Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG: Wachsende migrationsbedingte Heterogenität als Herausforderung für Schule und Unterricht
2. PROBLEMFELD: Migrationsbedingte Heterogenität im Kontext von Schule und Unterricht
2.1. Begriffliche Annäherung: migrationsbedingte Heterogenität
2.2. Entwicklungen, Differenzen und Erklärungsansätze
3. HANDLUNGSFELD UNTERRICHT: Pädagogischer Umgang mit migrationsbedingter Heterogenität
3.1. Pädagogischer Umgang im Unterricht und Forschungsbefunde
3.2. Reflexionshilfen für Lehrpersonen zu ausgewählten Problembereichen im Unterricht
4. FAZIT: Vom Wollen zum Können im pädagogischen Umgang
Literaturverzeichnis
1. EINLEITUNG: Wachsende migrationsbedingte Heterogenität als Herausforderung für Schule und Unterricht
Durch Entwicklungen wie Globalisierung, zunehmende Migrationsbewegungen und gesellschaftliche Individualisierungsprozesse leben wir in einer multikulturellen Gesellschaft und das Bewusstsein darüber ist gegenwärtig sehr ausgeprägt. Damit steigt natürlich auch die Anzahl von Schüler und Schülerinnen (im Weiteren als SuS abgekürzt) mit Migrationshintergrund in den Klassen der Schulen. Dass diese Unterschiedlichkeit von Kindern in Lerngruppen Schule und Unterricht vor eine Herausforderung stellt, ist keinesfalls neu. Doch eine Vorstellung davon, was das konkret für den schulischen Unterricht und einer konstruktiven Umsetzung bedeutet, ist weiterhin nur schwach vorhanden. Das belegen die Ergebnisse von internationalen Vergleichsstudien (wie PISA, TIMSS), in denen das deutsche Schulsystem erhebliche Defizite im Umgang mit Heterogenität aufweist und der enorme Abstand in Bildungserfolg- und leistung von SuS mit Migrationshintergrund im Vergleich zu deutschen SuS alarmiert. Diese Befunde gelten als zentraler Anlass für umfangreiche Kritik am deutschen Schulsystem, das nach wie vor auf die Homogenität von SuS im Unterricht ausgelegt ist und mit seinem traditionell dominierenden passiven und substitutiven Umgang der wachsenden Heterogenität nicht gerecht werden kann. Zudem wirkt auch die Ausprägung der pädagogischen Sicht als Anlass, die individuellen Lernvoraussetzungen und Persönlichkeiten von SuS stärker wahrzunehmen und durch diese Subjektorientierung bestmöglich zu fördern. Dies zeigt sich in der zunehmenden Verbreitung von konstruktivistischer Lerntheorie und Didaktik im Lehrerhandeln und der Konzipierung von Unterricht (vgl. Buholzer & Kummer Wyss 2010). Folglich wird eine neue pädagogische Haltung eingefordert, die Heterogenität von SuS nicht länger ignoriert oder gar als Belastung wahrnimmt, sondern die damit verbundenen Chancen erkennt und auch zu nutzen weiß.
Wie diese Forderungen und Erwartungen aber von Lehrpersonen als pädagogische Akteure im Unterricht umgesetzt werden als auch umgesetzt werden können, welche Aspekte in Lehrerhandeln für das Gelingen bzw. Misslingen im Umgang mit migrationsbedingter Heterogenität eine Rolle spielen, damit soll sich in dieser Hausarbeit auseinandergesetzt werden. Aus diesem Grundinteresse wurden zwei zentrale Forschungsfragen formuliert, die durch den Verlauf der Ausarbeitungen führen sollen:
- Wie gestaltet sich der Umgang mit migrationsbedingter Heterogenität im Kontext von Schule und Unterricht?
- Wird die wachsende kulturelle Vielfalt der SuS für den pädagogischen Umgang im Unterricht als Herausforderung, als Bereicherung oder sogar als Problem wahrgenommen?
Die Gliederung der Arbeit orientiert sich an der Beantwortung der Fragen und besteht aus zwei Hauptteilen; dem ersten Kapitel, das das Problemfeld: Migrationsbedingte Heterogenität im Kontext von Schule und Unterricht in den Fokus nimmt und dem zweiten Kapitel, das sich mit dem Handlungsfeld: Pädagogischer Umgang mit migrationsbedingter Heterogenität auseinandersetzt. Die Einleitung und das Fazit sollen der Arbeit eine grundsätzliche Orientierung und einen Rahmen geben.
2. PROBLEMFELD: Migrationsbedingte Heterogenität im Kontext von Schule und Unterricht
In diesem Kapitel soll geklärt werden, was genau unter migrationsbedingter Heterogenität zu verstehen ist. Dazu wird der Begriff und die in Zusammenhang stehende Termini wie Kultur, soziale Milieus im Hinblick auf bildungsrelevante Zusammenhänge hin analysiert, wodurch eine Wissensbasis für die weitere Auseinandersetzung geschaffen wird.
Die Darstellung der Entwicklungsstände und mögliche Erklärungsversuche sollen verdeutlichen, dass es im Diskurs um migrationsbedingte Heterogenität nicht nur um kulturelle Vielfalt, sondern stets auch um gesellschaftliche Vorstellung von Differenz und Zugehörigkeit geht.
2.1. Begriffliche Annäherung: Migrationsbedingte Heterogenität
Der Begriff der Heterogenität kann aus dem Griechischen mit Ungleichartigkeit übersetzt werden und bezeichnet somit Unterschiede oder Differenzen. Im schulischen Kontext bezeichnet er zunächst die Unterschiede zwischen SuS einer Lerngruppe bezüglich der Lernvoraussetzungen und -bedingungen, ohne dass einzelne Merkmale festgelegt werden. Aus fachwissenschaftlichen Diskursen (vgl z.B. Bräu & Schwerdt, 2005) geht hervor, dass der Heterogenitätsbegriff inhaltlich unbestimmt ist und immer auf einen Aspekt hin konkretisiert wird. Aus der pädagogisch-normativen Perspektive rückt dabei nämlich die Individualität des einzelnen Schülers in den Vordergrund und folglich wird deutlich, dass Heterogenität durch eine Vielzahl von Dimensionen beschrieben werden kann. Um einen groben Überblick zu geben, werden mögliche Dimensionen von Heterogenität aufgelistet (nach Wischer, 2009):
- Alter, Geschlecht, Leistungsfähigkeit, sozialer, familiärer, kultureller Hintergrund, psychische und physische Konstitution (sonderpädagogischer F ö rderbedarf), Sprachkompetenz, Migrations- und Bildungshintergrund, Interessen und Motivationen etc.
Die hier sicher nicht vollständige Übersicht zeigt, wie komplex die einzelnen Dimensionen sind und sich aufeinander beziehen. Heterogenität wird an für sich zumeist in verschiedene Differenzdimensionen gefasst, die soziale Gruppen umschreiben. Die Begriffsannäherung orientiert sich an einem sozial-konstruktivistischen Verständnis, das eben nicht wie andere theoretische Positionen davon ausgeht, dass Unterschiede durch bestimmte Anlagen von Merkmalen bestehen, sondern durch soziale Milieus gebildet und gelenkt werden (Trautmann & Wischer 2011). Zum besseren Verständnis von sozialen Milieus soll eine Definition nach Nohl (2010, 145) angeführt werden: „ Milieus stellen Kulturen der praktischen Lebensführung und der Alltagsgestaltung dar, die auf der Grundlage kollektiver Erfahrungen basieren. “
Davon auszugehen, dass Milieus eindimensional sind und die Zugehörigkeit eindeutig zugeschrieben werden kann, fördert das Risiko von Diskriminierung. In Organisationen wie die Schule eine ist, können soziale Gruppen systematisch benachteiligt werden. Denn SuS, als auch die Lehrpersonen einer Schule gehören verschiedenen sozialen Milieus an, aus denen heraus sie die Schule und die Erwartungen an sie, bearbeiten.
Vor dem Hintergrund der Benachteiligung von sozialen Gruppen in Schule und Unterricht soll näher auf die Dimension der migrationsbedingten Heterogenität eingegangen werden. Die Widmung des komplexen Themas der Migration in ihrer Reichweite und Fülle würde den Rahmen der Hausarbeit überschreiten. Deshalb sollen an dieser Stelle die Auswirkungen von Migrationsbewegungen zur Klärung des Heterogenitätsbegriffs in den Blick genommen werden. In einer Gesellschaft, wie Deutschland, die durch Einwanderung geprägt ist, wird die soziale und individuelle Realität der Menschen ständig beeinflusst. Unsere Gesellschaft wird demnach heterogener, es treten und es entwickeln sich neue Milieus durch fremde Sprachen, neues Wissen, und andere Lebenspraktiken. Diese werden in alle sozialen Kontexte eingebracht, an denen teilgenommen wird, was zu einer Veränderung der entsprechenden Felder führt und gilt somit auch für die Schule als Bildungsorganisation. Das Wort „Fremd“ verweist auf den Differenzbegriff, der im engen Zusammenhang der bereits angesprochenen Kultur- und Milieuzugehörigkeit steht. Die von Migration beeinflussten Milieus werden auf der Ebene der kulturellen Vertretung häufig als „fremd“ bzw. different skizziert (vgl. Sturm 2013). Folglich wird migrationsbedingte Heterogenität zumeist auch als kulturelle Heterogenität bezeichnet, wie auch in dieser Hausarbeit. Um auf die zu Anfang der begrifflichen Annäherung angeführten Aussage zurückzukommen, weisen SuS innerhalb einer Lerngruppe unterschiedliche Voraussetzungen und Bedingungen auf. Im Kontext von migrationsbedingter Heterogenität werden diese bewirkt durch Verhaltensweisen, Einstellungen und Traditionen, die als different zu denen der kulturellen Mehrheit („eigene“ Kultur als Vergleichsmaßstab) gelten. Für einen genaueren Einblick in den bisherigen Umgang mit migrationsbedingter Heterogenität, die Entwicklungen und auch mögliche Erklärungsversuche für die Benachteiligung in Schule und Unterricht dient das folgende Kapitel.
2.2. Entwicklungen, Differenzen und Erklärungsversuche
Im Zusammenhang mit (bildungs-)politischen und sozialen Gegebenheiten lässt sich die deutschsprachige erziehungswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Frage von migrationsbedingter Heterogenität mindestens bis in 1970er Jahre zurückführen. Denn in diesem Zeitraum wurden auch vermehrt Kinder und Jugendliche der Gastarbeiter zum Teil der deutschen Gesellschaft und erhielten somit das Recht bzw. die Pflicht für den Schulbesuch. Durch die Limitierung der Arbeitsverträge ihrer Eltern und der damit verbundenen Annahme einer vorübergehenden Verweildauer, lag das allgemeine, auch in der Politik verankerte Ziel nicht ihrer Integration, sondern in ihrer Rückkehrfähigkeit in die Herkunftsländer (Kappus 2012). Seitdem hat sich aber einiges verändert, indem die Gastarbeiter zur ständigen Wohnbevölkerung geworden sind und zudem unterschiedliche Migrationsbewegungen Deutschland zu einem Land der verschiedenen Kulturen gemacht hat. Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung liegt bei über 20 % (Statistisches Bundesamt 2014) und damit steht die zunehmende Forderung einer umfangreichen Integration im Mittelpunkt öffentlicher Diskussionen. Trotz vieler weitreichender Änderungen und Integrationsschritten stellen SuS mit Migrationshintergrund noch immer eine „Sondergruppe“ in den Bildungsstatistiken dar. Die im Folgenden kurz skizzierten Forschungsstände unterstreichen diese Schlechterstellung und Benachteiligung von SuS mit Migrationshintergrund. Laut dem Statistischen Bundesamt (2014) dominiert bei der Verteilung auf unterschiedliche Schulformen, weiterhin die übermäßig starke Vertretung der „ausländischen“ SuS in weniger privilegierte Schulen, v.a. in Sonderschulen und Hauptschulen. Zudem zählen sie im Vergleich zu SuS ohne Migrationshintergrund besonders häufig zu der Gruppe der „Schulabbrecher“. Nicht zu vergessen ist natürlich, dass auch die Kategorie der SuS mit Migrationshintergrund eine sehr heterogene Gruppe darstellt, dessen Bildungserfolg durch weitere Merkmale wie das Geschlecht, das Alter oder auch Länge der Aufenthaltsdauer beeinflusst wird. Trotzdem bleiben die signifikanten Unterschiede und die eingeschränkte Verwirklichung der Chancengleichheit auf Seiten der „ausländischen“ Bevölkerung bestehen (Buholzer & Kummer Wyss 2010). Nicht zuletzt die Ergebnisse für Deutschland waren in aller Munde, wo bestätigt wurde, dass der Leistungsabstand zwischen einheimischen SuS und denen mit Migrationshintergrund vor allem im Vergleich zu anderen Ländern enorm hoch ist. Dieser Befund alarmiert besonders im Hinblick auf den so oft beklagten, noch immer bestehenden, starken Einfluss der Herkunft auf die Bildungsleistung und den Bildungserfolg.
Zahlreiche Diskussionen und Erklärungsversuche für diese Unterschiede lassen sich nicht zuletzt auf der Verwirrung deuten, dass diese nicht dem Auftrag der Schule als Bildungsinstitution entsprechen. Denn Schule habe die Aufgabe, Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und ihres Hintergrundes bestmöglich zu fördern und im Ideal der Chancengleichheit gerade Bildung diese unterschiedlichen Bedingungen relativieren kann (Helmke 2009). Die Erklärungsansätze differenzieren sich nach dem Stellenwert der kulturellen Vielfalt in der Gesellschaft bzw. dem Maß gesellschaftlicher Zugehörigkeit. Antworten zum Umgang mit kultureller Heterogenität wie die Ausländerpädagogik und die daraus durch einen Paradigmenwechsel entstandene Interkulturelle Pädagogik (vgl. auch Diehm 2005) sind stets bestimmt durch die Gesellschafts- und Weltbilder sowieso politischen Gegebenheiten eines Landes. Der Diskurs um einen konstruktiven Umgang mit migrationsbedingter Heterogenität zeichnet sich vor diesem Hintergrund durch Vielstimmigkeit und Kontroversität aus. Trotzdem lassen sich Forderungen formulieren, die unter bestimmten Aspekten gefasst werden können.
Nach Kappus (2012) lassen sich folgende Diskurslinien aufzeigen, die zur Erklärung für Differenz und entsprechend als eine Art Schlüssel zur Überwindung dieser dienen: die kulturelle Herkunft, die soziale Zugeh ö rigkeit und die institutionelle Positionierung. Diese sollen im Folgenden genauer erläutert werden um einen fundierten Übergang zum Handlungsfeld Unterricht herzustellen. Die Schwierigkeiten werden nach wie vor als Folge der verschiedenen Kulturen bzw. die Zuweisung der „fremden Kultur“ der ausländischen Kinder deklariert.
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