Aufsichtsratseffektivität durch Ausschüsse? Eine konzeptionelle Analyse


Bachelorarbeit, 2016

50 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Konzeptioneller Hintergrund
2.1 Begriff und Entstehung von Aufsichtsratsausschüssen
2.2 Aufsichtsratsausschüsse als Element der Corporate Governance
2.2.1 Corporate Governance als Bezugsrahmen
2.2.2 Entwicklung des Deutschen Corporate Governance Kodex
2.3 Verhaltenswissenschaftliche Grundlagen
2.4 Schwächen der Aufsichtsratspraxis

3 Prüfungsausschüsse in deutschen Aktiengesellschaften
3.1 Regulatorische Grundlagen
3.2 Organisation und Zusammensetzung von Prüfungsausschüssen
3.3 Aufgaben von Prüfungsausschüssen
3.4 Anforderungen an die Ausschussmitglieder
3.4.1 Persönliche Voraussetzungen
3.4.2 Qualifikation
3.4.3 Unabhängigkeit

4 Effektivität von Ausschüssen im Aufsichtsrat
4.1 Nutzen und Konsequenzen aus der Implementierung von Ausschüssen
4.1.1 Vorteile einer Ausschussbildung gegenüber dem Gesamtgremium
4.1.2 Risiken einer Ausschussbildung
4.2 Evaluation der Ausschusseffektivität: Die Effizienzprüfung

5 Empirische Ergebnisse zur Ausgestaltung von Prüfungsausschüssen und ihrer Wirkung auf die Unternehmensperformance
5.1 Einfluss der Unabhängigkeit der Prüfungsausschussmitglieder
5.2 Einfluss der Finanz- und Branchenexpertise der Prüfungsausschussmitglieder

6 Fazit

Abstract

Internationale nbrüche, hat in unterschiedlichen Ländern die Erarbeitung von Maßnahmen zur Stärkung der Unternehmensüberwachung begonnen. Im angelsächsischen Raum wird seit längerer Zeit versucht, die Effizienz des Boards mithilfe von sog. Board Committees zu steigern. Vor dem Hintergrund vergleichbarer Schwächen in der Aufsichtsratspraxis, hat auch der deutsche Gesetzgeber mit den jüngsten Gesetzesreformen die Bildung von Aufsichtsratsausschüssen in den Unternehmen möglich gemacht. Insbesondere vom Prüfungsausschuss wird ein entscheidender Beitrag für eine Verbesserung der Kontrolltätigkeiten durch den Aufsichtsrat erwartet. Daher untersucht diese Bachelorarbeit auf Basis von theoretischen Grundlagen und empirischen Befunden, ob eine tatsächliche Effektivitätssteigerung der Aufsichtsratsarbeit durch Ausschüsse erreicht werden kann. Das Ziel der Arbeit besteht nicht nur darin, notwendige Voraussetzungen zur Etablierung von wirksamen Aufsichtsratsausschüssen darzustellen, sondern auch die Wirkung ausgewählter Parameter der Ausschussbildung auf die Unternehmensperformance zu untersuchen. Auf Grundlage einer näheren Betrachtung des Prüfungsausschusses, scheint es, dass Unternehmen insbesondere von Ausschüssen mit einem hohen Anteil an unabhängigen und qualifizierten Mitgliedern profitieren können

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Häufigkeit der Ausschussarten bei den DAX-30 Unternehmen

Abb. 2: Aufgaben des Prüfungsausschusses nach dem AktG und dem DCGK

Abb. 3: Gestaltungsalternativen der Effizienzprüfung in der Praxis

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Größe von Prüfungsausschüssen der DAX-30 Unternehmen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Die Unternehmenszusammenbrüche und Bilanzskandale großer, börsennotierter Gesellschaften wie WorldCom und Enron in den USA oder Karstadt-Quelle und Siemens in Deutschland in den vergangenen Jahren, haben das Vertrauen vieler Aktionäre in die Unternehmensführung und -überwachung erschüttert. Im Mittelpunkt der Diskussion unter dem Leitwort „Corporate Governance“ steht die Kritik am Aufsichtsrat, welchem eine bedeutungsvolle Rolle bei der Wahrnehmung von Kontroll- und Überwachungsaufgaben zukommt (vgl. Welge / Eulerich, 2012). Um die Unternehmensüberwachung zu stärken und Unternehmensschieflagen vorzubeugen, wurden im angelsächsischen Raum Board Committees eingeführt, die sich als Suborgane des Boards auf bestimmte Teilaspekte der Governance konzentrieren sollen (vgl. Spira / Bender, 2004). Das im angelsächsischen Raum weit verbreitete monistische System, welches durch die Zusammenfassung der Unternehmensführung und -kontrolle in einem Organ gekennzeichnet ist, führt zum Bedarf nach unabhängigen Kontrolleinheiten, der durch die Board Committees gedeckt wird. Aber auch in dualistischen Unternehmensorganisationen besteht die Notwendigkeit nach objektiven Gremien. Nach dem Vorbild der Board Committees werden daher auch in Deutschland und anderen Ländern vermehrt Aufsichtsratsausschüsse gebildet. Sie sollen die Überwachungsqualität verbessern und den Aufsichtsrat entlasten (vgl. Warncke, 2010). Ein Großteil betriebswissenschaftlicher und juristischer Literatur empfiehlt besonders bei größeren Gesellschaften mit einer komplexen Organisation eine strukturelle Differenzierung durch die Ausschussbildung im Aufsichtsrat (vgl. Huwer, 2008; Rössler, 2001; Kram, 2012). Es herrscht die Meinung, dass Aufsichtsratsausschüsse eine intensivere fachliche Diskussion ermöglichen und komplexe Sachverhalte besser behandeln können als das Gesamtplenum (vgl. Debus, 2010; Offenhammer, 2014).

In diesem Zusammenhang besteht die Zielsetzung dieser Arbeit darin, eine mögliche Effizienzsteigerung der Unternehmensüberwachung durch den Aufsichtsrat mithilfe von Ausschüssen nachzuweisen. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht der deutsche Prüfungsausschuss im dualistischen System der Unternehmensverfassung, da diesem eine wertvolle Rolle bei der Überwachung der Geschäftsführung und speziell der Rechnungslegung zukommt. Dies belegt die Tatsache, dass sich der Prüfungsausschuss seit der Empfehlung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), zu einem festen Bestandteil großer börsennotierter Gesellschaften entwickelt hat. Laut dem jährlichen Kodex-Report, gab es bereits 2009 kein Unternehmen mehr im DAX und MDAX ohne einen Prüfungsausschuss (vgl. Huwer, 2008; Hönsch, 2009).

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in 6 Kapitel. An die Einführung in Kapitel 1 schließt sich in Kapitel 2 die Darstellung des konzeptionellen Hintergrunds an. Dabei wird zunächst eine funktionale Definition für Aufsichtsratsausschüsse gegeben sowie die Entstehungsgeschichte dieser Gremien aufgezeigt, bevor anschließend eine Einordnung in die Corporate Governance Thematik vorgenommen wird. Daneben werden wichtige verhaltenswissenschaftliche Grundlagen vorgestellt und die Schwächen der Aufsichtsratspraxis beleuchtet.

Kapitel 3 befasst sich mit Prüfungsausschüssen deutscher Aktiengesellschaften. Hierzu werden zunächst die wesentlichen regulatorischen Grundlagen zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses vorgestellt, bevor anschließend die Aufgaben sowie Anforderungen an die Ausschussmitglieder aufgezeigt werden.

In Kapitel 4 wird die Effektivität von Aufsichtsratsausschüssen untersucht, wobei sowohl der Nutzen als auch Risiken einer Ausschussbildung erörtert werden. Am Beispiel der Evaluation wird zudem verdeutlicht, wie eine effektive Arbeit der Ausschüsse sichergestellt werden kann. Aufbauend auf den Darlegungen der vorherigen Kapitel, werden in Kapitel 5 wesentliche empirische Befunde zum Einfluss zweier zentraler Anforderungen an die Prüfungsausschussmitglieder auf die Unternehmensperformance vorgestellt und interpretiert. Kapitel 6 enthält eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Arbeit sowie Anregungen für weitere Forschungsarbeiten.

2 Konzeptioneller Hintergrund

Im Folgenden wird eine Definition für Aufsichtsratsausschüsse hinsichtlich ihrer Funktion im Unternehmen gegeben und ihre Entstehungsgeschichte skizziert. Anschließend werden der grobe theoretische Bezugsrahmen sowie zwei wichtige verhaltenswissenschaftlichen Theorien zur Einrichtung von Ausschüssen vorgestellt. Zudem werden Schwächen der deutschen und internationalen Aufsichtsratspraxis erörtert.

2.1 Begriff und Entstehung von Aufsichtsratsausschüssen

„The work of the board is done in committees” (Lorsch / MacIver, 1989). Dieses Zitat eines Geschäftsführers aus einem Interview von Lorsch und MacIver aus dem Jahr 1989 zeigt, welch eine hohe Relevanz Aufsichtsratsausschüsse bereits am Anfang der 90er Jahre hatten. Heute sind die Suborgane des Aufsichtsrats zumindest bei größeren Gesellschaften ein elementarer Teil der Unternehmensorganisation. Sie sollen als kleine Expertengruppen mit ihrem Fachwissen und ihrer Spezialisierung die Effektivität der Aufsichtsratstätigkeit erhöhen (vgl. Huwer, 2008).

Wie in der Einleitung erwähnt, ist die Entstehung von Aufsichtsratsausschüssen auf die Bildung von Board Committees in angelsächsischen Ländern mit Verwaltungsratsmodell zurückzuführen.1 Bereits in den dreißiger Jahren empfohlen die United States Securities and Exchange Commission (SEC) und der New York Stock Exchange (NYSE) in den USA die Einrichtung eines objektiven und unabhängigen Gremiums in börsennotierten Gesellschaften. Zur Kontrolle des Berichtswesens und der internen Revision wurden vermehrt sogenannte Audit Committees eingerichtet, die weitestgehend den Prüfungsausschüssen in Deutschland und anderen europäischen Ländern ähneln (vgl. Offenhammer, 2012).

Eine weite Verbreitung erfuhren die Board Committees ab 1978, als die NYSE allen an ihr notierten Gesellschaften die Einrichtung eines unabhängigen Audit Committee vorschrieb (vgl. Huwer, 2008). Auch der im Jahr 2002 verabschiedete Sarbanes-Oxley-Act (SOX) gab den Unternehmen einen entscheidenden Anstoß zur Bildung von Board Committees. Dieser war eine Reaktion auf die Bilanzskandale in den USA und stellt heute die weitreichendste Ergänzung zum US-amerikanischen Börsengesetz, dem Securities Exchange Act von 1934, dar. Der SOX trug dazu bei, dass die Überwachungsbefugnisse des Boards und der Committees signifikant erweitert wurden (vgl. Cohen / Hayes / Krishanamoorthy / Monroe / Wright, 2013).

Aber auch in anderen Ländern entwickelten sich Board Committees zu dieser Zeit relativ zügig. In Großbritannien haben sich diese und insbesondere Audit Committees infolge des „Code of best Practice“ der Cadbury-Commission durchgesetzt. Ihre Empfehlung an börsennotierte Gesellschaften zur Bildung eines Audit Committee wurde als „Best Practice“ deklariert (vgl. Huwer, 2008).

Während Board Committees in angelsächsischen Ländern schon eine lange Tradition haben, fand eine aktive Bildung von Aufsichtsratsausschüssen in Deutschland erst ab Mitte der 90er Jahren statt. Der deutsche Gesetzgeber hat seither seine Bestrebungen intensiviert, die Kontrollfunktion des Aufsichtsrats zu verbessern und verschiedene Rechtsreformen eingeleitet, von denen der DCGK und das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) die zentralen Initiativen darstellen (vgl. Steller, 2011). Vor der Veröffentlichung des DCGK verfügten große Publikumsgesellschaften in Deutschland nur vereinzelt über einen Bilanz- oder Finanzausschuss im Aufsichtsrat, welcher sich mit der Kontrolle der Rechnungslegung befasst hat (vgl. Huwer, 2008). Heute ist es in den Aufsichtsräten üblich, verschiedene Ausschüsse, ähnlich der Board Committees im monistischen System, zu bilden (vgl. Griewel, 2006). In der Praxis gibt es drei wesentliche Ausschüsse, die sowohl von den nationalen Corporate- Governance-Kodizes, als auch von der Europäischen Union empfohlen werden. Diese sind der Nominierungsausschuss, der Vergütungsausschuss und der Prüfungsausschuss (vgl. Davies / Hopt, 2013). Während der Nominierungsausschuss für die Personalplanung der Vorstandsetage zuständig ist, unterbreitet der Vergütungsausschuss Vorschläge für die Entlohnung des Managements (vgl. Institut für den öffentlichen Sektor, 2006). Abbildung 1 zeigt die Häufigkeit der Ausschussarten bei den DAX-30 Unternehmen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Häufigkeit der Ausschussarten bei den DAX-30 Unternehmen2

Aus der Abbildung 1 geht hervor, dass 100% der DAX-30 Unternehmen in 2013 über einen Prüfungsausschuss und einen Nominierungsausschuss verfügten. An dritter Stelle steht der Präsidialausschuss, der dem Vorstand beratend zur Seite steht und grundlegende Entscheidungen des Aufsichtsrats vorbereitet.3 Dem Präsidialausschuss wird häufig auch die Aufgabe übertragen, das Vergütungssystem des Vorstands mitzugestalten, sofern kein gesonderter Vergütungsausschuss dafür eingerichtet worden ist.4

Obwohl der Prüfungsausschuss und der Nominierungsausschuss zu einem gleich hohen Anteil vertreten sind, bestimmt der Prüfungsausschuss maßgeblich die Qualität der finanziellen Berichterstattung und nimmt damit eine besondere Stellung bei der Sicherstellung einer effektiven Unternehmensüberwachung ein.

2.2 Aufsichtsratsausschüsse als Element der Corporate Governance

Corporate Governance hat sich im Verlauf der letzten Jahre zu einem zentralen Managementthema entwickelt, was vor allem an der stetig hohen Präsenz in akademischen und journalistischen Medien erkennbar ist (vgl. Grundei / Zaumseil, 2012). Den Kern der Debatten bildet die Frage nach der ausreichenden Effektivität und Effizienz der Aufsichtsratsarbeit in den Unternehmen. Eine weltweit unterschiedliche Ausgestaltung von Corporate Governance- Systemen führt jedoch zu verschiedenen Sichtweisen bezüglich der Etablierung von Maßnahmen, welche die Stärkung der Unternehmensüberwachung zum Ziel haben.

2.2.1 Corporate Governance als Bezugsrahmen

Der wichtigste Grund für die unterschiedliche Ausgestaltung von Corporate Governance- Systemen liegt in den verschiedenen Unternehmensverfassungsmodellen. Im Wesentlichen existieren zwei Modelle: Das aus den USA stammende monistische Modell oder One-Tier- Boardmodell und das vor allem in Europa verbreitete dualistische Modell bzw. Two-Tier- Boardmodell. Ersteres zeichnet sich durch eine Zusammenfassung der Leitung und Kontrolle des Unternehmens in einem Organ, dem Board of directors bzw. Verwaltungsrat, aus. Die Leitungs- und Kontrollaufgaben werden damit nicht institutionell voneinander getrennt. Stattdessen ist es üblich, verschiedene Gruppen und Ausschüsse (Audit Committee, Nomination Committee, Compensation Committee) zu bilden, die für die Bearbeitung bestimmter Themenbereiche zuständig sind (vgl. Offenhammer, 2012).

Dem Board als Gesamtgremium obliegen die Unternehmenskontrolle und die

Auseinandersetzung mit relevanten strategischen Fragen, wie die Wahl der Geschäftsstrategie. Aus diesem Grund sind die Kompetenzen des Boards im One-Tier-Boardmodell weiter gefasst als bspw. beim Aufsichtsrat im deutschen Two-Tier-Boardmodell (vgl. Warncke, 2010).

Im Unterschied zum One-Tier-Boardmodell sieht das Two-Tier-Boardmodell eine Trennung der Leitung und Kontrolle des Unternehmens vor. Während der Vorstand die Geschäftsführung übernimmt, ist der Aufsichtsrat für die Bestellung und Überwachung des Vorstands zuständig. Zur dritten Instanz wird die Hauptversammlung gezählt, die sich aus den Anteilseignern des Unternehmens zusammensetzt. Da diese in ihrer Vielzahl nicht in der Lage sind die Überwachung des Unternehmens durchzuführen, wird diese Aufgabe dem Aufsichtsrat übertragen (vgl. Oetker, 2009).

Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Ausgestaltung der Unternehmensverfassungen ergeben sich verschiedene Zielsetzungen in Bezug auf die Einrichtung von Aufsichtsratsausschüssen. Im One-Tier-Boardmodell kommt der personellen Trennung und dem Tatbestand der Unabhängigkeit eine größere Bedeutung zu, als im Two-Tier-Boardmodell. Dort wird seit Längerem der Versuch unternommen, eine stärkere personelle Trennung durch die Unterscheidung zwischen geschäftsführenden und nicht-geschäftsführenden Direktoren zu schaffen. Im Two-Tier-Boardmodell liegen die Hauptmotive zur Einrichtung von Ausschüssen in der Entlastung des Aufsichtsrats durch vorbereitende Tätigkeiten der Ausschüsse und der Stärkung der internen Corporate Governance (vgl. Velte, 2009a).

Trotz ihrer unterschiedlichen Ausgestaltung, werden die beiden Unternehmensmodelle in der Präambel des DCGK als gleichwertig angesehen: Die Europäische Gesellschaft (SE) eröffnet den Unternehmen die Möglichkeit, sich für ein einheitliches Leitungsorgan zu entscheiden. In der letzten Zeit findet darüber hinaus auch eine intensive Diskussion um eine Annäherung der Systeme statt. Eine weltweit vollständige Konvergenz erscheint jedoch unwahrscheinlich und gilt auch nicht als erstrebenswert (vgl. Mintz, 2005).

2.2.2 Entwicklung des Deutschen Corporate Governance Kodex

Die Entwicklung einer starken Corporate Governance in Deutschland wird oftmals mit der Entstehung des DCGK assoziiert (vgl. Kram, 2012). So wurde auf Empfehlung der „Regierungskommission Corporate Governance“ am 6. September 2001 zunächst die „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ mit dem Ziel eingesetzt, Verhaltensregeln für die Führung und Kontrolle börsennotierter Unternehmen zu erarbeiten. Nach nur drei Monaten wurde der erste Entwurf des DCGK von der Kodex-Kommission für Stellungnahmen vorgelegt. Im Januar 2002 kam es nach einem einstimmigen Konsensverfahren schließlich zur Verabschiedung des Kodex (vgl. Warncke, 2010). Seitdem wird dieser kontinuierlich auf Plausibilität geprüft und ggf. Anpassungen vorgenommen, wobei die letzte Anpassung des Kodex in 2013 stattfand.5

Bei den Bestimmungen des DCGK lassen sich grundsätzlich drei Kategorien unterscheiden. Unter die erste Kategorie fallen Bestimmungen, die das geltende Recht bzw. seine Interpretation wiedergeben. Obwohl der Kodex aufgrund seiner Rechtsnatur die Unternehmen nicht zur Einhaltung dieser Bestimmungen verpflichten kann, sind die entsprechenden Gesetze von den Unternehmen in vollem Umfang zu beachten (vgl. Müller-Michaels, 2012; Warncke, 2010). Zu einem weitaus größeren Teil sind Bestimmungen der zweiten Kategorie im Kodex zu finden, die Empfehlungen beinhalten, welche durch das Wort „soll“ gekennzeichnet sind. Eine Abweichung von diesen Empfehlungen ist gemäß dem „Comply or Explain“- Prinzip, d.h. „erfülle oder erkläre“, zu begründen. So wird im DCGK eine Effizienzsteigerung der Überwachungstätigkeit durch die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder vom Vorstand und durch eine Spezialisierung empfohlen, welche durch eine Ausschussbildung erreicht werden kann (vgl. Zipperling, 2012). Es ist anzumerken, dass der Kodex nicht bloß die Bildung von Ausschüssen empfiehlt, sondern darüber hinaus eine explizite Empfehlung zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses für spezielle Aufgabenbereiche gibt. Diese Empfehlung haben 96% der Unternehmen im DAX bereits umgesetzt (vgl. Werder / Bartz, 2014).

In der letzten Kategorie finden sich schließlich Anregungen, die entweder durch das Wort „sollte“ oder „kann“ begleitet werden. Bei diesen Bestimmungen kann eine Abweichung ohne Begründung erfolgen. In den nachfolgenden Kapiteln wird auf die theoretische Notwendigkeit in der Einrichtung von Ausschüssen eingegangen und die Probleme deutscher und internationaler Aufsichtsräte dargestellt.

2.3 Verhaltenswissenschaftliche Grundlagen

Der Einführung von Strukturen und Maßnahmen zur effizienten Unternehmensüberwachung liegen wesentliche verhaltenswissenschaftliche Phänomene der Unternehmensführung zugrunde. Die dominierende Theorie, welche insbesondere in den Corporate Governance- Kodizes verankert ist, stellt die sogenannte Prinzipal-Agent-Theorie dar (vgl. Zattoni / Cuomo, 2010). Den Kerngedanken der Theorie bildet die Interessensdivergenz zwischen den Eigenkapitalgebern (Prinzipal) und dem Management (Agent) aufgrund einer asymmetrischen Informationsverteilung. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Akteure vordergründig opportunistisch und nutzenmaximierend handeln, wodurch Zielkonflikte zwischen ihnen entstehen. Derartige Zielkonflikte führen zu sog. Agency-Kosten, die sich in Überwachungskosten zur Kontrolle des Agenten niederschlagen können. Typische Agency- Kosten sind Kosten des internen Controllings oder der Abschlussprüfung (vgl. Welge / Eulerich, 2012). Es wird angenommen, dass diese umso höher sind, je größer und komplexer die Aufsichtsräte ausgestaltet sind (vgl. Upadhyay / Bhargava / Faircloth, 2013).

Die Ursache solcher Zielkonflikte liegt häufig in der Trennung von Eigentum und Kapital, welche als spezifisches Merkmal börsennotierter Aktiengesellschaften bezeichnet werden kann. Die unterschiedliche Informationsverteilung konfrontiert den Principal mit Unsicherheit über das Verhalten des Agenten, weil er dessen Absichten nicht vollständig einschätzen kann („hidden action“) (vgl. Rössler, 2001). Im Ergebnis führt dies zur Gefahr, dass der Agent zum Nachteil des Prinzipals handelt („moral hazard“) (vgl. Rössler, 2001). Um die Unternehmensführung wirksam an den Interessen der Anteilseigner auszurichten, bedarf es daher der Einrichtung besonderer Institutionen (vgl. Wassermann / Rohde, 2012). So kann nach der Prinzipal-Agent-Theorie durch die Übertragung von Kontrollrechten der Anteilseigner an kleinere Gruppen von Fachleuten eine effiziente Überwachung des Managements erzielt werden (vgl. Böcking / Dutzi / Müßig, 2004). Das Management wiederum kann seinen Anteilseignern z.B. durch die Bildung eines Prüfungsausschusses signalisieren, dass es sich bemüht, deren Interessen in einer angemessenen Weise zu vertreten (vgl. Köhler, 2005).

Obwohl die Prinzpal-Agent-Theorie vielfach zur Erklärung der Notwendigkeit von Organen der Unternehmensüberwachung verwendet wird, sind ihr Grenzen gesetzt. Oftmals wird kritisiert, dass die Annahmen der Theorie nicht ausreichend die unterschiedlichen Identitäten der Akteure (z.B. Staaten, Banken, Familien) berücksichtigen und damit ihre Interessen nur bedingt abbilden (vgl. Offenhammer, 2012).

Auch die Annahme, dass die Akteure opportunistisch sind und extrinsisch motiviert handeln, kann nicht immer bestätigt werden. Aus diesen Gründen wird in letzter Zeit vermehrt eine weitere Theorie herangezogen, die sog. Stewardship-Theorie.

Im Unterschied zur Prinzipal-Agent-Theorie, wird bei der Stewardship-Theorie von einem opportunistischen Verhalten der Agenten Abstand genommen und stattdessen angenommen, dass die Vorstandsmitglieder „gute Verwalter“ (stewards) der Unternehmensressourcen sind (vgl. Nicholson / Kiel, 2007). Nach dieser Theorie sind sie stets bereit im Interesse der Prinzipale (Anteilseigner) zu handeln und werden damit nicht länger als „eigennützig handelnde“ Akteure charakterisiert.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied liegt in der Annahme, dass keine großen Interessensdivergenzen zwischen dem Vorstand und dem Aufsichtsrat bestehen. Ein eingerichteter Ausschuss übt unter der Zugrundelegung dieser Theorie daher keine Kontrollfunktion aus, sondern übernimmt vielmehr eine „Beratungsfunktion“ gegenüber dem Aufsichtsratsplenum oder dem Vorstand (vgl. Velte, 2009a).

Empirische Untersuchungen zu der Frage ob Manager eher Agenten oder Stewards sind, führen zu unterschiedlichen Ergebnissen (vgl. Davis / Schoormann / Donaldson, 1997; Bresser / Valle Thiele, 2008). Die endgültige Bestimmung der „richtigen“ Theorie erscheint daher nicht sinnvoll und hängt in erster Linie von den spezifischen Unternehmensumständen ab. Je nachdem welcher Theorie gefolgt wird, ergeben sich aber unterschiedliche Implikationen für die Funktion von Ausschüssen im Aufsichtsrat.

Nach der Prinzipal-Agent-Theorie sind Ausschüsse wie der Aufsichtsrat als Überwachungsorgane zu betrachten. Die normativen Reformbestrebungen im deutschen und angelsächsischen Raum basieren auf den Agency-Konflikten zwischen dem Vorstand und dem Aufsichtsrat bzw. den geschäftsführenden und nicht-geschäftsführenden Direktoren im Board of directors (vgl. Velte, 2009a). Die Notwendigkeit zur Einrichtung von Ausschüssen resultiert dabei aus der mangelhaften Arbeit und gar dem Versagen bestehender Kontrollmechanismen. In diesem Zusammenhang wird oftmals von einer Überwachungslücke im Aufsichtsrat gesprochen, die es gilt mit Ausschüssen zu schließen.

In Abgrenzung zur Prinzipal-Agent-Theorie sieht die Stewardship-Theorie grundsätzlich keine Notwendigkeit in der Implementierung spezieller Überwachungsorgane (vgl. Dutzi, 2005). Der Aufsichtsrat bzw. seine Ausschüsse üben ihre Kontrollrechte nur im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestanforderungen aus. Aufgrund ihrer Beratungsfunktion ist bspw. auch eine anreizkompatible Vergütung überflüssig (vgl. Eibelshäuser, 2011).

2.4 Schwächen der Aufsichtsratspraxis

Als zentrales Überwachungsorgan einer Aktiengesellschaft ist der Aufsichtsrat ein bedeutender Bestandteil von Corporate Governance-Systemen und bestimmt mit seiner Arbeit im Wesentlichen das Vertrauen der Aktionäre in die Unternehmensführung. In der letzten Zeit wurde jedoch wiederholt die Kritik verlautbart, dass Aufsichtsräte ihre Aufgaben nicht angemessen oder in einem nicht ausreichenden Maß erfüllen (vgl. Quick / Höller / Koprivica, 2008 - zit. nach Kram, 2012). Dies betrifft sowohl die Aufsichtsräte in Deutschland, als auch die Boards im angelsächsischen Raum. In beiden Systemen herrschen sehr ähnliche Probleme, die mithilfe von Committees bzw. Aufsichtsratsausschüssen gelöst werden sollen.

Neben der Kritik am individuellen Verhalten der Akteure, existieren sowohl im monistischen als auch im dualistischen Unternehmensmodell strukturelle Schwächen, die eine mangelnde Informationsversorgung des Aufsichtsrats zur Folge haben können (vgl. Steller, 2011). So wird in Deutschland die Größe der Aufsichtsräte als bedeutendstes strukturelles Problem angesehen. Zwar gibt das deutsche Aktiengesetz (AktG) eine Mindestgröße des Aufsichtsrats von drei Personen vor; davon abweichend kann die Satzung jedoch in Abhängigkeit vom Grundkapital eine höhere, durch drei teilbare Mitgliederzahl festlegen. Bei größeren Gesellschaften gelten dabei vorrangig die Vorgaben des Mitbestimmungsgesetzes (MitbestG). So setzt sich der Aufsichtsrat gem. § 7 MitbestG Abs. 1 und Abs. 2. bei einer Gesellschaft mit mehr als 2.000 im Inland Beschäftigten aus mindestens 12, bei Gesellschaften mit mehr als 10.000 Beschäftigten aus 16 und bei solchen mit mehr als 20.000 Mitarbeitern aus 20 bzw. 21 paritätischen Mitgliedern zusammen. Zählt man dann noch weitere Mitglieder wie Sachverständige und Protokollführer dazu, ergibt sich eine mögliche Gesamtteilnehmerzahl von 30 Personen, womit der Aufsichtsrat eine nicht mehr arbeitsfähige Größe erreicht (vgl. ebd., 2011). Mit der Größe der Aufsichtsräte wird zudem vielfach auch die Vertraulichkeit der Beratungen infrage gestellt, die jedoch zur Grundvoraussetzung für einen ungehinderten Informationsfluss zwischen dem Vorstand und dem Aufsichtsrat zählt (vgl. Schwalbach, 2004).

In Deutschland ist laut Angaben des Spencer Stuart Board Index 2012 eine durchschnittliche Aufsichtsratsgröße von 15 Personen vorzufinden. Im Vergleich dazu sind die Aufsichtsräte in Großbritannien und den USA mit durchschnittlich 10 bzw. 11 Mitgliedern deutlich kleiner, wodurch sie einen klaren Vorteil gegenüber deutschen Aufsichtsräten erzielen. Im Ergebnis kann eine derart hohe Teilnehmerzahl, wie sie in deutschen Aufsichtsräten vorzufinden ist, keine konzentrierte und sachgemäße Auseinandersetzung mit komplexen Themen ermöglichen.

Aber auch die Größe der angelsächsischen Boards erweist sich als problematisch. In einer Studie zum Einfluss der Aufsichtsratsgröße auf die Unternehmensperformance für in Großbritannien ansässige Firmen kann gezeigt werden, dass ein negativer Zusammenhang zwischen den beiden Variablen besteht (vgl. Guest, 2009). Allerdings sind die Debatten um eine optimale Größe unter dem Schlagwort „One size fits all“ bisher zu keinem zufriedenstellendem Ergebnis gekommen (vgl. Coles / Daniel / Naveen, 2008).

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Professionalisierung der Aufsichtsräte. Der Begriff „Professionalisierung“ umfasst im Kontext der Aufsichtsratstätigkeit eine Vielzahl verschiedenster Vorschläge, die eine Verbesserung der Unternehmensüberwachung zum Ziel haben (vgl. KMPG ACI, 2010).

In der Praxis geht die Sitzungszahl der deutschen Aufsichtsräte pro Jahr oft nicht über die vier vom Aktiengesetz vorgeschriebenen Pflichtsitzungen hinaus, was sich durchaus auf die Größe des Kontrollorgans zurückführen lässt. Zwar ist eine geringere Sitzungsfrequenz nicht zwangsläufig mit einer geringeren Überwachungseffektivität verbunden; sie widerspricht jedoch den Grundsätzen einer kontinuierlichen und begleitenden Unternehmensüberwachung (vgl. Steller, 2011). Neben den organisatorischen Schwierigkeiten, verfügen Aufsichtsratsmitglieder auch häufig nicht über ausreichend Zeit, weil sie nach gesetzlichen Vorgaben noch bis zu zehn weitere Aufsichtsratsmandate betreuen dürfen. Dies führt im Resultat dazu, dass für die Bearbeitung eines einzelnen Mandats weniger Zeit zur Verfügung bleibt und somit wichtige Themen vernachlässigt werden können.

Auch im angelsächsischen Raum sehen Investoren das Problem von Mehrfachmandaten und argumentieren, dass eine effektive Überwachung der Geschäftsführung in mehreren Unternehmen nicht mehr möglich sei (vgl. Rampling / Eddie / Liu, 2011). Ferris / Jagnnathan / Pritchard (2003) und Fich / Shivdasani (2004) fassen zusammen, dass Aufsichtsratsmitglieder mit einer hohen Anzahl an externen Aufsichtsratsmandaten oft überfordert sind und damit den Aufbau einer starker Corporate Governance erschweren.

Mit erhöhten Anforderungen und einer steigenden Komplexität der Rechnungslegungsvorschriften, die sich z.B. in der verpflichtenden Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards für Konzernabschlüsse niederschlagen, gerät zunehmend auch die Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder in den Fokus der Kritik. Häufig wird argumentiert, dass die Aufsichtsratsmitglieder nicht ausreichend qualifiziert sind um die komplizierten Vorgaben zu durchdringen (vgl. Warncke, 2010).

[...]


1 Der Verwaltungsrat (board) ist das einheitliche Leitungs- und Überwachungsorgan in monistischen Systemen.

2 Eigene Darstellung in Anlehnung an Ruhwedel, 2013.

3 http://www.juraforum.de/lexikon/corporate-governance.

4 Siehe hierzu stellvertretend: Daimler AG - Erklärung zur Unternehmensführung für das Geschäftsjahr 2013.

5 Vgl. http://www.dcgk.de/de/kodex.html (Homepage der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance).

Ende der Leseprobe aus 50 Seiten

Details

Titel
Aufsichtsratseffektivität durch Ausschüsse? Eine konzeptionelle Analyse
Note
1,7
Autor
Jahr
2016
Seiten
50
Katalognummer
V335145
ISBN (eBook)
9783668251090
ISBN (Buch)
9783668251106
Dateigröße
1003 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
aufsichtsratseffektivität, ausschüsse, eine, analyse
Arbeit zitieren
Nicoletta Liubcenco (Autor:in), 2016, Aufsichtsratseffektivität durch Ausschüsse? Eine konzeptionelle Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/335145

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Aufsichtsratseffektivität durch Ausschüsse? Eine konzeptionelle Analyse



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden