Der Rechtssatz vom sogenannten „Leihezwang“, der in erster Linie auf der Deutung der eingangs zitierten Paragraphen aus dem Land- und Lehnrecht des Sachsenspiegels, sowie auf der Auslegung einschlägiger Passagen aus dem Landrecht des Schwabenspiegels beruht, wurde in der rechtsgeschichtlichen Forschung weit bis in das 20. Jahrhundert hinein als wichtige Besonderheit des deutschen mittelalterlichen Reichslehnrechts betrachtet. Die in ihren Grundzügen bis auf Karl Friedrich Eichhorn zurückgehende und von Heinrich Mitteis aufgegriffene und weiterentwickelte Lehre vom Leihezwang geht von der Annahme aus, dass der deutsche König verpflichtet gewesen sei, heimgefallene Fahnlehen binnen Jahr und Tag wieder auszugeben.
Ausgehend von Mitteis Thesen herrschte lange Zeit in der älteren Forschung die Überzeugung, dass das Verbot der Einbehaltung heimgefallener Fahnlehen den Ausbau einer königlichen Zentralmacht verhindert und letztlich dazu geführt habe, dass sich in Deutschland, im Gegensatz zu den zentripetalen Entwicklungen Frankreichs oder Englands, kein Nationalstaat herausbilden konnte, sondern ein Flickenteppich mit unzähligen Territorien entstanden sei. Diese These ist mittlerweile jedoch schlüssig widerlegt worden.
Die Debatte um den „Leihezwang“ und die Interpretation der Spiegelstellen wird heute zwar noch vereinzelt Erwähnung in Handbüchern zum Lehnswesen und Lexikonartikeln erwähnt, gilt jedoch in der Forschung generell als überholt und abgeschlossen. Die vorliegende Arbeit versteht sich in diesem Sinne vor allem als Plädoyer für die Wiederaufnahme der Forschung um den Rechtssatz des sogenannten „Leihezwangs“ im Sachsenspiegel. So soll die Arbeit eine Ausgangsbasis für anschließende Forschungsvorhaben zu dem in Vergessenheit geratenen Forschungsproblem um den „Leihezwang“ in Eike von Repgows Sachsenspiegel schaffen; und klären, warum Eike von Repgow den Satz vom Leihezwang, der in der Rechtspraxis nachweislich nicht existierte, in sein Rechtsbuch aufgenommen hat.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Terminologische Überlegungen zum Begriff des „Leihezwangs“
- Der Sachsenspiegel als Rechtsbuch
- Der Verfasser des Sachsenspiegels Eike von Repgow
- Der Prozess Heinrich des Löwen und der Rechtssatz des Leihezwangs im Sachsenspiegel
- Rechtsbildung im Mittelalter und die Aufzeichnung des sächsischen Gewohnheitsrechts im Sachsenspiegel
- Textgeschichte und Überlieferung des Sachsenspiegels
- Interpretation der einschlägigen Sachsenspiegelstellen zum Leihezwang im Kontext der Forschung...
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit verfolgt das Ziel, das Forschungsproblem um den „Leihezwang“ im Sachsenspiegel wiederzubeleben und die Motive Eike von Repgows für die Aufnahme dieses Rechtssatzes in sein Rechtsbuch zu ergründen.
- Definition des Begriffs „Leihezwang“
- Eike von Repgows Kenntnis der politischen Ereignisse seiner Zeit
- Die Entstehung und Weitergabe von Recht im Mittelalter
- Die Rolle des Sachsenspiegels als Rechtsbuch
- Interpretation der relevanten Sachsenspiegelpassagen
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Einleitung führt in die Thematik des „Leihezwangs“ im Sachsenspiegel ein und erläutert die bisherige Forschungsgeschichte.
- Das Kapitel „Terminologische Überlegungen zum Begriff des „Leihezwangs““ definiert den umstrittenen Begriff des „Leihezwangs“ für den Gebrauch in der vorliegenden Arbeit.
- Das Kapitel „Der Sachsenspiegel als Rechtsbuch“ befasst sich mit der Entstehung und Funktion des Sachsenspiegels als Rechtsbuch, insbesondere im Kontext der Rechtsbildung im Mittelalter.
- Das Kapitel „Interpretation der einschlägigen Sachsenspiegelstellen zum Leihezwang im Kontext der Forschung...“ analysiert die einschlägigen Sachsenspiegelpassagen im Lichte der bisherigen Forschung.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf den Rechtssatz des „Leihezwangs“ im Sachsenspiegel, Eike von Repgow, Rechtsbildung im Mittelalter, Sachsenspiegel als Rechtsbuch, Quellenkritik und Interpretation.
- Citation du texte
- Sabrina Rutner (Auteur), 2016, Ein Plädoyer für die Wiederaufnahme der Forschung um den Rechtssatz des Leihezwangs im Sachsenspiegel, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/334695