Die Macht der Reflexion. Zum Verhältnis von Kunst, Religion und Philosophie bei G.W.F. Hegel


Masterarbeit, 2016

68 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALT

Einleitung

1. Der absolute Geist in der Kunst
1.1. Die Perspektive Charles Taylors
1.2. Frage nach dem Absoluten in der Kunst
1.3. Die Kunst und ihre Götter

2. Der absolute Geist in der Religion
2.1. Die Perspektive Charles Taylors
2.2. Die Frage nach dem Absoluten in der Religion

2.3. Hegel und der Geist Gottes

3. Der absolute Geist als Philosophie
3.1. Die Perspektive Charles Taylors
3.2. Selbstbewusstsein und Selbstkonstitution
3.3. Die Macht der Reflexion
3.4. Was ist der absolute Geist

Zusammenfassung und Schluss

Literaturliste

Einleitung

Das Hauptziel dieser Arbeit ist die Beantwortung der Frage: Was ist der absolute Geist? Die Antwort verlangt eine Analyse und Interpretation der Formen des absoluten Geistes im Werk von G.W.F. Hegel, wobei in dieser Arbeit die entsprechenden Passagen[1] aus der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (Dritter Teil; Die Philosophie des Geistes) der Quell- oder Primärtext sein soll. Weitere Texte Hegels werden bei Bedarf, z.B. im Falle von Unklarheiten, die sich aufgrund der dichten und zusammenfassenden Form der Enzyklopädie ergeben könnten, hinzugezogen. Dieser Text ist aufgrund seiner Klarheit, Präzision und auch aufgrund weiterer strategischer und methodischer Überlegungen für die Beantwortung der zentralen Frage dieser Arbeit besonders geeignet.

Zur Interpretation und Erschließung dieses Stoffes wird in besonderem Maße die Einführung[2] in Hegels Philosophie von Charles Taylor herangezogen, da diese in einfacher Sprache einen Einstieg zu diesem schwierigen und komplexen Thema ermöglicht. Das hat zwei entscheidende Vorteile: Zum einen hat der Einstieg über Taylor eine orientierende und retardierende Funktion, zum andern kann an Taylors Perspektive, in einem zweiten, durchaus kritischen und die Sache weiterführenden Schritt, mit weiterführenden und alternativen Interpretationen angesetzt werden.

Eigene bisherige Versuche, mit ähnlich komplexen und dichten Themen möglichst erfolgreich und transparent zu arbeiten, haben gezeigt, dass es sehr sinnvoll ist, sich solch einen Ausgangspunkt zu schaffen, von dem aus man in einem zweiten Schritt in dialektischer, kritischer oder spekulativer Manier weiter vorankommen kann, auch damit sich das eigene Denken nicht an jedem strittigen Punkt schon in allzu viele Querverweise und Ausführungen des Stoffes verstrickt. Also bremst Taylors Perspektive auf die Formen des absoluten Geistes zunächst den eigenen spekulativen und kritischen Impuls, um diesen hernach und in einem zweiten Schritt zu ermöglichen und zu motivieren.

Die weiterführenden Gedanken und die angedachte Kritik an Taylors Perspektive werden überwiegend dem eigenen Verständnis des Primärstoffes folgen. Es wird an geeigneten Stellen die entsprechende Literatur[3] Prof. Dr. Stekeler-Weithofers hinzugezogen, nämlich nach Möglichkeit immer da, wo Taylor, nicht zuletzt im Sinne einer analytischen Leseweise Hegels, zu einfach oder unvollständig erklärt. Das erste Kapitel[4] aus Stekeler-Weithofers Werk zur Philosophie des Selbstbewusstseins wird im dritten Teil dieser Arbeit, nämlich zur Philosophie als Form des absoluten Geistes, als für diese Arbeit richtungsweisend und zielführend herangezogen und ausgewiesen. Auf diese Weise wird der Versuch unternommen, bei der nun zweifach abgestuften Beantwortung der Ausgangsfrage, auch eine komplexe und aktuelle Position miteinzubeziehen.

Die besondere Herausforderung beim Schreiben wird dabei sein, die verschiedenen Positionen klar erkenntlich darzustellen und einen eigenen Kommentar um diese herum zu formulieren, der sich begründet und erkennbar mal dieser und mal jener Seite anschließt oder an Kritik übt. Die Methodenreflexion hört also nicht nach der Einleitung oder der Vorarbeit auf, sondern begleitet aktiv den Schreibvorgang.

Eine weitere Einteilung der Arbeitsschritte bzw. der Kapitel, die der Beantwortung der Frage nach dem was der absolute Geist bei Hegel ist, vorausgehen, folgt aus der Struktur des Primärtextes selbst. Der unterteilt sich im dritten und letzten Kapitel[5] der Enzyklopädie in drei Unterkapitel auf, die freilich dem systematischen Ansatz Hegels folgen. Es wird demzufolge zuerst die Form oder der Begriff der Kunst, dann die Religion und zuletzt die Philosophie untersucht, wobei Analyse und Querverweise dem Inhalt folgen. Es wird also vorgegriffen und reflektiert, auch wenn eine endgültige Verhältnisbestimmung der Formen des absoluten Geistes erst zum Schluss dieser Arbeit erfolgt, und zwar als Vorbereitung auf die Antwort nach der Leitfrage, was denn nun der absolute Geist sei. Eine wichtige Bemerkung zur Methode und Struktur dieser Arbeit: Zwar wird hier eine Folge der Problembehandlung angezeigt und auch gibt es ein Nacheinander der Formenanalysen des absoluten Geistes, dennoch wird es zahlreiche vor- und zurückgreifende Kommentare und Verweise geben, einfach weil die Komplexität, formale und inhaltliche Verwobenheit der Sache dies verlangt.

Über den Sinn, Zweck und Nutzen einer solchen Arbeit gibt es sehr viel zu sagen, aber hier soll das nur kurz und knapp geschehen, weil sonst zu viele Inhalte und mögliche Ergebnisse in abstrakter Weise vorweggenommen wären. Die Frage nach dem absoluten Geist ist eine Herausforderung, die einigen Reiz aufgrund ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit verspricht. Außerdem ist Hegel mit diesen Inhalten und Fragen selbst an einer Art Ziel seines Denkens angekommen, ob dieses nun statisch ist oder nicht, bleibt zunächst offen. Es ist zudem so, dass die Reflexion auf die Formen und Praxen der Menschen, die sich mit dem Absoluten befassen, sehr reizvoll sind, weil dieses Philosophieren Übersicht und Überblick über diese verschafft. Dieses spekulative Nachdenken hat eine enorm wichtige Orientierungsfunktion für den Menschen und es entsteht m.E. ein großer geistiger und auch weltlicher Schaden, wenn diese Orientierungsfunktion nicht durch philosophische Reflexion, sondern durch dogmatische Welt- und Menschenbilder ersetzt und so mangelhaft realisiert wird. Das Selbstwissen oder Selbstbewusstsein des Menschen wird durch die spekulative Philosophie entdeckt, weiterentwickelt und vollendet. Es ist auch fraglich, ob man überhaupt um diese Welt- und Selbstbildfragen herumkommt, auch wenn man das behauptet. Auch darum befasst sich diese Arbeit mit der Frage nach dem Wesen und Topos des absoluten Geistes.

1. Der absolute Geist in der Kunst

Taylor legt den Schwerpunkt seiner Betrachtungen zunächst auf die Abgrenzung des absoluten Geistes vom objektiven Geist, der als Staat und Gesamtheit der Strukturen des objektiven Geistes zwar die höchste Form menschlichen Zusammenlebens darstellt, aber eben noch nicht die höchste Stufe des Geistes bildet.[6] Die höchste Stufe des Geistes geht über den Staat hinaus und soll absolut in einem gewissen Sinne sein. Taylor sucht nach einer Bewusstseinsform, die aufs Ganze oder aufs Absolute als Grundlage der Dinge geht. Wenn Taylor dann sagt, dass der absolute Geist das Sichselbstwissen Gottes durch den Menschen ist, dann meint er mit „absolut“ diese höchste und letzte Verwirklichung des Geistes. Er belegt das mit einem Hegelzitat[7] aus der Phänomenologie des Geistes, nach dem das Absolute wesentlich Resultat sei. Dieser Einstieg soll nur ein kleines Vorwort zur inhaltlichen Konzentration auf die Formen der Kunst sein, um etwas im Sinne dieser Arbeit wichtiges anzuzeigen. Nämlich die Frage nach dem Ort des absoluten Geistes, die bei Taylor, vielleicht mit oder gerade gegen Hegel, ein wenig unklar bleibt. Wenn nämlich der absolute Geist das Sichselbstwissen Gottes durch den Menschen ist, so deutet das an, dass da ein dem Menschen externer Gott sei, der den Menschen als Mittel benutzt, um sein Selbstwissen zu vollenden. Jedenfalls kann man Hegel scheinbar so lesen und Taylor positioniert sich hier vorerst als ein solcher Leser.

Diese Arbeit will eine etwas andere Lesart vorschlagen, die vielleicht mit „kritisch“, „pragmatisch“ oder „antropozentrisch“ betitelt werden könnte. Was ist damit gemeint? Wenn Sätze oder Gedanken einen Gott als dem Menschen und seiner Kultur externes Ding oder Kraft behaupten und ausdrücken wollen, dann würde gerade mit der hier vorgeschlagenen Lesart Hegels ein Problem entstehen, da sie versucht ist, gerade solche Ideen wie die von Gott, als dem Menschen und seiner Kultur immanente Inhalte zu begreifen. Auf unseren Beispielgedanken angewendet hieße das in etwa, dass der Mensch, in seinem vollendeten Selbstwissen, sich als Mensch und Gott zugleich weiß. Das göttliche im Menschen ist das voll entfaltete Selbstwissen oder das vollendete Selbstbewusstsein des Menschen, der seine Welt wissend durchdrungen und in Geist und Bildung aufgehoben hat. Ganz grob und nur als erster Versuch soll das die Art und Weise sein, wie die Paragraphen 553, 554 und 555 der Enzyklopädie, zumindest von der Denkrichtung her, zu deuten wären. Ebenso auf den Menschen zurückgebogen und angewendet, wäre das von Taylor zitierte „Sichselbstwissen des Geistes“[8], als eine vollendete Selbsterkenntnis zu begreifen, wobei „vollendet“ hier auch nur „wahr“ und „richtig“ im Sinne von „nicht verkürzt“ meint.

Taylor betont, dass der absolute Geist die drei Stufen (Kunst, Religion und Philosophie) in einer Reihenfolge aufsteigender Adäquanz durchläuft und betont zugleich, dass die Entwicklung des Staates und die des absoluten Geistes ineinander verschlungen sind.[9] Damit zeigt Taylor an, dass diese drei Formen nicht wie Stufen auf einer Treppe zu denken sind, sondern als Vervollständigungen oder Ergänzungen zueinander, die jedoch aufsteigend einen gewissen Zugewinn an Selbsttransparenz versprechen. Der Staat und die Formen des objektiven Geistes, die hier nicht Thema sind, sind ebenfalls nicht unabhängig vom absoluten Geist zu denken, was bei der Frage nach der „Art der Absolutheit“ eine Rolle spielen wird. Es stellt sich also die Frage, in welcher Weise die Formen des absoluten Geistes zueinander stehen, als auch die Frage, inwiefern sie überhaupt absolut[10] sind. Schaut man sich den Quelltext, also die Paragraphen zur Kunst bei Hegel überblicksartig an, so wird schnell klar, wie eng diese auf die nächste Form des absoluten Geistes verweisen.[11] Außerdem sind diese Beschreibungen als Kunstformen durch Hegel selber von philosophischer Natur, also gehören sie als begriffliche Reflexionen zur vollenden Form des absoluten Geistes, ihr Inhalt zielt aber auf die Realformen der Kunst, die nur Momente des Geistes sind. Es wird sich sicherlich noch zeigen, ob Taylor möglicherweise ein wenig zu sehr das Nebeneinander und Nacheinander dieser Formen zuungunsten ihrer wesentlichen Verbundenheit hervorhebt.

1.1. Die Perspektive Charles Taylors

Taylor selbst macht innerhalb seiner Interpretation der Kunst als Form oder Gestalt des absoluten Geistes immer wieder Vor- und Rückgriffe auf die jeweils anderen Formen des Geistes und der philosophischen Tradition, was nicht verwundert, will auch er doch dem Leser seiner Einleitung zuerst eine grobe Orientierung im sehr komplexen Stoff verschaffen. So verortet Taylor Hegels Denken zugleich historisch, während er dessen Begriffssystem über werkimmanente Verweise erklärt. Es wird ein Ziel der Beschäftigung mit der Perspektive Taylors sein, zu zeigen, dass Taylor im letzten Absatz seiner Interpretation ein zu Teilen falsches Urteil über Hegels philosophischen Verstand fällt.[12]

Es soll hier nicht im Detail nachgezeichnet werden, auf welchen Wegen Taylor sich das Hegelsche Denken erschließt, aber es soll eine Skizze dieses Ansatzes angefertigt werden, die dann in ein Verhältnis zu anderen möglichen Perspektiven gebracht werden kann. Wenn dieses Verhältnis oder die sich anschließende Kritik zu abstrakt oder zu grob erscheint, so ist darauf verwiesen, dass Taylor selbst seine komplexen Ausführungen zu knappen Ergebnissen und eben Hegelkritiken zusammenfasst, wie noch zu zeigen sein wird. Im Prinzip ist so die sich anschließende Kritik eine Kritik an einer Lesart des Hegelstoffes, die mit überzogenen Vorstellungen von Exaktheit und mit einem zu engen Verständnis der Abfolge der Geistesstufen einhergeht.

Taylor stellt zunächst die Transparenz des Denkens, welche der Philosophie[13] wesentlich ist, dem Bereich der bloßen Vorstellungen gegenüber, welche er dem religiösen Bereich und dem „Denken“ in Bildern zuordnet, gegenüber.[14] Dem vorangegangen ist eine Kritik der Ideale von Klarheit und Selbsttransparenz in der Hegelschen Philosophie, die bereits andeutet, welche eigenen Maßstäbe Taylor an dieses Denken heranträgt. Der Kritik Hegels an der Beschränktheit und Unzulänglichkeit dieser Bilder schließt sich Taylor zunächst an und wenn er dann gegen Ende seines Kapitels Hegels Kunstverständnis kritisiert, so scheint er diesen Mangel der Kunst vergessen zu haben, oder er wendet ihn schlicht nicht mehr auf seinen Standpunkt bzw. seine Aussage an. Dazu mehr in der sich anschließenden Kritik. Zugutehalten muss man Taylor, dass er der Verwobenheit und Komplexität der Gedankenführung Hegels folgt, indem er die Verendlichung und Bildwerdung des Denkens in der Kunst stets eng an die Form der Religion anbindet.[15] Bei Hegel wird, neben zahlreichen Querverweisen auf die religiösen Momente in der Kunst, auch die schöne Kunst selber, wie die ihr inhärente und noch unvollkommene Religion, so beschrieben, dass sie ihre Zukunft in der „wahrhaften Religion“ habe.[16]

Zurück zum Vorwurf Taylors gegen Hegel, dass Hegel die Rolle der Kunst beim modernen Menschen falsch oder unzureichend eingeschätzt hätte, was ihm als Zeichen dafür gilt, wie weit wir uns heute aus dem Bereich der Hegelschen Synthese entfernt hätten.[17] Dieser Vorwurf ist hochinteressant, weil er es erlaubt, die hier vorgestellte Lesart Hegels gegen die Lesart Taylors abzusetzen, und weil der Vorwurf in seinen Konsequenzen bzw. in seiner Kritikwürdigkeit eng mit der Fragestellung dieser Arbeit verbunden ist. Aber worin besteht nun Taylors Kritik genau? Taylor behauptet, dass die Kunst, die Rolle der Religion, als den höchsten Ausdruck dessen was von Bedeutung sei und als ein lebendiges Zeugnis menschlicher Tätigkeit, angesehen wird. Vereinfacht ausgedrückt: Die Kunst hätte also die Religion in ihrer Funktion absoluter Sinngebung abgelöst, wo doch nach Hegel (nach Taylors Hegellesart) die Religion bzw. die Philosophie an dieser Stelle hätte stehen müssen. Taylor selber spricht davon, dass dieser Sachverhalt von den Menschen „so angesehen“ wird, was zunächst doch wohl einräumt, dass dieses Ansehen ja nur eine Meinung, zumindest aber dem Begriff nach eben kein Begreifen ist. Wenn sich nun aber diese Kunst als höchster und absoluter Sinnzusammenhang ausweisen will, so müsste sie dies in Begriffen und systematisch tun und wäre selber wieder ins Philosophieren übergegangen. Tut sie es als Kunst in Kunstwerken, fällt sie augenblicklich ins Hegelsche System zurück, als Stückwerk, als Anschauung, die zwar schön, aber der Form nach nicht den vollen Begriff des Geistes realisieren kann. Taylor scheitert m.E. mit dieser Kritik an Hegel, weil er die grundsätzliche Logik dieser Zusammenhänge mit einer historischen Entwicklung und einer exakten Vorhersage vermischt. Selbst wenn die Kunstwerke als höchster und absoluter Zweck ausgeführt und vielleicht angebetet und verehrt würden, wäre ein Verstehen dieses Tuns und dieser Handlungsweisen eine Aufgabe der Philosophie und nur in einem philosophisch und begrifflich erschlossenen Kontext könnten diese Handlungsweisen für die handelnden Personen selber verständlich sein. Zur Verehrung von heiligen Objekten und der Frage nach der Freiheit und der Kraft der Reflexion aber später mehr.

1.2. Die Frage nach dem Absoluten in der Kunst

Für unsere Frage nach dem was der absolute Geist sei, ist die Frage nach dem was das Absolute in der Kunst sei wichtig, weil diese Überlegungen dabei helfen werden, die Stärken und den Mangel jener ersten Form des absoluten Geistes in Relation zu der voll entwickelten Form des absoluten Geistes zu begreifen. Das Verhältnis von Kunst, Religion und Philosophie soll bestimmt werden, weil darin der Schlüssel zur Beantwortung der Hauptfrage vermutet wird.

Wenn nun aber erst die Philosophie die synthetische (oder umfassende und diese übersteigende) Einheit der beiden vorangegangenen Formen des absoluten Geistes realisiert, wie Hegel es in § 572 ausspricht, dann darf trotzdem in Bezug auf die Frage nach dem was der absolute Geist sei, nicht direkt und unmittelbar zu dieser fortgegangen werden. Die Stufen oder Formen des Geistes sollen dem Ansatz dieser Arbeit nach als verschiedene Versuche des Geistes betrachtet werden, zu seiner Bestform zu gelangen, die ein vollentwickeltes Selbstbewusstsein ist. Der Geist ist dabei in der Bildung und im Selbstwissen des einzelnen Menschen präsent, insofern dieser seine Kultur, Geschichte und die Frage nach dem Wesen des Menschen reflektiert hat. Die Kunst spielt dabei die Rolle eines Verortungsversuches des Menschen in der Welt, oder widerspiegelt sein Verhältnis zu Gott. Logisch umformuliert: Das Verhältnis des Einzelnen zum Allgemeinen. Versuch bleibt diese Tätigkeit, weil sie die ihrem Ziel voll entsprechende und angemessene Form nicht findet.

Hegel spricht im § 558 davon, dass die Gestaltungen in der Kunst am höchsten und wahrhaftesten sind, wenn sie auf den Menschen (oder die Idee vom Menschen) abzielen, wobei er vorher betont, dass es auf den Ausdruck des geistigen Gehaltes der Naturformen ankäme. Hier wird klar, dass es Hegel in der Kunst als einer Form des absoluten Geistes nicht auf die bloße Nachahmung der Natur ankommt, sondern auf eine Darstellung wesentlicher und ausgesuchter Formen und Ideen, die den Menschen als geistiges Wesen zum Gegenstand haben. Überhaupt ist so das Schöne bei Hegel wesentlich eine Sache das Geistes und nicht das einer ursprünglichen Natur, die es nun nur noch besonders kunstvoll und kunstfertig abzubilden gälte. Das Kunstschöne steht bei Hegel um so viel höher als das Naturschöne, als eben der Geist höher steht als die Natur.[18] Es gibt hier freilich keinen platten Dualismus zwischen „Naturschönem“ und „Geistschönem“, aber es gilt wohl, was bei Hegel ganz allgemein gilt: Dass nämlich der Geist sich durch die Natur hindurch verwirklicht, und zwar so, dass im Menschen die Natur zum Geist und Selbstbewusstsein kommt. Hegel selber scheint an diesen Stellen gar nicht zu bemerken, oder es zumindest nicht in den Fokus seiner Reflexion zu nehmen, dass doch auch das „Naturschöne“, nur dasjenige Schöne ist und sein kann, was der Mensch an Schönheit in die Naturformen hineindenkt. Kurz: Die Redeweise vom „Naturschönen“ setzt bereits, wenn sie einen Sinn haben soll, eine Ästhetik und normative Bewertung des Menschen voraus und kann nicht einfach „gegeben“ sein.

Aber zurück zur Kunst als einer noch näher zu bestimmenden mangelhaft realisierten Form des absoluten Geistes: Ein wichtiger Punkt für die Überlegungen zur Bruchstückhaftigkeit und Einzelheit der Werke der Kunst ist in § 559 enthalten. Da wird von Hegel konstatiert, dass der absolute Geist in seiner Einzelheit des Gestaltens nicht explizit werden kann. Daraus kann man aber zumindest ableiten, dass er (der absolute Geist) diesen Gestalten dennoch irgendwie implizit ist. Was aber soll die Rede von „implizitem absoluten Geist“ bedeuten? Eine Antwortmöglichkeit wäre wohl, dass man dem Versuch der Schöpfung oder Schaffung des Kunstwerkes und der Realisierung selbst eine Art von besonderem Ziel oder eine besondere Motivation zuschreibt. Inhalt dieser Motivation wäre, das Absolute, oder das Verhältnis des Menschen zum Absoluten, richtig abzubilden. Das muss aber notwendig scheitern, da das Medium der Kunst, bzw. die Einzelheit der Werke, im Widerspruch mit der Form des Geistigen (im Modus der Sichselbstgleichheit) steht, die am Begriff und als System - also in der Form der Philosophie - mit dem Inhalte des Absoluten sich erst zeigen bzw. realisieren kann. Hegel schreibt in § 559, dass das Bild mit seinem beschränkten Inhalt überhaupt erst durch die Durchdringung des Geistigen dennoch als Schön erkannt wird.[19] Das funktioniert m.E. darum, weil der gebildete Betrachter von den mannigfaltigen Beschränkungen des konkreten Inhalts absehen oder abstrahieren kann und die Idee des Schönen, das im Bild ausgedrückte Ideal, dennoch herauszulesen vermag. Man könnte vielleicht vereinfacht und mit Platon sagen, dass die Idee des Schönen im Abbild erkannt wird. Das Absolute ist also in der Kunst eine zeitlose oder überzeitliche Idee von der Schönheit und Ideen haben ihren Ort in den Idealen und Vorstellungen der Menschen, was den Bezug zum Absoluten in der Kunst, in anthropozentrischer und sinnkritischer Weise gewendet, als den zutiefst menschlichen Versuch ausweist, sich in ein Verhältnis zum Allgemeinen, zum Zeitlosen, oder zu Gott, zu setzen. Dieses Verhältnis ist also wesentlich ein später noch näher zu bestimmendes Selbstverhältnis des Menschen. Das aber dann auch zu wissen, zu begreifen und selbstbewusst auszuformulieren, ist nicht Sache dieser Kunst, sondern ist bereits der absolute Geist in Form der Philosophie, die so zu einer Philosophie des richtigen oder vollendeten Selbstbewusstseins oder Selbstverstehens wird.

1.3. Der Übergang zur Religion: Die Kunst und ihre Götter

Nun soll untersucht werden, was die Rede vom Kunstwerk als der Ausdruck eines Gottes, oder als Ausdruck einer allgemeinen Idee des Schönen bedeuten kann. Hegel spricht im Zusammenhang mit der Kunst als Form des absoluten Geistes immer wieder vom Verhältnis des Künstlers zu Gott und besonders explizit tut er das in den Paragraphen 560 und 561, die jetzt thematisiert werden sollen. Es schließt sich bei Hegel dann unmittelbar der Übergang zur Religion an, was diese Paragraphen und die beiden letzten dieses Kapitels besonders interessant für die Fragestellung nach dem engen und verschlungenen Verhältnis von Kunst und Religion macht.

Hegel hatte schon in § 556 darauf hingewiesen, dass die Kunstwerke als Gestalten des Wissens endlich und unmittelbar sind, in § 560 weist Hegel zunächst auf diesen Paragraphen zurück und sagt weiter, dass das Kunstwerk vom Künstler gemacht ist und fügt dem folgende Aussage hinzu:

„Das Subjekt ist das Formelle der Tätigkeit und das Kunstwerk nur dann Ausdruck des Gottes, wenn kein Zeichen von subjektiver Besonderheit darin, sondern der Gehalt des inwohnenden Geistes sich ohne Beimischung und von deren Zufälligkeit unbefleckt empfangen und herausgeboren hat.“ [20]

Was Hegel im Folgenden noch über den Künstler als Meister des Gottes und das Kunstwerk als Werk der freien Willkür sagt, ist vielleicht mit diesem zitierten Satz besonders gut zu erschließen. Das ideale Kunstwerk, welches dem absoluten Geist als Kunst gerecht würde, wäre im Sinne Hegels also frei von subjektiver Besonderheit und würde den Gehalt des Geistes quasi in Reinform ausdrücken. Das Künstler-Genie wird von Hegel im selben Paragraphen als eine Art Medium des Geistes vorgestellt, das ganz natürlich und unmittelbar diese Werke auszuführen im Stande ist, weil es zugleich von den objektiven Ideen und Idealen der Kunst durchdrungen, als auch handwerklich und also arbeitend dieser Tätigkeit gewachsen ist. Darum ist der Künstler ein Meister des Gottes, aber vermittelt durch die konkrete Ausführung des Künstlers bleibt das Kunstwerk auch ein Werk der freien Willkür. Der Anspruch auf Universalität und Allgemeinheit im „Ausdruck des Gottes“, welcher im obigen Zitat erhoben wird, zeigt wiederum im Sinne des Selbstwissens und Selbstbewusstseins an, dass der Mensch auch als Künstler zwischen seiner zeitlichen Daseinsform und Kunstfertigkeit und den je seinen allgemeinen Idealen und Ideen von zeitloser Schönheit eingespannt ist. Das absolute Kunstwerk müsste demnach zeitlos schön und universaler Ausdruck des Schönen sein, als solches ist es selbst ein Ideal.

Die einzelnen Unterscheidungen in verschiedene Kunstrichtungen und -strömungen werden hier etwas vernachlässigt, da vorrangig der prinzipielle Zusammenhang und Übergang von der Kunst als Form des absoluten Geistes zur Religion erhellt werden soll. Den Paragraphen 561 schließt Hegel mit der Bemerkung ab, dass jene Kunstformen einen Mangel im Bewusstsein des freien Geistes haben und das sich dieses künstlerische Schaffen und Tun noch nicht am Ziel und in der Versöhnung mit der unendlichen Form befindet. Das soll im Kontext dieser Arbeit wiederum als ein Mangel an Selbstwissen, Selbsttransparenz und eben Selbstbewusstsein des auf diese Weise tätigen Menschen verstanden werden, dem schlussendlich erst die Philosophie Abhilfe schaffen kann. Vorher muss allerdings noch die Rolle der Religion und ihr Verhältnis zur Kunst und zur Philosophie erhellt werden.

Hegel nennt in § 562 das Bewusstsein darüber was die höchste Bestimmung des Menschen ist, das weltliche Selbstbewusstsein und er nennt weiter die umfassende Einheit dieses komplexen Wissenssystems, welches die Sittlichkeit, das Recht, die Kunst, die Religion und die Wissenschaft unter ein System fasst, eine Voraussetzung für die weitere Erkenntnis, dass die Geschichte der Religion identisch mit der Geschichte der Welt sei.[21] Hegel spricht exakt vom Zusammenfallen der Geschichte der Religion mit der Weltgeschichte. Es bleibt dabei etwas unklar, ob gemeint ist, dass die Weltgeschichte selber immer Religionsgeschichte sei, oder ob die Geschichte der Religion mit der Weltgeschichte identisch wird, bzw. ob sich – möglicherweise in einem angedachten Prozess der Säkularisierung – erstere mehr und mehr in letzterer auflöst oder aufhebt. Solche Spekulationen über den Originaltext sind an dieser Stelle vielleicht nicht besonders fruchtbar, weil sie zwar von Bedeutung über Hegels Geschichtsbild sind, aber sie hier nicht aufgeklärt werden können. Wenn Hegel selbst auf diesen Aspekt Wert gelegt hätte, hätte er das wohl denkend expliziert. Dennoch ist diese Textstelle von großer Bedeutung für diese Arbeit, weil sie den Begriff des weltlichen Selbstbewusstseins, über die aufgezählte Reihe von weiteren Begriffen, mit dem Wissen um die Weltgeschichte verklammert. Vielleicht berechtigt diese Passage bereits dazu, zu behaupten, dass nach Hegel ein voll entwickeltes und freies Selbstbewusstsein eben ein Bewusstsein ist, dass sich systematisch in allen Spähren der menschlichen Existenz verorten und als Mitglied einer historisch gewachsenen Kultur begreift. Eine vollendete (im Sinne von umfassend und eher im Sinne einer Übersicht) Bildung wäre hier nicht nur Voraussetzung für eine vollendete Philosophie, sie wäre zugleich die Voraussetzung eines richtigen und systematischen Selbstverstehens, also weltlichen Selbstbewusstseins. Diese Gedanken werden im Kapitel über die Philosophie als höchste Form oder Gestalt des absoluten Geistes noch eine wichtige Rolle spielen.

Hegel führt an einer weiteren, die Frage nach dem absoluten Geist betreffenden und hochinteressanten Textstelle aus, dass die schöne Kunst, die ihrem Bedürfnis nach, von einer bestimmten Religion erst erzeugt wird, ein gedankenloses und sinnliches Jenseits hervorbringt.[22] An dieser Stelle und bis zum Ende des § 562 wird das Verhältnis der Verehrung, welches ein Verhältnis zugleich der Bewunderung und Distanzierung ist, von Hegel kritisiert. Nach der Lesart, die in dieser Arbeit vorgeschlagen und als die richtige vertreten wird, enthält dieses Verhältnis einen wesentlichen Fehler, nämlich einen Mangel an Selbstwissen und Selbstbewusstsein. Da die in den heiligen Objekten (Abbilder der Götter, Talismane, Bildsäulen, u.v.m.) verehrten und vergötterten Eigenschaften in Wahrheit geistige Ideale sind, werden sie im Modus ihrer Objekthaftigkeit und als entfernte und mitunter unerreichbare Gegenüber nicht richtig verstanden. Sie werden gedankenlos und sinnlich als Objekte gegenüber des Subjekts verehrt, sind aber doch eine Schöpfung des Geistes, und zuletzt und im Sinne dieser Arbeit sind sie objektivierte Selbstbilder bzw. idealisiertes und durch das Subjekt selbst erschaffenes und entäußertes Selbstbewusstsein. Im Prinzip ist also eine so verstandene Heiligsprechung und Verehrung dieser Objekte auf zwei wesentlich verschiedene Weisen möglich. Nämlich zum einen, im Modus der Selbstvergessenheit, ist sie eine Distanzierung von sich selbst bzw. von der eigenen Schöpfung und Schöpferkraft. Zum anderen, im Modus eines richtigen Selbstwissens und Selbstbewusstseins, ist hier das Zusammenschließen des Subjektes mit seinen Werken der Anbetung möglich, welche dann als Inhalte des Selbstbewusstseins zurück unter die Ideale und die Schöpferkraft des Subjekts fallen. Kurz und vereinfacht: Der selbstbewusste Mensch erkennt im Kunstwerk seine Kunstfertigkeit und in den Abbildern der Götter seine eigene Schöpferkraft und Freiheit.

Wenn Hegel im letzten Paragraphen zur Kunst als einer Form des absoluten Geistes dann sagt, dass die Zukunft der schönen Kunst in der wahrhaften Religion hat, so ist es leicht nachzuvollziehen, wieso z.B. Taylor und mit ihm alle die ebenfalls einer solchen Lesart Hegels folgen, auf die Idee kommen, dass es eine notwendige und außerdem historische Abfolge von Kunst, Religion und Philosophie geben soll. Aber es ist eben ziemlich riskant, wenn man die oft beklagte Dunkelheit des Ausdrucks bei Hegel auf eine solche Weise, nämlich durch die Überbewertung des Ausdrucks und Gehaltes in einem einzelnen, ausgesuchten Satz, zu überbrücken versucht. Wie bereits angedeutet, ist der Ansatz in dieser Arbeit, die „Stufen“ und „Abfolgen“ der Formen des Geistes als verschiedene Grade in der Explikation des Selbstbewusstseins zu erfassen. Das heißt, dass die vorangegangen Stufen und Ansätze in Hegels Denksystem als Abstraktionen der nachfolgenden Positionen verstanden werden können, die gar nicht unbedingt zeitlich oder historisch, sondern vielmehr einer Logik des Erklärens folgen. Wieder ganz einfach: Der komplexe und inhaltlich ausgereifte Standpunkt ist der Maßstab und das Ziel, welches die Abstraktionen notwendig verfehlen müssen. Auf diese Weise bewegt sich das Denken Hegels stetig auf die eigene Bestform und höchste Komplexität zu, während verkürze und abstrakte Standpunkte überwunden, erinnert und weiterentwickelt werden. Mit diesem Interpretationsansatz soll nun auch der Übergang von der Kunst zur Religion als ein weiterer Schritt in der Selbstexplikation der Lebensform des Menschen, durch den philosophierenden Menschen, begriffen werden.

2. Der absolute Geist in der Religion

Der absolute Geist in der Religion ist nach Hegel als die von Gott geoffenbarte Religion zu fassen.[23] Hegel sprach bereits in § 563 von der wahrhaften Religion, als die Zukunft der schönen Kunst, welcher selbst eine eigentümliche Religion inhärent sei. Nun soll das im Dasein selbst, das Wissen ist, ein Offenbaren geschehen und zwar so, dass der Inhalt der Idee absoluter Geist für den Geist ist und er dabei die Bestimmung der freien Intelligenz zum Prinzip hat. Das alles lässt sich eigentlich recht mühelos als denjenigen Prozess deuten, in welchem sich der Mensch einen Gott denkt, der als ein Gott der Freiheit den Menschen vor beschränkten Perspektiven und Lebensweisen bewahrt, indem der Mensch sich als Einzelner in ein Verhältnis zum Allgemeinen und zum Ganzen begreift. Frei ist diese Form des Geistes darum, weil sie sich selbst zum Gegenstand hat, weil sich im und durch den Menschen der Geist zu sich selber befreit. Wenn aber Hegel nun explizit behauptet, dass die Offenbarung von Gott her geschehen muss, steht das zunächst im Konflikt mit dem Ansatz dieser Arbeit, nach dem Gott nicht eine objektive Kraft in der Welt, sondern vielmehr ein objektiviertes und so auch durchaus wirksames Ideal der Menschen ist. Eine Lösung für dieses vielleicht nur scheinbare, vielleicht aber auch fundamentale Problem ist, dass zunächst davon ausgegangen wird, dass Hegel mit dieser Rede von Gott nur den vernunftgemäßen Ablauf der Welt meint, das heißt auch nur, dass die Welt im Prinzip, also der geistigen Fähigkeit des Menschen nach, verständlich strukturiert ist. Die Rede von Gott ist so die Rede von einer nach erkennbaren Gesetzen ablaufenden Welt. Das sind nur ein paar Vorüberlegungen, die sich noch einschränken, konkretisieren oder revidieren lassen. Zunächst soll nun Taylors Perspektive in einigen ausgewählten Punkten, inklusive der Übergänge der Formen des absoluten Geistes, reflektiert werden. Dann soll die Religion als Form des absoluten Geistes skizziert werden, anschließend sollen, wie es geplant war und schon bei der Kunst erfolgt ist, eigene Interpretationen des Primärtextes und weiterführende Reflexionen an diese Punkte angeschlossen werden.

2.1. Die Perspektive Charles Taylors

Taylor hält zunächst fest, dass der Bereich der Religion mit der inneren Vorstellung verbunden ist, während der Bereich der Kunst mit äußeren Anschauungsformen verbunden war. Als Formen oder Gestalten des absoluten Geistes haben diese das Verhältnis des Menschen zum Absoluten zum Ziel, wobei die Religion etwas Übersinnliches, also etwas Vorstellbares und Wahres, aber nicht direkt Abbildbares zum Thema hat, sodass das religiöse Denken zwar mit Bildern und Darstellungen operiert, aber zugleich nicht in ihnen gefangen bleibt.[24]

Bereits nach diesem ersten Einblick in Taylors Ansatz wird klar, dass die Religion als Form des absoluten Geistes eine Art Vermittlerin zwischen der ersten Form (der Kunst) und der finalen Form (der Philosophie) ist. Es scheint in der Gestalt der Religion, aus der Perspektive des Selbstbewusstseins, einen wesentlichen Erkenntnisfortschritt zu geben, nämlich das Wissen um das in den Bildern und Geschichten eingeschriebene Verhältnis zu Gott oder eben zum Ideal, als veräußertes Selbstwissen. Es bleibt zunächst noch unklar, ob dieses Verhältnis als ein Selbstverhältnis des Menschen zu begreifen ist, oder als Verhältnis zu einem Gott.

Es wird nun klar, wie Taylor die Philosophie Hegels als Abgrenzungs- und Aufhebungsversuche gegen andere Strömungen und Ansätze versteht. Taylor betont, dass Hegel mit seiner Philosophie einen Zweifrontenkrieg[25] führt, der sich auf der einen Seite gegen die Romantiker bzw. gegen die Frömmigkeit und auf der anderen gegen die nur rationalen, nicht aber vernünftigen Aufklärer richtet. Die Aufklärer wollten von Gott (oder dem Absoluten) nichts wissen bzw. behaupteten, dass man von ihm auch nichts wissen könne[26]. Die Romantiker verbannten die Sphäre des Absoluten und des Gottesbezuges ins nur je subjektive Gefühl und in die Anbetung. Eine kleine Anmerkung am Rande: Bei den Aufklärern kann man wohl mit Recht auch an Immanuel Kant denken, dessen Erkenntnisbegriff ein Erkennen des Absoluten als Gott nicht erlaubt, da hier Anschauung und Begriff nicht zur Einheit in der Erfahrung kommen können. Solange Gott nicht angeschaut werden kann, bleibt er eine regulative Idee. Dazu und darüber hinaus an anderer Stelle mehr, nämlich wenn es explizit um die Philosophie als Form des absoluten Geistes geht.

Die Philosophie soll die Beschränktheit der Rationalität der Aufklärung und den nur gefühlten Zugang der Religion überwinden und im Begriff bzw. im reflexiven Denken aufheben. Taylor reflektiert nun mit Hegel die Phasen des Christentums und die Epochen der Philosophie und sieht, dass die Emanzipation durch die Aufklärung von der Autorität und Objektivität der Kirche zwar erfolgreich war, aber in eine nur noch analytische Rationalität umschlägt, die als bloße Gegenreaktion auf die Autorität des Glaubens, dem dialektischen Entwicklungsgesetzen folgend, eben den Bezug auf Objektivität des Wissens und den Zugang zum Absoluten verliert.[27]

[...]


[1] G.W.F. Hegel, Enzyklopädie III, S. 366 - 394.

[2] Taylor, Hegel, S. 607 - 701.

[3] Stekeler-Weithofer, Philosophie des Selbstbewusstseins, Suhrkamp 2005.

[4] Ebenda, S. 43-55.

[5] Bei Hegel heißt es genau: „Dritte Abteilung: Der absolute Geist“.

[6] Vgl. dazu: Taylor, Hegel, S. 607.

[7] G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, S.24.

[8] Taylor, Hegel, S. 607.

[9] Ebenda, S. 608.

[10] Der Begriff „absolut“, hier eine Eigenschaft des Geistes, kann u.a. die divergenten Bedeutungen von: fixiert, fest, unabhängig, frei und losgelöst annehmen.

[11] G.W.F. Hegel, Enzyklopädie, S. 367-372.

[12] Vgl. dazu: Taylor, Hegel, S. 628.

[13] Gemeint ist jene Philosophie des Deutschen Idealismus, die sich das Denken des Denkens zur Aufgabe gemacht hat. Genauer, die Philosophie Hegels, die das voll entfaltete Selbstbewusstsein und Selbstwissen, oder eben das spekulative Denken als wesentliche Denkform für sich reklamiert.

[14] Vgl. dazu: Taylor, Hegel, S. 619.

[15] Vgl. dazu: Taylor, Hegel, S- 610 ff.

[16] G.W.F. Hegel, Enzyklopädie III, S. 372.

[17] Vgl. dazu: Taylor, Hegel, S. 628.

[18] G.W.F. Hegel, Ästhetik, S. 13 f.

[19] Vgl. dazu: G.W.F. Hegel, Enzyklopädie III, S.369.

[20] G.W.F. Hegel, Enzyklopädie III, S. 369.

[21] Vgl. dazu: G.W.F. Hegel, Enzyklopädie III, S. 370 f.

[22] Vgl. dazu: G.W.F. Hegel, Enzyklopädie III, S. 372.

[23] Vgl. dazu: G.W.F. Hegel, Enzyklopädie III, S. 372 f.

[24] Vgl. dazu: Taylor, Hegel, S. 629.

[25] Ebenda, S. 671.

[26] Ebenda, S. 630.

[27] Vgl. dazu: Taylor, Hegel, S.667.

Ende der Leseprobe aus 68 Seiten

Details

Titel
Die Macht der Reflexion. Zum Verhältnis von Kunst, Religion und Philosophie bei G.W.F. Hegel
Hochschule
Universität Leipzig  (Sozialwissenschaft und Philosophie)
Veranstaltung
Philosophie des Geistes
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
68
Katalognummer
V337335
ISBN (eBook)
9783668309258
ISBN (Buch)
9783668309265
Dateigröße
1281 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Das Titelbild ist ebenfalls vom Autor erstellt, im Original und in digitaler Kopie. Titel: "Absoluter Geist", Acryl auf Leinwand, Leipzig 2012, Daniel R. Kupfer
Schlagworte
Hegel, Absoluter Geist, Idealismus, Reflexion, Macht, Spekulation, Spekulative Philosophie, Kunst, Religion, Geist, Philosophie des Geistes, Deutscher Idealismus
Arbeit zitieren
Daniel R. Kupfer (Autor:in), 2016, Die Macht der Reflexion. Zum Verhältnis von Kunst, Religion und Philosophie bei G.W.F. Hegel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/337335

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