Anerkennung ohne Vorbedingungen. Schwierigkeiten und Chancen an ausgewählten beruflichen Schulen in Baden-Württemberg


Thèse de Master, 2016

60 Pages, Note: 2,0


Extrait


Danke, an Herrn Prof. Dr. Müller-Commichau, dass Sie

mich an das Thema gebracht haben. In der Auseinandersetzung wird nun deutlich:

„Die Vielfalt und Bedeutung sind nahezu unergründlich.“

1. Einleitung

Anerkennung, so ist zu vermuten, ist uns Menschen als Begriff bekannt, mit einer Bedeutung behaftet und in irgendeiner Form und Ausprägung im Laufe des bisherigen Lebens auch begegnet. Anerkennung kann viele Formen annehmen, wie das Anerkennen von formeller Bildung, von Staaten oder von Status. Aber auch die rein materielle Anerkennung ist möglich und natürlich die Anerkennung als Subjekt. Dies sind nur einige von vielen möglichen Bedeutungen rund um den Anerkennungsbegriff.

Der Wunsch nach Anerkennung begleitet uns ein Leben lang. Wird sie uns zuteil, bringt uns das weiter, wird sie uns vorenthalten, so kann sich das negativ auf unser Selbst auswirken. Wie viel Anerkennung wir erfahren, prägt also unser Leben. Anerkennung wahrzunehmen bedeutet Grundlage für eine positive Entwicklung des Selbst. Im Gegenzug nimmt fehlende Anerkennung Einfluss auf das Selbstwertgefühl und kann somit zu einer negativen Entwicklung beitragen.

Doch nicht nur für das Individuum ist Anerkennung bedeutsam. Anerkennung in sozialen Bezügen prägte und prägt die Menschheitsgeschichte weit darüber hinaus. Deutlich wird dies mit der Aussage von Müller-Commichau:

„Der Frankfurter Sozialphilosoph Axel Honneth vertritt in Anlehnung an Georg Friedrich Hegel die These, dass die meisten Kriege und gewalttätigen Auseinandersetzungen nur vordergründig dem Wunsch nach Landgewinnung oder nach religiös-politischer Dominanz galten, in Wahrheit aber darauf abzielten, dort Anerkennung zu erfahren, wo sie bislang versagt wurde.“ (Müller-Commichau 2014, S.19)

In der aktuellen Diskussion über der Gestaltung von Arbeitsbeziehungen und im pädagogischen Handeln sowohl in der Berufsausbildung als auch Weiterbildung bekommt der Begriff zunehmend Bedeutung. Alle Facetten der Bedeutung des Anerkennungsbegriffes sind enthalten. Der Themenkreis um den Begriff Anerkennung schließt oftmals Begriffe wie Wertschätzung, Lob, Belohnung und Kritik mit ein.

Der emotional geprägte Begriff erfährt die unterschiedlichsten Interpretationen und Wahrnehmungen. Es fällt schwer, die Bedeutung zu verallgemeinern und eindeutig einzugrenzen.

Eine weitere Besonderheit ergibt sich durch die Wechselseitigkeit mit allen emotionalen Facetten zwischen Anerkennungsnehmer und Anerkennungsgeber. Diese Wechselseitigkeit zieht sich, in unterschiedlichen Bezügen, als bedeutsamer Punkt durch die gesamte Arbeit.

Dieser Arbeit liegt der pädagogische Gehalt der Beziehungsgestaltung durch Anerkennung zugrunde. Anerkennung gehört in der pädagogischen Arbeit zu den zentralen Elementen, wenn Bildung erfolgreich gelingen soll. Diese Aussage findet vermutlich keine Widerrede, weder bei den Lehrenden noch bei den „Belehrten“.

Dennoch drängt sich der Eindruck auf, dass Anerkennung im alltäglichen Unterrichtsalltag eine eher untergeordnete Rolle spielt. Die Bedeutung und die Wichtigkeit sind den Beteiligten wohl bekannt. Wie aber sieht es mit der Umsetzung im alltäglichen Unterrichtsalltag aus?

Worin liegt nun die Verlockung, die Besonderheit des Umgangs mit dem Begriff und der Anerkennung als solcher?

Der Anreiz liegt für mich liegt darin, einerseits die vorbehaltlose Anerkennung als enorm bedeutsam für jede Entwicklung zu werten und zu erläutern. Andererseits möchte ich die alltäglichen kleinen und großen Unzulänglichkeiten in meiner eigenen Praxis als Anerkennung Gebender und Anerkennung Nehmender wahrnehmen und mich mit diesen auseinandersetzen.

1.1 Zielsetzung und Problemstellung der Arbeit

In dieser Arbeit geht es darum, die vermutete Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit exemplarisch am Beispiel von Schülerinnen und Schülern und den Lehrenden an vier Berufsschulen in Baden-Württemberg aufzuzeigen. Aus der Ergebnisanalyse können in einem nächsten Schritt mögliche Empfehlungen für weitere Forschung oder pädagogisches Handeln abgeleitet werden.

Die Besonderheit dieser Arbeit ist, Anerkennung nicht nur als Begriff zu definieren, diesen einzuordnen und in seiner Bedeutung darzustellen, sondern den Begriff in Bezug zu Vorbedingungen für Anerkennung zu stellen. Der wissenschaftliche Beitrag soll sein, diese Zusammenhänge beispielhaft empirisch zu untersuchen und die Ergebnisse zu bewerten.

Dabei wird untersucht, ob die Schülerinnen und Schüler wahrnehmen, dass sie eben diese Vorbedingungen in Form von erbrachten Leistungen erfüllen müssen, um Anerkennung zu erhalten.

Weiterhin wird untersucht, ob die Aktivität des „Anerkennung Gebens“ und „Anerkennung Nehmens“ bei den untersuchten Gruppen auf Schwierigkeiten oder Hemmnisse stößt.

Auf Basis der Ergebnisse lassen sich mögliche Konsequenzen für Verhalten der Schülerinnen und Schüler und der Lehrenden herleiten.

Die Erhebung der Daten erfolgte dabei ohne Berücksichtigung weiterer möglicher Determinanten wie Vorbildung, Alter und Geschlecht. Die Notwendigkeit einer Differenzierung in der dieser Arbeit zugrundeliegenden Datenerhebung stellt sich zunächst nicht. Möglicherweise finden sich an dieser Stelle jedoch Anknüpfungspunkte zu weiteren Forschungen.

Zu berücksichtigen ist, dass die Daten in Berufsschulen erhoben werden. Der Zeitbedarf, um die Daten in den jeweiligen Klassen zu erheben, musste niedrig sein. Notwendig ist ein kleiner Umfang an Fragen und eine möglichst einfache inhaltliche Gestaltung. Damit soll die Akzeptanz der Umfrage sowohl auf der Seite der Lehrenden als auch der Schülerinnen und Schüler erhöht werden. Dazu muss bemerkt werden, dass aktuell an den Berufsschulen in Baden-Württemberg ein regelrechter „Umfragemarathon“ seitens der Behörden stattfindet. Um trotzdem die Umfragen durchführen zu können (dürfen), muss diesem Umstand Rechnung getragen werden.

Der Begriff Anerkennung soll im theoretischen Teil vorab in seiner vielschichtigen Bedeutung in einem Überblick erfasst werden.

Die Vielfalt rund um den begrifflichen Themenkreis der Anerkennung und die Vielfalt möglicher Untersuchungsdesigns machen allerdings eine Eingrenzung notwendig, um im Umfang und Rahmen einer Masterarbeit zu bleiben.

In der Hinführung zum Begriff der Anerkennung bietet der theoretische Teil der Arbeit zunächst einen didaktisch qualitativ reduzierten Überblick zum Begriff.

Im Anschluss wird die Theorie im spezifischen Bezug der Bedeutung und Wirkung von Anerkennung unter Einbezug der Rollen der beteiligten Subjekte erläutert.

Dabei ergeben sich einige Fragen, sicher auch einige kontroverse Sichtweisen sowie zu weiterer Diskussion verleitende Aspekte. Es ergeben sich auch zahlreiche Ansätze, welche Gelegenheit zur Selbstreflexion des Lesers bieten. Dies ist im Hinblick auf den subjektiven Charakter des Begriffes durchaus so gewollt. Des Weiteren werden mögliche Lösungen aus den aufgezeigten Dilemmata und Fragestellungen diskutiert.

In den einzelnen theoretischen Kapiteln sollen Brücken zwischen der theoretischen Erläuterung und Empfehlungen zur Gestaltung pädagogischen Handels geschlagen werden. Es wird versucht, Paradigmen abzuleiten, welche einer Anerkennungskultur in der Pädagogik nützlich sein könnten.

Die enorme Vielfalt von Deutungsmöglichkeiten im Themenkreis und die komplexen Beziehungen untereinander machen eine didaktische Eingrenzung notwendig. Die Vollständigkeit ist keineswegs beabsichtigt. Habermas (1964) erläutert, zwar in anderen Bezügen, jedoch sehr treffend:

„Die Argumentation zeichnet sich vor der bloßen Deduktion dadurch aus, daß sie die Prinzipien, nach denen sie verfährt, stets mit zur Diskussion stellt. {...) Das ist die Dimension umfassender Rationalität, die, einer Letztbegründung unfähig, sich gleichwohl in einem Zirkel der reflexiven Selbstrechtfertigung entfaltet.“ (Habermas 1964, S.63)

Es werden Bezüge zur allgemeinen Pädagogik hergestellt, aus diesen heraus gerät dann die Erwachsenenpädagogik in die Betrachtung.

1.2 Aufbau und Methodik

Der theoretische Teil ist didaktisch spiralförmig aufgebaut. Nicht jedes Kapitel bringt ausschließlich neue Erkenntnisse. Das Themenfeld wird immer wieder aufgegriffen und in neuen Zusammenhängen betrachtet. Einige Mehrfachnennungen sind dabei gewollt und der Bedeutung angemessen. Am Ende eines jeden theoretischen Kapitels steht eine Zusammenfassung der jeweiligen Kernaussagen.

Die Wortgeschichte wird zu Anfang in einem Überblick so weit skizziert, wie sie zum weiteren theoretischen Verständnis des Begriffes dienlich ist. Grundlage bilden unter anderem die Erkenntnisse von Fichte, Hegel, Honneth, Sieb, Taylor und Wild.

Im Folgenden wird der theoretische Hintergrund zum Themenkreis auf der Basis des aktuellen Forschungsstandes erläutert. Die für diese Arbeit ausgewählte und zugrunde gelegte Definition wird beschrieben und Bedeutung und Wirkung der Anerkennung in Bezug zur Erwachsenenbildung anhand ausgewählter Modelle näher diskutiert.

Der Faktor Mensch, speziell die Rollen von Lehrenden und Teilnehmerinnen und Teilnehmern, wird im weiteren Verlauf diskutiert und in seiner Bedeutung zu Anerkennung und Wertschätzung eingeordnet.

Im empirischen Teil wird Anerkennung in Zusammenhang mit der Vorbedingung Leistung untersucht. Dabei wird sowohl die Sicht der Lehrenden als auch die der Teilnehmenden betrachtet. In einer zweiten Fragestellung werden mögliche Schwierigkeiten/Hemmnisse in Kontext von Anerkennung geben und Anerkennung nehmen erfasst. Die Ergebnisse werden dargestellt, analysiert und mögliche Empfehlungen abgeleitet.

Die Untersuchung fand in Stichproben an vier ausgewählten Berufsfachschulen in Baden-Württemberg statt. Es wurden Schülerinnen und Schüler sowie Lehrende befragt. Die Auswahl an Berufsfachschulen deckt kaufmännische, technische und soziale Berufe gleichermaßen ab. Die Auswahl der Klassen wurde nach den Kriterien der Verfügbarkeit sowie der Inanspruchnahme durch schulische Erfordernisse, wie Klassenarbeiten, durch die jeweiligen Rektoren vorgenommen. Berücksichtigt wurde in allen Fällen die Anforderung des Untersuchungsdesigns nach einem Mindestalter der Teilnehmenden von 18 Jahren sowie Klassen in der beruflichen Aus- oder Weiterbildung.

Die Datenerhebung erfolgte größtenteils mit einem internetbasierten Online-Fragebogen, welcher von den Untersuchungsteilnehmenden im Webbrowser ausgefüllt wird. Umfrageteilnehmende, welche zum Zeitpunkt der Befragung keinen Internetzugang hatten, konnten die Fragen auch in Papierform beantworten. Diese Daten wurden abschließend manuell zu den digital erfassten hinzugefügt.

Im Sprachgebrauch der Fragebögen werden Schülerinnen und Schüler als Teilnehmerinnen bzw. Teilnehmer bezeichnet. Gemeint sind erwachsene Menschen im formellen Bildungsprozess.

Die Antworten werden über Items mit einer 6-stufigen Likert-Skala operationalisiert und der Ergebnisdarstellung mit anschließender Diskussion zugeführt.

Die Stichprobe hat keinen Anspruch auf Repräsentativität für alle Berufsfachschulen in Baden-Württemberg. Dies ist Umfang und Art der Arbeit geschuldet. Das gewählte Design ist jedoch geeignet, die gestellten Hypothesen zu prüfen. Prinzipiell ist das Untersuchungsdesign auch in einem deutlich größeren Umfang anwendbar.

2. Theoretischer Teil

2.1 Der Begriff der Anerkennung

Der Mensch benutzt nicht selten unterschiedliche Begriffe, um sich über dieselben Dinge auszutauschen.

Es ist allerdings auch nicht ungewöhnlich, sich mit denselben Begriffen über unterschiedliche Sachverhalte auszutauschen. Anerkennung ist so ein Begriff, welcher im alltäglichen Sprachgebrauch mit vielen verschiedenen Bedeutungen behaftet in Verwendung ist.

Das nebulöse in der Wortbedeutung wird vollständig, wenn die Wechselseitigkeit, welche dem Begriff zugrunde liegt, mit einbezogen wird. So muss der „Anerkannte“ den „Anerkennungsgeber“ anerkennen, damit die Anerkennung auch als Anerkennung gültig ist. Anerkennung ist also keine „Einbahnstraße“, sondern nur wirksam, wenn sie gegenseitig vollzogen wird.

Dies soll allerdings, speziell vor dem pädagogischen Hintergrund dieser Arbeit, nicht ausschließen, dass Anerkennung einseitig erbracht werden kann, vielleicht sogar muss, auch wenn der andere diese nicht als solches wahrnimmt und /oder anerkennen möchte.

Im alltagssprachlichen Gebrauch unterscheidet man häufig nicht zwischen den verschiedenen möglichen Bedeutungen. So werden „anerkennen“, „würdigen“, „wertschätzen“ oder „respektieren“ oftmals als synonyme Begriffe benutzt. Im Themenkreis rund um den Anerkennungsbegriff sind auch Begriffe wie „Lob“, „Belohnung“ und „Kritik“ in Verwendung.

Was die Bedeutung in normativen Bezügen angeht, so setzt man voraus, dass Menschen Anerkennung benötigen, um eine positive Entwicklung zu nehmen. Fehlt die Anerkennung, entwickelt sich mit der Zeit das Gefühl der Minderwertigkeit.

Anerkennung als Begriff ist zunächst nicht genau definiert, sondern beschreibt die Alltagphänomene zwischenmenschlicher sozialer Interaktionen (Frischmann 2009, S. 146).

Das Wissen um Anerkennung und deren Bedeutung ragt dabei weit in die Geschichte der menschlichen Entwicklung zurück.

Eine Übersicht über das weit verzweigte Netz des Wissens und der Erkenntnis zu dem philosophisch sehr bedeutsamen Begriff der Anerkennung soll zunächst in einem Überblick in der geschichtlichen Entwicklung betrachtet werden. Der kurze Exkurs soll Hintergründe der Entwicklung des Begriffes aufzeigen und Parallelen für die weitere Betrachtung erkenntlich machen.

Die eine oder andere Erkenntnis, welche insbesondere in Zusammenhang mit dem normativen Gehalt des Begriffes aus unterschiedlichen Perspektiven zu gewinnen ist, wird ebenfalls im Verlauf dieser Arbeit dargestellt.

2.1.1 Wortgeschichte der Anerkennung

Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes liegt vermutlich in der Akzeptanz von Funktionen und/oder einer sozialen Zugehörigkeit.

Der Bogen ließe sich an dieser Stelle noch weiter spannen, wenn die Begriffe „bekannt sein“ und „gelten als ...“ mit betrachtet würden, was allerdings Rahmen und Umfang dieser Arbeit übersteigen würde, weshalb dies nicht weiter verfolgt wird.

Der Begriff ist also zunächst, zumindest im umgangssprachlichen Gebrauch, neutral besetzt und meint die gegenseitige Anerkennung in festgelegten Rechtsbezügen als Bedingung für soziales Zusammenleben in Gesellschaften. Eine begriffliche Mehrdeutigkeit ist dabei nicht erkennbar.

Die moralische Besetzung des Begriffes und damit verbunden ein normatives Begriffsverständnis entstand erst im weiteren Verlauf der Geschichte (Frischmann 2009, S.147-149).

Kant (1797) spricht in Zusammenhang in dem Werk Metaphysik der Sitten (vgl. Kant 1797; 1997) von der moralischen Achtung für Menschen. In den vorhergehenden Werken bezieht auch er die Achtung des Gesetzes ein. Er benutzt dabei allerdings den Anerkennungsbegriff nicht explizit, er gebraucht das Synonym der „Achtung“.

Im deutschen Sprachgebrauch findet der Begriff der Anerkennung in normativen Bezügen Erwähnung bei dem Philosophen Fichte. Fichte erläutert in der Jenaer Rechtsphilosophie (vgl. Fichte 1798) das wechselseitige Verhältnis selbstbewusster Individuen, welche, um des Anderen willen, ihre eigenen Handlungsfreiheiten begrenzen. Er erläutert, dass die, zumindest gelegentliche, Anerkennung Grundlage ist, sich als Individuum bewusst zu sein. Dabei setzt er den Schwerpunkt seiner Betrachtung auf die wechselseitige moralische Achtung des Anderen.

Frischmann (2009) unterteilt die Entwicklung des philosophischen Konzeptes der Anerkennung in zwei Etappen.

In der ersten Etappe geht sie von Hobbes und Locke zu Kant und Rousseau, welche die theoretischen Voraussetzungen einer Philosophie geschaffen haben (Frischmann 2009, S.148).

Der Philosoph Rosseau (1712-1778) lokalisiert das Streben nach Anerkennung im innersten der menschlichen Natur. Im Fokus lag ein bürgerlicher, demokratischer liberaler Rechtsstaat mit vernünftigen Menschen in Freiheit und Autonomie.

Dieses Konzept mündet schließlich in die Konzeptionen des Anerkennungsbegriffes von Fichte und Hegel. „Wir finden hier zwei miteinander verbundene Ebenen für die Reichweite von Anerkennung: die Ebene der Subjektkonstitution (Personalität) und die Ebene sozialer Institutionen (Recht, Sittlichkeit, Staat)“. (Frischmann 2009, S.148)

Fichtes Konzept basiert auf den grundsätzlichen Annahmen, dass an sich keine Rechte auf Anerkennung bestehen. Stattdessen gibt es wechselseitige Vereinbarungen der in Beziehung stehenden Personen. Er erwähnt bereits die Bedeutung für die Entwicklung des Selbst, er nennt dies die Personalität.

Gemäß seiner Annahmen bezeichnet er die handelnden Personen als endliche Vernunftwesen, wobei er Vernunft mit den Attributen Selbstbestimmung, Selbstbewusstsein und Selbsttätigkeit belegt (vgl. Fichte 1798).

Fichte bleibt jedoch im Wesentlichen begrenzt auf Rechtsverhältnisse und die wechselseitige moralische Achtung des Anderen. Im Anschluss hat Hegel, in seinen Jenaer Schriften, den Bezug des Anerkennungsbegriffes erweitert. Er stellt einerseits dar, dass Anerkennung für eine sich über Stufen vollziehende Entwicklung des individuellen Bewusstseins notwendige Voraussetzung ist. Anderseits bezieht er die von Fichte alleine auf das Individuum bezogene Anerkennung in sozialen Gemeinschaftsformen mit ein (vgl. Hegel 1986; Siep 1979).

Die zweite Etappe findet, laut Frischmann (2009), gegen Ende des 20. Jahrhunderts ihren Anfang.

Hier findet sich einerseits, etwa in der Aufarbeitung und Entwicklung von Sieb, Wild und Honneth, das klassische Konzept von Anerkennung, wie Fichte und Hegel es beschreiben, wieder (vgl. Siep 1979; Wildt 1982; Honneth 1994). Andererseits wird der

Begriff der Anerkennung von unterschiedlichen sozialen Gruppierungen genutzt, um deren politischen und/oder sozialen Zielen Ausdruck zu verleihen (Frischmann 2009, S.148-149).

Der kanadische Philosoph Taylor (2009) beschreibt Anerkennung als wesentliches Element einer individualisierten Identität. Unter dem Eindruck der für traditionelle Gesellschaften bedeutungsarmen ständischen sozialen Einordnung, herrscht das Bedürfnis nach erlebter individueller Anerkennung (Taylor 2009, S. 15ff). Taylor bedient sich zwar der sozialphilosophischen Theorien von Axel Honneth, sucht aber nach einer Verbindung zur modernen Gesellschaft und einer Verbindung zu den Ausführungen der Diskursethik von Habermas (vgl. Taylor 2009; Habermas 1983).

Dieser Exkurs in die Wortgeschichte des Begriffes Anerkennung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Er soll lediglich einen groben Ein- und Überblick in die sozialphilosophische Entwicklung bieten.

Zusammenfassend lässt sich die vorangegangene Betrachtung wie folgt darstellen:

- Allen philosophischen Darlegungen liegt der Begrifflichkeit die wechselseitige Beziehung zugrunde. Ob dies zu Anfang der rechtliche und soziale Bezugsrahmen war oder, im späteren Verlauf dazukommend, die normativen Bedeutungsbezüge.
- Diese wechselseitige Beeinflussung der Interaktion ist einerseits Chance, insbesondere in den Bereichen der Pädagogik und der Personalentwicklung, gleichzeitig aber auch Problem- und Risikofaktor.

Wenden wir uns am Ende dieses Kapitels der Gegenwart und damit dem heutigen Wortverständnis zu. Im aktuellen deutschen Duden finden sich drei Bedeutungen wieder:

An I er I kennung

- gutheißen, billigen, akzeptieren und einer Sache zustimmen
- würdigen, loben, respektieren und achten
- etwas öffentlich zu bestätigen, für gültig zu erklären bzw. zu legimitieren (Duden, Stichwort Anerkennung, 2016).

2.1.2 Definitionen

Mit den Erläuterungen zur Wortgeschichte wurde bereits deutlich, welche Vielfalt dem Begriff zugrunde liegt.

Jedoch nicht nur in der Geschichte der Wortbedeutung sind zahlreiche Facetten rund um den Begriff der Anerkennung ersichtlich. Auch in Bezug auf eine einheitliche Definition ist es nicht möglich, die eine, allgemein gültige, zu finden. Zu unterschiedlich sind die Bedeutungen und mögliche Auslegungen. Die vieldeutige Verwendung ist individuell wahrnehmungsgebunden. Selbst wenn man in einer Bedeutungslinie bleibt, ist differenzierende Betrachtung denkbar. Die Konnotation wird besonders deutlich in den normativen Bezügen im Themenkreis. Um eine gewisse Plausibilität im Rahmen dieser Arbeit zu erzielen, erscheint es daher sinnvoll und notwendig, die dieser Arbeit zugrunde gelegten Definitionen aufzuzeigen und näher zu erläutern.

Die in diesem Kapitel vorgestellten Definitionen und Erläuterungen sollen die Begriffe in Kontext zu dieser Arbeit klarstellen.

Im Vordergrund der Betrachtung des Anerkennungsbegriffes steht dabei seine normative Bedeutung in erziehungswissenschaftlichem Kontext. Dabei wird die handlungspraktische Ebene professioneller pädagogischer Beziehungen mit berücksichtigt.

Verwendete Begriffe im Themenkreis sind:

- Anerkennung
- Wertschätzung
- Lob
- Kritik (im Verlauf auch als Feedback bezeichnet)

Sicher ist es möglich, die Begriffe Wertschätzung und Anerkennung differenziert zu interpretieren.

So wird dem Begriff der Wertschätzung eher die Haltung eines Menschen zu anderen Menschen zugeordnet werden. Haltung wäre demnach also mehr als die bloße Anerkennung. Im pädagogischen Kontext könnte damit eine auf Fürsorge und Hilfsbereitschaft gestützte sittliche Grundhaltung bezeichnet werden.

Dem Begriff der Anerkennung kommt eher der Ausdruck der direkten Ausgestaltung von Beziehungen zu. Eine Art diskursives Bewusstsein, welches ein Stufenmodell des Handelns postuliert. Kritik und Lob können als dessen mögliche sprachliche Ausdrucksform verstanden werden.

Die Vermischung der Begriffe Wertschätzung und Anerkennung, im alltagsprachlichen Gebrauch, ist jedoch offensichtlich. Diese Vermischung lässt sich auch auf pädagogisches Handeln übertragen. Auch hier werden die Begriffe aus dem Themenkreis bunt gemischt zur Anwendung gebracht.

In Ermangelung einer allgemein gültigen präzisen Abgrenzung werden beide Begriffe häufig synonym verwand. Darüber hinaus gibt es auch in der zu diesem Thema betrachteten wissenschaftlichen Literatur durchaus unterschiedliche Angaben und zahlreiche Anzeichen für eine Vermischung der Begriffe.

Diesem Sachverhalt soll nun dergestalt Rechnung getragen werden, dass im Rahmen dieser Arbeit darauf verzichtet wird, die Begriffe Anerkennung und Wertschätzung explizit voneinander abzugrenzen.

Wissend um eine gewisse „Unschärfe“ erscheint die Verschmelzung der Begriffe für die zu untersuchenden Sachverhalte zweckdienlich.

Außerdem ist die genaue und vor allem einheitliche begriffliche Differenzierung bei den im empirischen Teil Befragten nicht zu vermuten.

In direktem Zusammenhang mit Anerkennung und Wertschätzung sind auch die Begriffe „Lob“ und „Kritik“ zu benennen.

Lob mit der Bedeutung einer anerkennenden, positiven Rückmeldung lässt sich von Wertschätzung als Haltung vermutlich abgrenzen. Jedoch bleibt auch in diesem Falle eine alltagssprachliche Vermischung im Sinne einer zumindest annähernden Gleichbedeutung der verwendeten Begriffe „loben“, „anerkennen“ und „wertschätzen“.

Anerkennung, Lob und Wertschätzung sollen deshalb in dieser Arbeit in ihrer Bedeutung ebenfalls nicht näher differenziert, sondern als bedeutungsähnlich benutzt werden.

Wenn von Anerkennung gesprochen wird, so bleibt es nicht aus, auch eine andere Form der Rückmeldung, den Begriff der Kritik, zu betrachten. Kritik ist als Ausdrucksform in den Themenkreis der Anerkennung integriert, wird jedoch nicht als Synonym gebraucht. Die Bedeutung der Kritik in Zusammenhang mit Anerkennung und Wertschätzung wird deshalb separat dargestellt.

Kritik kann in zwei unterschiedlichen Formen erbracht werden.

Zum einen als „destruktive“ Kritik, welche in ihrer Auswirkung der „Nicht-Anerkennung“ ,im Extrem und bei stetiger Wiederholung sogar der Demütigung nahekommt. Die abgeschwächte Variante der „destruktiven Kritik“ ist eine Rückmeldung darüber zu geben, wie etwas nicht sein soll. Die Erkenntnis einzig darüber, was nicht sein soll, ist allerdings keine gute Grundlage für eine Entwicklung im positiven Sinne.

Die andere Form, die der „konstruktiven“ Kritik, ist Ausdruck einer positiven Anerkennung und dient somit als Basis für eine positive Entwicklung. Zentraler Gegenstand einer konstruktiven Kritik ist es, Verbesserungs- und Entwicklungspotentiale für den anderen aufzuzeigen.

Im vorhergehenden Kapitel wurden die Sichtweisen bedeutender Philosophen dargestellt. Auf dieser Grundlage entstanden in der wissenschaftlichen Welt rege Diskussionen und zahlreiche Definitionen des Anerkennungsbegriffes. Im Verlauf soll beispielhaft eine Definition und Sichtweise aufgezeigt werden, welche für die Betrachtung aus (erwachsenen-) pädagogischer Sicht dienlich sein könnte. Bezogen zum einen auf Interaktion zwischen Individuen in professionellen Bezügen, zum anderen als Determinante einer Entwicklung des Selbst. Eine Komponente, welche zwar bereits in der Kindheit beginnt, jedoch auch zeitlebens in der menschlichen Entwicklung Bestand hat.

„ Anerkennung meint eine durch emotionale wie soziale Wertschätzung geprägte Haltung zwischen mindestens zwei miteinander kommunizierenden Individuen. Die in dieser Haltung ausgedrückte Bejahung des jeweils anderen erfährt ein Mehr an Glaubwürdigkeit, wenn sie von einem entsprechenden Handeln begleitet wird. Dabei begreife ich auch das Sprechen als Handeln.“ (Müller-Commichau 2014, S.19)

Mit beeindruckender Klarheit definiert Müller-Commichau und bezieht dabei alle wesentlichen Elemente einer wünschenswerten pädagogischen Anerkennungskultur mit ein. Er gibt der Anerkennung einen beziehungsstiftenden Gehalt, geprägt durch die Zuwendung zum Anderen. Er bezeichnet jede mögliche Art der Reaktion als eine mögliche Form der Anerkennung, sofern diese vom Anerkennungsnehmer wahrgenommen wird. Eine besondere Bedeutung misst er der Haltung bei, welche die Glaubwürdigkeit der erbrachten Anerkennung wesentlich beeinflusst. In diesem Sinne stehen Wertschätzung und Anerkennung als generelle Achtung und Respekt gegenüber anderen.

Besonders zu beachten ist: außer der wechselseitigen Wahrnehmung sind keine weiteren Bedingungen erwähnt. Seine Definition des Anerkennungsbegriffes stellt also keinerlei Bedingungen an den Status der Handelnden oder an vorab erbrachte Leistungen jedweder Art. Sie soll vorbehaltlos zur Anwendung kommen. (Müller-Commichau 2014, S.19ff)

Diese Definition von Müller-Commichau soll als Grundlage für die weiteren theoretischen Ausführungen dienen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden:

- Die Begriffe Wertschätzung, Anerkennung, Lob und Kritik werden in einem Themenkreis zusammengefasst, gelten in einer synonymen Bedeutung und werden nicht differenziert betrachtet.
- Als gültige Definition in normativen Bezügen wird die Auffassung von Müller-Commichau (2014) angewandt. Er bezeichnet Anerkennung als eine von emotionaler Wertschätzung geprägte Haltung zwischen kommunizierenden Individuen.
- Anerkennung ist an keine Vorbedingungen geknüpft.

2.2 Bedeutung und Wirkung von Anerkennung und Kritik

Die Erziehungswissenschaftlerin Borst beschreibt Anerkennung als ein gewissermaßen natürliches Element einer sozialen Realität, welche sich wie selbstverständlich entwickelt (vgl. Borst, 2003). Elemente und Bedeutung dieser Entwicklung sollen in diesem Kapitel erläutert werden.

Anerkennung im Kontext von Wertschätzung, gemeint damit ist die im Verhalten anderen zum Ausdruck gebrachte und wahrgenommene Anerkennung, bildet einen bedeutenden Anteil in Zusammenhang mit der Entwicklung unseres Selbst. Anerkennung ist die wahrgenommene Beachtung durch die jeweils anderen, welche anerkennende, belohnende soziale Signale auf allen erdenklichen Kommunikationskanälen senden.

Unser Selbstwertgefühl, unsere Selbstachtung, sogar unser gesamtes Selbstkonzept gründen auf dem Wunsch und dem Bedürfnis, Anerkennung zu erhalten. Dies kann sich sowohl positiv, bei fehlender Anerkennung aber leider auch negativ ausdrücken.

[...]

Fin de l'extrait de 60 pages

Résumé des informations

Titre
Anerkennung ohne Vorbedingungen. Schwierigkeiten und Chancen an ausgewählten beruflichen Schulen in Baden-Württemberg
Université
University of Kaiserslautern  (Distance and Independent Studies Center)
Note
2,0
Auteur
Année
2016
Pages
60
N° de catalogue
V333829
ISBN (ebook)
9783668237087
ISBN (Livre)
9783668237094
Taille d'un fichier
792 KB
Langue
allemand
Mots clés
Anerkennung, Wertschätzung, Erwachsenenpädagogik
Citation du texte
Peter Hasselwander (Auteur), 2016, Anerkennung ohne Vorbedingungen. Schwierigkeiten und Chancen an ausgewählten beruflichen Schulen in Baden-Württemberg, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/333829

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