Heinrich von Morungen: Ich hôrte ûf der heide


Term Paper, 2000

19 Pages, Grade: 2,0


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Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. BASISWISSEN ZU „ICH HÔRTE ÛF DER HEIDE“
2.1 Einordnung des Liedes in seinen historischen und literarischen Kontext
2.2 Form des Liedes
2.3 Kurze Anmerkung zum Inhalt des Liedes

3. INTERPRETATION DER EINZELNEN STROPHEN DES LIEDES
3.1 Strophe 1
3.2 Strophe 2
3.3 Strophe 3
3.4 Zusammenfassende Interpretation des Liedes

4. SCHLUSSWORT

1. EINLEITUNG

Anders als sonst in Arbeiten dieser Art üblich wird im Folgenden eine direkte Interpretation des Liedes „ Ich h ô rte û f der heide “ von Heinrich von Morungen vorgenommen. Dabei stütze ich mich auf bisherige Ergebnisse der Literaturforschung. Sie dienen mir als Ausgangspunkt für meine eigene, weiter reichende Interpretation.

Es soll gezeigt werden, dass der Gehalt dieses Liedes noch längst nicht ausgeschöpft worden ist, dass es noch viele Möglichkeiten für Literaturwissenschaftler bietet. Gleichzeitig soll gezeigt werden, dass Kategorisierungen, wie sie in der Literaturwissenschaft vorgenommen werden, nicht immer hilfreich für eine Interpretation sind.

Im Vorfeld der Interpretation wird dem Leser grundlegendes Wissen über das Lied vermittelt, das ihm das Verständnis sowohl der Interpretation als auch des Lieds erleichtern soll.

2. BASISWISSEN ZU „ICH HÔRTE ÛF DER HEIDE“

2.1 Einordnung des Liedes in seinen historischen und literarischen Kontext

Das Lied „ Ich h ô rte û f der heide “ gehört dem Minnesang zu. Unter Minnesang versteht man grob mittelalterliche Lyrik, die sich auf den ersten Blick als Liebeslyrik darstellt, als Sang zur und über die Frau. Es ist allerdings zu beachten, dass es sich bei den in den Minneliedern dargestellten Empfindungen und Ereignissen nicht um reale Begebenheiten handelt, sondern dass das Dargestellte in einer „ästhetischen Kunstwelt“1 spielt.

Um einen Übersicht über den Minnesang zu bieten, versucht man, diesen chronologisch in Phasen zu ordnen. Grob unterscheidet man drei Phasen: eine Früh-, Hoch- und Spätphase. Die Werke von Heinrich von Morungen ordnet man der Hochphase (1170 - 1230)2 zu. Da sich während dieser Phase die Hohe Minne (s. u.) an ihrem Höhepunkt befand, werden oft auch die Werke von Heinrich von Morungen als Werke der Hohen Minne angesehen. Die Forschung nimmt die Unterteilung des Minnesang in Hohe Minne und Niedere Minne vor. Hohe Minne ist dadurch gekennzeichnet, dass der Liebende in dem Lied eine für ihn unerreichbare, zu einem Ideal übersteigerte Frauenfigur verehrt und dadurch, dass das treue Festhalten an dieser hoffnungslosen Minne ihm zur Läuterung dienen soll. Niedere Minne ist als der Forschung nach als Gegenreaktion auf die Hohe Minne entstanden, sie beschäftigt sich mit der Liebe zum einfachen Mädchen oder auch einfach mit dem Thema der bloßen Befriedigung des Lusttriebes.3

Von Heinrich von Morungen sind 110 Strophen überliefert.4 Seine große Bedeutung lässt sich daran erkennen, dass er sogar auf Walther von der Vogelheide Einfluss genommen haben soll.5 Auch heutzutage wird er noch sehr hoch angesehen, so behauptet z. B. Wapnewski, Morungen sei der „farbigste, leidenschaftlichste, zarteste und musikalischste unter den Minnesängern“6, Schröder nennt ihn schlicht „den größten deutschen Lyriker[ ] des Mittelalters.“7 Für das Lied „ Ich h ô rte û f der heide “ liegt eine einheitliche Überlieferung vor - im Gegensatz zu vielen anderen Liedern von Heinrich von Morungen. Sämtliche (drei) Strophen des Liedes sind in der Handschrift C - der Großen Heidelberger Handschrift - überliefert. In der folgenden Darstellung wird die Reihenfolge der Strophen, wie sie in der Handschrift C überliefert ist, übernommen.8

2.2 Form des Liedes

Das Lied gliedert sich in drei Strophen zu jeweils sieben Versen. Alle drei Strophen stellen eine Szene dar und sind in sich geschlossen, sie können in diesem Sinne als „Momentaufnahmen“9 bezeichnet werden. Die Anfänge der Strophen sind sich dabei formelhaft gleich: „ Ich h ô rte... “ , “ Ich vant... “ , „ Ich vant... “ 10

Bei den drei Strophen handelt es sich um Kanzonenstrophen. Die gleiche Bauweise der drei Strophen geht auf diese Strophenform zurück. Für Kanzonenstrophen ist charakteristisch, dass sie sich in einen Auf- und Abgesang gliedern, wobei der Aufgesang nochmals in zwei Stollen untergliedert ist. Der Aufgesang erstreckt sich in den vorliegenden Strophen über die ersten vier Verse, dabei gehören jeweils zwei Verse einem Stollen zu. Den Abgesang bilden drei Verse.

Die Kanzonenstrophenform macht sich besonders im Reimschema bemerkbar, es lautet: abab - bbb; dies ist ein äußerst auffälliges Reimschema. Weitere Besonderheiten des Reimschemas sind die Binnenreime, die sich jeweils im ersten Vers des Abgesangs finden sowie ein Reim- wort, das mit dem a-Reim korrespondiert, jeweils im letzten Vers des Abgesangs. Das Metrum scheint ebenfalls in allen drei Strophen gleich zu sein, die Meinungen in der Literatur- wissenschaft darüber, um welches Metrum konkret es sich handelt, gehen jedoch auseinander.11 Dronke behauptet, dieses Lied sei „eine der anspruchsvollsten Formen in der ganzen mittelalterlichen Lyrik“12. Auf jeden Fall wird an diesem Lied erkennbar, dass Minnesang auch vom künstlerisch-ästhetischen Gesichtspunkt besehen viel mehr war als bloße Gefühlsäußerung eines beliebigen Sängers.

2.3 Kurze Anmerkung zum Inhalt des Liedes

In allen drei Strophen wird die Begegnung zwischen dem Liebenden und der von ihm geliebten Frau dargestellt, und zwar wird im Aufgesang die Situation, die Begegnung an sich dargestellt, während im Abgesang der Gefühlszustand der beiden beteiligten Personen beschrieben wird.13 Die Literaturwissenschaft geht davon aus, dass es sich in diesem Lied um die Darstellung einer Vision, eines Tagtraumes handelt. Begründet wird das z.B. mit der „unlogische[n] Intensität“14 der Bilder in den drei Strophen, vor allem aber auch damit, dass die in dem Lied dargestellten Situationen, in denen sich der Liebende und die Geliebte befinden, sehr ungewöhnlich, ja eigentlich unmöglich sind.15 In dieser Arbeit wird diese Ansicht nicht vertreten, doch dies wird im Folgenden an der Interpretation selbst am besten offensichtlich.

Bevor zur Interpretation des Liedes selbst übergegangen wird, sollte noch gesagt werden, dass diese sehr stark von der jeweiligen Übersetzung abhängt, wie auch umgekehrt die Übersetzung von der Deutung abhängt, das wird sich auch in der folgenden Interpretation zeigen. Der Grund dafür ist - neben der üblichen Übersetzungsproblematik - darin zu suchen, dass uns der damalige Sprachgebrauch nicht mehr geläufig ist, eine völlig korrekte Bestimmung und Übersetzung eines Wortes, einer Redewendung also unmöglich ist.

3. INTERPRETATION DER EINZELNEN STROPHEN DES LIEDES

3.1 Strophe 1

In der ersten Strophe des Liedes wird die Begegnung des Liebenden mit der von ihm geliebten Frau in der freien Natur dargestellt, d.h. es wird in ihr ein Natureingang gestaltet (dazu s. unten). Der Liebende hört „û f der heide “ (I, 1) den Gesang der Geliebten und eventuell auch den ihrer Begleiter. Ob es sich hier um Singular oder Plural handelt, kann nicht eindeutig bestimmt werden, da „ l û te stimme “ (I, 2) auf beide Arten übersetzt werden kann16. Ich halte diesen Punkt der Übersetzung für unerheblich für die Deutung, das Wesentliche ist, dass die Geliebte „û f der heide “ (I, 1) anwesend ist. Dieses ist der Fall, doch das wird erst im Abgesang explizit geschildert.

Der Gesang löst bei dem Liebenden eine starke Gefühlsbewegung aus, er wird von ihm in einen rauschhaften Zustand versetzt. Der rauschhafte Zustand, in dem der Liebende sich nun befindet, wird insbesondere im vierten Vers ausgedrückt, wo es heißt der Liebende sei von dem Gesang „ fröiden r î ch und an tr û ren kranc “ (I, 4). Dies ist eine in der Übersetzung etwas schwierigere Stelle dieser Strophe. Sie kann zum einen als Gegensatz übersetzt werden, es hieße dann, der Liebende sei vom Gesang „an Freude reich und vor Trauer krank“. Diese Über- setzung wird zwar in der Forschung von einigen Literaturwissenschaftlern vertreten17, doch die meisten haben sie verworfen und auch ich halte es für sinnvoll, diese Stelle als Tautologie zu übersetzen. In einer solchen tautologischen Übersetzung würde es heißen, dass der Liebende durch den Gesang „an Freude reich und an Trauer arm“ würde. Dieser doppelte, variierte Ausdruck der Hebung der Stimmung des Liebenden lässt es meiner Meinung nach sehr wohl zu, von einem rauschhaften Zustand zu sprechen, in dem der Liebende sich befindet.18

Sehr aufmerksam finde ich die Anmerkung Schröders zu diesem Vers: Er bemerkt, dass Morungen hier die Wendung mit Absicht doppeldeutig, also sowohl gegensätzlich als auch tautologisch, verwendet haben könne.19 Auch ich halte einen doppeldeutigen Gebrauch der Wendung für durchaus möglich. Denn warum sollte man einem Dichter, der in der Lage ist, formal solch künstlerischen Lieder zu entwerfen, nicht zutrauen, auch mit semantischen Doppeldeutigkeiten zu spielen? Trotzdem favorisiere ich die tautologische Übersetzung und Deutung, da sie sich meiner Ansicht nach am besten in den Bedeutungskontext dieser Strophe als auch des ganzen Liedes einbettet.

Bisher ist in der Strophe noch nicht ausdrücklich davon gesprochen worden, dass der Liebende auf die Geliebte trifft. Die Begegnung mit ihr wird erst im Abgesang thematisiert. Sie wird durch den Liebenden als diejenige „ N â ch der m î n ged á nc s ê’ re r á nc ù nde swanc “ (I, 5) vor- gestellt . Die ausführliche Umschreibung der Geliebten betont, welch große Bedeutung sie für den Liebenden hat, welche herausragende Rolle sie in seiner Welt innehat. Die Wendung kann übersetzt werden mit „um die meine Gedanken immerzu kreisten“ bzw. mit „um die meine Ge- danken rankten und nach der sie ausschwangen“20. In jedem Fall wird die Geliebte als Mittel- punkt der Gedanken des Liebenden dargestellt, sie ist also das Wichtigste in seinem Leben.

Als der Liebende die Geliebte beim Singen und Tanzen erblickt („ die vant ich ze tanze, d â sie sanc “ (I, 6)), wird sein rauschhafter Zustand des Glücks noch mehr verstärkt: Nun ist er vollends „â ne leide “ (I, 7) und kann die Gegenwart der Geliebten genießen, indem er an dem Tanz teilnimmt. Zu bemerken ist, dass dieser Rauschzustand des Liebenden sich nur auf ihn selbst bezieht und nicht in irgendeiner Form störend nach außen -z.B. auf die Geliebte, die Gesellschaft oder das Handeln des Liebenden - wirkt. Er ist lediglich Ausdruck des ins unermessliche gesteigerten Glücksgefühls des Liebenden. Nicht umsonst spricht Dronke21 von dieser Strophe als „unschuldig-heitere Idylle“22, ebenso ist der Rauschzustand des Liebenden: „unschuldig-heiter“.

Ebenfalls nach Dronke findet sich im Abgesang eine „Parallelbewegung zwischen [...] Gedanken und dem Tanz“23 des Liebenden: So wie seine Gedanken um die Geliebte kreisen, so kreist er auch (höchstwahrscheinlich) wirklich um sie, während er mit ihr tanzt. Diesen Hinweis finde ich insofern sehr interessant, als dass einerseits durch ihn betont wird, wie leicht es für den Liebenden ist, der Geliebten nicht nur in Gedanken, sondern auch in Wirklichkeit zu begegnen. Das ist ein für die Hohe Minne ganz und gar untypisches Motiv. Ferner kann dieses Motiv auch umgekehrt gedeutet werden, denn beim Tanzen kreist auch die Geliebte um den Liebenden.

[...]


1 Schweikle, Günther: Minnesang. 2. Korrigierte Auflage. Stuttgart, Weimar 1995. (Sammlung Metzler, Bd. 244). S. 218. Im Folgenden: Schweikle: Minnesang.

2 Vgl. Schweikle: Minnesang. S. 80 - 84.

3 Schweikle: Minnesang. S. 169 - 181.

4 Vgl. Schweikle: Minnesang. S. 87.

5 Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Begründet von Wolfgang Stammler, fortgeführt von Karl Langosch. 2., völlig neu bearb. Aufl. unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter. Hrsg.: Kurt Ruh zusammen mit Gundolf Keil. Berlin, New York 1981. Im Folgenden: Verfasserlexikon.

6 Wapnewski, Peter: Waz ist minne. Studien zur mittelhochdeutschen Lyrik. 2. unveränderte Auflage. München 1979. (Beck’sche Reihe, Bd. 95). Im Folgenden: Wapnewski.

7 Schröder, Franz Rolf: Heinrich von Morungen 139,19 (Ich hôrte ûf der heide / lûte stimme und süezen klanc ...). In: GRM 46 (1965). S. 113 - 118. Im Folgenden: Schröder.

8 In der Forschung sind Überlegungen zur Umstellung der Strophen angestellt worden. Von diesen hat man jedoch inzwischen Abstand genommen. (Vgl. Schröder. S. 114.)

9 Dronke, Peter: Die Lyrik des Mittelalters. Eine Einführung. Aus dem Englischen übertragen von P. Hasler. München 1973. S. 141-143. Im Folgenden: Dronke.

10 Heinrich von Morungen: Lieder. Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch. Text, Übersetzung, Kommentar von Helmut Tervooren. Verbesserte und bibliographisch erneuerte Ausgabe. Stuttgart 1992. Lied XXIII: Ich h ô rte û f der heide. S. 108. Die kursiv gesetzten Zitate beziehen sich im Folgenden immer auf diese Stelle in dieser Ausgabe. Römische Ziffern bezeichnen die Strophe, die arabischen Ziffern geben den Vers in der jeweiligen Strophe an.

11 Vgl. hierzu: Schweiger, Valentin: Textkritische und chronologische Studien zu den Liedern Heinrichs von Morungen. Freiburg 1970. Diss.

12 Dronke. S. 143.

13 Ernst von Reusner: Hebt die Vollendung der Minnesangskunst die Möglichkeit von Minnesang auf? Zu Morungen „Ich hôrte ûf der heide“ (MF XXIII; 139, 19) und „Mir ist geschehen als einem kindelîn (MF XXXII; 145, 1). In: DVjs 59 (1985). S. 141-143. Im Folgenden: von Reusner.

14 Dronke. S. 142

15 von Reusner. S. 574.

16 Vgl. hierzu Schröder. S. 114.

17 Vgl. z.B. Dronke. S. 142.

18 (Man beachte hierbei auch, dass es sich um die Hebung der Stimmung handelt - heutzutage bezeichnet man einen durch Drogenkonsum berauschten Menschen als high.)

19 Schröder. S. 117.

20 Diese wörtliche Übersetzung klingt zwar sehr steif und ungebräuchlich, aber sie macht am besten deutlich, was in diesem Vers ausgedrückt werden soll.

21 Dronke. S. 142.

22 Ebd.

23 Ebd.

Excerpt out of 19 pages

Details

Title
Heinrich von Morungen: Ich hôrte ûf der heide
College
RWTH Aachen University
Grade
2,0
Author
Year
2000
Pages
19
Catalog Number
V33090
ISBN (eBook)
9783638336567
File size
435 KB
Language
German
Keywords
Heinrich, Morungen
Quote paper
M.A. Marga Marczyk (Author), 2000, Heinrich von Morungen: Ich hôrte ûf der heide, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33090

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