichnis ... 46

Der Supergau im AKW Tschernobyl. Kollektive Verantwortungslosigkeit der Regierung? ... 49

Einleitung ... 50

Chronik des Störfalls im AKW Tschernobyl ... 53

Dokumentation: „Ich bediente den Reaktor“ ... 67

RASPAD – DER ZERFALL ... 73

Gegenüberstellung von Dokumentation und Spielfilm ... 80

Fazit ... 83

Literaturverzeichnis ... 84

Die Anti-Atomkraft-Interessenvertretung nach Tschernobyl und Fukushima im Vergleich ... 85

Einleitung ... 86

Umweltinteressenvertretung ... 88

Die Anti-Atomkraft-Interessenvertretung nach Tschernobyl und Fukushima im Vergleich ... 94

Schluss ... 104

Literaturverzeichnis ... 105

Zeugenschaft in "Tschernobyl - Eine Chronik der Zukunft" von Swetlana Alexijewitsch. Untersuchung verschiedener Konzepte ... 111

Einleitung ... 112

Zeugenschaft & Zeugnis ... 114

Zeugenschaft im Buch von Swetlana Alexijewitsch: Tschernobyl - Eine Chronik der Zukunft ... 120

Untersuchung der Zeugenschaftskonzepte an vier Monologen ... 122

Fazit ... 127

Quellenverzeichnis ... 129

Einzelbände ... 131

„Eine gefährliche Lüge“ – Die Folgen und Auswirkungen des atomaren Unfalls von Tschernobyl

Seda Demir, 2006

Einleitung

Das Wachstum der Industriegesellschaft stützt sich auf ein ständig anwachsendes Produktionsniveau und den Verbrauch von unterschiedlichen Energien. Durch die Bodenschätze, in Form von Sauerstoff, Wasser u. a., soll die benötigte Energie gewonnen werden. Das Problem besteht darin, dass der Verbrauch ständig ansteigt und der natürliche Ressourcenvorrat stets schwindet.

In der Geschichte der Menschheit gibt es keine Entdeckungen, deren Folgen und Auswirkungen so hervortraten wie die Entdeckung der Kernleitung des Urans und die Ergreifung bzw. Annahme der Atomenergie. Die Begründung des Atomskerns im 19. Jahrhundert, welche den Menschen zur Verfügung stand, bietet eine neue, mächtige und mit nichts zu vergleichende Energiequelle.

Durch den Verbrauch der natürlichen Energien kommt es zu massiven Umweltverschmutzungen, der Unterstützung des Treibgaseffekts und der globalen Erwärmung. Hinzu kommt der Rüstungskampf der Giganten (Weltmächte), die in der atomaren Aufrüstung Milliarden in das „freundliche Atom“ [1] investierten, um so die Nummer eins zu bleiben bzw. zu werden. Da erscheint die Kernenergie naturfreundlicher und ungefährlicher – bis zu der Katastrophe von Tschernobyl.

Ernüchternde Einschätzungen und das Ausmaß der atomaren Kraft, die es in der fünfunddreißigjährigen Geschichte der Nutzung der Kernenergie noch nie gegeben hat, zwingt die Politik, weltweit die Nutzung der Kernenergie zu überdenken. [2] Am 8. August 1986 sagte der damalige Generalsekretär der Sowjetunion, Michail Sergejevitsch Gorbatschow, in einer Fernsehansprache an die Nation:

„Der Tod der Besatzung der Challenger und die Havarie im Kernkraftwerk Tschernobyl haben die Ängste verstärkt, erinnern diese Ereignisse doch auf grausame Weise daran, daß die Menschheit die gewaltigen Kräfte, die sie selbst ins Leben rief, noch nicht beherrscht, daß der Mensch erst lernt, sie in den Dienst des Fortschritts zu stellen“ [3]

In dieser Arbeit soll untersucht werden, inwieweit die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Sowjetunion das verheerende Ausmaß der Unfallfolgen (gesundheitliche, ökologische, landwirtschaftliche und globale) bedingten. Die Nachrichtensperre und das Verschweigen sowie eine Verharmlosung des wahren Ausmaßes der Katastrophe nehmen die entscheidenden Stellungen für die späteren Reaktionen und Notstandsmaßnahmen ein. Die nur sehr langsam voranschreitenden Maßnahmen haben eine internationale Dimension angenommen und zu größeren Schäden, die eigentlich hätten verringert werden können, geführt.

Nach einem kurzen geschichtlichen Exkurs über die Entwicklung der Atomenergie wird im folgenden Kapitel das Kernkraftwerk Tschernobyl vorgestellt. Dabei werden die Städte Tschernobyl und Pripjat und die geographische Lage des Kernkraftwerks dargestellt. Im nächsten Schritt wird der Reaktortyp von Tschernobyl präsentiert und seine Konstruktionsmängel angesprochen. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit dem Unfall im Kernkraftwerk von Tschernobyl. Dabei werden der Unfallhergang und die Reaktorkatastrophe kurz beschrieben. Anschließend werden die Folgen der Katastrophe präsentiert, zudem findet eine Analyse der Reaktionen und Notstandsmaßnahmen statt.

Die Katastrophe von Tschernobyl ist in der deutschsprachigen Fachliteratur häufig beschrieben worden. Am ausführlichsten stellt Grigori Medwedew in "Verbrannte Seelen" und Zhores Medwedjew [4] in „Das Vermächtnis von Tschernobyl“ den Ablauf der Katastrophe und ihre Folgen dar. Die westliche Fachliteratur von Karl-Heinz Karisch [5] bis Franz-Josef Brüggemeier [6] stützen sich an diese Berichte.

[...]

Der Supergau im AKW Tschernobyl. Kollektive Verantwortungslosigkeit der Regierung?

Kevin Kutani, 2002

Einleitung

Der einfachste Weg, einer unergründlichen, unverstandenen Sache auf die Spur zu kommen, ist es, Fragen zu stellen. Bei einer Fülle von Fragen jedoch – wo soll man beginnen?

Im Jahre 1986 ereignete sich etwas so Unfassbares, etwas, das die Welt für geschätzte 24.000 Jahre „belasten“ wird. Etwas, was vertuscht werden sollte, sowohl vor der eigenen Bevölkerung, als auch vor der ganzen Welt. Etwas, wovor man Angst hatte aber durch Planerfüllungstabellen gezwungen war, in Kauf zu nehmen. Etwas, was ein sowieso schon wirtschaftlich und anderweitig gebeuteltes Land vor der ganzen Welt in Verruf brachte und teilweise zur Aufdeckung drohender, auch zukünftiger unverantwortlicher Gefahren sorgte. Etwas, das in der Vertuschungs- und Aufräumphase zu Grausamkeiten ohne Beispiel geführt hat. Unwissende Menschen wurden unaufgeklärt, ungeschützt und zwangsverpflichtet in den Tod geschickt. Die Rede ist vom Supergau im AKW Tschernobyl, den Folgen und dem Nachlass.

Mittlerweile ist diese Episode der Geschichte Vergangenheit, ein Abschnitt in neueren Geschichtsbüchern und – unfreiwillig – zu einer Art Schlagwort geworden, wie vorher Hiroshima und Nagasaki oder danach das Muroa Atoll. Die menschliche Natur beschäftigt sich mit allen Dingen, die mit den fünf Sinnen erfassbar sind. Wir haben längst den Sinn dafür verloren, Dinge zu ahnen, zu spüren oder zu wittern. Tiere wittern Gefahr, spüren defekte Gene auf, die ein Artgenosse in sich trägt und zur Fortpflanzung untauglich macht. Diese Gabe besitzen wir nicht mehr. Wir sind degeneriert und darum weigern wir uns auch, nicht sichtbare Gefahren, wie Viren oder Strahlung ernst zu nehmen. Schäden sind nicht eminent oder evident sichtbar wie bei einer Fleischwunde. Sie zerfrisst uns von innen, langsam und unmerklich – aber was ich nicht sehe, macht mir keine Angst. Wäre ein Virus so groß wie eine Kokosnuss, wir würden uns durch Sterilität schützen, es mit aller Macht bekämpfen und ausrotten, zumindest rein hypothetisch. Ähnlich verhält es sich mit der Strahlung. Man kann Strahlung zwar sichtbar machen aber man kann sich nicht auf die Lauer legen und sie einfangen und erlegen. Es wird also frei nach der Devise gehandelt, was ich nicht weiß (sehe), macht mich nicht heiß.

Die ersten Erkenntnisse über die Strahlung, die Eindruck machten, waren die des Ehepaares Curie. Damals war die Gefahr, die von einer Überdosis Strahlung ausgeht, noch nicht erforscht. Man war überglücklich, nun Menschen behandeln und anhand von Röntgenbildern komplizierte Knochenbrüche richten zu können – die Medizin war revolutioniert. So verhielt es sich auch mit den weiteren Entdeckungen auf diesem Feld, die zu der Spaltung eines Atoms führten, welche letztlich die Basis der Kernkraft bildet.

Dass da, wo gehobelt wird, auch Späne fallen, interessiert nur eine Minderheit. Zumeist, wenn sie dadurch direkt bedroht wird, der Rest der Welt schaltet desinteressiert auf einen anderen TV-Kanal und ist froh, ausreichend Strom zur Verfügung zu haben, wo der herkommt, ist unwichtig, und wie er entsteht, erst recht. Wird jedoch die Menschheit oder weite Teile des Globusses bedroht, ist der Aufschrei so groß, dass das Echo lange nachhallt. So geschehen im Fall Tschernobyl.

Leider liegt es jedoch in der Natur des Menschen, schnell zu vergessen. Es sind jetzt 16 Jahre (Stand 2002) seit dem Reaktorunfall im Block 4 des AKW Tschernobyl vergangen und es verhält sich mit der Thematik „Gefahr durch Strahlung“ wie mit dem AIDS-Virus, das an öffentlichem Interesse verloren hat, ebenso wie das Ozonloch. Zu finden sind diese Themen weitestgehend auf den Internetseiten von Greenpeace oder ab und zu in den Parteiprogrammen von Umweltbewusstseinsgruppierungen. Große Teile der Weltpopulation kümmert sich nicht weiter darum.

Eine Renaissance jedoch erlebt eine verdrängte Thematik in dem Moment, in dem geheime Dokumente enthüllt werden, die neue Erkenntnisse liefern über den wirklichen Hergang einer Katastrophe. Das ist Enthüllungsjournalismus par excellence. Die neu gewonnen Erkenntnisse bieten die Möglichkeit, alte Fakten aufzubereiten und in neuer Gestalt, mit Insiderwissen gespickt, in sensationeller, aufreißerischer Form als neu zu verkaufen. Als die UdSSR zusammenbrach, kamen die geheimen Dokumente über den wirklichen Ablauf und die Handhabung des Störfalls im AKW Tschernobyl ans Licht. Die Mutmaßungen, die von der Weltöffentlichkeit und deren Experten angestellt worden waren, wurden teilweise bestätigt und in einigen Punkten sogar in alarmierendem Masse übertroffen. Das Thema Tschernobyl war wieder reanimiert und bahnte sich seinen Weg in die Medien. Durch die Öffnung der Grenzen und den Wegfall des Überwachungsstaates und der Parteizensur bot sich die Möglichkeit, mit Betroffenen der Katastrophe zu sprechen, in Sperrgebiete vorzudringen und Proben zu nehmen. Alles das, was noch zu Sowjetzeiten undenkbar gewesen wäre. Es entstanden viele Dokumentationen und sogar ein Spielfilm, der von Russen selbst gedreht wurde.

Diese beiden Formen der medialen Aufbereitung (Spielfilm contra Dokumentation) von Informationsgehalten und Tatbeständen sollen in dieser Arbeit verglichen und strukturiert analysiert werden.

Vorab soll jedoch eine Chronik die Ereignisse wieder ins Gedächtnis rufen, die in Verbindung mit dem bisher größten Störfall in einem AKW stehen. Wichtig in Bezug auf diese Zusammenfassung ist die Bedeutung folgender Bereiche, die mit den neu gewonnenen Einsichten vervollständigt wurden. Da wären: Vertuschung, Evakuierung, Auswirkungen, Liquidatoren und Zukunft.

Im Anschluss daran soll die von Radio Bremen stammende Dokumentation aus der Sendereihe Film Probe: Ich habe den Reaktor bedient; Berichte einiger Überlebender, analysiert werden. Vor allem in Bezug auf die Fragen: Wie wird mit der Thematik umgegangen? Ist der Aufbau der Dokumentation schlüssig? Was ist an Informationsgehalt vorhanden und wie ist dieser verarbeitet?

Darauf folgt eine Darstellung des Spielfilms: RASPAD – DER ZERFALL von Vladimir Dall aus dem Jahr 1990, der in der UdSSR gedreht wurde und ausschließlich mit Russen besetzt ist. Auch dieser Film soll analysiert und den gleichen Fragen wie die Dokumentation unterzogen werden.

Im letzten Abschnitt sollen beide Werke miteinander verglichen werden. Was ist in beiden Werken zu finden? Wie unterschieden sie sich? Ist eine unterschiedliche Herangehensweise eines ausländischen Teams merkbar im Vergleich zu der einheimischen Darstellungsform? Ist der Spielfilm eine Dokumentation oder fiktiv?

Das Fazit gibt letztlich den subjektiven Eindruck des Verfassers nach Sichtung beider Werke wieder und schildert die empfundenen Gefühle und Emotionen, die beim Rezipieren auftraten.

[...]

Die Anti-Atomkraft-Interessenvertretung nach Tschernobyl und Fukushima im Vergleich

Jana Wagner, 2011

Einleitung

In der wissenschaftlichen Literatur wird eine Entwicklung der Umweltinteressenvertretung in den letzten Jahrzehnten von Protest hin zum Lobbyismus beschrieben (vgl. Rootes 2002: 51; Rootes 2007a: xif.; Rootes 2007c: 235; Rootes 2007b: 3; Rucht/Roose 2007: 80). In der vorliegenden Arbeit soll diese These auf ihre Gültigkeit hin für die Anti-Atomkraft-Interessensvetretung untersucht werden, da sich diese nicht ohne Weiteres in die allgemeine Umweltbewegung – hier verstanden als Individuen, Gruppen und Organisationen, die sich dem netzwerkartigen Zusammenhang der Bewegung zuordnen – einsortieren lässt. Die Anti-Atomkraft-Bewegung ist trotz vieler Überschneidungen von der allgemeinen Umweltbewegung durch ihre häufig unabhängige Organisation abgrenzbar. Zwar wird das Thema Atomenergie auch von breitgefächert aktiven Umweltorganisationen behandelt, viele Aktivitäten werden allerdings von spezifischen, atomkraftkritischen Organisationen und Zusammenschlüssen getragen, die darüber hinaus nicht für den Umweltschutz arbeiten (vgl. Rucht 2008: 246f.; Brand/Stöver 2008: 220). Es erscheint deshalb durchaus möglich, dass die beobachtete Entwicklung nicht bzw. lediglich in geringem Umfang für die Anti-Atomkraftbewegung mit ihrer protestbetonten Geschichte zu bestätigen ist (vgl. Radkau 2011: 368-371).

Um dies herauszufinden, wurden zwei vergleichbar erscheinende Zeiträume zur näheren Betrachtung gewählt: das Jahr 1986 ab dem Nuklearunfall im Kernkraftwerk Tschernobyl am 26. April und das Jahr 2011 ab dem Unfall im Kraftwerk Fukushima I, der am 11. März begann. Der Vergleichbarkeit wegen wird der Zeitraum nach dem Unglück von Tschernobyl auf die gleiche Anzahl an Tagen begrenzt, die zwischen der Katastrophe von Fukushima und dem Verfassen dieser Arbeit liegen, was konkret die Zeitspannen vom 26. April 1986 bis zum 5. Januar 1987 sowie vom 11. März bis zum 28. November 2011 bedeutet. Gewählt wurden diese, da es sich naheliegenderweise um besonders aktive Phasen der Anti-Atomkraft-Interessenvertretung handelt und ein Vergleich aufgrund der Ähnlichkeit der Situationen besonders gut möglich ist. Mit dieser Auswahl ist es unwahrscheinlich, zufälligerweise Phasen geringer Aktivität zu erwischen.

Umweltinteressenvertretung kann von unterschiedlichen Akteuren betrieben werden. Es soll hier sowohl auf Individuen und lose Gruppen als auch auf mit allgemeinen Umweltbelangen Betraute, wie auf speziell atomkritische Organisationen, eingegangen werden. Des Weiteren werden auch Unternehmen in den Blick genommen, die eine eventuell atomkritische Interessensvertretung betreiben. Hierbei ist an alternative Energieunternehmen und deren verbandliche Vertreter zu denken.

In einem ersten Schritt soll nun auf die eingangs angesprochene, in der Literatur beschriebene Entwicklung der Umweltinteressenvertretung genauer eingegangen sowie geklärt werden, was genau unter den für die Fragestellung zentral verwendeten Begriffen verstanden werden soll. Hierauf aufbauend wird dann die Anti-Atomkraft-Interessenvertretung nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl mit jener in der Zeit nach der Katastrophe in Fukushima verglichen. Für den Vergleich der Protestaktivitäten wird die Berichterstattung aus Spiegel und der Tageszeitung (Taz) in den jeweiligen Zeiträumen ausgewertet. Bezüglich lobbyistischer Tätigkeiten steht eine Untersuchung der Verbandszugehörigkeit der Abgeordneten des Bundestages im Mittelpunkt. Schließlich werden die zentralen Ergebnisse zusammengefasst.

[...]

Zeugenschaft in "Tschernobyl - Eine Chronik der Zukunft" von Swetlana Alexijewitsch. Untersuchung verschiedener Konzepte

Nadja Usova, 2018

Einleitung

Die folgende Arbeit befasst sich mit den verschiedenen Konzepten der Zeugenschaft. Das Phänomen der Zeugenschaft, des Zeugnisses und des damit auftretenden Zeugen ist in unserer Gesellschaft grundlegendste Quelle der wissenschaftlichen und kulturellen Praxis. Die Phänomene sind sehr vielfältig und lassen sich durch ebenso vielfältige, facettenreiche Herangehensweisen untersuchen und analysieren, je nach dem welchem Zweck die Untersuchung dient.

In meiner Arbeit will ich speziell auf das Buch der Autorin Swetlana Alexijewitsch eingehen, in dem sie Interviews der von der Tschernobyl-Katastrophe betroffenen Zeitzeugen gesammelt und anschließend unter dem Titel: Tschernobyl - Eine Chronik der Zukunft veröffentlicht hat. Ich beziehe mich in meinen Ausführungen auf die deutsche Ausgabe des Buches, die im Jahr 2015 in der Pieper Verlag GmbH erschienen ist.

Der Super-GAU [7], der sich im April 1986 in Tschernobyl ereignet hat, mit all seinen immensen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft, ist vor allem eine „Katastrophe der Zeit" [8]. Die Auswirkungen auf die Zukunft sind unvorhersehbar. Alles, was sich in der Zeit nach der Katastrophe auf dem Gebiet der damaligen Sowjetunion ereignete, die Beseitigung des radioaktiven Materials, der Umgang mit der Bevölkerung, die gesundheitlichen Folgen etc. waren grundlegend neue Problematiken, die noch nicht dagewesene Ängste aller Beteiligten mit sich brachten. Die Versuche, das Geschehen durch bekannte Muster zu betrachten, zeigte und zeigt noch immer die Hilflosigkeit, mit welcher die Menschheit konfrontiert worden ist. Die Zeugen, die gleichzeitig auch die Opfer der direkten Auswirkungen sind, stehen vor einem Mysterium, das erst noch entschlüsselt werden muss.[9] Ihre Zeugnisse, die Swetlana Alexijewitsch in ihrem Buch gesammelt hat, sind somit bemerkenswerte Versuche zu beschreiben, wofür die Gesellschaft noch kein geltendes Instrumentarium gefunden hat. Weder erkenntnistheoretisch, ethisch noch linguistisch lassen sich bisher Paradigmen der

Wiedergabe einer solchen Traumatisierung festlegen. Die Zeugnisse im vorliegenden Buch sind somit einzigartige Untersuchungsgegenstände unserer Zeitgeschichte, denen ich mich hier widmen will.

Im ersten Teil meiner Arbeit will ich die verschiedenen historischen und wissenschaftlichen Perspektiven auf das Phänomen der Zeugenschaft erläutern. Dabei will ich Inhalte und Facetten sowie verschiedene Perspektiven darlegen, die im weiteren bei meinen Untersuchungen helfen sollen. Ich beziehe mich überwiegend auf Schriften, die im Rahmen der Holocaust-Forschung veröffentlicht wurden, da die Aufarbeitung mit den überlebenden Zeitzeugen in der Forschung als ein Paradigma der Zeugenschaft gilt [10].

Die Untersuchung aller im Buch enthaltenen Zeugnisse würde zweifellos den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Daher werde ich mich auf nur einige ausgewählte Monologe beziehen. Im Fokus meiner Auswahl wird zunächst die persönliche Einbindung der Zeugen in die Katastrophe stehen. Weiterhin auch ihre Funktionen in der Gesellschaft und ihre damit verbundene Auffassung der Ereignisse. Die Gemeinsamkeit aller Zeugen besteht darin, dass alle die Katastrophe von Tschernobyl selbst erlebt haben und somit Zeitzeugen sind. Diese sicherlich verkürzte Auswahl der Texte scheint mir jedoch durchaus repräsentativ im Hinblick auf meine Untersuchung der verschiedenen Konzepte von Zeugenschaft.

Die von mir im ersten Teil der Arbeit ausgeführten Konzepte und Perspektiven auf die Zeugenschaft sollen dann im weiteren dazu dienen, die von mir ausgewählten Zeugnisse zu strukturieren und einzuordnen. Im Einzelnen will ich mich der Motivation der Zeugen widmen, um zu untersuchen, warum genau sie Zeugnis ablegen. Aufbauend auf dieser Untersuchung will ich abschließend versuchen, die verschiedenen Konzepte der Zeugenschaft heraus zu arbeiten, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken.

[...]

[1] Vgl. Medwedew, Grigori: Verbrannte Seelen : Die Katastrophe von Tschernobyl., übers. von Bendzko, Ralf, München, Wien 1991, S. 11. (Medwedew, Grigori)

[2] Vgl. ebd.

[3] Medwedew, Grigori, S. 11.

[4] Medwedjew, Zhores: Das Vermächtnis von Tschernobyl. Münster 1991. (Medwedjew, Zhores)

[5] In dieser Arbeit werden Aufsätze aus: (Hrsg.) Karisch, Karl-Heinz, Wille Joachim, Der Tschernobyl-Schock, Zehn Jahre nach dem Super-Gau, Frankfurt am Main 1996, benutzt.

[6] Brüggemeier, Franz-Josef: Tschernobyl, 26. April 1986 - Die ökologische Herausforderung, München 1998. (Brüggemeier)

[7] Eva Horn: Die Zukunft als Katastrophe. S. 246

[8] Swetlana Alexijewitsch: Tschernobyl - Eine Chronik der Zukunft. S.39

[9] Ebd. S. 41

[10] Christian Schneider: Trauma und Zeugenschaft, S. 60

Fin de l'extrait de 131 pages

Résumé des informations

Titre
Tschernobyl – damals und heute
Sous-titre
Der Super-GAU im Fokus wissenschaftlichen Interesses
Auteurs
Année
2018
Pages
131
N° de catalogue
V323732
ISBN (ebook)
9783668225589
ISBN (Livre)
9783956879197
Taille d'un fichier
5327 KB
Langue
allemand
Mots clés
Atomkraft, Tschernobyl, Kernschmelze, Ursachen, Folgen, Umweltprobleme, Radioaktivität, Kernreaktor, Unfall, Umweltbelastung, Reaktorunglück
Citation du texte
Seda Demir (Auteur)Kevin Kutani (Auteur)Jana Wagner (Auteur)Nadja Usova (Auteur), 2018, Tschernobyl – damals und heute, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/323732

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