Im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht die Untersuchung der Begründung der Beihilfestrafbarkeit von John Demjanjuk durch das Landgericht München II unter dogmatischen Gesichtspunkten. Dabei wird insbesondere die Entscheidungspraxis deutscher Strafgerichte in früheren NS-Verfahren analysiert.
Am 12. Mai 2011 wurde der 91jährige Angeklagte John Demjanjuk von der 1. Strafkammer des Landgerichts München II nach achtzehnmonatiger Hauptverhandlung unter dem Vorsitz von Ralph Alt der sechzehnfachen Beihilfe zum Mord in 28.060 Fällen im NS-Vernichtungslager Sobibor schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Unter Berücksichtigung des Alters des Angeklagten hob die Kammer den Haftbefehl gegen Demjanjuk auf, ordnete dessen Entlassung aus der zwei Jahre andauernden Untersuchungshaft an und setzte die Haftvollstreckung unmittelbar aus.
Bevor der Bundesgerichtshof über die anhängigen Revisionen des Verurteilten und der Staatsanwaltschaft entscheiden konnte, verstarb John Demjanjuk am 20. März 2012. Das Urteil erlangte somit keine Rechtskraft.
Das Urteil der 1. Strafkammer des Landgericht München II, aber auch bereits das Verfahren gegen John Demjanjuk selbst ließen sowohl in vielen Medien, als auch in Teilen der rechtswissenschaftlichen Literatur, kritische Stimmen laut werden. So wurde der Rechtsauffassung der Kammer eine „deutliche Abkehr von der früheren Spruchpraxis“ konstatiert. Die Anklage gegen Demjanjuk breche gar mit „mit allem[…] was bislang bei der Ahndung von NS-Verbrechern gegolten hat.“ Andere wiederum bewerten die Rechtsauffassung des Landgericht München keineswegs als „Paradigmenwechsel bei der Strafverfolgung des Personals in den deutschen Vernichtungslagern“ sondern sehen die Auffassung des LG München als Fortsetzung einer Spruchpraxis, die bereits in der Rechtsprechung zu den Lagern mit reinem Vernichtungszweck praktiziert worden ist.
Inhaltsverzeichnis
- A. Historischer Hintergrund
- I. Zur Person
- 1. Emigration und US-Staatsbürgerschaft
- 2. Belastungshinweise
- II. Aktion Reinhard
- 1. Vernichtungslager
- a) Belzec
- b) Treblinka
- c) Chelmno
- d) Sobibór
- aa) Anzahl der Opfer
- bb) Zeitraum
- cc) Sobibór-Prozess
- 2. Haupttäter
- 3. Trawniki
- B. Dogmatische Struktur der Beihilfe im StGB
- I. Strafgesetzliche Grundlage
- II. Anwendung des Kausalitätsgrundsatzes
- 1. Rechtslehre
- 2. Rechtsprechung
- III. Anwesenheit als Gehilfenbeitrag
- IV. Gehilfenvorsatz
- 1. Vorsatz hinsichtlich der Haupttat
- 2. Bestimmtheit des Gehilfenvorsatzes
- V. Vorsatz hinsichtlich der Hilfeleistung
- C. Gegenüberstellung
- I. Haupttat
- II. Rolle des Angeklagten
- 1. Trawniki-Wachmann
- 2. Tateinheit
- 3. Gehilfenbeitrag
- a) Drohkulisse
- b) Förderung des Ablaufs
- c) Psychische Beihilfe
- 4. Vorsatz
- a) Vorsatz hinsichtlich der Haupttat
- b) Vorsatz hinsichtlich der Hilfeleistung
- 5. Mordmerkmal
- a) Strafrechtliche Einordnung des § 211
- b) Zurechnung des Mordmerkmals
- D. Anfängliche Spruchpraxis zu „reinen“ Vernichtungslagern
- I. Sobibor-Prozess
- II. Vernichtungslager Chelmno
- 1. Chelmno-Prozess
- 2. Entscheidung des Bundesgerichtshofs
- III. Andere Entscheidungen
- IV. Vermeintlicher Wandel der Spruchpraxis
- 1. Der Fall Willi Schatz
- 2. Einstellungsverfügungen
- a) Staatsanwaltschaft Dortmund
- b) Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Seminararbeit untersucht die nationale Verfolgung internationaler Verbrechen anhand des Falls Demjanjuk. Ziel ist die Analyse, ob der Fall eine Revolution der Teilnahmedogmatik durch das LG München II darstellt.
- Die Rolle von Trawniki-Wachmännern in der nationalsozialistischen Vernichtung.
- Die Anwendung der Beihilfe-Dogmatik im Kontext von Massenverbrechen.
- Die Entwicklung der Rechtsprechung zur Strafverfolgung von Beteiligten an NS-Verbrechen.
- Die Bedeutung des Kausalitätsprinzips und des Vorsatzes bei der Strafbarkeit von Gehilfen.
- Der Einfluss des Mordmerkmals auf die Strafzumessung.
Zusammenfassung der Kapitel
A. Historischer Hintergrund: Dieses Kapitel liefert den historischen Kontext des Falls Demjanjuk, indem es auf seine Person, seine Emigration in die USA und die Hinweise auf seine Beteiligung an Verbrechen eingeht. Es beleuchtet die Aktion Reinhard und die Funktionsweise der Vernichtungslager Belzec, Treblinka, Chelmno und Sobibór, inklusive der Opferzahlen, Zeiträume und der relevanten Prozesse. Die Rolle der Haupttäter und die Bedeutung des Trawniki-Ausbildungslager werden ebenfalls behandelt. Dieser Abschnitt stellt die Grundlage für die juristische Analyse dar, indem er den geschichtlichen Rahmen und die Tatbestände beschreibt.
B. Dogmatische Struktur der Beihilfe im StGB: Dieses Kapitel untersucht die strafrechtliche Grundlage der Beihilfe im deutschen Strafgesetzbuch (StGB). Es analysiert die Anwendung des Kausalitätsprinzips in der Rechtslehre und Rechtsprechung im Zusammenhang mit Beihilfehandlungen. Der Beitrag der Anwesenheit als Gehilfenleistung wird ebenso wie das erforderliche Gehilfenvorsatz (hinsichtlich der Haupttat und der Hilfeleistung) detailliert erklärt. Der Abschnitt dient der Klärung der juristischen Rahmenbedingungen für die Beurteilung der Beteiligung Demjanjuks.
C. Gegenüberstellung: Hier werden die Haupttat (die Massenmorde in den Vernichtungslagern) und die Rolle des Angeklagten Demjanjuk als Trawniki-Wachmann gegenübergestellt. Das Kapitel untersucht die Frage der Tateinheit und analysiert verschiedene Aspekte seines Gehilfenbeitrags, einschließlich der möglichen Drohkulisse, der Förderung des Ablaufs der Morde und der psychischen Beihilfe. Die Analyse des Vorsatzes (hinsichtlich der Haupttat und der Hilfeleistung) und der strafrechtlichen Einordnung des § 211 StGB (Mord) mit der Zurechnung des Mordmerkmals bildet den Kern dieses Abschnitts.
D. Anfängliche Spruchpraxis zu „reinen“ Vernichtungslagern: Dieser Abschnitt beschreibt die frühere Rechtsprechung zu Strafverfahren bezüglich der „reinen“ Vernichtungslager. Der Sobibor-Prozess, der Chelmno-Prozess und die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs werden untersucht, um die Entwicklung der juristischen Interpretation und die Behandlung der Täter zu beleuchten. Die Darstellung des vermeintlichen Wandels in der Spruchpraxis durch den Fall Willi Schatz und die Einstellungsverfügungen der Staatsanwaltschaften Dortmund und Frankfurt am Main bietet einen wichtigen Vergleich zur Argumentation des Hauptteils.
Schlüsselwörter
Demjanjuk, Beihilfe, nationalsozialistische Verbrechen, Vernichtungslager, Trawniki, Kausalität, Vorsatz, Mordmerkmal, Rechtsprechung, Strafverfolgung, Aktion Reinhard, Teilnahmedogmatik, LG München II.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Seminararbeit: Der Fall Demjanjuk und die nationale Verfolgung internationaler Verbrechen
Was ist der Gegenstand der Seminararbeit?
Die Seminararbeit analysiert den Fall Demjanjuk, um zu untersuchen, ob dieser eine Revolution der Teilnahmedogmatik durch das Landgericht München II darstellt. Im Mittelpunkt stehen die Rolle von Trawniki-Wachmännern bei der nationalsozialistischen Vernichtung, die Anwendung der Beihilfe-Dogmatik bei Massenverbrechen und die Entwicklung der Rechtsprechung zur Strafverfolgung von NS-Verbrechern.
Welche Themenschwerpunkte werden behandelt?
Die Arbeit behandelt die Rolle von Trawniki-Wachmännern, die Anwendung der Beihilfe-Dogmatik im Kontext von Massenverbrechen, die Entwicklung der Rechtsprechung zur Strafverfolgung von Beteiligten an NS-Verbrechen, die Bedeutung des Kausalitätsprinzips und des Vorsatzes bei der Strafbarkeit von Gehilfen sowie den Einfluss des Mordmerkmals auf die Strafzumessung.
Welche historischen Hintergründe werden beleuchtet?
Der historische Hintergrund umfasst die Person Demjanjuk, seine Emigration in die USA, Hinweise auf seine Beteiligung an Verbrechen, die Aktion Reinhard und die Funktionsweise der Vernichtungslager Belzec, Treblinka, Chelmno und Sobibór (inklusive Opferzahlen, Zeiträume und Prozesse). Die Rolle der Haupttäter und die Bedeutung des Trawniki-Ausbildungslager werden ebenfalls erläutert.
Wie wird die dogmatische Struktur der Beihilfe im StGB behandelt?
Die Arbeit analysiert die strafrechtliche Grundlage der Beihilfe im StGB, die Anwendung des Kausalitätsprinzips in Rechtslehre und Rechtsprechung, den Beitrag der Anwesenheit als Gehilfenleistung und den Gehilfenvorsatz (hinsichtlich der Haupttat und der Hilfeleistung).
Wie wird der Fall Demjanjuk juristisch eingeordnet?
Die Arbeit stellt die Haupttat (Massenmorde) und die Rolle Demjanjuks als Trawniki-Wachmann gegenüber. Sie untersucht die Tateinheit, seinen Gehilfenbeitrag (Drohkulisse, Förderung des Ablaufs, psychische Beihilfe), den Vorsatz (hinsichtlich der Haupttat und der Hilfeleistung) und die strafrechtliche Einordnung von § 211 StGB (Mord) mit Zurechnung des Mordmerkmals.
Wie wird die frühere Rechtsprechung zu Vernichtungslagern dargestellt?
Die Arbeit beschreibt die frühere Rechtsprechung zu „reinen“ Vernichtungslagern, analysiert den Sobibor-Prozess, den Chelmno-Prozess und Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Sie beleuchtet den vermeintlichen Wandel der Spruchpraxis anhand des Falls Willi Schatz und Einstellungsverfügungen der Staatsanwaltschaften Dortmund und Frankfurt am Main.
Welche Schlüsselwörter sind relevant für die Arbeit?
Demjanjuk, Beihilfe, nationalsozialistische Verbrechen, Vernichtungslager, Trawniki, Kausalität, Vorsatz, Mordmerkmal, Rechtsprechung, Strafverfolgung, Aktion Reinhard, Teilnahmedogmatik, LG München II.
- Quote paper
- Ref. iur. Milad Ahmadi (Author), 2014, Der Fall Demjanjuk. Revolution der Teilnahmedogmatik durch das LG München II?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/334927