„When I hear, I forget. When I see, I remember. When I do, I understand.“ Mit diesem prägnanten chinesischen Sprichwort unterstreicht MEADOWS den Beitrag, den „Gaming“ zum Erwerb von Wissen beisteuert.
Unternehmen sehen sich zunehmend mit sich immer schneller ablösenden Veränderungen in den politisch-rechtlichen, sozio-kulturellen, technologischen und Wettbewerbsumfeldern konfrontiert, die unter dem Begriff „turbulenter, offener Wandel“ subsumiert werden können. Ein solches Wettbewerbsumfeld, das in den dynamischen Kräften, resultierend aus strategischen Manövern innovativer und globaler Wettbewerber, wurzelt, ist durch zunehmende Unsicherheit, Dynamik und aggressive Rivalität unter den Konkurrenten gekennzeichnet.
Vor diesem Hintergrund ist die Bedeutung des organisationalen Lernens zur proaktiven Antizipation dieser Herausforderungen offensichtlich. Unternehmen müssen, um in diesen turbulenten Umfeldern bestehen zu können, dem externen Wandlungsdruck eigene Wandlungsfähigkeit entgegensetzen. Sie müssen zur Existenzsicherung und Erlangung dauerhafter Wettbewerbsvorteile mindestens genauso schnell lernen wie sich ihre Aufgabenumwelt verändert. Die Fähigkeit schneller zu lernen als die Wettbewerber ist der einzige nachhaltige Wettbewerbsvorteil einer Organisation. Dem Strategischen Management wird damit die Aufgabe zuteil, eine Brücke zwischen den an das Unternehmen gestellten Anforderungen und dem in der Unternehmung verfügbaren Wissen zu schlagen. Je vielfältiger diese Anforderungen sind und je größer deren Veränderungsdynamik ist, umso schwieriger ist diese Aufgabe zu lösen. Die Steuerung eines Unternehmens wird damit zum Management eines komplexen Systems.
Ein solches komplexes System – und als solches ist auch ein Unternehmen selbst zu bezeichnen – charakterisiert sich durch eine hohe Anzahl und Verschiedenartigkeit der Elemente und Beziehungen, die im Zeitverlauf ein dynamisches Verhalten generieren. Die Planung und Durchführung von Lenkungseingriffen zur Steuerung eines komplexen Systems ist eine schwierige Herausforderung, der die Führungskräfte gegenüberstehen. Die beiden grundsätzlichen Wirkungsmechanismen, welche die Dynamik komplexer Entscheidungssituationen hervorrufen, sind Rückkopplungen und Zeitverzögerungen.
Inhaltsverzeichnis
II. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
III. Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Aufbau
2. Theoretische Grundlagen von Lernprozessen im Strategischen Management
2.1 Individuelles Lernen
2.2 Organisationales Lernen
3. Das Konzept des Unternehmenssimulators
3.1 Definition und Abgrenzung
3.2 Determinanten von Unternehmenssimulatoren
3.2.1 Grob- und Feinziele von Unternehmenssimulatoren
3.2.2 Die Benutzeroberfläche
3.2.3 Die Programmfunktionalität
3.2.3.1 Zeit als funktionaler Baustein in Unternehmenssimulatoren
3.2.3.2 Transparenz als Zugang zum zugrunde liegenden Modell
3.2.4 Das zugrunde liegende Modell
4. Analyse ausgewählter Unternehmenssimulatoren
4.1 Lernorientierte Unternehmenssimulatoren
4.1.1 Das MIT Beer Game
4.1.2 People Express 2000
4.1.3 Die Mobile Phone Subscriber Mini-Microworld
4.1.4 Die Brand Management Mini-Microworld
4.1.5 Die Professional Services Microworld
4.1.6 Die Beefeater Restaurants Microworld
4.1.7 Die Oil Producers Microworld
4.1.8 Der Unternehmenssimulator LEARN!
4.1.9 Die Unternehmenssimulatoren Roadside Inn und JustFly
4.2 Unterhaltungsorientierte Unternehmenssimulatoren
4.2.1 Eignung als Lerninstrumente im System Dynamics-Kontext
4.2.2 Der Industriegigant
4.2.3 Business Tycoon
4.2.4 Airline Tycoon
4.2.5 Der Planer 1
4.2.6 Wall Street Trader 99
4.2.7 Capitalism II
4.3 Analyseergebnisse und Zwischenfazit
5. Konzeption zur Entwicklung eines Unternehmenssimulators
5.1 Überblick und Diskussion existierender Entwicklungsprozesse
5.2 Entwicklungsprozess eines Unternehmenssimulators
5.2.1 Initiationsphase
5.2.2 Analyse- und Erhebungsphase
5.2.3 Grobentwurf
5.2.4 Feinentwurf
5.2.5 Codierungsphase
5.2.6 Test- und Validierungsphase
5.2.7 Anwendungs- und Wartungsphase
6. Schlussbetrachtung
IV. Anhang
V. Literaturverzeichnis
VI. Erklärung
II. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Entwicklungsstufen und Lernprozesse
Abbildung 2: Formale Modelle im individuellen und organisationalen Lernprozess
Abbildung 3: Taxonomie von Computersimulationen
Abbildung 4: Die drei Hauptkomponenten von Unternehmenssimulatoren
Abbildung 5: Entscheidungs- und Verarbeitungszeit in Realität und Simulator
Abbildung 6: Dimensionen der Komplexität von Unternehmenssimulatoren
Abbildung 7: Exemplarischer Spielverlauf des Beer Games
Abbildung 8: Bildschirmkopie der Benutzeroberfläche des MIT Beer Games
Abbildung 9: Überblick über den People Express Unternehmenssimulator
Abbildung 10: Bildschirmkopie von People Express 2000
Abbildung 11: Feedbackstruktur der Mobile Phone Subscriber Mini-Microworld
Abbildung 12: Feedbackstruktur der Brand Management Mini-Microworld
Abbildung 13: Bildschirmkopie der Professional Services Microworld
Abbildung 14: Mitteilung der Zentrale in der Beefeater Restaurants Microworld
Abbildung 15: „allgemeine Tipps“ in der Oil Producers Microworld
Abbildung 16: Entscheidungsregeln in der Oil Producers Microworld
Abbildung 17: Grundstruktur des Unternehmenssimulators LEARN!
Abbildung 18: Bildschirmkopie der Hauptmaske von LEARN!
Abbildung 19: Grundlegende Rückkopplungsbeziehungen in LEARN!
Abbildung 20: Bildschirmkopie der Benutzeroberfläche von Roadside Inn
Abbildung 21: Bildschirmkopie von „Der Industriegigant“
Abbildung 22: Bildschirmkopie von Business Tycoon
Abbildung 23: Benutzeroberfläche von Airline Tycoon
Abbildung 24: Bildschirmkopie von Wall Street Trader 99
Abbildung 25: Benutzeroberfläche eines Kaufhauses in Capitalism II
Abbildung 26: Ausprägungen der Dimensionen der Komplexität
Abbildung 27: Prozessmodell zur Entwicklung von Unternehmenssimulatoren
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Übersicht über die spezifischen Lernziele
Tabelle 2: Übersicht über die drei Hauptkomponenten und deren Eigenschaften
III. Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
„When I hear, I forget. When I see, I remember. When I do, I understand.“ Mit diesem prägnanten chinesischen Sprichwort unterstreicht Meadows den Beitrag, den „Gaming“ zum Erwerb von Wissen beisteuert.[1]
Unternehmen sehen sich zunehmend mit sich immer schneller ablösenden Veränderungen in den politisch-rechtlichen, sozio-kulturellen, technologischen und Wettbewerbsumfeldern konfrontiert, die unter dem Begriff „turbulenter, offener Wandel“ subsumiert werden können.[2] Ein solches Wettbewerbsumfeld, das in den dynamischen Kräften, resultierend aus strategischen Manövern innovativer und globaler Wettbewerber, wurzelt, ist durch zunehmende Unsicherheit, Dynamik und aggressive Rivalität unter den Konkurrenten gekennzeichnet.[3]
Vor diesem Hintergrund ist die Bedeutung des organisationalen Lernens zur proaktiven Antizipation dieser Herausforderungen offensichtlich. Unternehmen müssen, um in diesen turbulenten Umfeldern bestehen zu können, dem externen Wandlungsdruck eigene Wandlungsfähigkeit entgegensetzen.[4] Sie müssen zur Existenzsicherung und Erlangung dauerhafter Wettbewerbsvorteile mindestens genauso schnell lernen wie sich ihre Aufgabenumwelt verändert.[5] Die Fähigkeit schneller zu lernen als die Wettbewerber ist der einzige nachhaltige Wettbewerbsvorteil einer Organisation.[6] Dem Strategischen Management wird damit die Aufgabe zuteil, eine Brücke zwischen den an das Unternehmen gestellten Anforderungen und dem in der Unternehmung verfügbaren Wissen zu schlagen. Je vielfältiger diese Anforderungen sind und je größer deren Veränderungsdynamik ist, umso schwieriger ist diese Aufgabe zu lösen.[7] Die Steuerung eines Unternehmens wird damit zum Management eines komplexen Systems.
Ein solches komplexes System – und als solches ist auch ein Unternehmen selbst zu bezeichnen[8] – charakterisiert sich durch eine hohe Anzahl und Verschiedenartigkeit der Elemente und Beziehungen, die im Zeitverlauf ein dynamisches Verhalten generieren.[9] Die Planung und Durchführung von Lenkungseingriffen zur Steuerung eines komplexen Systems ist eine schwierige Herausforderung, der die Führungskräfte gegenüberstehen.[10] Die beiden grundsätzlichen Wirkungsmechanismen, welche die Dynamik komplexer Entscheidungssituationen hervorrufen, sind Rückkopplungen und Zeitverzögerungen.[11] Diese beiden Zusammenhänge bilden eine Vielzahl miteinander vernetzter Kausalschleifen mit häufig nicht-linearen Beziehungen zwischen den Variablen. Als Ergebnis zeigt sich, dass die vom Entscheidungsträger getroffenen Eingriffe in das System sowohl erwartete Wirkungen als auch unerwartete Seiteneffekte hervorrufen.[12] Das Steuerungsvermögen der Entscheidungsträger ist aufgrund des i.d.R. überlagerten Auftretens solcher Effekte, die nicht angemessen berücksichtigt werden, für den Umgang mit komplexen Systemen unzureichend. Die begrenzte Steuerungsfähigkeit findet ihre Ursache aber auch in grundsätzlichen Denkfehlern, die beim Umgang mit komplexen Entscheidungssituationen begangen werden.[13] Dazu zählen u.a. die Unterschätzung von Zeitverzögerungen, das Ignorieren von Wachstumsgrenzen, die Fehleinschätzung exponentieller Abläufe, das Ignorieren von Nebenwirkungen, die unvernetzte Situationsanalyse und das Unterlassen von Fehlerkorrekturen. Sterman bezeichnet diese Fehlannahmen im Umgang mit komplexen Systemen auch als „misperceptions of feedback“.[14]
Diese Ausführungen machen die Notwendigkeit des organisationalen Lernens deutlich, welches zum einen erforderlich ist, in Form von Verbesserungslernen, wahrgenommene Fehlerquellen durch entsprechende Korrekturhandlungen zu beseitigen und zum anderen, in Form von Erneuerungslernen, auch die handlungsleitenden Annahmen, Normen, Routinen und mentalen Modelle zu verbessern.[15] Dieses strategische und systemische Lernen erfordert kontinuierliches Testen und Experimentieren mit der strategischen Logik.[16] Insbesondere Computersimulationen eignen sich als Instrumente zur Unterstützung der Lernprozesse über Strategien.[17] Dadurch werden sog. virtuelle Welten bereitgehalten, die einerseits kostengünstige Lernlaboratorien darstellen und den Lernzyklus der realen Welt, durch Komprimierung von Zeit und Raum, abkürzen und andererseits Reversibilität von Steuerungseingriffen in das simulierte System gewährleisten.[18] Mit solchen Lernlaboratorien werden Führungskräften Experimentierfelder bereitgestellt, die mit den Flugsimulatoren in der Pilotenausbildung vergleichbar sind, und Lernprozesse ermöglichen, ohne dass die verursachten Konsequenzen in der Wirklichkeit auftreten. Als ein solches Trainings- und Lerninstrument in der Managerausbildung kann das Konzept des Unternehmenssimulators gesehen werden, welches gemäß dem oben genannten Sprichwort das sog. „learning-by-doing“ ermöglicht. Unternehmenssimulatoren eröffnen den Anwendern die Möglichkeit, ihre Annahmen zu testen und unmittelbar die Konsequenzen ihrer Handlungen – besonders Langzeitwirkungen – zu erfahren.[19]
1.2 Zielsetzung und Aufbau
Mit der vorliegenden Arbeit soll das Konzept des Unternehmenssimulators als Instrument zur Unterstützung von Lernprozessen im Strategischen Management näher beleuchtet und untersucht werden. Kern dieser Analyse ist die Identifikation möglicher Gestaltungsparameter, die als eine Art „Baukasten“ zur Entwicklung eines Unternehmenssimulators herangezogen werden können. Die Identifikation der einzelnen Bausteine von Unternehmenssimulatoren erfolgt in Form einer Bestandsaufnahme bereits entwickelter und am Markt befindlicher Unternehmenssimulatoren. Aber auch die wissenschaftliche Diskussion der verschiedenen Komponenten der Unternehmenssimulatoren, besonders im Hinblick auf deren Beitrag zur Gewährleistung effektiver und effizienter Lernprozesse, soll in dieser Arbeit angemessen berücksichtigt werden. Des Weiteren wird in einer Konzeption ein Prozessmodell formuliert, welchem die Entwicklung eines solchen Unternehmenssimulators folgen kann.
Im Anschluss an diese Einleitung werden in Kapitel 2 die Grundlagen des organisationalen Lernens und dem dafür als Basis dienenden individuellen Lernen umrissen, bevor im Kapitel 3 das Konzept des Unternehmenssimulators und der Stand der wissenschaftlichen Diskussion betrachtet wird. Dabei wird auf die unterschiedlichen Definitionen und Begriffe des hier verwendeten Terminus „Unternehmenssimulator“ ebenso eingegangen wie auf die unterschiedlichen Ziele, die mit solchen Unternehmenssimulatoren verfolgt werden können, wobei die beiden Ziele „Lernen“ und „Unterhaltung“ entsprechend der beiden Gruppen der analysierten Unternehmenssimulatoren im Mittelpunkt stehen werden. Ein Unternehmenssimulator lässt sich in drei Komponenten, die Benutzeroberfläche, die Programmfunktionalität und das zugrunde liegende Modell gliedern. Dieser Dreiteilung folgt auch die Diskussion des Konzepts des Unternehmenssimulators.
Die Gruppe der Unternehmenssimulatoren, deren primäre Zielsetzung Unterhaltung ist, soll ebenfalls in Kapitel 4 dahingehend untersucht werden, in wieweit diese für Lernzwecke einsetzbar sind und mittels welcher Gestaltungselemente diese realisiert werden. Damit steht das Lernziel der Vermittlung von Einsichten in die verhaltensbestimmenden Strukturen eines Systems im Mittelpunkt dieser Arbeit. Die Analyse und Identifikation der unterschiedlichen Gestaltungsparameter innerhalb der beiden Gruppen der lernorientierten und der unterhaltungsorientierten Unternehmenssimulatoren schließt sich in Kapitel 4 an. Die Ergebnisse der Analyse werden im Anschluss tabellarisch zusammengestellt und sollen als der angesprochene „Baukasten“ verstanden werden.
In Kapitel 5 wird im Rahmen einer Konzeption zur Entwicklung eines Unternehmenssimulators ein angemessenes Prozessmodell entwickelt, das der Sonderstellung von Unternehmenssimulatoren innerhalb der Prozesse zur Entwicklung systemdynamischer Modelle und Softwareprojekten gerecht wird, ehe in Kapitel 6 die Kernaussagen dieser Arbeit zusammengefasst werden.
2. Theoretische Grundlagen von Lernprozessen im Strategischen Management
Der Vorgang des Lernens als Wissenserwerbs kann als Prozess zur Bildung von Wissen bezeichnet werden.[20] Lernen verursacht also einen Zufluss von Informationen in den individuellen bzw. organisationalen Wissensspeicher und erweitert dadurch das Spektrum möglicher Handlungsalternativen. Als Lernprozess kann demnach eine Veränderung der kognitiven Strukturen (mentale Modelle) verstanden werden, die zu Verhaltensänderungen und dadurch zu einer Veränderung der Performance führen.[21]
Wie schon angesprochen, ist die Bewältigung von Komplexität die eigentliche Funktion des Managements und trifft in besonderer Weise auf das Strategische Management zu, dessen Ziel es ist, die Überlebensfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen.[22] Die Anforderungen, denen Unternehmen gegenüberstehen, ändern sich kontinuierlich, sodass die Notwendigkeit besteht, ständig und idealerweise proaktiv neues Wissen zu erzeugen. Organisationales Lernen kann dabei einerseits Verbesserungen der organisationalen Leistungsfähigkeit durch eine effizientere Handhabung des im Unternehmen vorhandenen Problemlösungspotentials fördern. Andererseits können Lernprozesse im Sinne von Erneuerungen zu einer effektiven Erhöhung des Problemlösungspotentials führen, welche die Bewältigung neuer Problemfelder und Anforderungen ermöglichen.[23] Abbildung 1 visualisiert diese Zusammenhänge.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Entwicklungsstufen und Lernprozesse
(Quelle: Klimecki u.a. (1991), S. 118)
Die Entwicklung sozialer Systeme erfolgt also durch Lernen, sodass der Planungsprozess als Lernprozess im Spannungsfeld rationaler Analysen und zufälliger Ereignisse betrachtet werden kann.[24] Als Ergebnis solcher Lernprozesse ergeben sich drei unterschiedliche Wissensebenen. Diese sind Faktenwissen, das Kenntnisse und Fertigkeiten umfasst, um eine Problemsituation reaktiv zu beeinflussen, Verhaltenswissen, welches die proaktive Einbeziehung dieser Kenntnisse zur Beeinflussung zukünftiger Entwicklungspfade umfasst und Strukturwissen, welches als Wissen über Rückkopplungen, Zeitverzögerungen und Wachstumseffekte, hervorgerufen durch ein komplexes System, zu verstehen ist. Das durch Strukturverständnis gewonnene Wissen über Systemzusammenhänge erlaubt generative Eingriffe in Entwicklungsprozesse und die kreative Suche nach neuen Wegen.[25] Um zu solchen Einsichten über Systeme gelangen zu können, wird „systems thinking“ als adäquate Disziplin angesehen, welche die übrigen Managementfähigkeiten in ein Gesamtkonzept integriert und Strategisches Management unterstützt.[26] Unternehmenssimulatoren sind ein dafür geeignetes Lerninstrumentarium, welches Einsichten in sozio-ökonomische Systeme gewährt und darüber hinaus als Übungsfeld für das Testen von Strategien dient. Solche Unternehmenssimulatoren basieren auf dem Systemansatz bzw. können mit ihm in Verbindung gebracht werden. Der Systemansatz selbst betont gegenseitige Abhängigkeiten anstelle linearer Kausalbeziehungen, fokussiert auf Entwicklungsprozesse statt auf isolierte Ereignisse und verwendet formale Modelle zur Analyse der Systemdynamik.[27]
Obwohl von organisationalem Lernen gesprochen wird, ist es doch so, dass zunächst das Individuum, als Mitglied eines sozialen – hier eines sozio-ökonomischen – Kollektivs lernt.[28] In den beiden folgenden Abschnitten werden deshalb zunächst das individuelle und anschließend das organisationale Lernen auf Grundlage mentaler Modelle beschrieben.
2.1 Individuelles Lernen
Jeder Entscheidungsprozess basiert auf einer zweiseitigen Beziehung zwischen der Problemsituation und einem Informationssystem, welches relevantes Wissen verfügbar macht. Sofern es sich um schlecht strukturierte, unternehmenspolitische Entscheidungen handelt, ist dieses Informationssystem überwiegend informaler Natur, d.h. es ist ein mentales Modell der Realität mit individuellen Annahmen über die Zusammenhänge zwischen Maßnahmen und Wirkungen.[29] Ein solches mentales Modell stimmt jedoch nur in etwa mit dem jeweils betrachteten Gestaltungsbereich überein, weshalb es vielmehr eine homomorphe Abbildung realer Situationen darstellt und es manifestiert sich beispielsweise in visuellen Vorstellungen über die betroffene Entscheidungssituation.[30]
Doyle und Ford definieren ein mentales Modell eines komplexen Systems als „a relatively enduring und accessible, but limited, internal conceptual representation of an external system whose structure maintains the perceived structure of that system.“[31]
Lernen beschreibt damit eine Rückkopplungsschleife, eine zielgerichtete Verhaltensänderung, die durch mentale Modelle gesteuert wird, in denen Erfahrungen über Systemreaktionen gespeichert werden und die dann für künftige Entscheidungen zur Verfügung stehen.[32] Damit kommt mentalen Modellen eine bestimmende Rolle im Prozess der Entscheidungsfindung und des Lernens zu. Einerseits bieten mentale Modelle die Vorteile der Intuitivität, der Vereinfachung, der Komplexitätsreduktion und der selektiven Perzeption.[33] Andererseits verfügen mentale Modelle aber auch über gravierende Schwächen, die im Umgang mit komplexen Situationen zu systematischen Fehlern führen. Sie sind unpräzise. Ziele und Zwecke der mentalen Modelle sind oft unklar und vor allem schwer explizierbar, da sie häufig implizites Wissen enthalten, nicht intersubjektiv überprüfbar und somit keinen objektiven Analysen zugänglich sind.[34] Darüber hinaus sind mentale Modelle unvollständig und im Zeitablauf veränderlich, sogar schon durch eine simple Konversation, wobei jeder Gesprächsteilnehmer ein anderes, von den anderen Teilnehmern unterscheidbares, mentales Modell entwickelt, um das Gesprächsthema zu interpretieren.[35]
Von speziellem Interesse in dieser Arbeit ist, wie diese mentalen Modelle in Lernprozessen überformt bzw. verändert werden können. Dabei soll auf das bereits erwähnte Konstrukt des Verbesserungs- und Erneuerungslernens zurückgegriffen werden. Argyris und Schön bezeichnen diese beiden Ordnungen des Lernens auch als „single-loop learning“ bzw. „double-loop learning“ um verschiedene Lernniveaus zu unterscheiden.[36] „Single-loop learning“ repräsentiert dabei eine Form des Lernens, in der die Organisationsmitglieder auf interne und externe Umweltänderungen durch Identifikation und Korrektur von Fehlern, ohne Veränderung der „theory-in-use“ des Unternehmens reagieren.[37] Die Unzugänglichkeit, Unbekanntheit und Unzulänglichkeit der Handlungstheorie des Unternehmens führt aber dazu, dass die Interventionen der Organisationsmitglieder die Fehler selbst verstärken.[38] Es finden also nur Problemlösungsversuche innerhalb bekannter Rahmen und Grenzen statt. Dagegen ist das „double-loop learning“ definiert als „those sorts of organizational inquiry which resolve incompatible organizational norms by setting new priorities and weighting of norms, or by restructuring the norms themselves with associated strategies and assumptions.“[39] Der wesentliche Unterschied der beiden Lernprozesse, neben der Tiefe des Lernens ist, dass sie erheblich divergierende Zykluszeiten aufweisen. Der Prozess des „single-loop learning“, in Form reiner Anpassungshandlungen, wird im Wesentlichen schneller und häufiger durchlaufen, als der Prozess des „double-loop learning“, wobei der Prozess des organisationalen Lernens zur Nutzung seines eminenten Potentials aus der Perspektive des „double-loop learning“ zu erfolgen hat, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens effektiv zu beeinflussen.[40]
2.2 Organisationales Lernen
Ein Ausweg aus der Problematik der Individualität mentaler Modelle der Organisationsmitglieder und der hohen Zykluszeiten des „double-loop learning“ ist die Explikation der mentalen Modelle als sog. formale Modelle und der Einsatz von virtuellen Welten. Dabei können durch kollektive Diskussionen formaler Modelle von allen Organisationsmitgliedern gemeinsam geteilte mentale Modelle gebildet werden.[41] Das gemeinsam geteilte mentale Modell ist aber kein mit den einzelnen mentalen Modellen der Organisationsglieder deckungsgleiches mentales Modell, sondern erhöht vielmehr die Gemeinsamkeiten der individuellen mentalen Modelle. Diese „shared mental models“ sieht Kim als Verbindungsglied zwischen individuellem und organisationalem Lernen.[42]
Formale Modelle sind externalisierte mentale Modelle und einer intersubjektiven Überprüfung zugänglich. Ein solches formales Modell kann beispielsweise ein System Dynamics-Modell sein. Die Vor- und Nachteile formaler Modelle verhalten sich genau spiegelbildlich zu mentalen Modellen. Formale Modelle sind explizit und präzise formuliert und die Annahmen, die der Formulierung des Modells zugrunde liegen, sind schriftlich dokumentiert. Die zur Formulierung verwendete Sprache – i.d.R. über mathematisch dargestellte Zusammenhänge – ist standardisiert, weshalb formale Modelle unabhängig vom Abbildungsgegenstand eindeutig kommunizier- und nachvollziehbar sind.[43] Ihr Zeitverhalten lässt sich mit Hilfe computerbasierter Simulationen darstellen.[44] „Die Möglichkeit zur umfassenden, Interdependenzen und Simultanitäten sämtlicher Elemente berücksichtigenden Analyse macht sie der Komplexität realer Systeme adäquat.“[45]
Lernen mit formalen Modellen vollzieht sich im Wesentlichen anhand zweier Teilschritte, erstens der Erstellung eines formalen Modells aus einem bzw. mehreren mentalen Modellen und zweitens dem Experimentieren mit diesem Modell, indem verschiedene Simulationen durchgeführt werden.[46] Die zur Formulierung formaler Modelle erforderliche Expertise, speziell von System Dynamics-Modellen, erfordert aber einige Jahre Training, bevor man darin entsprechende Kompetenz entwickelt hat.[47] Unternehmenssimulatoren werden als „Ausweg“ aus dieser Problematik angesehen.[48] Sie basieren auf einem validen und gut formulierten formalen Modell, auf welches Lernende über eine Benutzeroberfläche zugreifen. Damit entfällt der Prozess der Modellerstellung, aber dennoch können die Anwender komfortabel mit dem Modell experimentieren und Einsichten über Zusammenhänge und Wirkungsweisen komplexer sozio-ökonomischer Systeme gewinnen. Das Lernen anhand formaler Modelle, und darauf basieren Simulationen, wird gegenüber den in der Realität generierbaren Erfahrungen als überlegen angesehen.[49] Es werden dadurch Experimente möglich, deren Konsequenzen in der Realität nicht erfahren werden müssen und sie ermöglichen auch dann das Experimentieren, wenn dies in der Realität der Kosten wegen oder aus anderen Gründen nicht möglich wäre. Des Weiteren können Entscheidungen und deren Auswirkungen, die in der Wirklichkeit zeitlich und räumlich auseinander liegen, durch Kompression der Zeit im Simulationsmodell zueinander in Relation gesetzt werden, sodass ein und derselbe Simulationslauf für erneute erschöpfende Analysen eindeutig replizierbar wird. Schließlich ermöglichen solche Lernmodelle das Testen und Untersuchen von Grenzwerten, Randbedingungen und Extremsituationen. Abbildung 2 illustriert die Zusammenhänge der in diesem Kapitel beschriebenen Lernzyklen des individuellen und organisationalen Lernens und die Stellung der Unternehmenssimulatoren in diesem Lernprozess.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Formale Modelle im individuellen und organisationalen Lernprozess
(Quelle: eigene Darstellung)[50]
3. Das Konzept des Unternehmenssimulators
Vor dem Hintergrund der im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Notwendigkeit des individuellen Lernens als Grundlage für organisationale Lernprozesse und der Bedeutung der mentalen Modelle, die dabei eine gravierende Rolle spielen, soll in diesem Abschnitt das schon erwähnte Konzept des Unternehmenssimulators eingehend betrachtet werden. Zunächst sollen die relevanten Termini angesprochen und der Begriff „Unternehmenssimulator“ definiert werden. Der zweite Teil dieses Kapitels umfasst die wissenschaftliche Diskussion von Unternehmenssimulatoren und deren möglicher Gestaltungsparameter.
3.1 Definition und Abgrenzung
In der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur und in den Titeln der analysierten Programme finden sich zahlreiche Begriffe und Definitionen, die synonym für den in dieser Arbeit verwendeten Begriff „Unternehmenssimulator“ stehen. Leider kann nicht von einer konsistenten Begriffsverwendung in der wissenschaftlichen Diskussion gesprochen werden. Die Begriffe werden auf vielfältige Weise verwendet.[51] So stehen verschiedene Begriffe einerseits für ein und dasselbe Objekt und andererseits ein einziger Begriff für unterschiedliche Objekte. Erschwert wird der richtige und einheitliche Gebrauch der unterschiedlichen Begriffe durch deren Konnotationen aus dem allgemeinen Sprachgebrauch. Weitere Ursachen für die verwirrende Begriffsvielfalt finden sich in der Herkunft der Autoren aus unterschiedlichen akademischen Fachrichtungen und Sprachräumen und in der unreflektierten Übernahme von Begriffen, die ursprünglich eine andere Bedeutung hatten. Aber auch Marketingaspekte der einzelnen Produkte tragen dazu bei, hervorgerufen von der Annahme, dass einige Bezeichnungen größere Verkaufserfolge verzeichnen als andere.[52] Zunächst werden die beiden Begriffe Simulation und Spiel, die sich in verschiedenen Konstellationen in den zahlreichen Begriffsdefinitionen der in dieser Arbeit betrachteten Lerninstrumente finden lassen, möglichst allgemein definiert. Im Anschluss sollen die unterschiedlichen Definitionen der analysierten Lerninstrumente vorgestellt und kurz diskutiert werden, ehe der Begriff „Unternehmenssimulator“ als einheitliche Bezeichnung eingeführt wird.
Ursprünglich bedeutet das Wort „Simulation“ Vorstellung, Vortäuschung oder Nachahmung. Die in diesem Kontext betrachteten Simulationen sind der Nachahmung in Bezug auf Vorgänge – speziell hier in Bezug auf Zeitverhalten komplexer Systeme – zuzuordnen.
Demnach stellt eine Simulation einen Prozess der Nachahmung der wichtigsten Aspekte des Verhaltens eines Systems dar, indem man in Echtzeit, in verkürzter oder verlängerter Zeit, ein Modell von Systemen konstruiert und/oder damit experimentiert. Eine Simulation ist kurz gesagt die technische Abbildung bzw. die technische Seite eines Modells und ist in der Regel unter Zuhilfenahme eines Computers dargestellt.[53]
Bonz präzisiert die Definition aus einer pädagogischen Perspektive dahingehend, dass bei Simulationen komplexe Situationen, Strukturen oder Prozesse auf ein wirklichkeitsnahes Modell reduziert werden, das den Vorraussetzungen des Lernenden, zur Bewältigung der Aufgabe entspricht. Das Modell oder die Abbildung der Realität ermöglicht handlungsorientiertes Lernen, welches im Anschluss an die Bearbeitung der in der Spielsituation gestellten Aufgabe auf die Wirklichkeit transferiert werden muss.[54]
Der Begriff „Simulation“ ist eng verwandt mit dem Begriff „Spiel“. Jedoch findet sich in der Literatur keine Einigkeit darüber, inwieweit Spiele und Simulationen voneinander unterschieden werden können bzw. ob überhaupt unterschieden werden soll. Insbesondere in der englischsprachigen Literatur werden die beiden Begriffe „game“ und „simulation“ häufig synonym verwendet.[55] Die Konnotation im Deutschen lenkt aber allzu oft vom Lernbeitrag der Spiele ab und deutet vielmehr in die Richtung, dass Spiele Lernprozesse gar verhindern und lediglich zur Unterhaltung dienen sollen.[56] Aber auch im Englischen ist diese Interpretation eines Spiels als „aufregend“ und „weniger ernst“ zu finden. Unbestritten ist und zeigt sich in verschiedenen Untersuchungen, dass ein Spiel allein kein angemessenes Lerninstrument ist, sondern immer in eine strukturierte Lernumgebung integriert werden muss, in welcher dann die im Spiel gewonnenen Erfahrungen interpretiert und diskutiert werden.[57]
Nach Elgood handelt es sich um Spiele, wenn die Mehrheit der folgenden Kriterien erfüllt ist: Kontrolle durch Menschen, Einfluss der gegnerischen Entscheidungen auf die Spielumgebung, Betonung auf Wettkampf und Gewinnen, Spaß und Freude, und Treffen der Entscheidungen in wiederkehrenden Zyklen, mit der Hoffnung des Spielers, in der nächsten Runde eine bessere Leistung zu bieten.[58]
Keys und Wolfe verzichten weitgehend auf eine Unterscheidung der Begriffe und konstatieren, dass eine Simulation eine bestimmte Sequenz wahrscheinlicher Aktivitäten ist, die dazu entwickelt wurde, Eigenschaften von Situationen aus der Realwelt zu vermitteln. Als Spiel wird dann eine spezielle Sequenz von Aktivitäten verstanden, welche entwickelt wurde, um die Vorteile den Spielern nahe zu bringen.[59]
Eine Definition von Simulation, die aus der System Dynamics Literatur hervorgeht und menschliche Intervention und Entscheidungsfindung als Kernelement zum Abgrenzen der Begriffe Simulation und Spiel hat, beschreibt Simulation als Sammlung von Informationen sowie ein vollständiges Beziehungsgeflecht algebraischer und logischer Zusammenhänge zwischen Gesetzmäßigkeiten, die einem Beobachter zugänglich gemacht sind. Demnach kann ein Computermodell als eine Simulation verstanden werden, welche das Zeitverhalten eines Systems beschreibt. Der Beobachter kann durch Interpretation der Ergebnisse des Simulationslaufes Einsichten in das System gewinnen.[60]
Der Ansatz der System Dynamics versteht unter einem Spiel, zunächst ähnlich wie bei einer Simulation, eine Sammlung von Informationen und ein vollständiges Beziehungsgeflecht algebraischer und logischer Zusammenhänge, die für einen Beobachter offen gelegt werden. Jedoch benötigt das Spiel zusätzlich, auf Grundlage von zur Verfügung gestellten Daten, vom Beobachter Informationen und Eingaben zur Berechnung der nächsten Spielperiode. Ein Spiel ist folglich eine unvollständige Serie von Informationen, die menschliche Intervention verlangt.[61]
Die vorgestellten Anwendungen im Sinne einer virtuellen Welt bilden die Realität bzw. den modellierten Wirklichkeitsausschnitt möglichst exakt ab und sollen auf Grundlage eines Simulationsmodells den Lernenden, ähnlich wie bei Flugsimulatoren in der Pilotenausbildung, ein Trainingsfeld zur Unterstützung von Lernprozessen im Strategischen Management bieten, ohne dass die Konsequenzen, wie es in der Realität der Fall wäre, in Wirklichkeit auftreten. So erscheint der Begriff Simulator bzw. Unternehmenssimulator als das technische Gerät, in dem die künstlichen Bedingungen und Verhältnisse der Realität nachgestellt werden, als der geeignete Begriff.[62] Die programmierten Entscheidungsregeln eines Simulationsexperimentes werden durch Interventionen des Anwenders in jeder Simulationsperiode ersetzt. Auch deswegen wird der Begriff Simulator verwendet, da Spiele, vor allem Rollen- bzw. Planspiele, meist als Mehr-Personen-Anwendungen verstanden werden und in ihnen gruppendynamische Effekte zum Tragen kommen, die Einfluss auf Lern- und Entscheidungsprozesse nehmen. Die gruppendynamischen Effekte werden hingegen in Simulatoren, in denen nur eine Person das Systemverhalten kontrolliert bzw. eine Gruppe von Personen gemeinsam ein und dieselbe Rolle einnimmt, nicht wirksam.[63] Vertreter aus der Gruppe der Planspiele sind beispielsweise LOBSTER, die Brettvariante des Beer Games und dessen Netzwerkvarianten, sofern die übrigen Stufen der Distributionskette nicht vom Computer simuliert, sondern von anderen Personen kontrolliert werden. Ebenso enthalten einige der unterhaltungsorientierten Unternehmenssimulatoren Funktionen für deren Einsatz in einem multi-player Netzwerk. Diese Funktionen werden aber weitgehend aus deren Betrachtung ausgeklammert.
Milling verwendet für Ein- als auch für Mehr-Personen-Computersimulationen, speziell für LEARN und LOBSTER den Begriff „Managementsimulator“. Unterschieden werden die beiden dann nach Anzahl der Anwender, in Planspiel bzw. „management game“, „management flight simulator“ oder individuelle Mikrowelt.[64]
So versteht auch Craft „management games“, denn es sei „a dynamic training exercise utilizing a model of a business situation. Executives, grouped into teams representing the management of competing companies, make the same type of operating and policy decisions as they do in real life. Using the set of mathematical relationships built into the model, the decisions are processed so as to produce a series of performance reports“.[65]
Der Begriff „management flight simulator“ (MFS) steht in engem Zusammenhang mit den am MIT entwickelten Anwendungen, allen voran People Express, da der in der Vorgängerversion des hier betrachteten Simulators People Express 2000 unter dem Titel „People Express Management Flight Simulator“ (MFS) lief.[66] Aber auch Mehr-Personen-Anwendungen wie das Beer Game sind unter der Bezeichnung MFS zu finden.[67] Sie werden definiert als ein „learning tool that allows managers to compress time and space, experiment with various strategies, and learn from making rounds of simulated decisions“[68].
Auf Seymour Papert geht der Begriff „microworld“ zurück.[69] Jedoch sollen nach dessen Definition die Lernenden in die Lage versetzt werden, ihr Wissen selbst zu konstruieren, damit frei zu experimentieren und ihre individuellen Lernziele selbst zu bestimmen. Die so bezeichneten und unten analysierten vorgefertigten Mikrowelten, die ein spezifisches Modell und damit konkrete Lernziele enthalten, stehen aber der Definition Paperts entgegen.
In einigen Quellen werden auch die Begriffe „model-supported case studies“ bzw. „computer-based case studies“ genannt.[70] Definiert werden sie als traditionelle Fallstudien, die durch ein computerbasiertes Simulationsmodell und/oder Werkzeuge zur Modellbildung unterstützt werden. Das Modell wird dabei als Verhaltenstheorie der Feedbackstruktur des modellierten Realweltausschnitts aus der sozio-ökonomischen Domäne meist eines konkreten Unternehmens verstanden, welches endogen das in der Fallstudie beschriebene Problemverhalten beschreibt. Der People Express MFS und die Beefeater Restaurants Microworld sind Beispiele für Simulatoren, die auf Fallstudien basieren.
Zuletzt müssen die beiden Begriffe „Wirtschaftssimulation“ und „Strategiespiel“ kurz angesprochen werden, da diese häufig an Stelle des in dieser Arbeit verwendeten Begriffs „unterhaltungsorientierte Unternehmenssimulatoren“ zu finden sind. Mit ihnen werden meist die kommerziellen Computerspiele mit betriebswirtschaftlichem Kontext von anderen Genres, wie Actionspielen oder Kriegsspielen abgegrenzt und fokussieren verstärkt auf Unterhaltung denn auf konkrete Lernziele.
Werden die Simulationsmodelle in eine Lernumgebung eingebettet, die weitere Informationen zur modellierten Thematik beinhaltet und die in der Regel von einem Tutor geleitet wird, indem durch eine Einführung zur Problematik hingeleitet und im Anschluss an die Experimentierphase über gewonnene Einsichten reflektiert wird, so wird von „learning laboratory“[71] (LL) und „interactive learning environment“[72] (ILE) gesprochen. LLs und ILEs gehen damit weit über ein reines Simulationsmodell hinaus und sollen durch die zusätzlich enthaltenen Komponenten die Effektivität als Lerninstrument erhöhen.
Auf Basis der Diskussion einiger der hier genannten Definitionen der unterschiedlichen Begriffe, die alle in Zusammenhang mit den hier analysierten Unternehmenssimulatoren stehen, haben Maier und Größler mit Hilfe von Unterscheidungskriterien einen Vorschlag für eine Taxonomie zur Einordnung und Abgrenzung von Unternehmenssimulatoren entworfen.[73] Die hierbei verwendeten Unterscheidungskriterien lassen sich unter den drei Grundkomponenten von Unternehmenssimulatoren, zugrunde liegendes Modell, Benutzerschnittstelle und Funktionalität, subsumieren. Im Wesentlichen soll in dieser Arbeit dieser Klassifikation gefolgt werden, die jedoch einer Erweiterung und Ergänzung bedarf, da an dieser Stelle der Begriff „Unternehmenssimulator“ etwas weiter gefasst werden muss, da nicht nur aus dem Kontext der System Dynamics und reine Lernziele verfolgende Simulatoren analysiert werden, auf die sich Maier und Größler konzentrieren. Zusätzlich wird nach den Grobzielen in lernorientierte und unterhaltungsorientierte Unternehmenssimulatoren unterschieden.[74] Aus Abbildung 3 kann die erweiterte Taxonomie entnommen werden. Die grauen Felder zeigen Kategorien, die von den Unternehmenssimulatoren durch kritische Merkmale abgegrenzt werden. Dies sind Simulationsanwendungen zur Modellerstellung wie Stella, Vensim, iThink oder Simple++, sowie Planspiele als Mehr-Personen-Anwendungen und Simulatoren, denen kein Modell einer betriebswirtschaftlichen Realwelt-Domäne zugrunde liegt, wie z.B. SimCity. In den beiden untersten Feldern sind die in dieser Arbeit analysierten Anwendungen als Beispiele der beiden Untergruppen von Unternehmenssimulatoren aufgeführt.
Abgeschlossen wird dieser Abschnitt mit der Definition des Begriffs „Unternehmenssimulator“, die weitgehend der Arbeitsdefinition Größlers entspricht:[75]
Ein Unternehmenssimulator ist ein Ein-Personen-Computerprogramm, welches mittels eines wirklichkeitsnahen formalen Modells – im Idealfall ein System Dynamics-Modell – einen sozio-ökonomischen Sachverhalt simuliert, wobei dem Anwender in der Regel die Rolle der Unternehmensführung zusteht. Zusammen mit der Benutzerschnittstelle und der Programmfunktionalität bildet das formale Modell die drei Hauptkomponenten der Unternehmenssimulatoren. Die wesentlichen Ziele, die mit Unternehmenssimulatoren verfolgt werden sind das Auslösen von Lernprozessen, Unterhaltung der Anwender und Diagnose von Personenmerkmalen. In Abhängigkeit des verfolgten Grobziels sind Unternehmenssimulatoren in Untergruppen einteilbar (vgl. Abbildung 3).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Taxonomie von Computersimulationen
(Quelle: erweiterte Darstellung nach Maier/Größler (2000), S. 143)
3.2 Determinanten von Unternehmenssimulatoren
Wie in der Definition von Unternehmenssimulatoren bereits angesprochen wurde, bestehen Unternehmenssimulatoren aus drei Hauptkomponenten: dem zugrunde liegenden Modell, der Benutzeroberfläche und der Programmfunktionalität (vgl. Abbildung 4). Diese Komponenten beinhalten jeweils weitere Kriterien, welche die individuelle Charakteristik des einzelnen Unternehmenssimulators bestimmen. Zusammen mit den ihnen vorausgehenden Grobzielen der Simulatoren, werden diese Eigenschaften bzw. Unterscheidungskriterien als Schema zur Analyse der Unternehmenssimulatoren herangezogen. Die Ergebnisse werden im Anschluss an die Analyse der einzelnen Unternehmenssimulatoren zusammengetragen. Bevor dies geschieht, werden die Ziele und Hauptkomponenten vorgestellt, wobei auch auf bestehende Interdependenzen und Konflikte zwischen den Hauptkomponenten eingegangen wird.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Die drei Hauptkomponenten von Unternehmenssimulatoren
(Quelle: eigene Darstellung)
3.2.1 Grob- und Feinziele von Unternehmenssimulatoren
Mit Unternehmenssimulatoren werden immer spezifische und grundsätzliche Ziele verfolgt, die im Folgenden als Grobziele bezeichnet werden. Unternehmenssimulatoren eignen sich je nach Grobziel für spezifische Einsatzzwecke. Zwar können auch mehrere Grobziele für einen Unternehmenssimulator identifiziert, bzw. dessen Entwicklung zugrunde gelegt werden, aber im Wesentlichen wird immer eines der Grobziele dominant sein.[76]
Nach Andersen u.a. können vier solcher Grobziele unterschieden werden, die essentiell auf Lernprozesse fokussieren.[77] Ergänzt wurden sie durch Größler um vier weitere grundlegende Ziele insbesondere im Hinblick auf nicht-lernorientierte Anwendungen.[78] Somit existieren acht Grobziele für Unternehmenssimulatoren:
1. Der Anwender soll die Prinzipien, d.h. die verhaltensbestimmenden Strukturen des modellierten Systems, kennen lernen.
2. Der Anwender soll das modellierte System steuern lernen.
3. Der Anwender soll befähigt werden, die Systemstruktur zu verbessern bzw. das Systemverhalten zu stabilisieren.
4. Die Charakteristika und Personenmerkmale der Individuen, die das System am besten steuern, sollen identifiziert werden.
5. Die Individuen, die das System am besten steuern, sollen gefunden werden, ohne an den Personenmerkmalen, die sie dazu befähigen, interessiert zu sein.
6. Das Entscheidungs- und Problemlösungsverhalten von Individuen soll untersucht werden.
7. Der Anwender soll die Auswirkungen der eigenen Entscheidungen auf dynamische Systeme testen, im Sinne eines DSS[79], ohne dass nachhaltige Lernprozesse verfolgt werden.
8. Der Anwender soll unterhalten werden.
Aus den genannten Grobzielen lassen sich die konkreten Ziele, als Feinziele bezeichnet, wie z.B. was im Detail, in welchem Umfang und in welcher Tiefe gelernt werden soll, ableiten. Der Umfang dessen, was gelernt werden soll hängt im Wesentlichen vom Umfang und Gegenstand des im Modell abgebildeten Realweltausschnitts ab.
Im Bereich des Lernens (speziell Punkte 1 und 2) als Grobziel können die Feinziele in die Gruppen kognitive, instrumentelle und affektive Lernziele unterschieden werden.[80]
Kognitive Lernziele sind die Entwicklung intellektueller Fähigkeiten und die Erinnerung und der Erwerb von Wissen. Orth ordnet kognitive Lernziele aufsteigend nach deren Komplexität in die sechs Klassen ein: Wissen, Verstehen, Anwenden, Analyse, Synthese und Bewertung und postuliert die Eignung von Unternehmenssimulatoren für die Anwendung bereits erworbenen Wissens, wobei auch höhere Lernzielebenen bis hin zur Ebene „Bewertung“, durch die kontinuierliche Reflexion und Beurteilung der getroffenen Entscheidungen zugänglich sind.[81]
Innerhalb der kognitiven Lernziele lassen sich zwei prinzipielle Zielbündel, domänen-spezifisches und domänen-übergreifendes Lernen, differenzieren.[82] Insbesondere bei Dominanz des Grobziels „Vermittlung der verhaltensbestimmenden Strukturen“ (Punkt 1), wie es von den auf System Dynamics basierenden Unternehmenssimulatoren zur Unterstützung von Lernprozessen im Strategischen Management verfolgt wird, sind diese beiden Zielbündel relevant. Domänen-spezifisches Lernen soll Struktureinsichten in das abgebildete System und in dessen dynamische Aspekte vermitteln. Domänen-übergreifendes Lernen geht darüber hinaus und soll den Lernenden befähigen, die gewonnenen Einsichten in das komplexe System und dessen dynamisches Verhalten zu verallgemeinern, damit diese auf andere komplexe Systeme übertragen und diese besser durchschaut werden können.
Auf die Entwicklung oder Veränderung emotionaler Haltungen, Einstellungen, Wertschätzungen oder Interessen zielen affektive Lernziele. In Abhängigkeit der zunehmenden Internalisierung kategorisiert Orth hierarchisch folgende fünf Lernzielebenen: Aufmerksam werden, Reagieren, Werten, Wertordnung und Bestimmtsein durch Werte. Er attestiert Unternehmenssimulatoren positive Wirkungen auf die drei unteren Ebenen.[83] Ein konkretes affektives Lernziel wäre beispielsweise die Motivation des Teilnehmers, sich intensiv und selbsttätig mit dem im Simulator abgebildeten Sachverhalt zu befassen.
Instrumentelle Lernziele sollen die Verhaltensweisen in spezifischen Situationen entwickeln und verbessern. Als Beispiele können Arbeitstechniken und Arbeitsorganisation genannt werden. Auch Führungsmethoden sind trainierbar, wobei dafür eher Planspiele aufgrund ihres multipersonellen Charakters in Frage kommen.
3.2.2 Die Benutzeroberfläche
Der Teil einer Software, mit dem der Benutzer in unmittelbarem Kontakt steht und über den er mit dem zugrunde liegenden Modell und anderen funktionalen Bausteinen kommuniziert, ist die Benutzeroberfläche.[84] Die Benutzeroberfläche dient somit dem Informationsaustausch an der Schnittstelle zwischen Mensch und Computer und ist das, was der Anwender auf dem Bildschirm sieht, wie der Benutzer mit dem Modell und der Funktionalität interagiert und wo die Befehle zur Steuerung des Simulators eingegeben werden. Aber auch die Anpassung der Benutzeroberfläche an individuelle Bedürfnisse, wie die Skalierung von Fenstern und die Auswahl geeigneter Variablen und Anzeigeoptionen zur Visualisierung des Modellverhaltens, können hier vorgenommen werden.
Als zentrale Aufgabe kommt der Benutzeroberfläche eines Unternehmenssimulators die Gewährleistung eines einfachen und intuitiven Zugangs zum zugrunde liegenden Modell und der weiteren Programmfunktionalität zu.[85] Einfach und intuitiv soll sie deshalb sein, da die Benutzer über unterschiedliche Kenntnisse im Umgang mit Computern und Computersoftware verfügen. Die Einarbeitungszeit zur Bedienung soll damit unabhängig von den Vorkenntnissen der Anwender möglichst kurz sein. Vor allem im Hinblick auf den Einsatz von Unternehmenssimulatoren in zeitlich begrenzten Lernlaboratorien ist dies von Bedeutung. Aber auch der Reduktion der Auslastung des Kurzzeitgedächtnisses der Benutzer soll durch einen einfachen und intuitiven Aufbau der Benutzeroberfläche Rechnung getragen werden, in der Art, dass Bedienelemente, die für den Anwender neu oder fremd sind, das Kurzzeitgedächtnis nicht überfordern und Wiedererkennungshilfen der auswählbaren Aktionen, beispielsweise durch eine ständig sichtbare Menüleiste, bieten.[86]
Ein Mittel, mit welchem die Forderung nach einer einfachen und intuitiven Bedienung eines Unternehmenssimulators erfüllt werden kann, ist der Interaktionstyp „direkte Manipulation“[87]. Erst im Zuge der Entwicklung grafikfähiger Bildschirme gewannen DM-Systeme an Bedeutung und erfüllen einzelne Anforderungen an Benutzerfreundlichkeit besser als kommandosprachliche Programmsysteme ohne graphische Darstellungsmöglichkeiten. Ein dem Prinzip der direkten Manipulation folgendes Programm erfordert zum Eingeben und Editieren von Daten und Dateien neben der Spracheingabe über die Tastatur vor allem externe Zeigegeräte, allen voran die Computermaus. Insbesondere Anfängern ohne Computerkenntnisse soll durch Verwendung von vertrauten und graphisch dargestellten Objekten die Bedienung der Software erleichtert werden. Darüber hinaus sollte der Entwurf von DM-Systeme auf einfachen, emotional ansprechenden Metaphern beruhen.[88] Shneiderman identifiziert acht „golden rules“, die für dialogorientierte Benutzeroberflächen[89] durch Einsatz von DM erreichbar sind bzw. als Gestaltungsregeln heranzuziehen sind:[90]
- Konsistenz,
- Abkürzungen für Experten,
- informativer Feedback über Systemzustände,
- Abschlussmeldungen für Prozesse,
- einfache Fehlerbehandlung,
- einfache Korrigierbarkeit von Aktionen,
- Kontrolle durch den Benutzer,
- Reduktion der Beanspruchung des Benutzers und der Auslastung des Kurzzeitgedächtnisses.
Im Folgenden werden einige Implikationen angesprochen, die sich für das Design der Benutzeroberfläche eines Unternehmenssimulators zur Unterstützung von Lernprozessen ergeben.
In einer Studie haben Howie u.a. untersucht, inwieweit die konkrete Gestaltung der Benutzeroberfläche Auswirkungen auf die „misperceptions of feedback“ hat.[91] Die dazu entwickelte Benutzeroberfläche folgt dem Prinzip der Visualisierung von Systemzusammenhängen höherer Ordnung. Damit soll dem „out of sight, out of mind“ Phänomen entgegengewirkt werden, welches die natürliche Tendenz des Menschen ist, nicht dargestellte Beziehungen zu ignorieren und als nicht existent zu interpretieren. Angewandt wurden für die konkrete Gestaltung die folgenden Designprinzipien: die Berücksichtigung der natürlichen Tendenzen der Anwender wie beispielsweise das Lesen von links oben nach rechts unten, die Unterstützung des bestehenden Wissens der Anwender, z.B. durch Verwendung von Metaphern, die Präsentation der Daten in graphischer und animierter Form zur besseren Wiedererkennung und die Darstellung der Beziehungen zwischen den Daten. Die diesen Gestaltungsregeln folgende Benutzeroberfläche führte zu einer höheren Performance der Anwender, die jedoch aufgrund der höheren Komplexität der Benutzeroberfläche erst in einem zweiten Durchlauf zum Tragen kam.
In diesem Zusammenhang muss das Problemfeld der Ausgefeiltheit der Benutzeroberfläche von Unternehmenssimulatoren, als eine der drei ein „design trade-off“ bildenden Dimensionen der Komplexität von Unternehmenssimulatoren, angesprochen werden.[92] Werden Unternehmenssimulatoren mit dem Ziel der Vermittlung von strukturellem Wissen eingesetzt, so ist darauf zu achten, dass die Benutzeroberfläche nicht durch deren hohen Detaillierungsgrad, im Sinne einer sehr ansprechenden aber „over-designed“ Benutzeroberfläche, Lernprozesse verhindert, indem sie stark vom zugrunde liegenden Modell ablenkt, bzw. Zusammenhänge im Modell suggeriert, die nicht explizit im Modell enthalten sind und somit zu Fehlannahmen des Anwenders führt. Dieser Effekt wird „video-game-phenomenon“ genannt.[93] Er zeigt sich in der reinen Adaption der Entscheidungen des Anwenders an die vom Unternehmenssimulator dargestellten Ergebnisse, ohne dass über Ursachen des auf den Entscheidungen des Spielers basierenden Systemverhaltens reflektiert wird. Wie aus dem Namen hervorgeht, tritt dieses Phänomen vornehmlich bei den unterhaltungsorientierten Unternehmenssimulatoren auf, die zwangsläufig, aus verkaufstechnischen Argumenten, über wesentlich komplexere Benutzeroberflächen verfügen als die Lernorientierten. Aus diesem Grund werden die Ausgefeiltheit der Benutzeroberfläche in Verbindung mit der weiter unten erläuterten „fidelity“ des Modells und das Video-Spiel-Phänomen bei deren Analyse und besonders im Kapitel 4.2.1 erneut aufgegriffen.
Eine evidente und wesentliche Funktion der Benutzeroberfläche von Unternehmenssimulatoren ist die Darstellung des Zeitverhaltens der enthaltenen Modellvariablen.[94] Dies kann auf unterschiedliche Art geschehen. Einerseits auf Textbasis in Form von Berichten, welche die aktuellen Werte einiger Variablen einer Kategorie (z.B. Finanzen) abbilden und in der nächsten Spielperiode aktualisiert werden, oder als Tabelle, die in jeder Periode ergänzt wird. Andererseits kann die Darstellung der Daten auch durch deren graphische Codierung als Diagramme erfolgen. Der Einsatz von Graphen ermöglicht dem Benutzer das Zeitverhalten leichter zu erfassen, da textbasierte Darstellungsweisen eine höhere geistige Anstrengung zur Interpretation des reinen Zahlenmaterials erfordern. Eine weitere Möglichkeit der Darstellung des Zeitverhaltens ist die Implementierung multimedialer Elemente in die Benutzeroberfläche. Ein User Interface kann dann als multimedial bezeichnet werden, wenn mindestens eines der drei kontinuierlichen Medien, Animation, Video und Audio, neben den diskreten Medien wie Text und Grafik zum Einsatz kommt.[95] Gerade bei den unterhaltungsorientierten Unternehmenssimulatoren werden solche Elemente zu finden sein, im Gegensatz zu den lernorientierten Unternehmenssimulatoren. Aber auch auf diesem Gebiet finden sich inzwischen konzeptionelle Ansätze zur Integration von Multimedia in die Benutzeroberfläche.[96]
Die eben geschilderte Darstellung des Zeitverhaltens der Modellvariablen stellt die Ergebnisrückkopplungen („outcome feedback“) dar, welche durch das Entscheidungsverhalten des Anwenders beeinflusst und generiert werden. Damit erhält der Nutzer aber keine strukturellen Informationen („cognitive“ bzw. „task structure feedback“) über das zugrunde liegende Modell. Diese Form des Feedbacks sollte jedoch ebenso in der Benutzeroberfläche eines Unternehmenssimulators zur Unterstützung von Lernprozessen enthalten sein, um die volle Leistungsfähigkeit und Potentiale des System Dynamics-Ansatzes in Form einer Transparenzfunktion bei Verwendung von Unternehmenssimulatoren, die ja den essentiellen Modellbildungsprozess nicht enthalten, zu gewährleisten.[97] Da aber Strukturinformationen nicht zwingend eine Komponente der Benutzeroberfläche sein müssen, sondern auch auf andere Weise dem Benutzer zugänglich gemacht werden können, ist die Transparenzfunktion vielmehr als einer der funktionalen Bausteine eines Unternehmenssimulators aufzufassen und wird wie die anderen Programmfunktionalitäten im folgenden Kapitel explizit besprochen.
3.2.3 Die Programmfunktionalität
Eine Meta-Ebene zwischen Benutzeroberfläche und zugrunde liegendem Modell stellt die Programmfunktionalität dar und wird programm-technisch als zusätzlicher Code, der einerseits auf dem zugrunde liegenden Modell basiert und andererseits in der Benutzeroberfläche abgebildet wird, in den Unternehmenssimulator integriert.[98] Unternehmenssimulatoren unterscheiden sich dabei aber nicht nur in der jeweiligen konkreten Ausgestaltung einer Funktionalität, sondern auch grundsätzlich in der Frage, ob ein Unternehmenssimulator einen funktionalen Baustein überhaupt enthält. Eine Funktion, die jedoch in allen Unternehmenssimulatoren enthalten ist und durch welche das zugrunde liegende statische Modell erst in dynamisches Zeitverhalten überführt wird, ist die Simulationsfunktion. Nicht alle Funktionen müssen aber unmittelbar im Programmcode des Unternehmenssimulators enthalten sein, sondern können auch mittels anderer Medien für den Anwender bereitgehalten werden, wie an späterer Stelle, am Beispiel der Transparenzfunktion, entnommen werden kann.
Einer der wesentlichen Vorteile, den die Anwendung von Unternehmenssimulatoren als Lernmedium bietet, ist die für den Nutzer bestehende Möglichkeit des freien Experimentierens und Explorierens mit dem Unternehmenssimulator, wobei die Benutzer weitgehend selbstbestimmt ihr Arbeitstempo festlegen, die Zeit einteilen und Schwerpunkte setzen können.[99] Das freie Explorieren bereitet aber auch potentielle Probleme und Gefahren, weshalb die Integration in direktive und nicht-direktive Hilfen unterscheidbare funktionale Bausteine zum Support des Anwenders diskutiert wird.[100] Notizzettel- und Taschenrechner-Funktionen sind Programmfunktionalitäten, die den Anwender, in Abhängigkeit ihrer Strukturierung (z.B. eine Liste vorgefertigter Hypothesen) mehr oder minder direktiv unterstützen.[101] Exportfunktionen für die im Spielverlauf generierten Datensätze zur Analyse in Büroanwendungen, wie z.B. in Microsoft Excel, aber auch die Auswahlmöglichkeiten zur Anzeige bestimmter Ergebnisvariablen in der Benutzeroberfläche und zusätzliche Informationen aus realen Quellen (z.B. Fallstudien) dienen als Supportfunktionen des Anwenders und sollen einen effizienten Lernprozess ermöglichen. Gleiches gilt für die Möglichkeit des Revidierens getroffener Entscheidungen durch eine „Schritt-Zurück-Funktion“ und die Speicherfunktion zur Unterbrechung einer Simulation. Darüber hinaus müssen die Behandlung der Zeit, die Wahlmöglichkeit der Dauer eines Intervalls, die unterschiedlichen Rollen, die der Benutzer einnehmen kann, als weitere funktionale Bausteine eines Unternehmenssimulators genannt werden. Zwei Programmfunktionen, die besonderen Einfluss auf Lernprozesse haben, die Behandlung der Zeit und die Transparenzfunktion, sollen im Folgenden näher vorgestellt werden.
3.2.3.1 Zeit als funktionaler Baustein in Unternehmenssimulatoren
Eine der herausragenden Stärken des System Dynamics-Ansatzes ist die homomorphe Abbildung realer Strukturen, die für eine hohe Validität der auf System Dynamics basierender Modelle und Unternehmenssimulatoren sorgt.[102] Die Behandlung der Zeit in Unternehmenssimulatoren stellt dabei aber eine Ausnahme dar, denn häufig werden zeitabhängige Aspekte der Realität durch das Warten auf Eingaben des Anwenders in ihrem Ablauf unterbrochen. Diese Art von Unternehmenssimulatoren wird als „event-driven“ bezeichnet.[103] Nur durch Auslösen eines Ereignisses durch den Anwender schreitet die Simulation zur nächsten Spielperiode weiter. Die dadurch mögliche Variabilität der Zeit durch „Strecken“ bzw. „Raffen“, nach individuellem Bedarf für Lernprozesse, ist die wesentliche Stärke dieser Form der Zeitbehandlung. Durch das Raffen der Zeit werden eigene Entscheidungen, dadurch hervorgerufene Langzeitwirkungen, die in der Realität oft in ferner Zukunft liegen, für den Anwender erlebbar.[104] Abbildung 5 verdeutlicht die unterschiedliche Dauer der Zeitspannen zur Entscheidungsfindung und deren Verarbeitungszeit bis zu ihrer Verhaltenswirksamkeit in Realität und im Unternehmenssimulator.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Entscheidungs- und Verarbeitungszeit in Realität und Simulator
(Quelle: Größler (2000), S. 106)
Mit dieser Variante der Zeitbehandlung wird den Lernenden ausreichend Zeit zur Reflexion über die Ursachen des Problems gegeben, aber auch das Revidieren von eingeprägten Theorien wird infolgedessen ermöglicht. Die Gefahr, dass die Anwender dem Video-Spiel-Syndrom verfallen wird dadurch eingeschränkt.[105] Für Lernzwecke, mit denen Einsichten in die verhaltensbestimmenden Strukturen von Systemen vermittelt werden sollen, eignen sich besonders solche „event-driven“ Unternehmenssimulatoren, obwohl oder gerade weil der häufig in der Realität anzutreffende inhärente Zeitdruck einer Aufgabe vernachlässigt wird.
Um die in der Realität vorliegende Unbeeinflussbarkeit der Variablen „Zeit“ durch den Anwender in einem Unternehmenssimulator äquivalent abzubilden und somit eine höhere Realitätstreue zu erreichen, kann einerseits Zeitdruck durch einen extern vorgegebenen zeitlichen Rahmen, in welchem die Aufgabe erledigt werden muss, oder andererseits durch eine im Unternehmenssimulator inhärente Limitation der Zeit, in Form eines sog. „auto-progressiven“ Voranschreitens der Entscheidungsintervalle realisiert werden.[106] Die erst genannte Variante soll aus der Betrachtung ausgeklammert werden, da im Falle des Einsatzes eines Unternehmenssimulators in einem Lernlaboratorium wegen dessen zeitlicher Begrenztheit immer ein gewisser Zeitdruck gegeben ist und die Teilnehmer dennoch die vorgegebene Gesamtzeit eigenmächtig auf die einzelnen Spielperioden verteilen können.
Solche Unternehmenssimulatoren, in denen das abgebildete System autonom Zustandsänderungen vornimmt und der Zeitdruck somit in der Aufgabe selbst enthalten ist, werden als „auto-progressiv“, „clock-driven“, „time-driven“ oder auch als „dynamic decision task“ bezeichnet.[107] Technisch realisiert wird dieser Mechanismus der Zeitbehandlung, indem der Simulator nach Verstreichen einer vorgegebenen und in den meisten Fällen konstanten Bedenkzeit, unabhängig davon, ob der Anwender alle Eingaben getätigt hat, die aktuelle Simulationsperiode terminiert und zur nächsten voranschreitet. Im Regelfall wird bei nicht vollständiger Eingabe aller Entscheidungsgrößen einer Periode der letzte regulär eingegebene Wert weiterbenutzt, aber auch andere Möglichkeiten sind denkbar.[108]
Abschließend müssen noch kontinuierliche Simulationen als Sonderform der Real-Time-Unternehmenssimulatoren und Untergruppe der „auto-progressiven“ Unternehmenssimulatoren angesprochen werden. Echtzeit-Unternehmenssimulatoren charakterisieren sich durch die Identität der Simulationsintervalle und der korrespondierenden Periodendauer in der Realität.[109] Den kontinuierlichen Simulationen, bei denen sowohl die virtuelle Periodendauer im Simulator und die Dauer einer Periode der Realität gegen Null tendieren, ist es möglich, unabhängig von Entscheidungs- und Simulationszyklen abzulaufen und ihren Zustand entsprechend der Realität autonom zu ändern. Ein praktisches Beispiel dafür sind die in der Pilotenausbildung eingesetzten Flugsimulatoren. Ferner ist der Ablauf kontinuierlicher Simulationen auch im Zeitraffer und darüber hinaus mit betriebswirtschaftlichem Kontext vorstellbar. In diesem Fall wird von beschleunigten Real-Time-Simulationen gesprochen.[110] Bei solchen beschleunigten Echtzeit-Unternehmenssimulatoren wird der Anwender lediglich auf die Geschwindigkeit, mit der die Simulation abläuft, Einfluss nehmen, bzw. über eine integrierte „Pause-Funktion“ den auto-progressiven Ablauf zur Reflexion unterbrechen können.
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