Urban Gardening im Kontext von Foucaults "Von anderen Räumen". Sind urbane Gärten Heterotopien?


Dossier / Travail, 2013

20 Pages, Note: 1,3

Anonyme


Extrait


Inhalt

Einleitung

1 Foucault - Von anderen Räumen
1.1 Ursprung der Beschäftigung mit Räumen
1.2 Bedeutung von Heterotopien

2 Der Garten als älteste Heterotopie versus Urban Gardening
2.1 Urban Gardening
2.1.1 Re-Grounding
2.1.2 Autonomie
2.1.3 Sinnlichkeit und Vielfalt
2.2 Urban Gardening – eine Heterotopie?

3 Weitere Vermittlungs- und Aneignungsformen
3.1 Raumkonzept des Museums Angewandte Kunst
3.2 Vermittlung des Gärtnerns in Sachbüchern

4 Fazit

Einleitung

Einstellungen über spießige Kleingartenanlagen in denen Hobbygärtner Tomaten anpflanzen und Kohlköpfe ziehen, weichen einer neuen urbanen Bewegung, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Viele Stadtmenschen werkeln gerne im Garten und leben dabei ihren „grünen Daumen“ aus. Es geht um die Hinwendung zum Selbermachen, wobei die Natur mitten in der Stadt genutzt werden soll. So bieten Gemeinschaftsgärten Erfahrungsräume, in denen ein neues Verständnis von Urbanität erzeugt wird.

Doch welche Motivation steckt hinter der Aneignung des Raumes, bei der Gegensätze von Stadt und Land, Gesellschaft und Natur ins Wanken geraten?

In der folgenden Ausarbeitung beschäftige ich mich zu Beginn mit dem Aufsatz „Von anderen Räumen“ von Michel Foucault, in dem es um Räume geht, die gesellschaftliche Gegenmodelle realisieren. Welche Vorstellung von Raum bzw. Räumen entwirft Foucault? Wie platzieren sich darin Heterotopien? Und was ist das „Andere“ dieser Heterotopien? Zur näheren Bestimmung dessen, was Raum und Zeit ist, betrachte ich die von Foucault vorgestellte Heterotopie des Gärtnerns. Dabei beziehe ich mich auf Untersuchungen der Soziologin Silke Borgstedt, die über nachhaltige Lebensstile und neue Wohlstandsmodelle forscht. In ihren Untersuchungen spielen urbane Gärten eine zentrale Rolle.

In einer kritischen Lesart setze ich mich anschließend mit einigen von Foucault aufgestellten Grundsätzen der Heterotopien auseinander, indem ich Schnittstellen und Abweichungen vom urbanen Gärtnern aufzeige.

Darauf aufbauend stelle ich im dritten Kapitel weitere Vermittlungs- und Aneignungsformen des Gärtnerns vor. Dabei nehme ich Bezug auf meinen späteren Berufsalltag als Grund-schullehrerin und lege in Auseinandersetzung mit der Gegenwart dar, wie das Gärtnern Kindern und auch Erwachsenen näher gebracht werden kann. Gibt es hier Überein-stimmungen mit den von Silke Borgstedt beschriebenen zentralen soziokulturellen Strö-mungen? Weiterhin soll anhand des neuen Raumkonzeptes des Museums Angewandte Kunst auf eine mögliche Verknüpfung zweier Räume hingewiesen werden.

In einem abschließenden Fazit stelle ich die gesammelten Raumerfahrungen dem Begriff der Raumaneignung gegenüber und setze sie in Bezug zu dem Seminartitel „Wem gehört die Stadt?“ Ein kurzer Ausblick auf weitere interessante Forschungsbereiche zum Thema urban gardening schließen die Arbeit ab.

1 Foucault - Von anderen Räumen

1.1 Ursprung der Beschäftigung mit Räumen

Michel Foucault widmet sich in seinem Aufsatz „Von anderen Räumen“ vorrangig dem „Zeitalter des Raumes“, welches durch Gleichzeitigkeit, Aneinanderreihung, Nähe und Ferne, Nebeneinander und das Zerstreute gekennzeichnet ist.[1]

Beginnend mit der Entwicklung von Raum richte ich das Augenmerk auf die zeitgenössische Gesellschaft, die laut Foucault in erster Linie räumlich organisiert ist, weshalb gerade den „Gegenräumen“ besondere Aufmerksamkeit gebührt.

Woher kommt nun die Beschäftigung mit Räumen? Im Mittelalter hatten heilige und auch profane Örtlichkeiten noch ganz bestimmte hierarchische Anordnungen und Zuschreibungen. Der „Raum der Lokalisierung“, der das Mittelalter prägte, öffnete sich erst mit Galilei und der Erkenntnis der Konstitution eines unendlichen und zugleich unendlich offenen Raumes. Insofern tritt seit dem 17. Jahrhundert die Ausdehnung des Raumes an die Stelle des lokalisierten Raumes. Diese Ausdehnung trat wiederum zugunsten der Lage von Räumen in den Hintergrund, welche durch Nachbarschaftsbeziehungen gekennzeichnet ist und die man „formal als mathematische Reihen, Bäume oder Gitter beschreiben kann“[2].

Foucault denkt in seinen Beschreibungen Raum immer auch im kausalen Zusammenhang und verbunden mit der Zeit. Es geht dabei nicht darum, die Zeit zu leugnen, sondern um die genaue Behandlung und Differenzierung von Zeit und Geschichte. So leben wir laut Foucault seit Beginn der Moderne „einer Zeit, in der sich uns der Raum von Relationen der Lage darbietet.“[3] Foucault verdeutlicht diesen Wandel durch den Vergleich eines Netzes und sich kreuzenden Strängen und Punkten, die miteinander verbunden sind.

Und trotz einer Vielzahl neuer Techniken und Betrachtungen haben wir den Raum noch nicht vollständig entsakralisiert, wie Foucault meint. Heute noch haben wir sakrale Vorstellungen von bestimmten Räumen, die den Ideen des Mittelalters sehr ähnlich sind. So haben wir neben privaten, öffentlichen, kirchlichen, staatlichen und erzieherischen Räumen auch Räume der Entspannung und der Arbeit, die alle in vielfältigen Gegensätzen zueinander stehen.

Foucaults Schilderungen gelten in erster Linien den inneren Räumen, die er als „Räume unserer Wahrnehmung, unserer Träumerei und unserer Leidenschaften“[4] beschreibt. Dieser Raum der unmittelbaren Wahrnehmung besitzt eigene Qualitäten – „transparent oder schwer, holprig oder voll gestopft“ kann er sein.

In seinen weiteren Ausführungen konzentriert sich Foucault dann aber eher auf den „äußeren Raum“, welcher durch eine Menge von Relationen gekennzeichnet ist, „die Orte definieren, welche sich nicht aufeinander reduzieren und einander absolut nicht überlagern lassen.“[5] Foucault interessieren die Räume, die mit allen anderen Räumen in Verbindung stehen und dennoch allen anderen Platzierungen widersprechen. Diese Räume lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Die erste Gruppe umfasst Utopien. Dies sind Orte ohne realen Ort. Sie stehen in einem allgemeinen, direkten oder entgegengesetzten Analogieverhältnis zum realen Raum der Gesellschaft. Foucault verwendet im Anschluss den Begriff der „Heterotopie“, um die anderen, die realen Räume von jenen der Utopie zu unterscheiden. So gibt es Orte, die gleichsam Gegenorte darstellen. Und durch diese tatsächlich verwirklichten Utopien werden die realen Orte, die man in der Kultur finden kann, in Frage gestellt und ins Gegenteil verkehrt. Es sind gleichsam Orte, die außerhalb aller Orte liegen, obwohl sie sich durchaus lokalisieren lassen.[6]

1.2 Bedeutung von Heterotopien

Bevor ich nun näher auf die von Foucault beschriebenen Grundsätze der Heterotopien eingehe, wende ich mich zunächst dem Ursprung dieses Begriffes zu. Hetero stammt aus dem Griechischen: heteros, anders, fremd, ungleich, verschieden (Heterotopie: Entstehung von Geweben am falschen Ort (z.B. Knorpel)).[7] Der Begriff Tópos kommt ebenfalls aus dem griechischen und beschreibt eine Stelle, einen Ort oder eine Gegend.

Foucault geht davon aus, dass alle Kulturen Heterotopien etabliert haben und weiterhin etablieren werden. Dies sind wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hinein gezeichnet sind, sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleich-zeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind.[8]

Foucault zeigt dabei nur auf, was Heterotopien sind, aber nicht, was sie nicht sind. So gibt es „Krisenheterotopien“, das können privilegierte, geheiligte oder verbotene Orte sein, die Individuen vorbehalten sind, welche sich in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft und inmitten ihrer menschlichen Umwelt in einem Krisenzustand befinden.[9] Diese werden durch Gefängnisse, Erholungsräume, psychiatrische Kliniken oder Altersheime abgelöst. Zu diesen „Abweichungsheterotopien“ gehören demnach Orte, an denen man Menschen vorfindet, die vom Durchschnitt abweichen.

Der zweite Grundsatz besagt, dass jede Heterotopie eine ganz bestimmte Funktionsweise innerhalb der betreffenden Gesellschaft hat. Je nach Synchronizität der Kultur kann die Heterotopie im Laufe der Geschichte auch eine ganz andere Bedeutung bekommen, ohne dass sie ganz verschwinden muss. Foucault verdeutlicht dies am Beispiel des Friedhofs, der trotz seiner „Andersartigkeit“ mit allen Orten der Umgebung in Verbindung steht. Lag der Friedhof bis Ende des 18. Jahrhunderts meist neben der Kirche mitten im Ort, wurden Friedhöfe seit Mitte des 19. Jahrhunderts an den Stadtrand verlegt. Dies war zu einer Zeit, als der Tod mit einer „Krankheit“ gleichgesetzt wurde.[10] Folglich sind Heterotopien immer da, sie durchzie-hen eine Gesellschaft. Sie können einmal widerständig sein, ein anderes Mal aufgezwungen.

Dabei existieren die verschiedenen Formen nebeneinander. So umfasst beispielsweise das Theater mehrere unterschiedliche Räume.

An dem bereits erwähnten Beispiel des Friedhofs wird ein weiterer Grundsatz ersichtlich. Der Verlust des Lebens kennzeichnet einen zeitlichen Bruch. So beginnt die Wirkungsweise dieser komplex organisierten Heterotopie erst dann, wenn der Mensch einen absoluten Bruch mit der Zeit vollzogen hat.

Auch sind Heterotopien Resultate von Konflikten und Auseinandersetzungen, von Aus- und Eingrenzungen, und es sind immer Räume, die mit Qualitäten aufgeladen sind.[11] Es sind also keine homogenen und leeren Räume, die einfach zu betreten sind, sondern solche, die immer ein „System von Öffnungen und Abschließungen voraussetzen.“[12] Durch die Isolation wird zugleich der Zugang zu ihnen möglich, denn nur durch Zwang, mit einem Ritual oder durch eine Krise kann man eine Heterotopie betreten.

Heterotopien übernehmen als die „anderen Räume“ gegenüber den übrigen Räumen eine bestimmte Funktion, die sich zwischen zwei Polen bewegt. Sie schaffen einen Illusionsraum, kompensieren oder verdrängen etwas. Sie suspendieren, neutralisieren oder kehren die durch sie bezeichneten oder reflektieren Verhältnisse um. Das bedeutet, dass sie zwar nicht im Sinne dieser Verhältnisse funktionieren, aber doch mit ihnen in einem enge Zusammenhang stehen.

Doch in welchen Beziehungen stehen Heterotopien zueinander und zu allen anderen Räumen?

Foucault schreibt dazu:

„Entweder sollen sie einen illusionären Raum schaffen, der den ganzen realen Raum und alle realen Orte, an denen das menschliche Leben eingeschlossen ist, als noch größere Illusion entlarvt. (...)

... Oder sie schaffen einen anderen Raum, (...), der im Gegensatz zur wirren Unordnung unseres Raumes eine vollkommene Ordnung aufweist.“[13]

Mit dieser doppelten Funktion beschreibt Foucault genau die Bestimmung eines Spiegels, nämlich den realen Ort dort zu zeigen, wo er ein Anderer ist. Über den Spiegel sind bei Foucault auch Utopie und Heterotopie bei Foucault verbunden.

Foucault sagt über den Spiegel:

„Der Spiegel funktioniert als eine Heterotopie, weil er den Ort, an dem ich bin, während ich mich im Spiegel betrachte, absolut real in Verbindung mit dem gesamten umgebenden Raum und zugleich absolut irreal wiedergibt, weil dieser Ort nur über den virtuellen Punkt jenseits des Spiegels wahrgenommen werden kann.“[14]

Die Unwirklichkeit entsteht durch die eigentlich unmögliche Tatsache, dass man sich ganz sehen kann also gleichzeitig jemand anders sein muss, um sich erblicken zu können und dass man dazu auch an einem anderen Ort sein muss. Das, was man erblickt, ist also gleichzeitig real und virtuell.

2 Der Garten als älteste Heterotopie versus Urban Gardening

In seinem Aufsatz führt Foucault den traditionellen Garten der Perser an, der einen weiteren noch heiligeren Raum im Zentrum hat und als das „älteste Beispiel einer Heterotopie“ bezeichnet wird.“[15].

Heterotopien unterscheiden sich in ihrer Struktur von anderen Räumen. Sie sind in der Lage, mehrere Räume an einem einzigen Ort zu vereinen und zueinander in Beziehung zu setzen, die eigentlich nicht vereinbar sind. Foucault zeigt hier extreme Formen von Heterotopien auf: jene, in denen die Zeit endlos angesammelt und beispielsweise in Bildern im Museum einem Publikum präsentiert wird und solche, die zeitlich äußerst begrenzt sind und sich innerhalb einer bestimmten Zeit wieder auflösen. Zu diesen flüchtigen, kurzlebigen Heterotopien gehören Feste und auch Orte, die man aufgrund eines Ereignisses aufsucht, das einen Bruch mit der Zeit ausgelöst hat.[16]

[...]


[1] Michel Foucault. Von anderen Räumen. Aus dem Französischen von Michael Bischoff in: M. F., Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Bd 4, hg. von Daniel Defert/Francois Ewald, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005, hier: S. 317.

[2] ebd., S. 318.

[3] ebd., S. 318.

[4] ebd,. S. 319.

[5] ebd., S. 320.

[6] ebd., S. 320.

[7] http://www.duden.de/rechtschreibung/Heterotopie

[8] vgl. Foucault, S. 320.

[9] vgl. ebd., S. 322.

[10] vgl. ebd., S. 323.

[11] ebd., S. 324

[12] ebd., S. 325.

[13] ebd., S. 326.

[14] ebd., S. 321.

[15] ebd., S. 324.

[16] vgl. ebd., S. 324.

Fin de l'extrait de 20 pages

Résumé des informations

Titre
Urban Gardening im Kontext von Foucaults "Von anderen Räumen". Sind urbane Gärten Heterotopien?
Université
University of Frankfurt (Main)  (Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik)
Cours
Wem gehört die Stadt?
Note
1,3
Année
2013
Pages
20
N° de catalogue
V337167
ISBN (ebook)
9783656986782
ISBN (Livre)
9783656986799
Taille d'un fichier
498 KB
Langue
allemand
Mots clés
urban, gardening, kontext, foucaults, räumen, sind, gärten, heterotopien
Citation du texte
Anonyme, 2013, Urban Gardening im Kontext von Foucaults "Von anderen Räumen". Sind urbane Gärten Heterotopien?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/337167

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