Aspekte der französischen Sprachgeschichte unter besonderer Berücksichtigung Schwarzafrikas


Epreuve d'examen, 2004

92 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. Geschichte der französischen Kolonisierung in Schwarzafrika
I.1 Erste Kontakte mit dem afrikanischen Kontinent
I.2 Erste Handelsposten Frankreichs an der afrikanischen Westküste im 17. Jahrhundert während des ersten empire colonial
I.3. Das zweite empire colonial (1885-1939)
I.3.1 Entwicklung unter der Restauration
I.3.2 Entwicklung unter dem Second Empire
I.3.3 Entwicklung unter der III. Republik
I.3.4 Der Auftritt Belgiens auf dem internationalen Parkett der Kolonial- mächte und die Berliner Afrikakonferenz (1884-1885)
I.3.5 Weiterer Fortgang der französischen Kolonisierung bis 1939
I.4 Der Zweite Weltkrieg (1939-1945)
I.5 Die Ära der Dekolonisierung
I.6 Postkolonialer Mondialismus

II. Das französische koloniale System
II.1 Motivationsimpulse für die Errichtung der Kolonialreiche und die Maxime der Nutzung der Kolonien
II.2 Koloniale Ideologie und direkte Verwaltung
II.2.1 Zentralregierung der Kolonien
II.2.2 Lokale Praxis der Administration in den Kolonien
II.2.3 Rechtliche und soziale Unterschiede in den Kolonien

III. Die Implementierung der französischen Sprache in Schwarzafrika
III.1 Der Einfluss der Militärs bei der Verbreitung der französischen Sprache In Schwarzafrika
III.2 Die Anfänge der französischen Schulpolitik in Schwarzafrika
III.2.1 Das Engagement der Missionen
III.2.2 Jean Dard und die école mutuelle de Saint-Louis
III.2.3 Vor-und Nachteile der méthode mutuelle
III.2.4 Die Infragestellung der méthode mutuelle und deren Scheitern
III.3 Der Siegeszug der méthode directe und der Aufbau eines staatlichen Schulsystems in den Kolonien
III.3.1 Unterschiede zwischen dem belgischen und dem französischen Kolonialschulsystem
III.3.2 Entwicklung des kolonialen Unterrichtswesens nach 1945
III.4 Die Entwicklung des Unterrichtswesens nach der Dekolonisierung

IV. Heutiger Stellenwert der französischen Sprache im sub- saharischen Afrika
IV.1 Stellenwert und rechtlicher Status des Französischen
IV.2 Sprecherzahlen
IV.3 Kontaktsituationen des Französischen mit afrikanischen Sprachen
IV.3.1 Sprachkontaktphänomene
IV.3.2 Varietäten des afrikanischen Kontinuums
IV.4 Charakteristika des Französischen im subsaharischen Afrika
IV.4.1 Phonetik
IV.4.2 Morphologie
IV.4.3 Syntax
IV.4.4 Lexik
IV.4.5 Die „manière africaine de saisir et concevoir les choses“
IV.4.6 Illustration der linguistischen Besonderheiten anhand eines Romanauszugs

Schlussbetrachtungen

Literaturverzeichnis

Anhang

Erklärung

Einleitung

Wenn wir heute in den frankophonen Staaten Afrikas die französische Sprache als Amtssprache vorfinden, so mag dies auf den ersten Blick verwunderlich wirken. Unweigerlich stellt sich daher bei näherer Beschäftigung mit dieser Thematik die Frage: Wie kam es wohl dazu, dass sich auf dem für seine sprachliche Vielfalt bekannten Schwarzen Kontinent gerade eine europäische Sprache in solchem Maße implementieren konnte?

Die Antwort dafür ist in der Geschichte zu suchen.

Der erste Teil der vorliegenden Arbeit soll daher einen Überblick über den Verlauf der französischen Kolonisierung für den Bereich des subsaharischen Afrika verschaffen. In diesem Rahmen sind folgende Fragen von Bedeutung: Wann und auf welche Weise erfolgten erste Kontakte Frankreichs mit dem afrikanischen Kontinent? Welche Motive trieben die Franzosen an, erste Niederlassungen in Afrika zu gründen? Wie gestaltete sich der weitere Verlauf der Kolonisierung vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Entlassung der heutigen schwarzafrikanischen Staaten in die Unabhängigkeit? In diesem Zusammenhang wird auch die koloniale Expansion Belgiens behandelt, da auch dieses frankophone Land maßgeblichen Anteil an der Verbreitung der französischen Sprache auf dem afrikanischen Kontinent hatte.

Ergänzend hierzu wird dann im zweiten Teil der Arbeit die Funktionsweise des französischen Kolonialsystems näher beleuchtet. Hierbei werden zunächst die Motivationsimpulse Frankreichs für die Errichtung seiner Kolonialreiche und die Maxime der Nutzung der Kolonien behandelt. Zum Abschluss dieses Teils der Arbeit erfolgt, neben einer kurzen Beschreibung der kolonialen Ideologie Frankreichs, auch ein Überblick über die Funktionsweise des kolonialen Verwaltungsapparates und das Rechtssystem. Dies erscheint mir insofern von besonderer Wichtigkeit, da viele der von den Franzosen und Belgiern geschaffenen Strukturen nach der Dekolonisierung weitestgehend von den jungen afrikanischen Staaten übernommen wurden und daher das Weiterleben der französischen Sprache in bestimmten Bereichen garantierten.

Der dritte Teil der Arbeit geht sodann näher auf die Implementierung der französischen Sprache in Schwarzafrika ein. Dabei ist von besonderem Interesse, welche Faktoren maßgeblich an der Verbreitung des Französischen auf dem Schwarzen Kontinent beteiligt waren. So werden in diesem Kontext die Funktion des Militärs, als erstem Medium der Verbreitung der französischen Sprache und das Engagement der Missionen im Erziehungswesen behandelt. Besonderes Interesse gilt ferner der Entstehung der ersten Schule auf afrikanischem Boden und deren Initiator Jean Dard, da dieser eine eigene Unterrichtsmethode entwickelte, die den afrikanischen Gegebenheiten weitaus besser angepasst war, als die im französischen Mutterland praktizierte méthode directe.

Die Vor- und Nachteile der von Dard praktizierten méthode mutuelle werden anschließend in einem Vergleich mit der méthode directe ausführlich besprochen. Auch die Gründe für deren letztendliches Scheitern werden thematisiert.

Der weitere Verlauf der Arbeit beschäftigt sich dann mit der Entstehung eines staatlichen Schulsystems in den Kolonien, zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Zuge dessen soll besonders die Ineffizienz dieses, den afrikanischen Gegebenheiten in keiner Weise angepassten Schulsystems deutlich gemacht werden. Sein utilitärer und selektiver Charakter stand nämlich einer großflächigen Verbreitung der französischen Sprache im Wege und gestattete nur einer kleinen Zahl von privilegierten afrikanischen Schülern, von einem Unterricht in französischer Sprache zu profitieren.

In einem weiteren Kapitel werden dann die Unterschiede zwischen der französischen und der belgischen Unterrichtspraxis thematisiert. Nachfolgend wird dann die weitere Entwicklung des kolonialen Unterrichtswesens nach 1945 beschrieben. Den Abschluss dieses Teils der Arbeit ergänzt, aus Gründen der Vollständigkeit, eine Untersuchung zur Entwicklung des Unterrichtswesens in den frankophonen Staaten Afrikas, nach der Unabhängigkeit.

Der vierte Teil der vorliegenden Arbeit widmet sich dem heutigen Stellenwert der französischen Sprache im subsaharischen Afrika. In diesem Sinne erfolgt zunächst ein Überblick über deren Status und ihre Verwendung in der Gesellschaft. Ebenfalls werden die Gründe der afrikanischen Staaten für den Fortbestand der französischen Sprache als Amtssprache, nach der Dekolonisierung, erläutert. Ferner wird im darauf folgenden Kapitel eine Übersicht über die Zahl der frankophonen Sprecher in Afrika geboten. Da das Französische aufgrund der sprachlichen Vielfalt des afrikanischen Kontinents ständig in Kontakt zu autochthonen Sprachen steht, erfolgt im nächsten Kapitel die Besprechung der sich hierdurch ergebenden, unterschiedlichen Kontaktsituationen anhand ausgewählter Beispielländer. Auch die aus diesen Situationen des Sprachkontakts resultierenden Kontaktphänomene werden anschließend eingehend untersucht. Ein weiteres Kapitel behandelt die aus unterschiedlichen Kompetenzniveaus der afrikanischen Sprecher resultierenden Varietäten des afrikanischen Kontinuums.

Den Abschluss der Arbeit bildet ein Überblick über die sprachlichen Besonderheiten des Französischen im subsaharischen Afrika. Anhand ausgewählter Beispiele sollen die durch den Kontakt mit den autochthonen Substrat- und Adstratsprachen entstehenden Abweichungen von der Norm des hexagonalen Französisch auf den Ebenen der Phonetik, der Phonologie, der Morphologie, der Syntax, der Wortbildung, der Semantik und der Lexik skizziert werden.

I. Geschichte der französischen Kolonisierung in Schwarzafrika

I.1 Erste Kontakte mit dem afrikanischen Kontinent

Erste Informationen über einen französisch–afrikanischen Sprachkontakt lassen sich bereits für das 16. Jahrhundert belegen. Das Aufkommen eines Tauschhandels zwischen französischen Seeleuten und Einwohnern der westlichen Küsten des afrikanischen Kontinents führte zur Ausbildung eines „parler spécial, dit ’langue franque’ ou ’porto’“.[1] Elemente dieser Lingua franca lassen sich auch heute noch in einigen afrikanischen Küstensprachen sowie in Formen des francais local finden[2]:

Cette sorte de sabir à base de portugais, comportant des emprunts à l’arabe, au berbère, au wolof, au peul, au manden… et même parfois à des langues amérindiennes: caraïbe, tupi, galibi… s’est maintenu en usage jusqu’à l’installation des comptoirs permanents par les Anglais, puis les Français, d’abord sur le côtes, ensuite, peu à peu à l’intérieur du continent.[3]

Eine der ersten Erwähnungen dieses französisch-afrikanischen Sprachkontakts findet sich in einer anonymen Notiz aus dem Jahre 1540, mit dem Titel „Le langaige de Guynée et le francoys“, welche man in einem Handbuch zur Navigation fand.

Über die Ausbreitung der französischen Sprache an einigen bestimmten Punkten der afrikanischen Westküste und deren Qualität, berichtet im Jahre 1637 bereits Rev. P. Alexis de Saint Lô in seinem Reisebericht zum Kap Verde folgendes:

Le regognens que les neigres disoyent en nostre langue quantité de paroles licencieuses, sales injurieuses, y adjoustans encore des serments qui ne sont trop familiers en la bouche de ceux qui fréquentent ces costes: et ces pauvres mescréans ne pouvoyent avoir apris ces scandaleux discours que des mesmes Francoys qui ont trafiqué en ces ports-là.[4]

Genauere Aussagen über die Qualität und die linguistischen Charakteristika dieses von den Afrikanern durch ihren Kontakt mit den Weißen angenommenen Französisch, lassen sich vor allem aufgrund des Fehlens einer Schriftlichkeit in den afrikanischen Kulturen kaum machen. Hierzu ist man auf die wenigen Aufzeichnungen von Entdeckern, Missionaren, Navigatoren, Händlern und Verwaltungsbeamten aus der damaligen Zeit angewiesen, die in ihren Bordbüchern und Berichten in ihrer Muttersprache über ihre Erfahrungen mit dem bis dato weitgehend unbekannten afrikanischen Kontinent berichteten.[5]

I.2 Erste feste Handelsposten Frankreichs an der afrika- ischen Westküste im 17. Jahrhundert während des ersten empire colonial

Mit dem Aufkommen des transatlantischen Sklavenhandels, in dessen Rahmen hauptsächlich die Spanier bereits seit Ende des 15. Jahrhunderts Sklaventransporte von Afrika nach Santo Domingo organisierten, trat auch Frankreich im 17. Jahrhundert in das Geschäft mit der Ware Mensch ein und damit auch in Konkurrenz zu den anderen europäischen Mächten (Portugal, Holland, England). Jede dieser Nationen war bestrebt, sich die für den Sklavenhandel am günstigsten gelegenen afrikanischen Küstenstreifen zu sichern. Um ihre Handelsinteressen besser verwirklichen zu können, gründeten also auch die Franzosen feste Handelsposten, so genannte comptoirs an der afrikanischen Westküste. Der erste dieser Handelsposten war Saint-Louis im Senegal (gegr. 1659). Von dort aus nahm man Rufisque (um etwa 1670) und die Insel Gorée (1677) in Besitz. Letztere sollte fortan hauptsächlich als Zwischenlager für den transatlantischen Sklavenhandel dienen. Das erste empire colonial konnte somit auch auf dem afrikanischen Kontinent Fuß fassen.[6]

Der Ausgang des Siebenjährigen Krieges (1763) jedoch sollte Frankreichs riesiges Kolonialreich, das zu seiner Blütezeit (um 1750) circa 10 Millionen Quadratkilometer und ungefähr 40 Millionen Menschen umfasste, empfindlich treffen. Nach der Niederlage gegen England musste Frankreich große Teile seiner Besitzungen an seinen Erzfeind abtreten. Infolgedessen gingen auch die senegalesischen Handelsposten, mit Ausnahme von Gorée , verloren. Nach dem Vertrag von Versailles (1783) sollte Frankreich diese zwar zurückerlangen aber erst während der Restauration, nach dem Verträgen von Paris (1814 und 1815), annähernd wieder den kolonialen Besitzstand von 1763 erreichen.

I.3. Das zweite empire colonial (1815-1939)

I.3.1 Entwicklung unter der Restauration

Während sich die Ausbreitung des ersten französischen Kolonialreichs vor allem auf Nordamerika beschränkte, so richtete die französische Expansion ihr Augenmerk im 19. Jahrhundert vor allem auf Afrika und Indochina. So war Frankreich während der Restauration um die Aufwertung seiner Kolonien bemüht. Es wurden Gesetze zu ihrer Verwaltung geschaffen. Diese sahen vor, dass jede Kolonie unter die Autorität eines Gouverneurs und von Regierungsgremien (conseils de gouvernements) gestellt wurde, die über das Budget der einzelnen Kolonien verfügten. Die Gouverneure, wie auch die conseils de gouvernements waren ihrerseits wiederum dem Marineministerium unterstellt. In Übereinkunft mit dem Heiligen Stuhl und den Bestimmungen des Versailler Vertrages wurde der transatlantische Sklavenhandel verboten, sollte aber auf illegalem Wege bis 1830 weitergeführt werden. Die Sklaverei wurde in Frankreich erst unter der II. Republik im Jahre 1848 offiziell abgeschafft und verboten.[7]

Seit 1817 wurden im Senegal Gouverneure für die Verwaltung der Kolonie ernannt. Bereits seit 1789 schickten die Einwohner von Saint-Louis ein cahier de doléances an die Generalstände in Paris. Dieses Dokument ist nach Riesz als der erste von Senegalesen selbst verfasste Text in französischer Sprache anzusehen.[8] In dem Dokument beschwert sich eine Einwohnerversammlung unter Federführung ihres Bürgermeisters über die Aufhebung des Handelsmonopols der Compagnie du Sénegal (aufgehoben durch einen Beschluß der Constituante am 21.Januar 1791). Das Interessante an diesem Dokument ist, dass sich alle unterzeichnenden Bürger als Franzosen verstehen: „Neger oder Mulatten, wir sind alle Franzosen, denn in unseren Adern fließt französisches Blut. Diese Abstammung erfüllt uns mit Stolz und erhebt unseren Sinn.“[9]

I.3.2 Entwicklung unter dem Second Empire

Trotz einiger Jahrhunderte der Präsenz Frankreichs im Senegal war dieser nach Kadima-Nzuij um 1852 immer noch „un archipel de comptoirs séparés les uns des autres par de grandes distances et des populations ennemies.“[10] Dies sollte sich jedoch in der Folgezeit ändern. Im Senegal kam mit Capitaine Louis Léon Faidherbe von 1852-1865 ein neuer Gouverneur an die Macht. Faidherbe war ein gebildeter Mann, der neben Arabisch auch Wolof sprach. Er war vertraut mit den lokalen Problemen des Landes und trieb während seiner Amtszeit die Entwicklung und die Pazifizierung in seiner Kolonie voran. In seinem Bestreben um die Schlichtung von Konflikten zwischen den afrikanischen Stämmen, vertraute er die Verwaltung der durch die französischen Truppen befriedeten Gebiete einheimischen chefs an und initiierte das Programm der Besetzung Französisch-Westafrikas. Mit nur geringen Mitteln und einem unbeugsamen Willen setzte er sich ein für die Bekämpfung der Malaria, förderte die Einführung neuer Kulturen in der Landwirtschaft, kümmerte sich um den Ausbau von Straßen, gründete die Häfen von Dakar und Rufisque und sorgte sogar für die Eröffnung von Schulen.[11]

Hervorzuheben ist, dass zu jener Zeit nur die vier freien Kommunen des Senegal (Saint-Louis, Gorée, Dakar und Rufisque) Gegenstand der französischen Assimilationspolitik waren. Ihre Einwohner erhielten die französische Staatsbürgerschaft und wählten seit 1848 einen Abgeordneten für die Pariser Nationalversammlung.[12]

I.3.3 Entwicklung unter der III. Republik

Die Troisième République war vor allem an kolonialer Expansion interessiert. Sie sah in der Ausweitung ihres Machtbereiches in Afrika eine Art Wiedergutmachung ihrer Enttäuschungen in Europa. Während des Deutsch-Französischen Krieges (1870/71) musste sich Frankreich nach der Schlacht von Sedan den deutschen Truppen geschlagen geben.

Die Rivalität der europäischen Nationen, sowie das rasante Wachstum und die Konkurrenz ihrer Industrien führten zu einer Art Wettlauf um die Kolonien und trieben die zunehmende Erschließung des afrikanischen Kontinents voran.[13]

Die nun einsetzende Hauptphase der Kolonisierung sollte für die afrikanischen Völker eine schmerzliche Erfahrung werden. Im Zuge des Imperialismus machte sich eine europäische Nation nach der anderen daran, Afrika ihren Stempel aufzudrücken, ohne dabei auf das traditionelle Erbe seiner Völker Rücksicht zu nehmen. Der Glaube an die Einzigartigkeit der europäischen Zivilisation rechtfertigte dabei ihr Vorgehen.[14] Anne Stamm beschreibt die Motive der europäischen Nationen wie folgt:

En cette époque, dite moderne, les nations européennes ressentent des besoins de plusieurs ordres: nécessité de donner un espace vital à un surplus de population, désir de consommer des denrées exotiques et en particulier des épices, obligation de satisfaire à un certain esprit d’aventures, de remplir une mission civilisatrice ou religieuse, de conquérir des marchés commerciaux ou de poursuivre une politique de prestige.[15]

Dieser „course aux colonies“ (Picoche/Marchello-Nizia) konnte sich auch Frankreich, beflügelt von seinen nationalistischen Idealen, nicht entziehen. So eroberte Frankreich ab 1883 den Sudan und dann von der Küste aus Guinea und Teile der Elfenbeinküste (Côte d’Ivoire). Außerdem kamen die von Pierre Savorgnan de Brazza in der Zeit von 1876-1885 eroberten Gebieten Gabun und Französisch-Kongo hinzu.[16]

I.3.4 Der Auftritt Belgiens auf dem internationalen Parkett der Kolonialmächte und die Berliner Afrikakonferenz (1884- 1885)

Ab 1876 schickte sich auch Belgien an in den Kreis der Kolonialmächte aufzusteigen. So berief der belgische König Léopold II. im September 1876 in Brüssel eine internationale Geographenkonferenz ein, aus der dann die Association internationale africaine (A.I.A.) hervorging.[17] Deren oberstes Ziel sollte die Abschaffung der Sklaverei sein. Wenig später initiierte di A.I.A. Expeditionen auf dem afrikanischen Kontinent, an der nahezu alle europäischen Nationen beteiligt waren. Die belgische Kommission begab sich bei ihren Unternehmungen in die Hände des erfahrenen Entdeckers Stanley und gründete zunächst ein Comité d’études du Haut-Congo, aus welchem dann die Association internationale du Congo hervorgehen sollte. Eine Expedition dieser Gesellschaft im Jahre 1879, bei der man den Kongo besetzte, erwies sich als voller Erfolg. Allerdings verletzte Belgien bei diesem Vorstoß auch die Einflusszonen anderer Staaten, was zwangsläufig zu internationalen Konflikten führen musste.[18] Durch diese Vorgehensweise wurde die belgische Expansion zum Auslöser für die Berliner Afrikakonferenz (1884-1885), auf der sich die europäischen Mächte unter dem Vorsitz Bismarcks daran machten, Afrika unter sich aufzuteilen.[19] Nach folgenden Prinzipien konnte schließlich eine Übereinkunft unter den Nationen erzielt werden:

- toute prise de possession de territoire sur les côtes du continent africain doit être notifié aux puissances signataires afin de leur permettre de faire valoir, s’il y a eu lieu, leurs réclamations;
- nulle annexion n’est valable si la puissance souveraine n’entretient sur le territoire acquis une autorité suffisante pour faire respecter ses droits et ceux des autres États;
- toute puissance européenne établie sur la côte acquiert de ce fait des droits sur l’arrière pays jusqu’à ce qu’elle rencontre une zone d’influence voisine ou un État organisé;
- la navigation doit être libre sur le Niger et le Congo, même en temps de guerre et le bassin du Congo doit être soumis au régime de la liberté commerciale.[20]

Mit Abschluss der Berliner Konferenz wurde der État indépendant du Congo geboren. Am 30. April 1885 erfolgte, nach vorheriger Autorisierung durch das belgische Parlament, die Erklärung des belgischen Königs Leopold II. zum Souverain dieses Staates. Damit ging ein Gebiet mit einer Fläche von circa 24.000 Quadratkilometer (das Viereinhalbfache Frankreichs) und einer Bevölkerung von ungefähr 16 Millionen Menschen in den Alleinbesitz des belgischen Monarchen über. Im Jahre 1989 übertrug Léopold II. sein afrikanisches Königreich an Belgien.[21]

I.3.5 Weiterer Fortgang der französischen Kolonisierung bis 1939

Im weiteren Verlauf gelang es Frankreich durch erneute militärische Expansionen die Ausdehnung seines Machtbereiches in Westafrika zu vergrößern. Nach Unterwerfung lokaler Machthaber nahm Frankreich im Jahre 1892 die Gebiete Niger und Dahomey (heute Benin) in Besitz. Später kamen auch Oubangui und Chari (die heutige Zentralafrikanische Republik) hinzu. Die Entdeckung des Tschad und dessen Kolonisierung erfolgte um 1900.[22]

Um 1914 besaß Frankreich somit das zweitgrößte Kolonialreich der Welt mit einer ungefähren flächenmäßigen Ausdehnung von 10 Millionen Quadratkilometer und einer Einwohnerzahl von etwa 48 Millionen Menschen, von denen aber nur circa 2 Millionen Franzosen waren.[23]

Zur besseren Verwaltung seiner kolonialen Errungenschaften fasste Frankreich einzelne Kolonien zu Föderationen zusammen und schuf dadurch längerfristige Strukturen, die bis zur Ära der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten 1959/60 überdauern sollten. So entstanden auf Initiative des Generalgouverneurs Roume durch die Dekrete von 1902 und 1904 zunächst die Föderation der Afrique Occidentale Française (A.O.F), welche bereits seit 1895 in rudimentärer Form bestand. Hinzu kam dann 1910 die Föderation der Afrique Equatoriale Française.

Die A.O.F, deren Hauptstadt Dakar (Senegal) wurde, umfasste nach und nach die Kolonien Mauretanien, Senegal, Mali, Obervolta (Burkina-Faso), Niger, Guinea, Elfenbeinküste (Côte-d’Ivoire) und Dahomey.

Hauptstadt der A.E.F sollte Brazzaville (Kongo) werden. Diese Föderation beinhaltete zunächst die drei Kolonien Gabun, Französich-Kongo, und Oubangui-Chari. Später (1920) sollte noch der Tschad hinzukommen.[24]

Bedingt durch seine Niederlage während des Ersten Weltkrieges musste Deutschland im Jahre 1919 nach den Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages auf seinen gesamten Überseebesitz verzichten. Unter dem Mandat des neu geschaffenen Völkerbundes erfolgte dann die Aufteilung der ehemals deutschen Kolonien unter den anderen Kolonialmächten. Dabei wurden Togo und Kamerun auf England und Frankreich aufgeteilt, wobei Frankreich im Falle Kameruns einen größeren Teil als England erhielt.

Die Gebiete Ruanda und Urundi wurden der belgischen Autorität unterstellt. Die ehemals deutschen Besitzungen verloren folglich ihren Status als Kolonien und waren fortan als Treuhandgebiete der Verwaltungshoheit der eben genannten Nationen unterstellt. Ausdrückliche Zielsetzung von Seiten des Völkerbundes sollte die Vorbereitung der Selbstverwaltung und späteren Unabhängigkeit der Mandatsgebiete sein. Um eine dahingehende Entwicklung zu gewährleisten, sollte der Völkerbund eine Kontrollfunktion über die Mandatarmächte ausüben. Zu diesem Zwecke behielt man sich vor, Inspektionen in den Treuhandgebieten zu unternehmen und Rechenschaftsberichte von den Mandatarmächten einzufordern.[25]

In der Zwischenkriegszeit ging somit nahezu der gesamte afrikanische Kontinent in die Hände europäischer Machthaber über. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges gab es in ganz Afrika nur noch zwei unabhängige Staaten, die dieses Schicksal nicht ereilte, nämlich Liberia (unabhängig seit 1847) und Ägypten, welches seit 1922 unabhängig war, aber unter englischer Militärbesatzung stand.[26]

Durch die im Vorausgehenden geschilderten Gebietszuwächse erreichte das zweite empire colonial im Jahre 1931 seinen Höhepunkt mit einer flächenmäßigen Ausdehnung von 12,6 Millionen Quadratkilometern und einer ungefähren Einwohnerzahl von 6,7 Millionen Menschen.[27]

I.4 Der Zweite Weltkrieg (1939-1945)

Im Rahmen des Zweiten Weltkriegs traten mit den USA und der UdSSR zwei Weltmächte auf das internationale Parkett, die der europäischen Kolonialpolitik gegenüber feindlich eingestellt waren.

Der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt traf schon im Jahre 1941 in der so genannten »Atlantik-Charta« mit dem englischen Premierminister Winston Churchill unter anderem eine Übereinkunft, dass jedem Volk ein Selbstbestimmungsrecht zuerkannt werden sollte. In der »Atlantik-Charta« wurden die Kolonien zwar nicht ausdrücklich erwähnt, waren aber de facto mit eingeschlossen.

Die Charta der Vereinten Nationen (1945), welche insgesamt 111 Artikel umfasste, rang den unterzeichnenden Mitgliedsstaaten die Verpflichtung ab, den politischen Strömungen in den nicht autonomen Territorien Rechnung zu tragen und deren Kapazität zu einer möglichen Selbstverwaltung zu unterstützen.

Während noch im Jahre 1939 auch nur die geringste Äußerung über eine eventuelle Unabhängigkeit der Kolonien für subversiv erklärt worden wäre, so hatte sich 1945 die Grundeinstellung geändert. Man erörterte eine Theorie der Dekolonisierung die in den folgenden 15 Jahren, wenn auch nur schrittweise, in nahezu allen Kolonien in die Tat umgesetzt werden sollte.[28]

I.5 Die Ära der Dekolonisierung

Nachdem Frankreich 1940 die Schlacht um das Mutterland verloren hatte, wurde Afrika zur Rückzugsbasis für das gegen das Regime von Vichy opponierende »Freie Frankreich« unter General de Gaulle. Brazzaville im Französisch-Kongo sollte Rückzugsquartier und Hauptstadt des belagerten Empire werden. Am 28. August 1940 hatten dort gaullistische Offiziere die Macht ergriffen.[29]

Nach der Konferenz von Brazzaville (1944) gestand General de Gaulle im Jahre 1945 allen Bewohnern der französischen Überseegebiete die französische Staatsbürgerschaft sowie das allgemeine Wahlrecht zu. Somit konnten künftig alle Kolonien Vertreter für die Pariser Nationalversammlung wählen.

Trotz dieser Zugeständnisse war die IV. Republik zunächst bemüht, aufkommende Unabhängigkeitsbestrebungen ihrer Überseegebiete weitestgehend einzudämmen, beziehungsweise aufzuschieben:

Charakteristisch für Frankreichs Bemühungen, die Unabhängigkeitsdynamik seiner Kolonien nach dem Zweiten Weltkrieg aufzufangen, waren Versuche, über integrale Verfassungsreformkonzepte rudimentäre Verfahren der kolonialen Repräsentation und Partizipation im nationalen französischen Regierungs- und Repräsentationskontext zu entwerfen.[30]

So beschloss 1945 die verfassungsgebende Versammlung, in der nun auch eine gewisse Anzahl von Vertretern aus den Kolonien saßen (darunter 29 Afrikaner, unter ihnen auch die späteren afrikanischen Staatschefs Senghor und Houphouët-Boigny), das Konstrukt der Union Française: „La France forme avec les peuples d’outre-mer une Union fondée sur l’égalité des droits et des devoirs, sans distinction de race ni de religion.“[31] Für jede der beiden französischen Föderationen (A.O.F und A.E.F) wurde ein conseil général bestimmt, welches in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Gouverneur künftig über Budget, Steuern und administrative Programme der Kolonien entscheiden sollte.[32] Mit den conseils généraux wurde somit ein Kompromiss zwischen Assimilation und Autonomie geschaffen. Der Verfassungsentwurf wurde durch ein Referendum am 27. Oktober 1946 bestätigt. Parallel dazu wurde für die Kolonien eine Finanzhilfe durch einen Fond d’investissement et de développement économique et social (FIDES) ins Leben gerufen, mit dessen Hilfe die Aufwertung der Kolonien vorangetrieben werden sollte.

Zehn Jahre später, nämlich 1956, sollte aber ein von Felix Houphouët-Boigny (Abgeordneter der Elfenbeinküste) und Gaston Defferre (französischer Überseeminister) erarbeitetes Rahmengesetz endgültig die Weichen für den Föderalismus stellen, indem man den Territorien der Union Francaise interne Verwaltungsautonomie zugestand.[33] 1958 wieder an die Macht gekommen, sprach sich schließlich auch General de Gaulle für dieses Rahmengesetz aus. Eine neue Verfassung wurde ausgearbeitet, in der an Stelle der Union Francaise nun mehr von einer Communauté Francaise die Rede war. Aber auch dieses Verfassungskonstrukt sollte nur von relativ kurzer Dauer sein, denn ungeachtet der in Paris ausgearbeiteten Reformkonzepte zog es die Mehrheit der schwarzafrikanischen Staaten vor, ihre Forderung nach Föderalismus innerhalb kürzester Zeit in die Tat umzusetzen. Um den internationalen Gleichklang zu wahren kam Frankreich daher nicht umhin dieser Forderung nachzukommen. Bis 1960 wurden alle schwarzafrikanischen Staaten ohne größeres Aufheben in die Unabhängigkeit entlassen.

I.6 Postkolonialer Mondialismus

Wie gezeigt wurde, konnte sich Frankreich den Veränderungen der öffentlichen Meinung und des Rechtsempfindens nicht entziehen, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Auflösungsprozess der kolonialen Herrschaft initiiert hatten. Wie keine andere Nation war man in Paris bemüht, sich den „[…] Prozess der Dekolonisierung nutzbar zu machen und umzulenken zu Gunsten einer Erneuerung seines außenpolitischen Profils und seiner internationalen Stellung.“[34]

In diesem Sinne führte die Ära der Dekolonisierung in den ehemals französischen Kolonien nicht zur völligen Entflechtung und Distanzierung von der métropole. Die Unabhängigkeit bewirkte hingegen in den meisten Kolonien eher eine Stärkung und Intensivierung alter Bindungen. So wurde das administrative Personal aus der Kolonialzeit nicht abgezogen, sondern eher verstärkt. Dadurch kamen im Rahmen eines Entwicklungshilfeprogramms cirka 10.000 so genannte Coopérants in die ehemals französischen Besitzungen, von denen die meisten als Lehrkräfte in Schulen eingesetzt werden sollten. Auch Militärbasen samt militärischem Personal wurden beibehalten. Während der Zeit des Kalten Krieges unterhielt Frankreich an die 12.000 Soldaten in Afrika, die sich auf acht Militärstützpunkte von Dschibouti bis Dakar verteilten. Gegenüber der Kolonialzeit wurden auch die Budgetmittel erhöht. Noch heute verknüpft ein französisch-afrikanischer Währungsverbund, die so genannte Communauté Financière Africaine (CFA), die häufig auch als Franc-Zone bezeichnet wird, Paris mit dem frankophonen West- und Zentralafrika.[35]

Durch das Entstehen eines weitreichenden kulturellen Verbundes, der so genannten Francophonie, in den auch die frankophonen Staaten Afrikas eingebunden werden sollten, wurde Paris nach der Phase der Dekolonisierung zum Zentrum einer weltweiten französischen Sprachgemeinschaft erhoben, die sich heute vom französischsprachigen Teil Kanadas bis nach Vietnam erstreckt.[36] Nach Barrat haben die frankophonen Staaten Afrikas heute in der Frankophonie wesentlichen Anteil an der Verbreitung der französischen Sprache und Kultur in der Welt:

L’Afrique est le pilier de la Francophonie tant du point de vue démographique qu’économique ou politique, car les pays francophones du continent noir constituent la principale composante de cette communauté fondée sur le partage d’une idée culturelle commune.[37]

II Das französische koloniale System

II.1 Motivationsimpulse für die Errichtung der Kolonialreiche und die Maxime der Nutzung der Kolonien

Ausschlaggebend für den Aufbau seiner Kolonialreiche waren für Frankreich im Gegensatz zu anderen Kolonialmächten weniger rein ökonomische Interessen. Die Ausbeutung der Kolonien stand also nicht an erster Stelle. Treibende Kraft für die französische Westexpansion nach Nordamerika im 16. und 17. Jahrhundert und die anschließende Hinwendung nach Süden und Osten, im Zeitalter des Imperialismus, war vielmehr die Rivalität zu Spanien und England aber auch zu Deutschland:

De fait la colonisation française eut ceci de particulier qu’elle ne se fit pas pour l’essentiel pour des raisons économiques […] mais pour des considérations d’ordre plus stratégiques et politiques. D’ailleurs la volonté d’aller planter le drapeau tricolore dans les territoires, mêmes sans ressources aux seules fins d’y précéder «l’Union Jack» ou le drapeau allemand, eut pour conséquence un immobilisme économique grave pour le développement des colonies françaises.[38]

In den Anfängen der überseeischen Entfaltung prägte zunächst das Wirtschaftssystem des Merkantilismus das Gerüst für Frankreichs koloniale Handlungsbeziehungen. Über das Regime des Exclusif, welches häufig auch als Pacte colonial bezeichnet wird, wurden die Kolonien in die Aufgaben der staatlichen Schatzbildung eingebunden. Für die Kolonien bedeutete dieses System eine Ausschließlichkeit der Handelsbeziehungen zur Metropole. Der Pacte colonial war dabei im Sinne eines Warenaustauschs zwischen den Kolonien und dem Mutterland angelegt. De facto war dieser „Austausch“ aber nur einseitiger Natur: Die Kolonie produzierte ausschließlich für die Bedürfnisse der Metropole und wurde dafür im Gegenzug von dieser mit auswärtigen Produkten versorgt. Dieses Austauschsystem sollte im 17. Jahrhundert seine Hochblüte erreichen. Unter Finanzminister Colbert wurde das Prinzip der Ausschließlichkeit der Handelsbeziehungen zum Mutterland dahingehend verstärkt, dass er 1674 sogar alle Häfen der Kolonien für ausländische Schiffe sperren ließ.[39]

Für die Kolonien war das Regime des Exclusif also nur bedingt von Vorteil. Zwar profitierten die Colons vom Privileg eines gesicherten Absatzraumes ihrer Produkte, waren aber in Gegenzug an die daraus resultierenden Zwänge und Kosten eines staatlichen Monopolhandels gebunden, der die eigentlichen Bedürfnisse der Kolonien missachtete.

Liberalere Grundsätze im Umgang mit den Kolonien sollten sich in Frankreich erst spät im 19. Jahrhundert einstellen. Immerhin überdauerte das Regime des Exclusif bis in die Zeit der Juli-Monarchie hinein. Erst danach sollte sich ein Orientierungswandel zu größerer kommerzieller Liberalität der Kolonien einstellen. Trotzdem blieb Frankreich weiterhin wichtigster Kunde und Lieferant seiner Kolonien.[40]

Um die wirtschaftliche Produktivität ihrer Überseegebiete zu erhöhen, betrieb die französische Regierung im 20. Jahrhundert eine gezielte Politik der Aufwertung der Infrastruktur in den Kolonien. So wurde der Bau von Eisenbahnlinien initiiert, die das afrikanische Hinterland mit den Küstenstädten verbinden sollten. Die traditionellen Handelsrouten der Afrikaner wurden dabei aber nicht berücksichtigt. Vielmehr sollte der Bau der Eisenbahn den schnelleren Abtransport der Kolonialwaren zu den Küstenhäfen ermöglichen. Die Kosten für dieses Unterfangen waren aber derart hoch, dass bis 1940 in der A.O.F nur 3800 Schienenkilometer verlegt wurden.[41]

In diesem Sinne wurde auch der Bau eines Straßennetzes realisiert. 1931 verfügte die A.O.F über circa 50.000 Straßenkilometer mittlerer Qualität. Ab 1925 erfolgte die Einführung eines Luftpostdienstes zwischen Dakar und Casablanca. Weitere Maßnahmen des französischen Staates waren die Einrichtung eines Sanitäts- und Veterinärwesens. Auch in der Landwirtschaft und der Geologie wurden Investitionen getätigt.[42] Ferner sollte das Bildungswesen eine Aufwertung erfahren. In den Augen des Kolonialministers Albert Sarraut stellte die Einführung eines leistungsfähigen Bildungswesens eine moralische Verpflichtung der Kolonialmacht dar. Gleichzeitig hob er hervor, dass sich diese Pflicht bestens mit den militärischen, ökonomischen, administrativen und politischen Interessen der Metropole verbinden ließe[43]:

[…]denn eine bessere Ausbildung steigere die koloniale Produktion, schäle kooperationswillige Eliten heraus, bilde einheimische Verwaltungsangestellte heran, trage zur Ausbildung der einheimischen Chefs bei, fördere die Leistungsfähigkeit einheimischer Soldaten und sei generell die Voraussetzung für eine Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung.[44]

II.2 Koloniale Ideologie und direkte Verwaltung

Kennzeichnend für den französischen Kolonialismus ist laut von Krosigk das „eigentümliche legitimatorische Konzept einer ‚zivilisatorischen Mission’ Frankreichs bei der Erschließung seiner Kolonien.“[45] Der Glaube an eine „säkulare Mission“, die die Erhebung anderer Völker auf das Niveau der französischen Zivilisation und Kultur anstrebte, lässt sich dabei bis in die Zeit der Kreuzzüge zurückverfolgen. Der eigenen Kultur sollte auf diese Weise universale Geltung zuerkannt werden.[46] In diesem Zusammenhang seien zwei Grundgegebenheiten erwähnt, die für die französische Kolonialpolitik charakteristisch sind:

1. Das Konzept der Assimilation sah die zunehmende Integration der unter französischer Herrschaft stehenden Menschen und Territorien in das Mutterland vor.
2. Ein Konzept der direkten Herrschaft und Administration sollte nach und nach die Einbindung der Kolonien in ein von Frankreich aus gesteuertes zentralistisches und hierarchisches Verwaltungssystem gewährleisten.[47]

II.2.1 Zentralregierung der Kolonien

Mit der Schaffung eines Kolonialministeriums im Jahre 1894 wurde der Kolonialminister zum obersten Chef über alle französischen Überseebesitzungen erhoben. Ihm unterstanden die Gouverneure der einzelnen Kolonien, denen in Zusammenarbeit mit den Büros des Kolonialministeriums die Verwaltung der Kolonien oblag. Nach 1931 erfolgte die Umbenennung des ministère des Colonies in ein ministère d’outre-mer. Die afrikanischen Kolonien hatten bis 1945 nur einen einzigen Abgeordneten im Parlament, der von den vier communes des Senegal gewählt wurde. Was die Gesetzgebung in den Kolonien angeht, so unterlag diese bis zur Unabhängigkeit einem von Napoléon initiierten senatus-consulte, aus dem Jahre 1854. Der Président de la République bestimmte diese durch Dekrete, welche der Kolonialminister in der Regel auf Anregung der Gouverneure ausarbeitete.[48]

Das Kolonialministerium verfügte nur über ein geringes Budget, da ein Gesetz aus dem Jahre 1900 die finanzielle Autonomie der Kolonien vorsah. Die Kolonien mussten also künftig selbst für ihre Kosten aufkommen. Nur die Mittel für die französische Militärpräsenz wurden vom Mutterland getragen. Deschamps bemerkt hierzu: „il fallait prouver aux électeurs français que les colonies ne coûtaient rien.“[49] Erst unter Kolonialminister Albert Sarraut wurde nach dem Ersten Weltkrieg ein Plan ins Auge gefasst, der die Aufwertung der französischen Kolonien durch Darlehen aus dem Mutterland vorsah. Dieser Plan wurde zwar nur teilweise umgesetzt, gestattete den Kolonien aber zumindest eine gewisse Entwicklung ihrer Infrastruktur.[50]

II.2.2 Lokale Praxis der Administration in den Kolonien

Auf lokaler Verwaltungsebene war seit der Zeit der Restauration der Gouverneur „dépositaire des pouvoirs de la République“ (Deschamps). Er war für die Bekanntmachung der Dekrete aus Paris zuständig und konnte Erlasse verfügen. Außerdem war er für den Unterhalt diplomatischer Beziehungen zu den Nachbarländern verantwortlich, konnte über die Ausweisung von Ausländern aus der Kolonie und die Inhaftierung von staatsgefährdenden Personen entscheiden. Der Gouverneur war gleichzeitig auch militärisches Oberhaupt der Kolonie. Im Falle seiner Abwesenheit wurde er durch einen Generalsekretär vertreten, der normalerweise mit der Leitung der Büros des Gouverneurs betraut war. Ein Conseil d’Administration, meist bestehend aus hohen Beamten und einigen weißen und schwarzen, vom Gouverneur ernannten Notabeln, sollte diesem bei der Verwaltung der Kolonie beratend zur Seite stehen. Gewählt wurden die Gouverneure per Dekret aus Paris, meist rekrutierten sie sich aus der Schicht der höchsten Verwaltungsbeamten des Mutterlandes. In den später geschaffenen Föderationen A.E.F und A.O.F stand jeweils ein Generalgouverneur an der obersten Spitze der Verwaltung, dem die Gouverneure der einzelnen Kolonien dieser Föderationen untergeben waren.

[...]


[1] Flutre, Louis Ferdinand (1958): „De quelques termes usités aux XVIIème et XVIIIème siècles sur les côtes de l’Afrique Occidentale et qui ont passé dans les récits des voyageurs français du temps.“ In: Ethymologica. Festschrift Walther von Wartburg. Tübingen: Niemeyer. S. 209.

[2] Vgl. Lafage, Suzanne (1999): „Francophonie V. Variétés régionales du français hors de l’Europe II. a) Afrique.“ In: Lexikon der romanischen Linguistik, Bd.V, 1. S.767.

[3] Lafage, 1999, S. 767.

[4] Zit. n. Flutre, 1958, S. 220-221.

[5] Vgl. Lafage, 1999, S. 768.

[6] Für die Aufarbeitung der geschichtlichen Fakten in diesem Kapitel vgl.:

-Barrat, Jaques (1997): Géopolitique de la Francophonie. Paris: Presses Universitaires de France. S. 36-39.
-Krosigk, Friedrich von (2002): „Frankreich in der Welt: Vom Empire colonial zum postkolonialen

Mondialismus.“ In: Kolboom, I./Kotschi, Th. /Reichel, E. (Hgg.): Handbuch Französisch: Sprache-

Literatur-Kultur-Gesellschaft: für Studium, Lehre, Praxis. Berlin: Erich Schmidt. S. 419f. .

-Riesz, János (2002): „Das frankophone Afrika südlich der Sahara.“ In: ebd., S. 445.
-Kadima-Nzuji, Mukala (1978): „L’implantation des Français en Afrique noire.“ In: Deccennie 2
(Paris), 38. S. 49.
-Picoche, Jaqueline/Marchello-Nizia, Christiane (1996): Histoire de la langue française. Paris:

Nathan. S.62-66.

[7] Vgl. Picoche/Marchello-Nizia, 1996, S. 85.

[8] Vgl. Riesz, 2002, S. 445.

[9] Zit. n. ebd., S. 445f. .

[10] Kadima-Nzuij, 1978, S. 50.

[11] Vgl. Stamm, Anne (2003²): L’Afrique de la colonisation à l’indépendance. Paris: Presses universitaires de France. S. 12-14. Vgl. auch Picoche/Marchello-Nizia, 1996, S. 87.

[12] Vgl. Stamm, 2003, S. 41; Kadima-Nzuij, 1979, S. 50.

[13] Vgl. Deschamps, Hubert (Hg.) (1971): Histoire générale de l’Afrique noire, de Madagascar et des archipels, Bd. 2. Paris: Presses Universitaires de France. S. 29.; vgl. auch Picoche/Marchello- Nizia, 1996, S. 87.

[14] Vgl. Stamm, 2003, S. 33.

[15] Ebd., S. 33.

[16] Vgl. Deschamps, 1971, S. 30; vgl. auch: Picoche/Marchello-Nizia, 1996, S. 87.

[17] Vgl. Deschamps, 1971, S. 45.

[18] Vgl. Stamm, 2003, S. 62.

[19] Zur besseren Verdeutlichung der politischen Aufteilung Afrikas unter den europäischen Mächten siehe im Anhang Karte 1, S. 89.

[20] Stamm, 2003, S. 19.

[21] Vgl. ebd., S. 62f..

[22] Vgl. Deschamps, 1971, S. 30.; vgl. auch Picoche/Marchello-Nizia, 1996, S. 87f..

[23] Zur besseren Illustration vgl. im Anhang Karte 2, S. 89.

[24] Vgl. Harding, Leonhard (1999): Geschichte Afrikas im 19. und 20 Jahrhundert. München: Oldenbourg. S. 29; vgl. Kadima-Nzuij, 1978, S. 51; vgl. Deschamps, Hubert, 1971, S. 387-396.

[25] Vgl. Harding, 1999, S. 59.

[26] Vgl. Harding, 1999, S. 90.

[27] Vgl. Picoche/Marchello-Nizia, 1996, S. 89.

[28] Vgl. Picoche/Marchello-Nizia, 1996, S. 99.

[29] Zu den Informationen in diesem Kapitel vgl.: Stamm, 2003, S. 73-76; von Krosigk, 2002, S. 422 f.; Ansprenger, Franz (2002): Geschichte Afrikas. München: Beck. S. 93-96; Picoche/Marchello-Nizia (1996), S. 101; Barrat, 1997, S.44-47.

[30] Von Krosigk, 2002, S. 422f..

[31] Zit. n. Picoche/Marchello-Nizia, 1996, S. 101.

[32] Die Dominanz der parlamentarischen beziehungsweise gouvernementalen Entscheidungszentren in Paris wurde durch die conseils généraux aber keinesfalls beeinträchtigt.

[33] Die internationale Souveränität sollte aber weiterhin in Händen der französischen Regierung bleiben.

[34] Von Krosigk, 2002, S.423.

[35] Vgl. ebd., S. 423.

[36] Für nähere Informationen zur Frankophonie siehe: Deniau, Xavier (20036): La francophonie. Presses Universitaires de France.

[37] Barrat, 1997, S. 113.

[38] Ebd., S. 42.

[39] Vgl. von Krosigk, 2002, S. 421.

[40] Vgl. von Krosigk, 2002, S. 421; vgl. auch Deschamps, 1971, S. 373.

[41] Vgl. Stamm, 2003, S. 44.

[42] Vgl. ebd..

[43] Vgl. Harding, 1999, S. 45.

[44] Ebd., S. 45.

[45] Von Krosigk, 2002, S. 422.

[46] Vgl. ebd., S. 422.

[47] Vgl. ebd. S. 422.

[48] Vgl. Deschamps, 1971, S. 383.

[49] Ebd., S. 383.

[50] Vgl. ebd., S. 384.

Fin de l'extrait de 92 pages

Résumé des informations

Titre
Aspekte der französischen Sprachgeschichte unter besonderer Berücksichtigung Schwarzafrikas
Université
University of Trier
Note
1,0
Auteur
Année
2004
Pages
92
N° de catalogue
V32553
ISBN (ebook)
9783638332439
Taille d'un fichier
1821 KB
Langue
allemand
Annotations
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Existenz der französischen Sprache in den Ländern des frankophonen Afrika, also der Afrique susaharienne. Detailliert wird nach einer Darstellung über die Kolonialgeschichte Frankreichs auf die Faktoren eingegangen, die die Verbreitung der französischen Sprache auf dem afrikanischen Kontinent ermöglichten. Eine Analyse über den sprachlichen Ist-Zustand des Französischen im heutigen Schwarzafrika rundet die Arbeit ab.
Mots clés
Aspekte, Sprachgeschichte, Berücksichtigung, Schwarzafrikas
Citation du texte
Volker Joachim Wallerang (Auteur), 2004, Aspekte der französischen Sprachgeschichte unter besonderer Berücksichtigung Schwarzafrikas, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32553

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