Schon seit etlichen Jahren richtet sich die öffentliche Aufmerksamkeit zunehmend auf Jugendliche und Heranwachsende mit Migrationshintergrund – dabei richtet sich der Fokus im Besonderen auf das Thema Ausländerkriminalität. Diese Diskussion wird oftmals sehr emotional und undifferenziert geführt; sie enthält viele Vorurteile. In meiner Auseinandersetzung mit dem Thema möchte ich mich im Rahmen vorliegenden Diplomarbeit auf die Fakten und wissenschaftlich relevante Ergebnisse berufen. Besonders relevant erscheint mir in diesem Kontext zu fragen, ob ausländische Jugendliche in stärkerem Maße kriminogenen Einflüssen ausgesetzt sind als deutsche Jugendliche. Entscheidend in dem Zusammenhang ist auch das soziale Umfeld, in dem ausländische Jugendliche meist als Mitglieder der Unterschicht aufwachsen. Weiterhin gilt es herauszufinden, wie sich dieses soziale Umfeld, Diskriminierungen, Arbeitslosigkeit und mangelnde soziale wie wirtschaftliche Integration auf die Entwicklung eines jugendlichen Ausländers auswirken.
Anhand verschiedener Publikationen möchte ich in meiner Arbeit eine Antwort auf die Frage finden, ob junge Ausländer krimineller als junge Deutsche sind. Um den Rahmen und Anspruch einer Diplomarbeit gerecht zu werden, habe ich mich in meinen Ausführungen auf essentielle Aspekte der Thematik konzentriert.
Befasst man sich mit dem Thema Jugendkriminalität genauer, so wird bald deutlich, dass verschiedene Kategorien von Erklärungsmodellen existieren (z.B. kriminalbiologische, anthropologische, psychiatrische, psychologische, soziologische). Inhaltlich ist allen gemein, dass sie primär Erklärungsversuche bieten, die allein die Ursachen für das Handeln des Kriminellen darstellen. Anders bei den interaktionistischen Ansätzen: hier wird vielmehr die Fragestellung betrachtet, warum die Gesellschaft bestimmte Personen und/oder Handlungen kriminalisiert (Stichwort „Etikettierung“).
In der Auseinandersetzung mit dem Thema Jugendkriminalität ist es notwendig, sich über Umfang und Struktur abweichenden Verhaltens ein detailliertes Bild zu verschaffen. Weiterhin soll, wie oben schon erwähnt, geklärt werden, warum und unter welchen Bedingungen Kriminalität entsteht.
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Begriffsklärung
2.1 Abweichendes Verhalten
2.2 Kriminalität
2.3 Jugend und Jugendkriminalität
2.4 Ausländer
3. Jugendkriminalität aus psychologischer Sicht
3.1 Psychoanalytische Theorie
3.2 Trieb- und Instinkttheorie
3.3 Frustrations-Aggressions-Theorie
3.4 Individualpsychologische Sicht
3.5 Lerntheoretische Sicht
4. Jugendkriminalität aus soziologischer Sicht
4.1 Anomietheorie
4.2 Subkulturtheorien
4.3 Interaktionistischer Ansatz
4.4 Sozialisationstheorie
5. Erläuterungen der Einwanderungszeit als Grundlage zur Analyse von Kriminalität bei jungen Ausländern
6. Darstellung der heutigen Lebenssituation ausländischer Familien
6.1 Räumliche Verteilung und Wohnsituation
6.2 Bildung und Ausbildung
6.3 Arbeitslosigkeit
6.4 Kulturelle Faktoren und familiäre Situation
6.5 Werte und Mentalitäten der Herkunftskultur
6.6 Generationsspezifische Betrachtung von Ausländerkriminalität
7. Kriminalisierung von Jugendlichen mit Migrationhintergrund
7.1 Polizeiliche Kriminalstatistik
7.2 Verzerrungsfaktoren
7.3 Der Anzeige- und Polizeieffekt
7.4 Die Rolle der Medien im Kriminalisierungsprozess
8. Zusammenfassung
9. Literaturverzeichnis
10. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
11. Versicherung
1. EINLEITUNG
Schon seit etlichen Jahren richtet sich die öffentliche Aufmerksamkeit zunehmend auf Jugendliche und Heranwachsende mit Migrationshintergrund – dabei richtet sich der Fokus im Besonderen auf das Thema Ausländerkriminalität. Diese Diskussion wird oftmals sehr emotional und undifferenziert geführt; sie enthält viele Vorurteile. In meiner Auseinandersetzung mit dem Thema möchte ich mich im Rahmen vorliegenden Diplomarbeit auf die Fakten und wissenschaftlich relevante Ergebnisse berufen. Besonders relevant erscheint mir in diesem Kontext zu fragen, ob ausländische Jugendliche in stärkerem Maße kriminogenen Einflüssen ausgesetzt sind als deutsche Jugendliche. Entscheidend in dem Zusammenhang ist auch das soziale Umfeld, in dem ausländische Jugendliche meist als Mitglieder der Unterschicht aufwachsen. Weiterhin gilt es herauszufinden, wie sich dieses soziale Umfeld, Diskriminierungen, Arbeitslosigkeit und mangelnde soziale wie wirtschaftliche Integration auf die Entwicklung eines jugendlichen Ausländers auswirken.
Aus den veröffentlichten Statistiken lässt sich entnehmen, dass die Jugendkriminalität (allgemein) zunimmt und zu einem immer größeren gesellschaftlichen Problem wird. Geäußert wird sie durch z.B. leichtsinniges Autofahren, Besitzenwollen von materiellen Gütern, die Jugendliche noch nicht selbst bezahlen können, oder handgreifliche Auseinandersetzungen, die den Gegner ernsthaft in Gefahr bringen. Das Problem versucht man seit Jahren in den Griff zu bekommen, indem man diese Phänomene zu erklären und zu beseitigen versucht.
Anhand verschiedener Publikationen möchte ich in meiner Arbeit eine Antwort auf die Frage finden, ob junge Ausländer krimineller als junge Deutsche sind. Um den Rahmen und Anspruch einer Diplomarbeit gerecht zu werden, habe ich mich in meinen Ausführungen auf essentielle Aspekte der Thematik konzentriert.
Befasst man sich mit dem Thema Jugendkriminalität genauer, so wird bald deutlich, dass verschiedene Kategorien von Erklärungsmodellen existieren (z.B. kriminalbiologische, anthropologische, psychiatrische, psychologische, soziologische). Inhaltlich ist allen gemein, dass sie primär Erklärungsversuche bieten, die allein die Ursachen für das Handeln des Kriminellen darstellen. Anders bei den interaktionistischen Ansätzen: hier wird vielmehr die Fragestellung betrachtet, warum die Gesellschaft bestimmte Personen und/oder Handlungen kriminalisiert (Stichwort „Etikettierung“).
In der Auseinandersetzung mit dem Thema Jugendkriminalität ist es notwendig, sich über Umfang und Struktur abweichenden Verhaltens ein detailliertes Bild zu verschaffen. Weiterhin soll, wie oben schon erwähnt, geklärt werden, warum und unter welchen Bedingungen Kriminalität entsteht.
Zu der Auseinandersetzung mit dem Thema Jugendkriminalität halte ich es zunächst für notwendig, Definitionen über relevante Begriffe anzubieten (Kapitel 2).
Anschließend soll geklärt werden, warum und unter welchen Bedingungen (Jugend-)Kriminalität entsteht. Zur Verfügung stehen dabei zahlreiche Theorien und Erklärungsversuche; aus der Vielzahl der Ansätze können jedoch im Rahmen dieses Überblicks nur einige wichtige dargestellt werden. In Kapitel 3 finden sich die psychologischen, in Kapitel 4 die soziologischen Erklärungsmodelle. So kommt man – ausgehend von der individuellen, persönlichen Ebene – auf die gesellschaftliche Ebene. Nur so kann man die Breite und Komplexität des Problems struktur-theoretisch erfassen.
Das sich anschließende 5. Kapitel leistet eine Analyse der Ursachen von Kriminalität bei ausländischen Jugendlichen. Hierin verschaffe ich einen Überblick über die Einwanderungszeit in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Ich halte es für notwendig zu klären, aus welchen Bewegungsgründen die ausländischen Bürgerinnen und Bürger in die Bundesrepublik kamen. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den Gastarbeitern, weil sie und ihre Nachkommen die weitaus größte Gruppe unter den Nichtdeutschen darstellen.
So bildet deren soziale Lage den Ausgangspunkt für weitere Analysen. Es werden im Kapitel 6 mehrere Faktoren erläutert, die potentiell die Generierung von Kriminalität begünstigen. Ein kritischer Blick gilt dabei auch der generationsspezifischen Differenzierung der Kriminalität unter ausländischen Mitbürgern.
Im Kapitel 7 komme ich – ausgehend von relevanten statistischen Befunden – zu dem Erscheinungsbild von Jugendkriminalität. Im Vordergrund steht dabei die Kriminalisierung von jungen Ausländern, die auf mehreren Ebenen stattfindet – von der Polizeilichen Kriminalstatistik bis hin zur nicht unumstrittenen Rolle der Medien.
Die Ergebnisse dieser kritischen Auseinandersetzung werden im letzten Kapitel zusammengefasst. Ein Ausblick rundet die Arbeit schließlich ab.
2. BEGRIFFSKLÄRUNG
2.1 Abweichendes Verhalten
Der Mensch ist ein soziales Wesen, das ohne andere als solches nicht existieren kann - erst die soziale Umwelt macht ihn zum Menschen. Nach unserer Erkenntnis unterscheiden sich die Gesellschaften untereinander - es gibt verschiedene Gesellschaftsformen mit jeweils gültigen Normen und Wertvorstellungen. Diese Normen und Werte sind notwendig um eine Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Die Zugehörigkeit zu einem System hat seinen Preis: für die Menschen ist es der Konformismus - das heißt, dass jeder von uns eine bestimmte Position in der Gesellschaft einnimmt, mit der wiederum eine bestimmte Rolle und damit bestimmte Erwartungen verbunden sind. Wenn wir die Erwartungen der sozialen Umwelt nicht erfüllen, drohen uns schmerzhafte Sanktionen – wie z.B. gesellschaftlicher Ausschluss; die Erfüllung der Erwartungen wird hingegen mit gesellschaftlicher Integration honoriert (Dahrendorf 1970, S.20ff).
Wenn man davon ausgeht, dass der „...rollenlose Mensch [...] für Gesellschaft und Soziologie ein nicht existierendes Wesen [ist]...“(Dahrendorf 1970, S.57f), dann kann man sagen, dass jedes Individuum von der Gesellschaft abhängig und deren Gesetzen ausgeliefert ist. Die Tatsache, dass menschliches Handeln an bestimmte Normen und Wertvorstellungen orientiert ist, lässt die Schlussfolgerung zu, dass abweichendes Verhalten, ebenso wie konformes Verhalten, einen universalen Bestandteil sozialen Lebens darstellt, denn wo es Normen gibt, da gibt es natürlich auch Normverletzungen.
Eine Definition des abweichenden Verhaltens kann also folgendermaßen lauten: als abweichendes Verhalten gilt, jenes Verhalten von Personen oder Gruppen, das mit den geltenden Normen und Werten nicht übereinstimmt (Pressel 1980, S.17ff). Abweichendes Verhalten soll eher statistisch gesehen werden, und nicht wertend. Vielmehr sollte es folgendermaßen verstanden werden: Wenn sich die Mehrheit auf eine bestimmte Art und Weise verhält, so gilt dies als „normal“; als abweichendes Verhalten gilt hingegen, wenn sich eine Person außerhalb dieser Norm bewegt (Rühmkorf 1986, S.91).
Die Spannweite abweichenden Verhaltens ist sehr breit: Kriminalität, Sucht, Prostitution, Suizid, Alkoholismus, Behinderung usw. (Kerscher 1980, S.13). Einerseits können es augenfällige Verletzungen bestimmter gesellschaftlicher Normen, Werte und Institutionen sein, die von Strafgesetzen und Strafverfolgungsinstanzen ausdrücklich „kriminalisiert“ werden (Schäfers 1982, S.183). Andererseits kann das vorübergehende „Aus-der-Rolle-Fallen“(Schäfers 1982, S.183) das eines Einzelnen sein, was in einem gewissen Maße toleriert wird - also Abweichungen im Sinne von „...aktiver Neugestaltung der Umwelt, über versuchte Neuantworten auf die Sinnfrage bis hin zu wissenschaftlichen Erfindungen und Entdeckungen.“(Bellebaum 1972, S.107).
Die Tatsache, dass Normen differierende Geltungsbereiche haben und historischem Wandel unterworfen sind, sorgt für Desorientierungen und führt zu Diskrepanzen zwischen erwartetem und gezeigtem Verhalten. In Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche gilt abweichendes Verhalten als der unverzichtbare Motor sozialen Wandels. Die Rollenvielfalt eines Individuums und damit verbundene widersprüchliche Erwartungen führen zu einem Rollenkonflikt, was sich unter bestimmten Voraussetzungen in Devianzen äußert. Folglich unterscheiden wir zwischen dem Interrollenkonflikt (Konflikt zwischen zwei Rollen) und dem Intrarollenkonflikt (Entscheidungsproblem innerhalb einer Rolle) (Wiswede 1979, S. 98).
Die traditionellen Theoretiker gehen davon aus, dass Ursachen für abweichendes Verhalten in der psychischen Struktur und in den Erbanlagen des Einzelnen zu finden sind. Sie betrachten Devianzen aus biologischer, psychologischer und medizinischer Sicht (Kerscher 1980, S.16). Heutige ausgedehnte sozialwissenschaftliche Erforschung ersetzt die oben genannte Theorie und sucht die Hintergründe von Abweichungen in komplexeren Bedingungszusammenhängen - zwischen Devianzen des Einzelnen und seiner sozialen Umgebung (Pressel 1980, S.18). Auch Becker wendet sich gegen die Auffassung von abweichendem Verhalten als angeborenes Merkmal oder als Krankheit. Am Beispiel der Marihuana-Raucher und der Tanzmusiker zeigt er exemplarisch die Interaktion als komplizierten sozialen Prozess auf, in dessen Verlauf erst die Definition von Abweichung entstehe (Becker 1981, S.36ff).
Laut Schwendtke (1977, S.11) ist abweichendes Verhalten „...kategorialer Grundbegriff der Soziologie, der sich von anderen soziologischen Kategorien wie: Anomie, Konformität, Soziales Handeln, Soziale Norm, Soziale Kontrolle, Segregation, Sozialisation, Stigmatisierung, Subkultur u. a. erklären lässt.“.
2.2 Kriminalität
Kriminalität ist eine Form abweichenden Verhaltens, das einer strafrechtlichen Norm widerspricht und teilweise von Instanzen der Strafverfolgung wie Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafjustiz sanktioniert wird (Weeber 1980, S.483). Somit bezieht sich Kriminalität auf einen begrenzten Teil von Normen und Normenverstößen. Nur der Verstoß gegen staatlich festgesetzte, formelle und schriftlich niedergelegte Muss-Normen, also Normen mit dem höchsten Verbindlichkeitscharakter, ist kriminell. Der Verstoß gegen Soll- oder Kann-Normen ist es nicht.
Kriminalität wird zeitlich und regional Verschiedenartig verstanden:
- Was früher als kriminell galt, ist heute nicht mehr z.B. u.a. Abtreibung, Homosexualität, freie politische Meinung.
- Was heute als kriminell gilt, war es früher vielleicht nicht, z.B. Vergewaltigung in der Ehe, die Verbreitung von Nazi-Symbolen.
- Was in Deutschland strafrechtlich untersagt wird, ist in anderen Ländern erlaubt, z.B. der Konsum von Rauschmitteln.
- Was in Deutschland als nicht kriminell gilt, steht in anderen Ländern unter Strafandrohung z.B. für den Ehebruch mit einer verheirateten Frau kann in einigen islamischen Staaten sogar die Todesstrafe verhängt werden.
So lässt sich nur ein Kernbestand an Kriminalität feststellen, der sich (weitgehend) unabhängig von Raum und Zeit und zwischen Gesellschaften kaum ändert. Zu diesen Delikten gehören z.B. Mord, Körperverletzung und Raub (Weeber 1980, S.483; Heinz 2003, S.9).
2.3 Jugend und Jugendkriminalität
Wie auch immer die Lebensphase der Jugend im Einzelnen begrenzt und definiert wird, besteht weitestgehende Einigkeit darüber, dass es sich bei der Jugendzeit um eine Übergangsphase in die Erwachsenwelt handelt. „Allgemein wird für das Jugendalter ein Bruch der Persönlichkeit beschrieben mit Stimmungslabilität, Mangel an Koordination der einzelnen Handlungswünsche und erhebliche Störungen in den sozialen Beziehungen.“(Oestreich 1997, S.508).
Die psychologische Definition des Begriffs „jugendlich“ bezieht sich weniger auf einen konkreten Altersabschnitt, sondern versucht den Zeitraum Jugend aus Beobachtungen von Verhaltensweisen, Stimmungen und körperlichen Veränderungen zu bestimmen.
Die biologisch-medizinische Sichtweise betrachtet primär die körperlichen Entwicklungsphasen. Der Entwicklungsbeginn dieser Phase ist durch sexuelle Reife und das rasche Körperwachstum gekennzeichnet.
Der soziologische Ansatz untersucht sozialkulturellen Faktoren, Aspekte wie Statusunsicherheiten, Rollenwechsel und Übergangsverhalten als jugendtypisch. Laut neueren Forschungen wird das Jugendalter als Zeit der Veränderung vom Kind zum Erwachsenen definiert. Diese Veränderungen vollziehen sich in drei Bereichen: im körperlichen, im seelisch-geistigen sowie im sozialen. Dabei ist jedoch zu betonen, dass dieser Prozess als gegenseitige Wechselwirkung von Ineinandergreifen aller drei Bereiche zu verstehen ist (Kamper u.a. 1974, S.115-128).
Die juristische Definition des Jugendalters legt sich auf einen konkreten Zeitraum fest. Diese formelle Feststellung steht im Jugendgerichtsgesetz. Unter Jugendlichen sind Personen zu verstehen, die zur Zeit der Tat mindestens vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alt sind; zu den Heranwachsenden zählen junge Menschen von achtzehn bis unter einundzwanzig Jahre (Heinz 2003, S.28). „Unter Jugendkriminalität versteht man [also] die Gesamtheit der von Jugendlichen und Heranwachsenden innerhalb einer bestimmten Zeitspanne und innerhalb eines bestimmten Gebietes begangenen Straftaten.“(Böhm 1980, S.423).
2.4 Ausländer
Ausländer sind Personen, welche weder die deutsche Staatsbürgerschaft noch Volkszugehörigkeit besitzen. „Ausländer ist jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Art.116 Abs.1 GG ist (§1 Abs.2 Ausländergesetz).“(Bade 1994, S.285). Unter diese Definition fallen im heutigen Sprachgebrauch Menschen, die vor dreißig Jahren nach Deutschland gekommen, hier geboren oder aufgewachsen sind, ebenso wie Menschen, die sich z.B. als Flüchtlinge erst kurze Zeit in der Bundesrepublik befinden.
3. JUGENDKRIMINALITÄT AUS PSYCHOLOGISCHER SICHT
3.1 Psychoanalytische Theorie
Aus psychoanalytischer Sicht wird kriminelles Verhalten auf gestörte Prozesse der Identifikation und Gewissenbildung in frühkindlichen Phasen der Entwicklung zurückgeführt. Die psychopathischen Formen der Kriminalität entstehen u.a. durch Mangel, Inkonsistenz und Ambivalenz emotionaler Zuwendung und lückenhafte Identifikationsprozesse.
Grundannahmen der Psychoanalyse
Nur ein geringer Teil der seelischen Vorgänge, die im Menschen vorgehen, ist bewusst; die meisten Vorgänge gehen unter die Oberfläche des Bewusstseins zurück und spielen sich im Unbewussten und Vorbewussten ab. Grundlegende Annahme der Psychoanalyse ist, dass bestimmte seelische Vorgänge und innere Kräfte – z.B. verbotene und bestrafte Wünsche, unangenehme Erlebnisse und Probleme – dem Bewussten verborgen, also „unbewusst“ sind, sich jedoch auf das individuelle Verhalten und die Entwicklung der Persönlichkeit nach ganz bestimmten Gesetzmäßigkeiten auswirken.
Sigmund Freud, der Begründer und zugleich der bekanntesten Vertreter der Psychoanalyse, sieht den Menschen als ein Wesen, dessen Verhalten durch sexuelle und aggressive Triebe erzeugt und gesteuert wird. Freud entwickelte das Modell der drei Persönlichkeitsinstanzen, das innere Vorgänge im Menschen darstellt (Nolting/Paulus 1999, S.155f):
- „ES “ – diese Instanz umfasst den Bereich der Wünsche, Begierden, emotionalen Regungen und der unbewussten, triebhaften Impulse. Das ES ist vom ersten Lebensjahr vorhanden und drängt nach lustvollem Erleben, nach Vermeidung von Unlust und fordert die Erfüllung der Bedürfnisse. Hier herrscht das „Lustprinzip“.
- „ ICH“ – darunter ist der Bereich des bewussten Erlebens und Empfindens zu verstehen. Das ICH kann die Realität erfassen und muss sich mit dieser im Sinne einer Anpassung auseinandersetzen. Das ICH muss Kompromisse zwischen dem ES und den Anforderungen der Außenwelt finden und gibt uns die Fähigkeit, besonnen und vernünftig zu handeln. Es kann fühlen, erleben, leiden, entscheiden und beherrschen. Hier sprechen wir vom „Realitätsprinzip“.
- „ÜBER-ICH “ – darunter versteht man das Gewissen des einzelnen Menschen, welches er sich im Laufe seiner Entwicklung von seinen Eltern, anderen Erziehungs- und Bezugspersonen und seiner Umwelt aufgebaut hat. Es bezieht sich auch auf den Bereich der persönlichen Moral, Sitte und Anstand, dem sich der Einzelne verpflichtet fühlt. Das ÜBER-ICH verbietet bestimmte Antriebe, Gedanken, Vorstellungen und bestraft bei Zuwiderhandlungen mit Schuldgefühlen, Gewissensbissen. Hier herrscht das „Moralitätsprinzip“.
Die drei Instanzen stehen in ständiger Wechselbeziehung, Mit- und Gegeneinander. Dies wird im folgenden Schaubild deutlich:
Abbildung 1: Die Instanzen des psychischen Apparates
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Nolting/Paulus 1999, S.157
Im Mittelpunkt des Persönlichkeitsmodells steht das ICH. Das ICH versucht zwischen ES und ÜBER-ICH zu vermitteln und überprüft die Realität, daraufhin ob eine Befriedigung möglich ist oder nicht. Vom ÜBER-ICH zugelassene Ansprüche werden von ICH gesteuert und verwirklicht. Nicht zugelassene Wünsche müssen vom ICH abgewehrt werden. „Das ICH bestimmt die jeweilige Ausprägung des Modus vivendi der Einzelperson, das ICH gestaltet im wesentlichen jene Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Menschen, die wir Charakterunterschiede nennen .“(Hoffman/Hochapfel 1999, S.14).
Ursachen der Kriminalität können in einem übersteigerten oder defekten ÜBER-ICH bzw. in einem fehlentwickelten ICH liegen. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Sind die Instanzen ÜBER–ICH und ICH nur schwach ausgebildet, so können die Triebansprüche des ES nahezu ungehemmt in das Bewusstsein gelangen und ohne Kontrolle befriedigt werden. Das rein bedürfnisorientierte Streben gewinnt die Überhand: Normen werden verletzt bis hin zum Verbrechen. Man spricht in diesem Zusammenhang von Verwahrlosung.
Laut Friendlander (Rauchfleisch 1999, S.33) wird „...eine latente Verwahrlosungsstruktur [...] vor allem durch die drei folgenden Faktoren gebildet [...]: durch starke unmodifizierte Triebe, durch ein schwaches, unter der Herrschaft des Lustprinzips stehendes Ich und durch ein unselbständiges Über-Ich.“
Es kann aber auch sein, dass ein viel zu strenges ÜBER-ICH die Herrschaft über die Gesamtpersönlichkeit an sich reißt und die Triebansprüche des ES rigoros unterdrückt. Somit können die Triebansprüche des ES nicht verarbeitet werden, sondern verfallen einer strikten Verdrängung. Kriminelle Handlungen können nun dadurch entstehen, dass äußere Konfliktsituationen oder Durchbrüche verdrängter und aufgestauter Triebimpulse, sich einen symbolischen Weg zur Befriedigung bahnen. Hierbei haben die kriminellen Handlungen kein bewusstes Motiv. Man spricht in diesem Zusammenhang von neurotischer Kriminalität.
Die ausschlaggebenden Faktoren der Grundstruktur bei neurotischer Kriminalität sind nach Freud u.a. in den Sozialisationsbedingungen der frühen Kindheit zu suchen. Sie basieren darauf, dass in der Sozialisation zu starke und rigide Identifikations- und Unterwerfungsprozesse stattgefunden haben (Kerscher 1979, S.15f).
3.2 Trieb- und Instinkttheorie
Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz vergleicht menschliches mit tierischem Verhalten. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass sowohl der Mensch als auch das Tier über einen angeborenen Instinkt zur Aggression verfügen. Der Aggressionstrieb stand ursprünglich im Dienste der Verteidigung und Selbsterhaltung; im Laufe der Zeit hat er sich aber bei den Menschen zu einer Bedrohung umgewandelt.
Als Ursache für diese negative Veränderung des menschlichen Aggressionstriebes sieht Lorenz dessen Prozesscharakter: Für ihn ist die Aggression ein ständig strömender und sich gleichzeitig verstärkender Trieb im Sinne des Appetenz-Verhaltens. Damit ist gemeint, dass der Aggressionstrieb sich selber Umstände herbeiführt, die seine Entladung erleichtern. Wenn solche Reize im gesellschaftlichen Leben fehlen, kommt es zu Explosionen von Aggressionen. Laut dieser These sind also nicht mehr vorhandene Reize die Ursache dafür, dass der heutige Mensch seine aggressiven Triebe nicht „artgerecht“ abreagieren kann (Rauchfleisch 1996, S.14).
„Aggression ist demnach für Lorenz primär keine Reaktion auf einen äußeren Reiz, sondern eine triebhafte innere Erregung, die nach Entladung drängt und sich unter Umständen entlädt, ohne Rücksicht darauf, ob der äußere Reiz geeignet ist oder nicht.“(Rauchfleisch 1996, S.14).
Bezogen auf gewalttätige Handlungen von Kindern und Jugendlichen hat die Aggression nach der Triebtheorie ihre Ursache in einer instinktiven Aggressivität, die spontan entsteht. Dieser Vorstellung gemäß sind Kinder und Jugendliche nicht etwa deshalb aggressiv, weil ihnen Ärgerliches widerfuhr, sondern weil ihr Aggressionstrieb einfach wieder einmal entladen werden musste. Die Vertreter dieses Ansatzes empfehlen zum Beispiel Sport als eine Möglichkeit, Aggression zu kontrollieren.
Die psychoanalytische Triebtheorie geht auf Freud zurück. Freud unterscheidet zwischen dem Liebestrieb „Libido“ und dem entgegengesetzten Todestrieb „Thanatos“. Diese beiden Triebe beeinflussen sich wechselseitig. „Der Todestrieb richtet sich, so Freud, zum einen gegen den Organismus selbst und ist insofern ein selbstzerstörerischer Trieb; zum anderen wendet er sich aber auch nach außen und tendiert in diesem Fall dazu, andere Menschen zu zerstören.“ (Rauchfleisch 1996, S.16).
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- Arbeit zitieren
- Isabella Moch-Trzcinski (Autor:in), 2004, Sind ausländische Jugendliche krimineller als deutsche? Jugendkriminalität aus psychologischer und soziologischer Sicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33504
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