Maßgeblichkeitsprinzipmythos - Vom Schein (Unterschied) zwischen dem handelsrechtlichen vorsichtigen und dem steuerrechtlichen vollen Gewinn


Seminararbeit, 2001

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Problemstellung

2. Entwicklung und aktueller Stand der Maßgeblichkeit in Dtl.

3. Der Maßgeblichkeitsgrundsatz im einzelnen
3.1. Beachtung der handelsrechtlichen GoB
3.2. Zwingendes Handelsrecht
3.3. Handelsrechtliche Ansatzwahlrechte

4. Die Umkehrung des Maßgeblichkeitsprinzips

5. Sinn und Zweck der Maßgeblichkeit
5.1. Zweckeignung und Einheit der Rechtsordnung
5.1.1. These 1: Steuer- und Handelsbilanz haben verschiedene Zwecke und sind somit unvereinbar
5.1.2. (Anti) These 2: Die Ziele beider Bilanzen sind vereinbar
5.2. Schutzfunktion
5.3. Praktikabilität

6. Maßgeblichkeitsgrundsatz ohne Zukunft?

7. Alternativen zur Maßgeblichkeitsprinzip

8. Thesenförmige Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Urteilsverzeichnis

Gesetzesverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Problemstellung

Das Verhältnis der Steuerbilanz zum Handelsrecht bestimmt sich nach dem Maßgeblichkeitsgrundsatz (§ 5 EStG), d.h. grundsätzlich nach der Handelsbilanz, vorbehaltlich steuerrechtlicher Sondernormen.[1] Damit wird das handelsrechtliche Gläubigerschutzprinzip in das Steuerrecht integriert.[2] Das in Deutschland gesetzlich verankerte Maßgeblichkeitsprinzip erfährt gegenwärtig durch die Globalisierung der Märkte und die weltweite Angleichung der Rechnungslegungssysteme eine neue Akzentuierung.[3] In jüngster Zeit mehren sich die Stimmen, die eine Abkehr vom Gläubigerschutzprinzip und/oder eine Abkopplung der Steuerbilanz von der Handelsbilanz fordern. Die Befürworter des Prinzips sehen in der Einheitsbilanz die ideale Lösung, die Vereinfachung und Bequemlichkeit bei der Erfüllung der handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegungspflichten sichert.[4] Die Gegner bezeichnen die Maßgeblichkeit als „lästige Fessel“ für eine je eigenständige Handels- und Steuerbilanzpolitik und verwerfen die Idee der Einheitsbilanz wegen ihrer unterschiedlichen Zwecksetzungen völlig.[5] Das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 enthält ebenso einschneidende Änderungen vor allem im Bereich des Rückstellungsrechts und der Teilwertabschreibung, die die Steuerbilanz weiter von der Handelsbilanz entfernen.[6] In den nächsten Abschnitten wird versucht ein umfassendes Verständnis von Geschichte, Gegenwart und möglicher Zukunft des Maßgeblichkeitsprinzips zu vermitteln.

2. Entwicklung und aktueller Stand der Maßgeblichkeit in Dtl.

Die bestehende Verknüpfung zwischen Handels- und Steuerbilanz gehört bereits seit ihrer erstmaligen gesetzlichen Verankerung im Jahre 1874 zu den wohl umstrittensten Grundätzen des Bilanzrechts.[7] War das ursprünglich im Sinne einer Bilanzeinheit ausgestaltete und im Verlaufe seiner geschichtlichen Entwicklung erheblich durchbrochene Prinzip noch zu Beginn der siebziger Jahre in Gefahr, vollständig aufgegeben zu werden, so ist ein Wiedererstarken des Maßgeblichkeitsgedankens seit dem Inkrafttreten des BiRiLiG im Jahre 1985 erkennbar.[8] Im Nachtrag zum Steuerreformgesetz 1990[9] erfolgte schließlich auch die entgültige gesetzliche Verankerung der umgekehrten Maßgeblichkeit durch die Anfügung von § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG. Die Handels- und Steuerbilanz stehen aber nicht völlig isoliert nebeneinander, sondern weisen partiell wechselseitige Verknüpfungen auf. Die den Maßgeblichkeitsgrundsatz kodifizierte Norm des § 5 Abs. 1 EStG bestimmt hierzu knapp und inhaltlich wenig präzise:[10]

„Bei Gewerbetreibenden, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, oder die ohne eine solche Verpflichtung Bücher führen und regelmäßig Abschlüsse machen, ist für den Schluss des Wirtschaftsjahrs das Betriebsvermögen anzusetzen (§ 4 Abs. 1 Satz 1), das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist. Steuerrechtliche Wahlrechte bei der Gewinnermittlung sind in Übereinstimmung mit der handelsrechtlichen Jahresbilanz auszuüben.“

In sachlicher Hinsicht schreibt § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG zunächst die Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen GoB für die steuerrechtliche Gewinnermittlung vor (sog. materielle Maßgeblichkeit), soweit ihnen keine konkreten steuerrechtlichen Vorschriften entgegenstehen.[11] Der Maßgeblichkeitsgrundsatz wird z.B. insoweit eingeschränkt, als nach § 5 Abs. 6 EStG „die steuerlichen Vorschriften über Entnahmen und Einlagen, über die Zulässigkeit der Bilanzänderung, über die Betriebsausgaben, über die Bewertung und über die Absetzung für Abnutzung oder Substanzverringerung zu beachten sind“.[12] Die Verknüpfung von handels- und steuerbilanzieller Rechnungslegung bleibt jedoch nicht auf die materielle Maß­geblichkeit abstrakter Normen für die Steuerbilanz beschränkt. Es werden vielmehr auch „die in der tatsächlich erstellten Handelsbilanz konkret getroffenen Bilanzierungs- und Bewertungsentscheidungen als für die Steuerbilanz maßgeblich angesehen, soweit sie nur handelsrechtlich zulässig sind und nicht durch zwingende Normen verdrängt werden (sog. formelle Maßgeblichkeit)“.[13] Die formelle Maßgeblichkeit ist in § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG geregelt und gebietet grundsätzlich die steuerrechtliche Übereinstimmung der Steuerbilanz mit der Handelsbilanz.[14]

3. Der Maßgeblichkeitsgrundsatz im einzelnen

3.1. Beachtung der handelsrechtlichen GoB

Die in § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG gemeinten handelsrechtlichen GoB dienen der Konkretisierung von Gewinnansprüchen und erfassen den Reinvermögenszugang des Geschäftsjahres.[15] Gemäß Moxter bezieht sich das Maßgeblichkeitsprinzip auf die GoB, die objektivierungsgeprägt sind und daher Rechtssicherheit und -klarheit gewährleisten.[16] Die Steuerbilanz bestimmt sich ebenso nach den handelsrechtlichen GoB, d.h. steuerrechtlich sind sämtliche handelsrechtlichen Rechnungslegungsregeln beachtlich, ob sie sich aus dem kodifizierten Handelsrecht (§§ 238-265 HGB für Einzelunternehmen und Personengesellschaften, §§ 266 ff. HGB für Kapitalgesellschaften) oder aus dem ungeschriebenen Handelsrecht ergeben.[17] Für die Zeit bis zum Inkrafttreten des BiRiLiG hielt die Rechtsprechung, z.B., die Zulässigkeit einer Rückstellung wegen einer unterlassenen Instandhaltung, die innerhalb von 3 Monaten nach Ablauf des Wirtschaftsjahres nachgeholt wurde, für bedenklich.[18] Nachdem nunmehr § 249 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HGB die Bildung einer solchen Rückstellung zwingend verlangt, steht auch ihrer steuerrechtlichen Berücksichtigung nichts mehr im Wege.[19]

3.2. Zwingendes Handelsrecht

Was handelsrechtlich aktiviert und passiviert werden muß, ist auch steuerrechtlich zu aktivieren bzw. zu passivieren (Aktivierungs- und Passivierungsgebot).[20] Steuerpflichtige mit Gewinnermittlung nach § 5 EStG sind ebenso an handelsrechtliche Aktivierungs- und Passivierungsverbote gebunden, z. B. beim selbstgeschaffenen Geschäfts- oder Firmenwert eines Unternehmens ist handelsrechtlich sowie steuerrechtlich eine Aktivierung nicht zulässig.[21] Es gibt auch Fälle, in denen das Handelsrecht ein Wahlrecht für den Ansatz eines Aktiv- oder Passivpostens einräumt.[22] Der BFH schrieb dazu: „Da es dem Sinn und Zweck der steuerrechtlichen Gewinnermittlung entspricht, den vollen Gewinn zu erfassen, kann es nicht im Belieben des Kaufmanns stehen, sich durch Nichtaktivierung von Wirtschaftsgütern, die handelsrechtlich aktiviert werden dürfen, oder durch den Ansatz eines Passivpostens, der handelsrechtlich nicht geboten ist, ärmer zu machen als er ist“.[23]

3.3. Handelsrechtliche Ansatzwahlrechte

Der Maßgeblichkeitsgrundsatz gilt grundsätzlich auch für die Bewertung der einzelnen Bilanzpositionen, wobei ein steuerrechtlicher Bewertungsvorbehalt des § 5 Abs. 6 EStG besteht, und soweit die §§ 6,7 EStG keine andere Bewertung vorschreiben.[24] Gewährt lediglich das Handelsrecht ein Wahlrecht, gelten folgende Vorgaben: Ein handelsrechtliches Wahlrecht wandelt sich auf der Aktivseite in ein steuerrechtliches Aktivierungsgebot, auf der Passivseite in ein steuerrechtliches Passivierungsverbot.[25] Zum Beispiel das handelsrechtliche Wahlrecht ein Disagio als aktiven Rechnungsabgrenzungsposten anzusetzen (§ 250 Abs. 3 Satz 1 HGB), wandelt sich steuerrechtlich zur Pflicht, das Disagio auszuweisen bzw. Aufwandsrückstellungen nach § 249 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 und 3 HGB zu bilden, ergibt sich steuerrechtlich ein Passivierungsverbot für diese Rückstellung.[26] Besteht nur steuerrechtlich ein Wahlrecht, ist im Bereich der formellen Maßgeblichkeit der einzige handelsrechtlich zulässige Handelsbilanzansatz in die Steuerbilanz zu übernehmen.[27] Beim gleichförmigen Wahlrecht für Handels- und Steuerrecht, gilt bei formeller Maßgeblichkeit § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG: Das Wahlrecht ist in der Steuerbilanz in Übereinstimmung mit der Handelsbilanz auszuüben.[28]

4. Die Umkehrung des Maßgeblichkeitsprinzips

[...]


[1] Vgl. Wichtige Steuergesetze, Verlag Neue Wirtschafts-Briefe, 40 Aufl., Stand: 01.02.1993, Herne, Berlin 1993, S. 145.

[2] Vgl. Beisse, Heinrich: Gläubigerschutz – Grundprinzip des deutschen Bilanzrechts, in: FS für Karl Beusch, hrsg. von Beisse, Lutter, Berlin, New York 1993, S. 77-97, S. 88.

[3] Vgl. Wagner, Franz W.: Aufgabe der Maßgeblichkeit bei der Internationalisierung der Rechnungslegung?, in: DB, 51 Jg. (1998), S. 2073-2077, S. 2073ff.

[4] Vgl. Ballwieser, Wolfgang: Ist das Maßgeblichkeitsprinzip überholt?, in: BFuP, 42 Jg. (1990), S. 477-498, S. 477ff.

[5] Vgl. Weber-Grellet, Heinrich: Der Maßgeblichkeitsgrundsatz im Lichte aktueller Entwicklungen, in: BB, 54 Jg. (1999), S. 2659-2666, S. 2659ff. und Siegel, Theodor: Rückstellungen, Teilwertabschreibungen und Maßgeblichkeitsprinzip, in: StuB, (1999), S. 195-201, S. 195ff.

[6] Vgl. Hennrichs, Joachim: Der steuerrechtliche sog. Maßgeblichkeitsgrundsatz gem. § 5 EStG –Stand und Perspektiven-, in: StuW, 76 Jg. (1999), S. 138-153, S. 151.

[7] Vgl. Haller, Axel: Das Maßgeblichkeitsprinzip und seine Effekte (I), in: WISU, 21 Jg. (1992), S. 46-49, S. 46.

[8] Vgl. Brönner, Herbert; Bareis, Peter: Die Bilanz nach Handels- und Steuerrecht, II Rn. 32, 9. Aufl., Stuttgart 1991 sowie Schmidt, Lutz: Maßgeblichkeitsprinzip und Einheitsbilanz: Geschichte, Gegenwart, Perspektiven des Verhältnisses von Handels- und Steuerbilanz, Heidelberg 1994, S. 36.

[9] Gesetz zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus und zur Ergänzung des Steuerreformgesetzes 1990 vom 22.12.1989, BGBI I 89, S. 2408.

[10] Wichtige Steuergesetze: a.a.O., S. 145.

[11] Vgl. Herzig, Norbert: Maßgeblichkeitsgrundsatz (Verhältnis Handels-/Steuerbilanz), in: Handbuch der Rechnungslegung, Band Ia, 4. Auflage, hrsg. v. Küting/Weber, Stuttgart 1995, I Rn. 197.

[12] Wichtige Steuergesetze: a.a.O., S. 145.

[13] Herzig: a.a.O., I Rn. 199.

[14] Wichtige Steuergesetze: a.a.O., S. 145.

[15] Vgl. Moxter, Adolf: Rechnungslegungsmythen, in: BB, 55 Jg. (2000), S. 2143-2149, S. 2146.

[16] Vgl. Moxter, Adolf: Missverständnisse um das Maßgeblichkeitsprinzip, in: DStZ, 88 Jg. (2000), S. 157-161, S. 158.

[17] Vgl. Herzig: a.a.O., I Rn. 197.

[18] Vgl. BFH, Urteil v. 23.11.1983, I R 216/78 , BStBl 1984 II S. 277.

[19] Vgl. R 31c Abs. 11 EstR.

[20] Vgl. Knobbe-Keuk, Brigitte: Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 7. Aufl., Köln 1989, S. 18.

[21] Vgl. Knobbe-Keuk: a.a.O., S. 19.

[22] Vgl. Knobbe-Keuk: a.a.O., S. 19.

[23] BFH vom 3.2.1969 GrS 2/68 BStBl II 1969, S. 291.

[24] Vgl. Moxter, Adolf: Zum Verhältnis von Handels- und Steuerbilanz, in: BB, 52 Jg. (1997), S. 195-198, S. 195.

[25] Vgl. BFH, Großer Senat, Beschluß v. 3.2.1969, GrS 2/68, BStBl 1969 II S. 291.

[26] Vgl. Haller, Axel: Das Maßgeblichkeitsprinzip und seine Effekte (II), in: WISU, 21 Jg. (1992), S. 112-116, S. 114.

[27] Vgl. Knobbe-Keuk: a.a.O., S. 21.

[28] Wichtige Steuergesetze: a.a.O., S. 145.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Maßgeblichkeitsprinzipmythos - Vom Schein (Unterschied) zwischen dem handelsrechtlichen vorsichtigen und dem steuerrechtlichen vollen Gewinn
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  (Fakultät für Wirtschaftswissenschaft)
Veranstaltung
Rechnungslegungsmythen
Note
1,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
19
Katalognummer
V3366
ISBN (eBook)
9783638120630
ISBN (Buch)
9783638847896
Dateigröße
490 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Maßgeblichkeitsprinzipmythos, Schein, Gewinn, Rechnungslegungsmythen
Arbeit zitieren
Sandra Fricke (Autor:in), 2001, Maßgeblichkeitsprinzipmythos - Vom Schein (Unterschied) zwischen dem handelsrechtlichen vorsichtigen und dem steuerrechtlichen vollen Gewinn, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3366

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