Fehler als lernerseitiges Hypothesentesten


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

26 Seiten, Note: 1-


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0 Einleitung

1 Der Fehler im Lichte unterschiedlicher Fremdsprachenerwerbshypothesen

2 Fehler als Normabweichung und Lernpotenzial

3 Grundlegende Arbeiten zum Thema Lernerhypothesen
3.1 Vergleich grundlegender Überlegungen zum Thema Lernerhypothesen

4 Modelle des Hypothesenbildens und –testens
4.1 A model of foreign language learning
4.2 Kognitiv- diskursives Modell des L2-Hypothesenbildens und – testens

5 Analyse von Transkripten aus dem DaF-Unterricht

6 Zusammenfassung
6.1 Didaktische Konsequenzen für den Fremdsprachenunterricht

Literaturverzeichnis

Anhang

0 Einleitung

In dieser Seminararbeit werde ich mich mit dem Phänomen Fehler beschäftigen, das unumgänglich mit (Sprachen-)Lernen und Erwerb von Wissen im Allgemeinen verbunden ist. Eine historische Perspektive von Spracherwerbsansätzen im ersten Punkt soll Aufschluss darüber geben, welche Einstellung zum Fehler die Sprachlehrforschung im Laufe der Zeit charakterisiert hat und wie sich diese gewandelt hat. Anschließend wird eine nähere Bestimmung des Begriffs dargestellt, um die nächste Frage sinnvoll beantworten zu können, nämlich welche Funktion Fehler im Spracherwerbsprozess (im unterrichtlichen und natürlichen Kontext) erfüllen und welche Bedeutung die Lernerhypothesen für den gesamten Lernprozess haben. Punkt 4 soll zwei daraufbasierende Spracherwerbsmodelle erläutern, die Parallelen aufweisen, aber verschiedene Akzente setzen. Veranschaulicht wird das kognitiv-diskursive Modell im nächsten Punkt anhand von Transkripten aus dem DaF-Unterricht um zu erfahren welchen Beitrag empirische Untersuchungen für diese Thematik leisen.

1 Der Fehler im Lichte unterschiedlicher Fremdsprachenerwerbshypothesen

Man unterscheidet grob zwischen zwei Typen von Forschungsansätzen bezüglich Spracherwerb: eine Gruppe bilden sogenannte nativistische Hypothesen, die von eingeborenen Spracherwerbsfähigkeiten und Universalität aller Spracherwerbsprozesse (im Sinne von einer universellen Grammatik) ausgehen, - also von einem theoretischen Konstrukt – und auf dieser Basis Aussagen zum Korrekturverhalten tätigen. Es wird zwischen Erwerb und Lernen unterschieden. Fehlerkorrektur beim Spracherwerb hat keinen fördernden Einfluss, weil Erwerb in einer „natürlichen“ Sequenz zustande kommt und verläuft dementsprechend unbewusst. Im Gegensatz dazu, gewinnen die empirischen Ansätze Erkenntnisse über Spracherwerbsprozesse durch Datenerhebung, betonen die Bedeutung der Kognition beim Spracherwerb, bzw. die bewusste Auseinandersetzung mit der zweitsprachlichen Struktur. Sie verstehen den Spracherwerbsprozess als Prozess der Hypothesenbildung und – überprüfung und behaupten, dass diese Annahmen durchlässigen (permeabilen) Charakter haben.[1]

Die Kontrastivhypothese

Diese Erwerbshypothese beruht auf dem Strukturalismus als linguistische Grundlage sowie auf behaviouristischen Lerntheorien.

Der Behaviourismus konzentriert sich auf die äußeren Bedingungen des Lernens. Die Sprache ist nur eine Art Verhalten, eine Reaktion auf die externen Stimuli. Kernbegriffe sind Reiz-Reaktions-Lernen und operantes Lernen. Die Definition, die unter den Lernpsychologen am etabliertesten ist, bezieht sich darauf, dass Lernen als Verhaltensänderung angesehen wird, die auf Grund von Erfahrungen zustande kommt.

Das behaviouristische Interesse an der Sprache beschränkt sich auf das von außen Beobachtbare die menschlichen Gedanken , Wünsche, Ziele, Interessen, Erfahrungen, usw. sind nicht sichtbar und von daher können nicht untersucht werden. Sie befinden sich in der sogenannten ``black box`` (im menschlichen Gehirn) . Die Umgebung bestimmt das menschliche Verhalten und das wird zum Gegenstand der Untersuchung im Behaviourismus. Alles was dazwischen abläuft (z.B. in der black box), ist wissenschaftstheoretisch uninteressant, da es nicht als Erklärung herangezogen werden kann. Dabei hat man nicht geleugnet, dass der Mensch Gedanken, Wünsche und Ziele hat.[2]

Auch Fremdsprachenlernen wird als rein imitatives Verhalten angesehen, das keiner kognitiven Steuerung unterliegt. Sprache funktioniert nach dem Schema „input – output“. Das Erlernen einer Fremdsprache bedeutet Aufbau eines neuen Verhaltenssystems. Dabei überträgt (transferiert) der Lerner seine Sprachgewohnheiten in die Zielsprache. Bei Übereinstimmung der Regeln und Normen beider Sprachsysteme liegt positiver Transfer vor. Fehlerhafte Äußerungen in der Zielsprache dagegen sind Resultat negativen Transfers (Interferenz). Der zentrale lerntheoretische Interferenzbegriff für die kontrastive Hypothese ist proaktive Hemmung. Das bedeutet, dass das bereits erworbene Sprachverhalten sich negativ auswirkt auf das zu erlernende Verhalten. Grund dafür ist die Strukturdifferenz.

Das zentrale Axiom dieser Hypothese: difference = difficulty besagt, dass je größer die Abweichung der sprachlichen Norm ist, desto größer die Lernschwierigkeit wird.

Daher hat man angenommen, dass beim reinen linguistischen Vergleich zweier Sprachsysteme festgestellt werden kann, wo Identitäten, aber vor allem wo Divergenzen liegen. Es wird versucht über kontrastive[3] Analysen zu Ergebnisse zu kommen, aufgrund dessen das Lernerverhalten vorhergesagt (prognostiziert) werden kann . Man verspricht sich damit Fähigkeit, Fehler prognostizieren zu können, Teilbereiche zu nennen, wo Fehler zu vermuten sind.

Der Hauptkritikpunkt an dieser Hypothese ist, dass alle Fehler als Interferenzfehler angesehen werden. Übergeneralisierung gelernter Strukturen der Fremdsprache kann auch zu Fehlern führen. In empirischen Untersuchungen wurde festgestellt, dass Interferenzen nicht nur durch Strukturdifferenzen hervorgerufen werden, sondern manche sogar durch Kontrastmangel.

Weiter ignoriert diese Hypothese das Zusammenwirken wichtiger Variablen im Erwerbsprozess: Einstellung und Motivation des Lerners, soziokulturelle Umgebung, Lernumgebung, usw. und beschränkt sich lediglich auf den linguistischen.

Der Fehler wird mit Störung gleichgesetzt, von daher sind Fehler unbedingt zu vermeiden; wenn sie dennoch auftreten, sind sie sofort zu korrigieren.

Die heutige Relevanz dieser Hypothese für den Fremdsprachenunterricht ist die Vorhersehbarkeit gewisser typischen Fehler und Minimierung von Lernschwierigkeiten.

Identitätshypothese

Im Unterschied zur Kontrastivhypothese, berücksichtigt die Identitätshypothese die mentalen Prozesse beim Spracherwerb.

Das bedeutet, dass beim Erwerb von Sprachen ein angeborener mentaler Mechanismus aktiviert wird und er ermöglicht Aufnahme von Regeln und Elemente der Sprache. Laut Identitätshypothese, ist der Ablauf dieser mentalen Prozesse identisch beim Erst- und Zweitsprachenerwerb. Der kontrastivistischen Auffassung von Sprache als ‚habit formation’ wird das Konzept des Sprachenerwerbs als aktiver, kreativer und kognitiver Prozess entgegengesetzt.

Die Identitätshypothese vertritt die Auffassung von der Universalität aller Spracherwerbsprozesse, die gleichzeitig Entwicklungsprozesse sind. Erstsprachenerwerb verläuft im Prinzip gleich wie Zweitsprachenerwerb.

Tatsächlich wurden ähnliche Entwicklungssequenzen bei Kindern, die L1 erwerben und Erwachsenen beim Fremdsprachenerwerb nachgewiesen: Einige davon sind: Tendenz zur Generalisierung bzw. Übergeneralisierung und Simplifizierung grammatischer Regel.

Im Gegensatz zur Kontrastivhypothese, impliziert die L1 = L2-Hypothese, dass Transfer aus der Grundsprache keine wesentliche Rolle spielt. Es ist ihr jedoch nicht gelungen, grundsprachlichen Transfer aus dem Spracherwerbsprozess ganz auszuschließen.

Fehler beim Zweitsprachenerwerb sind durch die Struktur der Zweitsprache bedingt und gesteuert und nicht durch die der L1. Sie sind „developmental errors“ und sind reparabel. Der Lerner macht Gebrauch von seinen Erfahrungen sprachlicher und kommunikativer Natur in der Grundsprache und baut sie ein in die Zielsprache durch „creative construction processes“.

Interlanguage-Hypothese

Eine Gedankenfortsetzung der Identitätshypothese ist die sogenannte Interlanguage-Hypothese. Die Erwerbsprozesse beim Zweitsprachenerwerb werden hier differenzierter behandelt und dargestellt, d.h. sind nicht mehr universell, wie bei der Identitätshypothese.

Der Begriff ‚interlanguage’ bezieht sich auf die Lernersprache im Erwerbsprozess, die Merkmale sowohl aus der Grund- als auch aus der Zielsprache aufweist. Es sind Prozesse, Strategien und Regeln, die diese ‚Zwischensprache’ bestimmen.

Es wird zwischen Strategien zum Zweitsprachenlernen und Kommunikationsstrategien unterschieden. Die ersten umfassen ein Prozess der Regelbildung, der zur Bildung, Überprüfung und Revision von Lernerhypothesen dient. Die letzten setzen sich aus einem Strategienkomplex zusammen: neben formalen und funktionalen Reduktionsstrategien, bestehen auch sogenannte „achievement strategies“ , die wiederum produktiv und rezeptiv sein können. Das Konsultieren expliziten sprachlichen Wissens zum Verstehen einer Äußerung aus der Zweitsprache nennt sich „monitoring“ und gehört zu den rezeptiven „achievement strategies“. Interessant ist hier die Rückkopplung zur Monitor-Hypothese Krashens.

Es wird angenommen, dass diese Strategien sowohl bewusst, als auch unbewusst ablaufen.

Diese Hypothese ist kognitivistisch orientiert. Kognitiv Lernen bedeutet Information aufnehmen und –verarbeiten. Es ist ein Prozess, an dem die jeweilige Person bewusst beteiligt ist. Das Ergebnis dieser Art von Lernen sind Strukturen und nicht relativ isolierte Verbindungen zwischen Reiz und Reaktion oder zwischen Verhalten und Konsequenz.

Auch für die Interlanguage-Hypothese ist der Transfer ein wichtiges Konzept, der bei der kontrastiven Hypothese eine zentrale Rolle spielt. Er kann inter- bzw. intralingual vorkommen und durch ungeeignete Lehrmaterialien verursacht werden. Die vom Transfer resultierenden Fehler können durch die subjektiv falsch eingeschätzte Distanz zwischen Grund- und Zielsprache verursacht werden. Der Lerner findet in der Erstsprache einen Referenzpunkt, an dem er die Unterschiede zur Zielsprache abmisst.

Ein weiteres Merkmal dieser Hypothese ist der Begriff der Fossilisierung. Mit Fossilisierung bezeichnet man eine Art Stillstand im Zweitsprachenerwerbsprozess,(trotz kontinuierlichem Unterricht ), verursacht durch soziale und affektive Faktoren. Möglich ist sogar Regression auf ein früheres Lernstadium.

Wichtig für den Unterricht ist auch die Einsicht , dass Fehler nichts Schlechtes oder zu Vermeidendes sind, da sie für die Sprachentwicklung des Lerners notwendig sind und bestimmte Stadien der Entwicklung markieren. Sie sind fördernd für den Lernprozess. Des weiteren, erlaubt der kognitive Ansatz metasprachliche Erklärungen in der Muttersprache und Darstellung von möglichen Problemen beim Erlernen der Fremdsprache. Die Interlanguage-Hypothese geht empirisch vor.

Die Input-Hypothese

Unter Input wird hier jeglicher Sprachkontakt, bzw. Sprachgebrauch von Muttersprachlern verstanden, zu dem Lerner Zugang haben. Die Aufnahme von verständlichem Input garantiert Spracherwerb.

Die bedeutendste Input-Hypothese stammt von Krashen und sie setzt erfolgreiche Kommunikation voraus für das Verstehen des angebotenen Inputs. Der Input soll nur ein wenig höher als das momentane Sprachniveau liegen (i + 1) und schon ist positiver Input gegeben. Als negativen Input bezeichnet er Regelerklärungen und Fehlerkorrekturen. Spracherwerb erfolgt nur als Resultat positiven Inputs. Negativer Input hat keinen Einfluss auf das Lernen. Somit schließt er teilweise den unterrichtlichen Kontext aus. Unterrichtssequenzen können nur Eins leisten: vereinfachten, angepassten Input. Der Lerner filtert nur das heraus, was er von einem ungefilterten Input braucht.

Sprachproduktion erfolgt spontan, ohne explizite Vermittlung. Affektive Faktoren (wie z.B. wenn Lerner zum Sprechen gezwungen werden, Ängstlichkeit, niedrige Motivation) können die Verwertung des Inputs verhindern. Sie können nur negative Rolle für den Spracherwerb spielen. Krashen spricht hier vom „affective filter“.

Der Mensch verfügt über zwei von einander unabhängige Systeme, die jeweils für den Erwerb von explizitem bzw. impliziten Wissen zuständig sind und das ermöglichen. Explizit gelerntes Wissen (Regelwissen) kann nie ins Implizite übergehen und es fungiert als ein Monitor, der bei mündlicher Kommunikation eingesetzt werden kann, wenn man sich auf die Form und nicht auf den Inhalt konzentrieren möchte. Das andere System besteht aus angeborenen Spracherwerbsstrategien und nennt sich Language Acqusition Device. Diese Idee der biologischen Vorbestimmung und teilweise Universalität aller Spracherwerbsprozesse hat Parallelen zur oben genannten Identitätshypothese.

[...]


[1] Vgl. Henrici, Gert & Herlemann, Brigitte: Mündliche Korrekturen im Fremdsprachenunterricht. München, Goethe Institut, 1986b, S. 5

[2] Vgl. Edmondson, Willis; House, Juliane: Einführung in die Sprachlehrforschung, 2.überarbeitete Auflage, Tübingen, Francke, 2000, S.93

[3] Daher der Name: Kontrastivhypothese

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Fehler als lernerseitiges Hypothesentesten
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1-
Autor
Jahr
2004
Seiten
26
Katalognummer
V32402
ISBN (eBook)
9783638331296
ISBN (Buch)
9783656619741
Dateigröße
605 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fehler, Hypothesentesten
Arbeit zitieren
Vesna Petruseva (Autor:in), 2004, Fehler als lernerseitiges Hypothesentesten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32402

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