"Deppen Leerzeichen". Über Phänomen und Ursachen der Getrenntschreibung in deutschen Komposita


Term Paper (Advanced seminar), 2016

18 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Über den Gebrauch von Leerzeichen in Komposita

3. Amtliche Vorgaben zur Komposita-Schreibung

4. Einflüsse auf die Komposita-Schreibung
4.1. Produktaufschriften und -werbung
4.2. Vorbild englische Sprache
4.3. Schreiben an elektronischen Geräten
4.3.1. Tastaturen
4.3.2. Auto-Korrektur

5. Vor- und Nachteile der „Getrennt Schreibung“

6. Zukunftsperspektiven der Kompositaschreibung

7. Fazit

8. Abbildungsverzeichnis:

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Jede gute Seminar Arbeit beginnt mit einer spannenden Einleitung. Der Schluss Satz sollte zusammen fassend sein und selbst verständlich muss die Recht Schreibung eingehalten werden. Das ist nicht immer einfach: Die 5 Rechtschreibfehler, die in obigen Sätzen vorkommen, nennt man umgangssprachlich „Deppenleerzeichen“. Das sind Leerzeichen, die anstatt eines Bindestrichs oder vollkommen willkürlich in Wortzusammensetzungen gesetzt werden. Barz nennt sie „diskontinuierliche Komposita“. (Barz 1993: 167) Der Leser sei an dieser Stelle einleitend an den kurzweiligen Artikel der Zwiebelfisch-Kolumne von Bastian Sick verwiesen. (Sick 2008: 32-36)[1]

In dieser Arbeit werde ich diskutieren, welche Faktoren auf die Getrenntschreibung der Komposita Einfluss nehmen. Dazu beweise ich zuerst, dass diskontinuierliche Komposita tatsächlich vorkommen und vergleiche sie dann mit der Schreibweise, die durch die amtliche Regelung vorgegeben wird. Im Anschluss erkläre ich drei Einflüsse auf die Schreibung: Werbung, Englische Sprache und der Gebrauch neuer Medien. Ich schließe mit einer Diskussion der Vor- und Nachteile verschiedener Komposita-Schreibungen sowie einer kurzen Prognose über ihren Gebrauch.

Zwar ist das Leerzeichen zur Worttrennung in verschiedenen Komposita prominent, in dieser Arbeit werde ich jedoch ausschließlich Wörter mit substantivischem Letztglied untersuchen. Im Gegensatz zu anderen Zusammensetzungen, für die das „Institut für Deutsche Sprache“ (IDS) eine Variantenschreibung vorsieht (selbst gebacken/selbstgebacken), über deren Schreibweise sich also diskutieren ließe, gilt für Komposita mit substantivischem Letztglied: „Man schreibt sie […] zusammen.“ (IDS 2010: §37) Eine einfache Regel, die das Richtigschreiben erleichtert und Falschschreibungen leicht erkenntlich macht. Dennoch treten Letztere häufig auf – und das nicht erst seit der Rechtschreibreform, wie das folgende Kapitel zeigen wird.

2. Über den Gebrauch von Leerzeichen in Komposita

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Lutherbibel 1534

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Verkehrsschild bei Wuppertal

Tatsächlich ist die Getrenntschreibung von Komposita kein neues Phänomen: Bereits im Nibelungenlied ist die Rede vom „chuchen meister“, dem „Küchen Meister“. (Kofler 2012: 22) Die Lutherbibel von 1534 weist in Hesekiel 13 gleich drei „Deppenleerzeichen“ auf: „Wind Wirbel“, „Platz Regen“ und „Hagel Steine“. (Abb. 1) Und in einer Gerichtsordnung aus dem Jahr 1618 findet sich die Schreibweise „Landtgerichts Ordnung“. (Bergmann und Nerius 1998: 330) Um die Jahrtausendwende mangelt es wahrhaftig nicht an Beispielen für das Spatium in Komposita. Barz führt 1993 z.B. „Tomaten Ketchup“ „Opel Händler“ und „Ernst Klett Verlag“ an. (Barz 1993: 167) Stein findet 1999 in einem Werbeprospekt unter anderem „Dauerwurst Aufschnitt“ und „Damen Bluse“. (Stein 1999: 268) Autofahrer dürften sich 2007 über die Abfahrt zur „Uni Halle“ in Wuppertal gewundert haben. (Abb. 2) Gemeint war die Wuppertaler „Uni-Halle“. Auch in der Zeitung lassen sich „Deppenleerzeichen“ finden. In der FAZ war am 29.10.2014 von einem „100 Gramm Goldbarren“ zu lesen. (Nestler 2014) Mittlerweile genießt das Phänomen eine gewisse Aufmerksamkeit, sodass inzwischen sogar Webseiten existieren, auf denen sich Fotografien solcher falsch gesetzter Leerzeichen sammeln.[2]

Es hat den Anschein, dass Spatien in Komposita im Laufe der deutschen Sprachgeschichte immer wieder auftraten, dass Schreibende also die (mehr oder minder bewusste) Entscheidung trafen und noch treffen, Zusammensetzungen im Schriftbild als getrennte Entitäten darzustellen. Erben stellte fest, dass im Deutschen bis ins 21. Jahrhundert hinein die Tendenz besteht, Gliederungshilfen generell häufig einzusetzen. (Erben 2007: 118) Das Spatium ist aus dieser Perspektive, wie der orthografisch richtige Bindestrich auch, ein Gliederungsmittel. Allerdings ist es als Gliederungsmittel in Komposita orthographisch falsch und nur der Bindestrich korrekt, wie das folgende Kapitel zeigen wird.

3. Amtliche Vorgaben zur Komposita-Schreibung

Zwar regelt das amtliche Regelwerk die Rechtschreibung nur für Schulen und Verwaltungsbehörden verbindlich, aber „darüber hinaus hat es zur Sicherung einer einheitlichen Rechtschreibung Vorbildcharakter für alle, die sich an einer allgemein gültigen Rechtschreibung orientieren möchten (das heißt Firmen […] aber auch Privatpersonen.“ (IDS 2010: 7,1) Das klingt doch etwas schüchtern: Wer möchte, orientiert sich daran, dem ist das Regelwerk ein Vorbild. Wer nicht, dem nicht und der schreibt, wie er will. Ob das die „Sicherung einer allgemein gültigen Rechtschreibung“ gewährleistet, bliebe zu fragen. Schließlich ist allgemein nur gültig, was allgemein (also für alle) gilt.

Über Komposita mit substantivischem Letztglied steht in der Regelung: Substantive, Adjektive, Verbstämme, Pronomen oder Partikeln können mit Substantiven Zusammensetzungen bilden. Man schreibt sie ebenso wie mehrteilige Substantivierungen zusammen. (IDS 2010: §37) Diese Regel ist eindeutig. Ausnahmen davon bilden:

- Aus dem Englischen stammende Bildungen aus Adjektiv und Substantiv, wenn der Hauptakzent auf dem hinteren Bestandteil lieg: Z.B. “High Society, Electronic Banking oder New Economy [Hervorhb. d. Verf.]” (IDS 2010: §37, 1.5, E4)
- Bruchzahlangaben, wie „fünf hundertstel Sekunden“ oder „fünf Hundertstelsekunden“, denn „fünf hundertstel“ kann als zweiteiliges Zahladjektiv betrachtet werden. (IDS 2010: §37, 1.5, E5)
- Ableitungen geografischer Eigennamen auf –er, wie „Allgäuer Alpen“ oder „Brandenburger Tor“ Hierfür wird keine Begründung genannt. (IDS 2010: §38)

Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit „anstelle der sonst bei Zusammensetzungen und Ableitungen üblichen Zusammenschreibungen die einzelnen Bestandteile als solche zu kennzeichnen, sie gegeneinander abzusetzen und sie dadurch für den Lesenden hervorzuheben“, indem man einen Bindestrich setzt. (IDS 2010: C, 0, 1) Anstatt „Haustür“ ist also auch „Haus-Tür“ orthografisch richtig. Ob der Leser des Wortes die Hervorhebung tatsächlich benötigt oder nicht, tut laut amtlicher Regelung nichts zur Sache. Davon zu unterscheiden ist die Worttrennung am Zeilenende, die immer einen Bindestrich benötigt (IDS 2010: F) – eine Regel, die vor allem in Werbetexten gerne missachtet wird und zu einer Interpretation als „Deppenleerzeichen“ führt.

Bis auf die Ausnahme geografischer Bezeichnungen macht man also nichts verkehrt, wenn man Komposita als ein Wort schreibt. Damit ist die Regel relativ einfach. Dass Leerzeichen in Komposita dennoch prominent sind, lässt darauf schließen, dass die amtliche Regelung nicht die einzige Institution ist, die Einfluss auf die Rechtschreibung deutscher Schreiber nimmt. Ihr „Vorbildcharakter“ scheint entweder mangelhaft zu sein, oder die Regelung ist zu unbekannt, um auf einen Großteil der deutschen Schreiber wirken zu können.

4. Einflüsse auf die Komposita-Schreibung

Die amtliche Regelung gibt eindeutig vor, dass Komposita zusammengeschrieben werden müssen. Es muss also andere Einflüsse auf die Schreibung geben, die das Setzen von Leerzeichen in Komposita begünstigen. (U.a. auch untersucht von Barz 1993: 168) Im Folgenden gehe ich zuerst auf die Vorbildwirkung der Werbung und der englischen Sprache ein. Danach untersuche ich den Einfluss der neuen Medien auf die Getrenntschreibung der Komposita.

4.1. Produktaufschriften und -werbung

Eine ergiebige Quelle für „Deppenleerzeichen“ bilden Werbetexte und Produktaufschriften. (Barz 1993: 167) Abbildung 3 zeigt eine Milchverpackung mit der Aufschrift „Haltbare Bergbauern Milch“. Aus ökonomischen Gründen kommt eine Zusammenschreibung für den Werbetreibenden hier nicht in Frage. „Bergbauernmilch“ auf die ca. 10cm breite Verpackung zu drucken, würde eine wesentlich kleinere Schriftgröße erfordern. Die Produktaufschrift wäre erst aus geringerer Distanz lesbar. Das wäre allerdings kein Grund, auf den Bindestrich zu verzichten, wenn man das Kompositum auf zwei Zeilen aufteilt.Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Milch der Marke „Berchtesgadener Land“ (übrigens mit „Herkunfts Garantie“) wie auf der Webseite des Werbetreibenden präsentiert

Abbildung 3 zeigt aber außerdem, dass, sofern der Platz gegeben ist, „Bergbauern-Milch“ vom Werbetreibenden durchaus orthografisch korrekt geschrieben wird. Einheitlichkeit hinsichtlich der Falschschreibung besteht also nicht. Das unterstreicht Barz‘ Argument, dass die Schreibung vor allem gestalterischen Überlegungen zugrunde liegt. (Barz 1993:169) Auch Altmann bemerkt verschiedene Schreibweisen desselben Kompositums auf einer Produktpackung und führt ästhetische Gründe an. (Altmann 2008: 18

Eine andere Erklärung ist die Hervorhebung des Produktnamens durch dessen Für-sich-selbst-Stehen. Die Normabweichung ist also ein Versuch der Aufmerksamkeitslenkung. (Dürscheid 2005: 43) Derartige „Attention getting devices“ (Lipka 2000: 7ff.) sind in der Werbung üblich. Einzelne Konstituenten und v.a. der Markenname erhalten eine stärkere Gewichtung. (Hirner 2007: 168) Auch Barz schreibt, Getrenntschreibung sei in einem Großteil der Werbung üblich, um den Produkt- oder Markennamen hervorzuheben. (Barz 1993:169)

Ein dritter Grund für die Getrenntschreibung in der Werbung ist der Einfluss des Englischen, der in diesem Bereich außerordentlich groß ist. z.B. „Business Class“ oder „High Heels“. (Hirner 2007: 167) Die englische Schriftsprache besitzt eine Grammatik, die es erlaubt, Komposita durch eine Leerstelle zu „verbinden“. (s.u.) Werbetexte bedienen sich der englischen Sprache aus Prestigegründen und importieren diese Grammatik.

Das alles dürfte wenig Einfluss auf die Rechtschreibung eines Lesers haben, der sich der amtlichen Regelung bewusst ist. Allerdings fand Altmann heraus: „unerlaubte Getrenntschreibung […] wurde von wenigen Informanten erkannt.“ (Altmann 2008: 17) Es scheint, als hätte die Werbung, spezialisiert auf unterschwellige Informationsübermittlung, diesen Effekt auf ihre Sprache ausgeweitet. Werbetexte gelten grundsätzlich als orthografisch richtig oder sie werden nicht aufmerksam genug rezipiert, um Rechtschreibfehler zu erkennen und so breitet sich die Getrenntschreibung von Komposita weiter aus.

4.2. Vorbild englische Sprache

Nicht nur in der Werbung ist sie auffällig: Keine andere Sprache übt zu Beginn des 21. Jahrhunderts so viel Einfluss auf das Deutsche aus, wie die englische. Die amerikanische Leitkultur zeigt sich deutlich in „Big Player“, „Marlboro Country“, „Business Class“, „Fühlen Sie die Power“, die hauptsächlich über die Werbung ins Deutsche einwandern. (Hirner 2007: 166) Aber auch abseits jeder Werbesprache haben sich Wörter wie „cool“, „downloaden“, „hi“ oder „shopping“ inzwischen fest in der Alltagssprache etabliert. Das Englische folgt einer anderen Grammatik als das Deutsche: Hier sind Leerstellen zwischen den einzelnen Konstituenten von Komposita üblich. (z.B. „product manager“, „metal worker“, „picture story“) Der häufige Kontakt zum Englischen mag heutzutage einige Schreiber dazu verleiten, die fremdsprachliche Grammatik auf deutsche Komposita zu übertragen. Barz hält die englische Wortbildung sogar für die bedeutendste Einflussgröße auf die deutsche Kompositaschreibung. Vor allem werde sie durch Produktwerbung kommuniziert, bei der „das Prestige des Englischen vom Wort auf den bezeichnenden Gegenstand übertragen werden“ soll. (Barz 1993: 170) Auch Dürscheid sieht in den auseinandergeschriebenen Komposita eine Nachahmung der englischen Grammatik, die allerdings vorrangig über die Computerbranche ins Deutsche einzieht. (Dürscheid 2000: 243f.)

4.3. Schreiben an elektronischen Geräten

Die Erfindung der digitalen elektronischen Kommunikation über Mobilfunk und Internet hat dafür gesorgt, dass heute so viele Menschen wie noch nie „Textproduzenten“ sind. Bis dato schrieben Privatpersonen höchstens Briefe. Davon beförderte die deutsche Post im Jahr 2014 noch ca. 20 Milliarden (19 Milliarden im Jahr 2015).[3] Parallel dazu wurden in Deutschland fast eineinhalb Billionen Nachrichten über den Online-Dienst "WhatsApp" versendet. (Über zwei Billionen im Jahre 2015)[4] Zum Briefeschreiben hinzu kommt seit ca. 20 Jahren also auch das „Messages-Schreiben“. Zwar dürften die meisten der Kurznachrichten per SMS oder „Whatsapp“ deutlich weniger Worte enthalten, als ein durchschnittlicher Brief, doch ist es angesichts dieser Zahlen unbestreitbar, dass heute mehr Schriftkommunikation betrieben wird, als je zuvor. Seit dem Aufkommen der elektronischen Kommunikation hat sie um ein Vielfaches zugenommen. Es lohnt sich daher, zu untersuchen, ob die Schreibung von Komposita durch die Eigenschaften dieser neuen Art des Schriftverkehrs beeinflusst wird. Ich untersuche im Folgenden, wie die Beschaffenheit der zur Kommunikation genutzten elektronischen Medien Einfluss auf die Schreibung ihrer Nutzer nehmen kann.

[...]


[1] Der Artikel „Dem Wahn Sinn eine Lücke“ ist online abrufbar unter: http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/zwiebel-fisch-dem-wahn-sinn-eine-luecke-a-333774.html

[2] z.B. www.Deppenleerzeichen.de

[3] Deutsche Post. "Anzahl der beförderten Briefe durch die Deutsche Post von 2014 bis 2015 (in Millionen Stück)." Statista - Das Statistik-Portal. Statista. März 2016. Web. 18. März 2016. <http://de.statista.com/statistik/daten/studie/38996/umfrage/anzahl-der-befoerderten-briefe-durch-die-deutsche-post/>

[4] VATM. "Anzahl der verschickten SMS- und WhatsApp-Nachrichten in Deutschland von 1999 bis 2014 und Prognose für 2015 (in Millionen pro Tag)." Statista - Das Statistik-Portal. Statista. Oktober 2015. Web. 18. März 2016. <http://de.statista.com/statistik/daten/studie/3624/umfrage/entwicklung-der-anzahl-gesendeter-sms--mms-nachrichten-seit-1999/>

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Details

Title
"Deppen Leerzeichen". Über Phänomen und Ursachen der Getrenntschreibung in deutschen Komposita
College
Catholic University Eichstätt-Ingolstadt
Course
Hauptseminar: Orthographie
Grade
1,0
Author
Year
2016
Pages
18
Catalog Number
V335447
ISBN (eBook)
9783668253391
ISBN (Book)
9783668253407
File size
1342 KB
Language
German
Keywords
Deppenleerzeichen, Deppen Leerzeichen, Neue Medien, Schriftlinguistik, Linguistik, Werbung, Englische Sprache, Getrenntschreibung, Ursachen, Komposita, Spatium, Zusammenschreibung, Tastaturen
Quote paper
Erik Lutz (Author), 2016, "Deppen Leerzeichen". Über Phänomen und Ursachen der Getrenntschreibung in deutschen Komposita, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/335447

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