Die Rolle der philosophischen Reflexion für ein autonomes Selbstbewusstsein


Projektarbeit, 2015

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die philosophische Spekulation
1.1. Hegel und die Philosophische Reflexion
1.2. Der Nutzen der Philosophie
1.3 Das philosophische Selbstbewusstsein

2. Autonomie und Selbstbestimmung
2.1. Die philosophische Reflexion als Voraussetzung der Autonomie
2.2. Die Teilhabe an selbstbestimmten Lebensformen
2.3. Autonomie und Selbstkonstitution

Zusammenfassung und Schluss

Literaturliste

Einleitung

Es soll in dieser Arbeit untersucht werden, welche Rolle die philosophische Reflexion für ein autonomes Selbstbewusstsein spielt. Dabei orientiert sich die Arbeit zunächst an den Deutungsweisen und Kommentaren, welche Pirmin Stekeler-Weithofer in seinem Buch „Philosophie des Selbstbewusstseins“[1] über Hegels System als einer Formanalyse von Wissen und Autonomie vorstellt. Das Verständnis des philosophischen Selbstbewusstseins, so wie es Hegel in der Phänomenologie des Geistes (PdG) vorstellt, soll innerhalb dieses Rahmens erhellt werden, indem u.a. über dessen Voraussetzungen nachgedacht wird. Die Rolle der philosophischen Reflexion, die im Verdacht steht, die wichtigste Voraussetzung für eben jenes Selbstbewusstsein zu sein, soll auch darauf hin befragt werden, ob sie die Autonomie des Subjektes, welches mit Selbstbewusstsein ausgestattet ist, maßgeblich beeinflusst. An geeigneten Stellen, innerhalb dieser Überlegungen, wird zudem auf Gedankengänge und Anregungen aus den verschiedenen Aufsätzen und Beiträgen des Sammelbandes[2] „Hegels Erbe“ zurückgegriffen.

Autonomie soll dabei freilich nicht als losgelöste und irgendwie totale Freiheit des Subjekts erfasst werden, sondern im weitesten Sinne würde man ein autonomes Subjekt im Kontext dieser Arbeit so betrachten, dass es ein Subjekt ist, welches sich aus freien Stücken und aus guten (d.h. vernünftigen) Gründen den Gesetzen, Regeln und Konventionen unterordnet, die ihm als Einschränkung seiner Freiheit nur im Sinne einer Einschränkung der Willkürfreiheit gegenüberstehen. Diesen noch abstrakten Begriff der Autonomie gilt es zu explizieren. Es soll in einem weiteren Schritt in dieser Arbeit untersucht und problematisiert werden, wie ein selbstbewusstes und autonomes „generisches Subjekt“[3] selbstbewusst und autonom wird, nicht im Sinne einer Beschreibung der Genese dieses Subjekts, sondern durch eine Reflexion auf den begrifflichen Kontext und eine Untersuchung der material-logischen Voraussetzungen für ein solches Subjekt und dem ihm entsprechenden Selbstbewusstsein.

Stekeler-Weithofer nennt die Reflexion auf diese und ähnliche Zusammenhänge auch eine Reflexion „über uns selbst und ein Nachdenken über die Bedingungen der personalen Teilnehmerschaft an einer Lebensform“[4]. Diese Bedingungen der Teilnehmerschaft des Menschen an einer Lebensform sollen explizit gemacht und problematisiert werden und zwar so, dass der Begriff des hegelschen Selbstbewusstseins (aus der PdG) und der Begriff eines autonomen und selbstbestimmten Subjekts im Fokus der Betrachtung stehen. Das hegelsche Selbstbewusstsein, zu dem ein Subjekt reflexiv denkend aufschließen kann, wenn es sich selbst richtig (was das genauer heißt, wird noch zu klären sein) verstanden hat, ist wiederum eine Voraussetzung für ein autonomes Agieren innerhalb eben jener Teilnehmerschaft an den allgemeinen und speziellen Praxen und Lebensformen des vergemeinschafteten Menschen.

Dass es sich in diesem Prozess nicht bloß um eine geist- und kritiklose Integration von Individuen bzw. Subjekten in eine beliebige Gesellschaft und/oder Lebensform handeln kann, wird ebenfalls zu zeigen sein. Der aufklärerische oder kritische Impuls, der diesen Überlegungen innewohnt, scheint offensichtlich. Es wird die Idee verfolgt und vertreten, dass das philosophische Selbstbewusstsein und die damit einhergehenden verschiedenen Formen der Urteilskraft sehr wichtige Faktoren dafür sind, dass die Aufklärung als persönliches und historisches Projekt (wie es z.B. Adorno in der Dialektik der Aufklärung sehr dramatisch beschreibt) nicht dialektisch in sein Gegenteil umschlägt. Diesem selbstkritischen und selbstreflexiven „aufklärerischen Projekt“ muss es m.E. gerade darum gehen, selbstbewusste, autonome und verantwortungsbewusste Menschen herauszubilden, welche weder in den Abgrund der Willkürfreiheit und damit der Verantwortungslosigkeit tappen, noch um solche, die sich zu blindem Räderwerk[5] im Getriebe irgendeiner Gesellschaft machen lassen. Das zeigtdie wichtige Rolle an, die die philosophische Reflexion für ein autonomes Selbstbewusstsein einnimmt, welches immer in einem zugleich abhängigen und kritischen Verhältnis zu seiner eigenen Lebensform und zur Gesellschaft steht. Wer sich selbst wahrheitsgemäß begreifen will, der darf nicht denkend bei sich stehen bleiben.

1. Die philosophische Spekulation

1.1. Hegel und die Philosophische Reflexion

Die Philosophische Reflexion verschafft dem reflektierenden einen Überblick und damit Orientierung. Wenn man einen solchen Satz behauptet und wenn er überzeugen soll und also gelten will, dann muss zunächst bestimmt werden, auf welchen Geltungsbereich er sich bezieht, man muss erklären, worüber genau ein Überblick gewonnen werden soll, damit ist dann auch gesagt, worin der Orientierungsgewinn besteht. Auch muss der Begriff der Reflexion, der das Vorhandensein einer speziellen Methode und/oder einer Praxis, eines theoretischen bzw. denkenden Handelns andeutet, erklärt werden. Die Frage was diese philosophische Reflexion ist, die ja im Sinne dieser Arbeit zugleich an Hegels Denken und Stekeler-Weithofers Interpretation dazu anschließen will, muss geklärt werden. Stekeler weist darauf hin, dass er den naheliegenden Begriff der (philosophischen) Spekulation vermeiden will und darum den Begriff der Reflexion verwendet, weil der erstere Begriff negativ konnotiert sei.[6] In dieser Arbeit wird aus demselben Grund, und weil der Bezug zu Stekeler-Weithofers Interpretation zunächst ausdrücklich hergestellt werden soll, der Begriff der Spekulation durch den der Reflexion ersetzt. Wobei der Standpunkt vertreten wird, dass ein im hegel'schen Sinne richtig verstandener Spekulationsbegriff dem Begriff der Reflexion, so wie er hier verwendet wird, entspricht. Der Begriff „Spekulation“ (lat. speculatio) bedeutet „ausspähen“ oder „von einem erhöhten Standpunkt Ausschau halten“, das deutet bereits an, wie dieser Begriff im Sinne der verbesserten Orientierung und Urteilskraft einen gewissen Sinn gewinnen kann. Zum anderen bedeutet „speculum“ (lat.) „Spiegel“ und damit haben wir eine semantische oder materiale Verbindung zum Begriff der selbstreflexiven Reflexion. Stekeler-Weithofer leitet sein Kapitel über die Macht der Reflexion auch mit der Spiegelmetapher ein, und deutet die Reflexion im Sinne einer Rückwendung der Aufmerksamkeit.[7] Es liegt m.E. sehr nahe, hier an die transzendentalen Analysen Kants oder an das „Denken des Denkens“ (als Titel für das Projekt des Deutschen Idealismus) ganz allgemein zu denken, weil dieses Denken eine Rückwende auf den Denkprozess selbst ist, in Abgrenzung zu einem rein objektstufigen Denken eines empirischen oder sinnlich-naiven Weltbezuges eines Subjekts, welches auf diese Weise auf ein Objekt Bezug nimmt, als sei dieses schlicht gegeben[8]. Das metastufige Denken, welches z.B. über transzendentale erkenntnistheoretische Aspekte, über die Sprache und über das Denken und die Logik nachdenkt, ist in diesem weiten Sinne Reflexion. Der Topos dieser Reflexion ist das Denken und Sprechen selbst, der Ort an dem die wachsende Orientierung und der gesteigerte Überblick sich manifestieren, ist das Denken und der Geist. Mit Hegel (auch schon mit Kant) weiß man, dass uns die scheinbar gegebene[9] Welt, oder das konkrete Objekt, immer geistig und also begrifflich vermittelt erscheint, dass das Wissen über die Welt der Objekte immer auch ein Wissen über Begriffe ist, oder dieses voraussetzt. Der noch etwas abstrakte Begriff, den wir jetzt von der philosophischen Reflexion gewonnen haben, reicht zunächst aus, um weitere Überlegungen, im Sinne der Frage nach der Rolle der Autonomie und Selbstbestimmung, anzuschießen.

1.2. Der Nutzen der Philosophie

Der Nutzen der Philosophie soll hier nicht, wie es Michael Quante[10] sehr originell vorschlägt, im Sinne einer Therapie verstanden werden, bei der Scheinprobleme aufgelöst werden, indem man sie als solche versteht. So leistet die so verstandene sinn-kritische Philosophie ihren Beitrag zum guten bzw. gelingenden Leben, indem sie z.B. Leid verursachende Überzeugungen durch Argumente widerlegt. Aber dennoch wird es auch in den folgenden Überlegungen, und mit Blick auf die gesamte Arbeit, um das Auflösen von Problemen durch eine Steigerung der Orientierung im Denken gehen.

Wenn wir die Frage nach dem Nutzen der Philosophie stellen, dann fragen wir danach, was sie uns als Menschen nützt, die wir denkende und handelnde Wesen in einer Welt sind, die wir nur begrenzt verstehen. So zu fragen bedeutetet, die Philosophie in den Kontext des gelingenden Lebens zu stellen.

Nach dem Zweck der Philosophie in einem ähnlichen Sinne fragt auch Stekeler-Weithofer, wenn er kritisch anmerkt, dass die Philosophie wohl mehr sein muss, als nur die Selbstbespiegelung ihrer eigenen Genese im Sinne einer Betrachtung und Besprechung der Philosophiegeschichte[11]. Stekeler wirft hier u.a. die Frage auf, ob es nicht der tiefste Ratschlag der philosophischen Reflexion sei, der uns zugleich vor dem blinden Befolgen gegebener Regeln und vor einem Handeln in vorgegebenen Schemata, wie auch vor dem voreiligen Zustimmen zu nur praktikablen Lösungen, bewahrt[12]. Gemeint ist m.E. ein unreflektiertes Mitmachen und im nächsten Schritt auch ein gleichsam unreflektiertes Verweigern der Partizipation an gegebenen Praxen und Lebensformen. Ein urteilsfähiges und selbstbewusstes Subjekt würde wohl beide Extreme meiden, weil es weiß, dass das Gegebene nicht gut ist, nur weil es gegeben ist und dass die Passivität eines Akteurs nicht gut ist, nur weil er die Partizipation an einer noch unbestimmten Praxis oder Lebensform verweigert. Es muss also zunächst erkannt und beurteilt werden, ob Regeln, Handlungen, Praxen, Lebensformen gut, im Sinne von vernünftig und gedeihlich für den Menschen, sind, bevor man sich zur Partizipation oder Passivität entscheiden kann, wenn man dies mit guten Gründen tun will. Eine Kritik im Sinne einer Untersuchung des Bestehenden oder Gegebenen, wäre eine Möglichkeit, sich die nötige Urteilskraft denkend zu erarbeiten. Das braucht freilich Zeit, und zwar umso mehr, wenn das Urteil treffsicher und der Überblick hochauflösend sein soll.

Man könnte jetzt formulieren, dass ein Wissen über diese Sachverhalte eine bestimmte Form des Selbstbewusstseins ist, und zwar insofern, als es ein Wissen über sich selbst ist, welches das Selbst oder Subjekt immer schon in einem Kontext eingebettet begreift, welchen es begrifflich zu durchdringen hat. Diesen Kontext zu verstehen, in dem das Subjekt selbst zunächst immer schon eingebettet ist, an dem es partizipiert, ist Voraussetzung dafür, dass das Subjekt sich selbst versteht. Hier haben wir einen hegel'schen Gedanken, nämlich den, dass das Subjekt seine Wahrheit nicht bei sich selbst finden kann. Das Subjekt begreift man nicht, wenn man es nicht in einem Verhältnis zu seiner Umwelt, zu seinem Kontext begreift.[13] Der Nutzen einer so angelegten Reflexionsphilosophie wäre also der Gewinn eines Selbstverständnisses und damit eines Bewusstseins von uns Selbst, als Wesen, welche wesentlich durch einen sie umgebenden Kontext bestimmt sind. Wobei dem Subjekt zugleich auch aufgeht, dass es eben jenen Kontexten und Gegebenheiten nicht blind ausgeliefert ist bzw. bleiben muss, sondern, dass es diese begreifen, kritisieren, verändern oder gar vollständig umformen kann. Damit gewinnt das Subjekt auch einen ersten und einfachen Begriff seiner eigenen Macht und Kraft, gegenüber der zunächst faktischen Macht der Umstände, seien diese natürlichen oder politisch-sozialen Ursprungs. Später wird noch genauer zu untersuchen sein, welche Rolle für eine Entfaltung der gesteigerten Handlungsfähigkeit eines Subjekts gerade dessen Partizipation an gegebenen und selbst etablierten Praxen und Kooperationsformen ist.

1.3 Das philosophische Selbstbewusstsein

Das philosophische Selbstbewusstsein soll hier nicht zuerst als das richtige Selbstverständnis der Philosophie, oder als das „Selbstbewusstsein der Philosophie als Wissenschaft“ verstanden sein, auch wenn dies in etwa der Struktur jenes Wissens entspräche, die Hegel als das „absolute Wissen“[14] bezeichnet. Das Selbstbewusstsein soll hier lediglich in der Dimension des wahren Wissens über sich selbst skizziert werden, wobei falsche Verständnisse des Selbst und verkürzte Selbstkonzepte kritisiert werden, was bereits im vorherigen Kapitel in abstrakter Form erfolgt ist.

[...]


[1] Stekeler-Weithofer, Philosophie des Selbstbewusstseins, 2005.

[2] Hegels Erbe, Suhrkamp, 2004.

[3] "generisches Subjekt" hier im Sinne einer allgemeinen Form von ebensolchen Subjekten, nicht ein einzelnes Subjekt ist Objekt der Betrachtung, sondern eine ganze Subjektklasse oder eben Subjektform. Es wird die Explikation eines generischen Begriffs des Subjekts im Kontext ebenangestrebt.

[4] Stekeler-Weithofer, Philosophie des Selbstbewusstseins, 2005, S. 12.

[5] Vergleiche dazu auch: "Das älteste Systemfragment des Deutschen Idealismus" in G.W.F. Hegel, Frühe Schriften, Suhrkamp, 1986.

[6] Stekeler-Weithofer, Philosophie des Selbstbewusstseins, 2005, S. 11.

[7] Ebenda S. 43.

[8] Vergleiche dazu auch: John McDowel (über W. Sellars), Hegels Erbe, 2004, S.185 ff.

[9] Der Kritik am"Mythos des Gegebenen" kann im begrenzten Rahmen dieser Arbeit nicht weiter nachgegangen werden, da dieser epistemisch-erkenntnistheoretische Ausflug uns zu weit vom Hauptthema abbringen würde, obwohl er dennoch eine gewisse Nebenrolle spielt.

[10] Vgl.: Michael Quante, Hegels Erbe, 2004, S. 329 ff.

[11] Stekeler-Weithofer, Philosophie des Selbstbewusstseins, 2005, S. 44.

[12] Ebenda.

[13] Stekler meint, dass es sich bei der philosophischen Reflexion nicht um Formen der Selbstbespiegelung, Introspektion oder private Selbsterkenntnis handelt. Meines Erachtens ist ein Verstehen des Subjekts im Sinne des Selbstbewusstseins und der Autonomie gar nicht möglich, wenn nicht auf die Umstände und Kontexte reflektiert wird, von denen das Subjekt jeweils bestimmt ist und die es mitbestimmt, auch wenn das Mischungsverhältnis von Fremdbestimmung und Selbstbestimmung stetig wechselt, aber dazu an geeigneter Stelle mehr.

[14] Hegel, Phänomenologie des Geistes, 1986, S. 575 ff.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Rolle der philosophischen Reflexion für ein autonomes Selbstbewusstsein
Hochschule
Universität Leipzig  (Sozialwissenschaft und Philosophie)
Veranstaltung
Geschichte der Philosophie
Note
1,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
17
Katalognummer
V337350
ISBN (eBook)
9783656987970
ISBN (Buch)
9783656987987
Dateigröße
527 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hegel, Reflexion, Selbstbewusstsein, Autonomie, Wissen, Selbstwissen, Freiheit
Arbeit zitieren
Daniel R. Kupfer (Autor:in), 2015, Die Rolle der philosophischen Reflexion für ein autonomes Selbstbewusstsein, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/337350

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