Sprachmacht, Sprachverlust und Hysterie in Hugo von Hofmannsthals "Elektra"


Hausarbeit, 2014

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Fragestellung

2. Einleitung: Hofmannsthal und die Hysterie in der Wiener Moderne

3. Hysterie
3.1 Begriffserklärung
3.2 Einfluss aus Breuer und Freuds Studien über Hysterie

4. Hauptteil: Elektra
4.1 Sprache und Hysterie
4.2 Sprachmacht, Sprachverlust, Identitätsverlust
4.3 Die Bedeutung des Tanzes

5. Schlussfolgerung

6. Literaturverzeichnis

1. Fragestellung

In folgender Arbeit möchte ich untersuchen, inwiefern der Sprachverlust und die Sprachmacht in Hugo von Hofmannsthals Elektra für die Hysterie stehen. Vor allem an den Frauenfiguren werden diese Aspekte deutlich und daher auch untersucht. Zuerst werde ich einen kurzen Überblick über die Wiener Moderne geben, da diese für das Hysterieverständnis und für die Sprachskepsis um die Jahrhundertwende von Bedeutung ist.

Dann werde ich den Begriff der Hysterie erklären und Bezüge zu Freud und Breuers Studien über Hysterie herstellen.

Im Hauptteil geht es darum, das Drama Elektra auf hysterische Symptome im Zusammenhang mit dem Gebrauch der Sprache der Protagonistinnen hin zu analysieren. Vor allem der Sprachverlust als auch die Sprachmacht der weiblichen Figuren spielen hierbei eine wichtige Rolle. Zudem sind die Reaktionen des Körpers von Bedeutung. Körperstarre, Körpersprache und Tanz sind wichtige Elemente, die ebenfalls untersucht werden sollen. Am Schluss sollen die wichtigsten Ergebnisse noch einmal zusammengefasst werden.

2. Einleitung: Hofmannsthal und die Hysterie in der Wiener Moderne

Hugo von Hofmannsthal war einer der bedeutendsten Vertreter der Wiener Moderne. Diese erstreckt sich von etwa 1890 bis 1910 und wird von einer Gruppe junger Schriftsteller und Künstler geleitet. Im sogenannten Fin-de-siècle kommt es zu einer vermehrten Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Vergangenheit und mit seinem eigenen Selbst. Diese Fokussierung steht im Zusammenhang mit den Wandlungen der Gesellschaft.

Die Sprachskepsis, die vor allem in Hofmannsthals Brief an Lord Chandos deutlich wird, ist Teil der Kultur- und Identitätskrise, die um die Jahrhundertwende stattfindet. Annahmen und veraltete Ansichten der vorangehenden Epoche werden hinterfragt und verlieren durch die Modernisierungsprozesse an Bedeutung. Kunst, Musik, Literatur und Philosophie erleben eine Blütezeit und streben die Kunst um der Kunst Willen an. Der Mensch, das Individuum, das im Zentrum steht, löst sich aus der bestehenden Gesellschaft und Politik heraus. In dieser Niedergangsphase sind Nervenkrankheiten keine Seltenheit und stehen im Zusammenhang mit der Psychoanalyse, zu der vor allem Freud, Philosoph und ebenfalls Vertreter der Wiener Moderne, einen wichtigen Beitrag geleistet hat.

Die Hysterie ist eine der am meisten wahrgenommenen Krankheiten der Wiener Moderne. Die Krankheit zählt um 1900 zu den „epidemieartig verbreiteten Frauenkrankheiten.“[1] Der oder die Betroffene erlebt eine Krise des Subjekts und setzt sich mit seinem eigenen Ich auseinander. Die Brüche und Wandlungen der Gesellschaft übertragen sich auf die inneren Brüche des Individuums. All das kann man auf die Figur der Elektra übertragen, die ganz im Sinne der Krise des Fin-de-siècle steht. „Der hypersensible >Nervöse< nimmt die Phänomene der Außenwelt als stimulierende Eindrücke seiner Innenwelt wahr und betreibt diese Verinnerlichung von Außenwelt bis zu einem Grade, da die Betrachtung der Außenwelt sich zugleich als Betrachtung des eigenen Ichs herausstellt.“[2] Das Subjekt spiegelt sich selbst in seiner ihm umgebenden Dinge und Menschen. Die Gesellschaft wird somit zum Spiegelbild des Einzelnen.

Der gebrochene Mensch spiegelt sich in der zerfallenden Gesellschaft wieder. Die Modernisierungsprozesse lösen beim Menschen emotionale und mentale Gefühlsstürme aus und bringen ihn in eine Krisenstimmung. Es kommt zu einem Teufelskreis. Die Prozesse der Gesellschaft und das damit verbundene Leid übertragen sich auf den einzelnen Menschen.

All diese Zusammenhänge von Wandel, Verlust, Erinnerung und Leid verarbeitet der Mensch nur schwer und können daher Nervenkrankheiten bei ihm auslösen. Zudem beginnt der Mensch in dieser Gefühlsunordnung über seine eigene Vergangenheit zu reflektieren. Die Erinnerung wird zum zentralen Element.

Sowohl die Sprachskepsis als auch die Hysterie können also als Resultat der Krise gesehen werden. In der Hysterie äußert sich der Schmerz der Krisenstimmung auf körperlicher Ebene, wie zum Beispiel durch extreme Körpergewalt, hysterische Bewegungen oder durch Körperstarre. Die Hysterie drückt aus, was die Sprache nicht zulässt. Eine Definition soll zunächst Aufklärung darüber geben, was unter Hysterie zu verstehen ist.

3. Hysterie

3.1 Begriffserklärung

Der Begriff der Hysterie existiert schon seit der Antike und geht auf Hippokrates zurück. Das Wort, das von dem Griechischen Wort hystéra für „Gebärmutter“ stammt, bezeichnet eine neurotische oder psychische Störung. Sie findet auf dem Gebiet der Nerven statt und ist damit eine Nervenkrankheit. Die Hysterie gilt als eine der ältesten psychischen Störungen.

Zu den Hauptmerkmalen gehören Geltungsbedürfnis, Egozentrismus, ein Bedürfnis nach Anerkennung und Unreflektiertheit. Jedoch ist das Krankheitsbild der Hysterie so verschieden, dass kein einheitliches Erscheinungsbild aufgezeigt werden kann. Körperliche Störungen wie Lähmungen, Bewegungsstürme oder –störungen, aber auch Störungen der Sinnesorgane wie Taubheit oder Sehrverlust treten auf. Sie werden nicht durch organische Fehler ausgelöst, sondern durch Störungen der Psyche.

Vor allem Frauen sind von der Hysterie betroffen, so auch Elektra. Zudem bestand lange die Annahme, die psychische Krankheit würde durch eine Fehlfunktion der Gebärmutter entstehen, was jedoch in der Moderne wiederlegt wurde.

Auch der Kampf gegen die Macht einer übergeordneten Person wie zum Beispiel der Mutter zählt zu den typischen Erscheinungen der Hysterie. So auch bei Elektra, die sich versucht an ihrer Mutter zu rächen.

In der Wiener Moderne um die Jahrhundertwende wird der Begriff neu definiert. Freud und Breuer wiesen auf ihren Studien über Hysterie erstmals darauf hin, dass es sich nicht ausschließlich um eine Frauenkrankheit handelt.

Im Duden wird der Begriff der Hysterie als „auf psychotischer Grundlage beruhende oder aus starken Gemütserregungen entstehende, abnorme seelische Verhaltensweise mit vielfachen Symptomen ohne genau umschriebenes Krankheitsbild“[3] bezeichnet. Der Begriff steht im Zusammenhang mit der Psychoanalyse. Laplanche und Pontalis haben den Begriff im Vokabular der Psychoanalyse definiert und unterscheiden zwischen zwei verschiedenen Formen: die Konversionshysterie, bei der die psychische Störung durch körperliche Äußerungen sichtbar wird und die Angsthysterie, die mit einer Phobie gleichzusetzen ist.

Die Konversionshysterie zeichnet sich durch Symptome wie bereits erwähnte Lähmungen aus während die Angsthysterie ähnliche Merkmale aufweist, jedoch immer durch Ängste ausgelöst wird. Verbreitet zu der Zeit ist auch di Annahme, die Hysterie sei „Krankheit durch Vorstellung.“[4] Dies stellt unter anderem Freud fest. Er erwähnt in seinen Studien über Hysterie den Begriff der „hysterogenen Zone“. Diese Körperzone kann hysterische Anfälle auslösen wenn sie gereizt wird. Die Zone kann überall am Körper auftreten und sie wird mit erogenen Zonen, die sexuelle Reize auslösen, verglichen, da die Reaktionen auf deren Reizung ähnlich seien.

Laplanche und Pontalis stellen fest, dass das Hysteriephänomen vor allem gegen Ende des 19. Jahrhunderts ausgebreitet war - zu einer Zeit, zu der auch Hofmannsthal das Drama Elektra verfasst. Sie beobachten, dass das hysterische Verhalten entweder durch die Suggestion oder Manipulation oder durch die Krankheit hervorgerufen wird.

3.2 Einfluss aus Breuer und Freuds Studien über Hysterie

Hofmannsthal verändert die antike Elektra, wie Sophokles sie darstellt. Das klassische Griechenland erhält im Drama nicht die gleiche Bedeutung, es steht nicht mehr so im Mittelpunkt und das klassische Schönheitsideal in Form griechischer, verehrter Götter ist nicht mehr so präsent. Die alte Elektra, die als „Elektra mit ihrer Feuerzunge“ in Goethes Iphigenie auf Tauris dargestellt wird, muss Hofmannsthal zu einer wilden ausbrechenden, hysterischen Furie inspiriert haben. Er stellt sie hysterischer und besessener als je zuvor dar.

Inspiration nimmt er vor allem aus Freud und Breuers Studien über Hysterie. Diese haben erheblichen Einfluss auf Hofmannsthals Verfassen der neuen Elektra. Freud und Breuer stellen in ihren Studien von 1895 fest, dass hysterische Anfälle fast immer erklärbar sind, also im Zusammenhang mit einem erlebten Ereignis stehen. Zusammenhänge sind jedoch nicht immer eindeutig. In dem Fall gibt es nur einen symbolischen, nicht sofort erkennbaren Zusammenhang. Durch ein psychisches Trauma zum Beispiel „kann jedes Erlebnis wirken, welches die peinlichen Affekte des Schreckens, der Angst, der Scham, des psychischen Schmerzes hervorruft“[5]. Freud und Breuer erkennen aus ihren Studien außerdem, dass es oft mehrere verschiedene traumatische Erlebnisse sind, die zusammen eine Hysterie auslösen können. Vergangene Erlebnisse wirken also ständig in der Gegenwart weiter und die Unterdrückung derer ist dem Betroffenen unmöglich. Die hysterischen Anfälle äußern sich für den Hysteriker in einem Anfall großer Bewegungen.

[...]


[1] Blome, Eva: „Schweigen und tanzen“. Hysterie und Sprachskepsis in Hofmannsthal „Ein Brief“ und „Elektra“. In: Hofmannsthal. Jahrbuch zur europäischen Moderne 19/2011. Im Auftrag der Hofmannsthal-Gesellschaft. Hrsg. von Gerhard Neumann, Ursula Renner, Günter Schnitzler, Gotthart Wunberg. 1. Auflage. Freiburg: Rombach Verlag 2011. S. 275.

[2] Lorenz, Dagmar: Wiener Moderne. 2. Auflage. J. B. Metzler Verlag: Stuttgart, Weimar 2007. S. 69.

[3] [Art.] Hysterie. In: Duden. Das Fremdwörterbuch. Hrsg. von der Dudenredaktion. 9. Auflage. Mannheim: Dudenverlag 2007. S.432.

[4] Laplanche, J.; Pontalis, J.-B.: Das Vokabular der Psychoanalyse. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1973. S. 181.

[5] Breuer, Josef; Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. 5. Auflage. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2003. S. 29.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Sprachmacht, Sprachverlust und Hysterie in Hugo von Hofmannsthals "Elektra"
Hochschule
Universität Wien  (Germanisitik)
Veranstaltung
Grundlagen der Dramenanalyse
Note
2,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
14
Katalognummer
V335443
ISBN (eBook)
9783668253636
ISBN (Buch)
9783668253643
Dateigröße
456 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sprachmacht, sprachverlust, hysterie, hugo, hofmannsthals, elektra
Arbeit zitieren
Nadine Weber (Autor:in), 2014, Sprachmacht, Sprachverlust und Hysterie in Hugo von Hofmannsthals "Elektra", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/335443

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