Der Bundespräsident als Vetospieler nach Tsebelis. "Staatsnotar" oder "politische Instanz"?


Hausarbeit, 2016

21 Seiten, Note: 1,7

Clara Segen (Autor:in)


Leseprobe


Gliederung

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Tsebelis` Vetospieler-Ansatz
2.1. Grundlagen des Vetospieler-Ansatzes
2.2. Hypothesen der Veto-Spieler-Theorie
2.2.1. Anzahl der Vetospieler
2.2.2. Distanz zwischen Vetospielern
2.2.3. Kohäsion der Vetospieler
2.3 Kritische Bewertung der Vetospielertheorie
2.4 Fazit

3. Der Bundespräsident
3.1 Die Rolle des Bundespräsidenten
3.1.1. Der Bundespräsident als „Staatsnotar“
3.1.2. Bundespräsident als politische Instanz

4. Abschließendes Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Der lineare Zusammenhang zwischen Vetospielern und Reformen, Quelle: Dietrich (2008: 33)

Abbildung 2: Art und Typ der Vetospieler, Quelle: Jochem (2003)

Abbildung 3: Selbsteinordnung in einer Links-Rechts-Skala, Quelle: Warszawa (2010)

Abbildung 4: Funktion des Bundespräsidenten, Quelle: Marschall (2014: 181)

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

“Das Fragenstellen ist das schärfste Schwert, das der Bundespräsident hat. Denn Fragen kann man nicht verbieten.“

(Bundespräsident Roman Herzog vor Offizieren der Führungsakademie der Bundeswehr)

„Ich will zuhören, damit niemand ungehört bleibt. Ich will Gesprächsfäden neu knüpfen wo sie abgerissen sind, zwischen Ost und West, zwischen Jung und Alt!“

(Johannes Rau in seiner Antrittsrede als Bundespräsident am 01.07.1999)

„Wenn ein Bundespräsident nicht eine eigene politische Agenda verfolgt, dann ignoriert er seinen Amtseid.“

(Horst Köhler)

(Bundespraesident.de 2016: Reden und Interviews)

Von Theodor Heuss bis Joachim Gauck waren bis dato insgesamt elf Amtsträger im Amt des Bundespräsidenten tätig (Bundespraesident.de 2016: Die Bundespräsidenten). So unterschiedlich wie diese Persönlichkeiten waren, so unterschiedlich waren auch die Ausführungen und Interpretationen des Amtes des Bundespräsidenten für jeden einzelnen. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Amtszeiten von Ereignissen abhängig sind, die während dieser Zeit an der politischen und gesellschaftlichen Agenda anstehen, wie z.B. die Ost-West-Problematik und aktuell die Flüchtlingskrise. Nun ist die Ausführung und Interpretation zum Teil auch von der Person und der (politischen) Vergangenheit des Bundespräsidenten abhängig. Denn fast alle Bundespräsidenten (ausgenommen von Joachim Gauck – parteilos) waren jahrelang in den großen Parteien, wie in der CDU/CSU und in der SPD, Mitglied und somit im politischen Geschehen der Bundesrepublik Deutschland aktiv beteiligt und vertraten politische Interessen ihrer Partei. (Marschall 2014: 176f.)

Der Bundespräsident ist angehalten, sein Amt überparteilich wahrzunehmen und er darf während seiner Amtszeit unter anderem auch nicht der Regierung angehören (Unvereinbarkeiten, Art. 55 GG). Aus diesem Grund, lassen die Bundespräsidenten üblicherweise ihre Parteimitgliedschaft für diese Zeit ruhen (Marshall 2014: 177f.). Fakt ist aber, dass die Präsidenten von den (großen) Parteien „gestellt“ werden und die Tatsache, dass in der Politik oft nach dem Motto: „eine Hand wäscht die andere“ vorgegangen wird, die Frage bleibt, ob sich die Bundespräsidenten „ihren“ Parteien als politische Instanz „erkenntlich“ zeigen oder ihr Amt im Sinne des Grundgesetzes als „Staatsnotar“ vollziehen (Marshall 2014: 179). Zu beobachten ist diese Problematik, wenn der Bundespräsident darüber entscheiden muss, ob er ein Gesetz gegenzeichnet oder nicht. Also, ob er bei verfassungsmäßigen Bedenken Gebrauch von seinem Vetorecht macht oder nicht. (Tsebelis 2002: 19f.)

Mit dieser Problematik des Vetospielers beschäftigt sich der amerikanische Politologe griechischer Herkunft Georg Tsebelis (1999, 2002). Anhand von Analysen bestehender politischer Systeme untersucht Tsebelis in wie weit politische Akteure Einfluss auf den Status quo nehmen und beispielsweise einen Politikwechsel begünstigen oder Reformen blockieren können. (Helms / Jun 2003: 147f.)

Im Rahmen dieser Arbeit wird zunächst die Vetospieler-Theorie von Georg Tsebelis dargelegt. Des Weiteren wird analysiert, welche Rolle der Bundespräsident in dem politischen System der Bundesrepublik Deutschland spielt, in wie weit er seine Vetospieler-Rolle beansprucht und ob man ihn als Staatsnotar oder politische Instanz bezeichnen kann.

2. Tsebelis` Vetospieler-Ansatz

Georg Tsebelis hat mit seiner Theorie des Vetospieler-Ansatzes der Politikwissenschaft ein Instrument gegeben, mit dem man politische Systeme analysieren und miteinander vergleichen kann (Grumer 2011: 49f.). Anstatt politische Systeme beispielsweise in präsidentielle vs. parlamentarisch oder Zwei- vs. Mehrparteiensystem einzuteilen, versucht Tsebelis alle politischen Akteure und Institutionen als Indikatoren zu nutzen, welches ihm dadurch erlaubt einen aussagekräftigeren Vergleich politischer Systeme zu ermöglichen (Kaiser 2007: 464). Tsebelis definiert Vetospieler als diejenigen politischen Akteure oder Institutionen von deren Zustimmung abhängt, ob eine Veränderung des politischen Status quo erfolgt oder unterbleibt. Mit Hilfe dieses Vetospielertheorems kann man also herausfinden wie Reform-, Handlungs- und Innovationsfähig ein politisches System und Institutionen in Politikfeldern sind. (Benz 2009: 53f.)

2.1. Grundlagen des Vetospieler-Ansatzes

Grundlegend versteht also Tsebelis unter Vetospielern diejenigen Akteure, die politische Reformen und Gesetze direkt verhindern können. Dabei unterscheidet Tsebelis hauptsächlich zwischen parteipolitischen und institutionellen, sowie individuellen und kollektiven Vetospielern. Neben diesen existieren auch noch sonstige Vetospieler, diese sind beispielsweise Verbände oder Interessengruppen (Tsebelis 1999, in Merkel 2003: 255f.). Tsebelis möchte mit der Vetospielertheorie die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen politischen Handelns erklären und deren Eintreten vorhersagen“ (Tsebelis 2002, in Grumer 2011: 50). Daraus leitet er folgende Hypothesen ab.

1. Je größer die Anzahl der Vetospieler ist, umso unwahrscheinlicher ist es den Status quo zu ändern.
2. Je größer die grundsätzliche und ideologische Distanz zwischen den Vetospielern ist und
3. Je größer der interne Zusammenhalt der kollektiven Vetospieler ist, d.h. je weniger diese durch interne Konflikte belastet sind, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein reformbereiter Akteur eine Reform durchsetzen kann. (Tsebelis 1999, in: Merkel 2003: 257f.)

2.2. Hypothesen der Veto-Spieler-Theorie

2.2.1. Anzahl der Vetospieler

Vetospieler treten in unterschiedlichen Formen und Anzahl auf, je größer die Anzahl der Vetospieler ist, desto schwieriger ist es eine Veränderung des Status quo einzuleiten (Lhotta 2008: 124). Die Abhängigkeit von Reformbarkeit und der Anzahl der Vetospieler ist in Abbildung 1 graphisch dargestellt. Institutionelle Vetospieler sind in der Verfassung niedergelegte Instanzen wie das nationale Parlament, die zweite Kammer in föderativen Systemen, der Präsident in präsidentiellen Systemen oder Verfassungsgerichte. Diese politischen Instanzen haben durch ihre Einbindung in den Gang der Gesetzgebung die Möglichkeit Kontrollfunktionen wahrzunehmen. Dadurch wird das Ausmaß von Reformen tendenziell reduziert und/oder zumindest verzögert. (Helms / Jun 2003: 147f.)

Neben den institutionellen Vetospielern führt Tsebelis auch die sogenannten „partisan“ - Vetospieler auf. Diese Akteure sind nicht in der Verfassung des Staates niedergeschrieben, gehen aber aus dem politischen Prozess hervor. (Tsebelis 2002: 19f.). Ein Paradebeispiel für parteipolitische Vetospieler sind die Parteien einer Koalitionsregierung. Des Weiteren unterscheidet Tsebelis die institutionellen und parteipolitischen Vetospieler in individuelle und kollektive Vetospieler. (Wiß 2012: 471)

Im Gegensatz zu individuellen Vetospielern, wie beispielsweise Präsidenten, bestehen die kollektiven Vetospieler, wie in Parlamenten oder Verfassungsgerichten, aus mehreren Akteuren. Wichtig ist hierbei nicht nur, dass kollektive Vetospieler aus mehreren Akteuren bestehen, sondern auch, dass sie möglicherweise unterschiedliche Präferenzen vertreten, welches eine Veränderung des Status quo unwahrscheinlicher macht. Zudem ist die Form der Entscheidungsfindung ausschlaggebend. (Wagschal 2006: 560f.)

Die Änderung des Status quo ist nicht nur von den Vetospielern selbst abhängig, sondern auch von der jeweils innerhalb der einzelnen Vetospieler gültigen Mehrheitsregelung. Je schwächer diese Entscheidungsregel ist, d.h. je einfacher die Bedingung für eine Zustimmung ist, desto wahrscheinlicher ist die Veränderung des Status quo. Angewandt auf das politische System der Bundesrepublik Deutschland (siehe Abbildung 2) existieren aktuell zwei parteipolitische Vetospieler in der Regierungskoalition, nämlich die CDU/CSU und die SPD, sowie drei institutionelle Vetospieler wie der Bundesrat, welcher bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen als solcher agiert, das Bundesverfassungsgericht, das nur auf Antrag tätig wird, beispielsweise für Verfassungsbeschwerden, Organstreitverfahren, Bund-Länder-Streit, Abstrakte Normenkontrolle, Konkrete Normenkontrolle, Parteiverbotsverfahren, Wahlprüfungsbeschwerde und der Bundespräsident, der die Gesetze materiell und inhaltlich auf die Vereinbarkeit mit der Verfassung überprüft. (Tsebelis 1995, in Strohmeier 2003: 18f.)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 Der lineare Zusammenhang zwischen Vetospielern und Reformen

Quelle: Dietrich (2008: 33)

Abbildung 2: Art und Typ der Vetospieler

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Jochem (2003)

2.2.2. Distanz zwischen Vetospielern

Die Kongruenz, d.h. die ideologische und programmatische Positionierung und die damit verbundene Distanz der Vetospieler ist eine wichtige Variable bei der Ermittlung der Wahrscheinlichkeit einer Status quo-Änderung. Geht von der Parteienkonstellation im Parlament eines politischen Systems beispielsweise eine Regierungskoalition hervor, welche sehr unterschiedliche ideologische Positionen vertreten, so ist die Veränderung des Status quo unwahrscheinlich, da sich dadurch zwei parteipolitische Vetospieler bilden. Entspricht die Parteienkonstellation aber einer Regierungskoalition, welche ideologisch nicht weit voneinander entfernt sind, dann begünstigt dies eine Änderung des Status quo (Merkel 2003: 258f.).

In der Praxis angewandt auf das politische System der BRD ist zu sagen, dass die ideologische Polarisierung und Unterschiede im Parteiprogramm in den 1960er und 1970er Jahren relativ gering war. Allerdings änderte sich diese Polarisierung in der Geschichte der BRD mit dem Einziehen der Grünen (1983) und der postkommunistischen PDS (1990) in den Bundestag. Im Gegenzug dazu waren die Parteienprogramme der zwei Volksparteien CDU/CSU und SPD in zentralen Politikfeldern wie Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik schon seit den 60er Jahren ziemlich ähnlich gewesen (ebd.).

Wichtig für die Anzahl der Vetospieler und die Kongruenzfrage, also die Entfernung der politischen Positionen der Akteure, beispielsweise auf einer Links-Rechts-Skala (siehe Abbildung 3), welche bei einer entgegengesetzten Ausrichtung der politischen Position der Vetospieler die Veränderung des Status quo als schwieriges Unterfangen hervorbringt, ist die von Tsebelis aufgestellte Absorptionsregel (Lauth 2010: 133f.).

Die Absorptionsregel besagt einerseits, wenn das politische System z.B. zwei Vetospieler aufzeigt, welche deckungsgleiche Ansichten in einem bestimmten Politikfeld haben, gelten sie nur als ein Vetospieler. Zum anderen, wenn die Politikposition eines Vetospielers in einem bestimmten Politikfeld zwischen zweier anderer Vetospieler liegt, wird der sich in der Mitte befindende Akteur nicht als Vetospieler mitgezählt. (Tsebelis 2002: 26f.)

Praktisch Anwendbar wird diese Regel, wenn die Exekutive der gleichen Partei angehört wie die Mehrheit der Parlamentskammer, welches in parlamentarischen Systemen der Regelfall ist. Deshalb wirkt solch eine Parlamentskammer nicht als Vetospieler, da keine parteipolitische Distanz zwischen den Akteuren herrscht. (Tsebelis 2002, in Dietrich 2008: 25)

Abbildung 3: Selbsteinordnung in einer Links-Rechts-Skala

Quelle: Warszawa (2010)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.2.3. Kohäsion der Vetospieler

Die Kohäsion, gemeint ist der innere Zusammenhalt, bei kollektiven Vetospielern ist ein wichtiger Faktor zur Erhaltung oder zur Veränderung des Status quo. Bestehen interne Konflikte bei kollektiven Vetospielern, beispielsweise durch ideologische Differenzen in bestimmten Politikfeldern, so ist die Durchsetzung einer Änderung sowie die Abkehr einer Änderung des Status quo unwahrscheinlich, da innerhalb der kollektiven Vetospieler sich dann ebenfalls Vetospieler bilden. (Lauth 2010: 133f.) Im Gegensatz dazu steigt die Handlungsfähigkeit eines kollektiven Vetospielers je stärker der interne Zusammenhalt ist, somit wird die Durchsetzung einer Veränderung des Status quo begünstigt und umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein reformbereiter Akteur den Status quo ändern kann (Tsebelis 1999, in: Merkel 2003: 257f.). Im Deutschen Bundestag ist dieser innere Zusammenhalt bei den Fraktionsparteien häufig zusehen, da inoffiziell eine Fraktionsdisziplin herrscht, d.h. die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind zwar „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ (Wahl und Mandat, Art. 38 Abs. 1 GG), stimmen aber meistens einheitlich für den erarbeiteten Fraktionsbeschluss ab. Dies hat praktische Gründe, weil dadurch die Arbeitsfähigkeit der Regierung gewährleistet wird und als „Gegenleistung“, da die Abgeordneten während ihrer Wahlkampagne von der Partei unterstützt wurden, somit „eine Hand die andere wäscht“. (Hönnige u.a. 2009: 26f.)

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Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Der Bundespräsident als Vetospieler nach Tsebelis. "Staatsnotar" oder "politische Instanz"?
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Politikwissenschaften)
Veranstaltung
Politisches System der Bundesrepublik Deutschland
Note
1,7
Autor
Jahr
2016
Seiten
21
Katalognummer
V336289
ISBN (eBook)
9783668258570
ISBN (Buch)
9783668258587
Dateigröße
986 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
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Arbeit zitieren
Clara Segen (Autor:in), 2016, Der Bundespräsident als Vetospieler nach Tsebelis. "Staatsnotar" oder "politische Instanz"?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/336289

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