Die Relevanz sozialen Lernens bei Kindern mit ADHS-Symptomatik


Epreuve d'examen, 2015

73 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. ADHS
2.1 Allgemeine Begriffsbestimmung
2.2 Symptomatik
2.3 „Diagnostik“
2.3.1 Klassifikation der ADHS
2.3.2 Diagnoseverlauf
2.3.3 Der Diagnoseverlauf in der Realität
2.4 Auftretenshäufigkeit und Geschlechterverteilung
2.5 Allgemein anerkannte »Ursachen«
2.6 »Komorbide Störungen«
2.7 Zum Sinn und Unsinn des Störungsbegriffs aus pädagogischer Sicht

3. »Klassische« Behandlungsansätze
3.1 Psychotherapeutischer Ansatz
3.2 Verhaltenstherapeutischer Ansatz
3.3 Medikamentöse Behandlung
3.3.1 Nebenwirkungen
3.3.2 Vor- und Nachteile

4. Kritischer Kommentar

5. Soziales Lernen
5.1 Begriffsbestimmung
5.2 Die Relevanz des sozialen Lernens bei ADHS-typischen Verhaltensweisen
5.3 Stellt die medikamentöse Behandlung von ADHS einen Störfaktor für das soziale Lernen dar?

6. ADHS und Schule
6.1 Die Relevanz sozialen Lernens im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung
6.2 Die Aufgaben des Sonderpädagogen im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung

7. Zum Umgang mit Kindern mit ADHS-Symptomatik in Schule und Unterricht
7.1 Positive Eigenschaften der Kinder mit ADHS Symptomatik stärken
7.2 Struktur in Klassenraum und Unterricht

8. Das Almprojekt »Via nova« von Prof. Dr. Gerald Hüther

9. Fazit und Ausblick

10. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Jeder zehnte Junge in Deutschland ist krank. Zu wild und zu laut. Er testet ständig Grenzen. Er kann in der Schule nicht stillsitzen, ist ungeduldig, kann sich nicht konzentrieren, er wird wütend und aggressiv. Er stört. Er provoziert, obwohl er es nicht will, er fühlt sich missverstanden. Er bekommt schlechte Noten. Er ist schwierig und anstrengend für Eltern und Lehrer, so schwierig, dass er irgendwann beim Kinderarzt sitzt und die Diagnose bekommt: ADHS, das Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom. Dann ist der Junge nicht mehr schwierig, sondern krank“ (Hoffmann, Schmelcher 2012, 1).

Die im Zitat beschriebenen Kinder sind in Deutschland den meisten Menschen bekannt und kaum einer weiß nichts mit der Abkürzung ADHS anzufangen. Durch die Medien und die Wissenschaft wird dieses Thema immer wieder kontrovers diskutiert. In neueren Untersuchungen fragen sich einige Wissenschaftler sogar, ob es die Krankheit, so wie wir sie momentan verstehen, überhaupt gibt (vgl. Hüther 2013, Treu 2014, Saul 2015). Sowohl die Vergabe von Medikamenten wie Ritalinwird stetig diskutiert, als auch die Frage,wie wir mit unseren Kindern in Schule und Elternhaus umgehen. Gibt es auch andere Wege die Symptome,die mit einer ADHS in Verbindung gebracht werden, ins Positive zu wenden und das Verhalten der Kinder und ihre Aufmerksamkeit zu verbessern?

Laut des Eckpunktepapiers des Bundesministeriums für Gesundheit und SozialeSicherung (2002, Artikel 5) ist eine Verabreichung von Medikamenten im Zusammenhang mit einer ADHS-Symptomatik erst nach einer ausführlichen Diagnostik und wenn alle psychoedukativen und psychosozialen Maßnahmen nicht wirksam waren, in Erwägung zu ziehen.

Im Verlauf dieser Arbeit wird auf die Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung im Allgemeinen sowie auf die Symptomatik, Diagnostik und Therapie eingegangen. Vor allem aber darauf, inwiefern das soziale Lernen, als auch das didaktische Konzept »Soziales Lernen« dazu dienen können, die Symptome der betroffenen Kinder zu lindern.

Abschließend ist kenntlich zu machen, dass unter Berücksichtigung des Leseflusses im Verlauf der Arbeit ausschließlich die männliche Form verwendet wird. Diese schließt jedoch selbstverständlich die weibliche Form mit ein.

2. ADHS

Wie bereits eingangs erwähnt, ist ADHS zurzeit in aller Munde und wird vor allem auch immer wieder durch die Medien popularisiert. Deshalb stellt sich die Frage wie es dazu kam, dass ADHS in der Art und Weise besteht, wie wir es heute kennen und warum dieser Störung eine so hohe Aufmerksamkeit zukommt.

Im Allgemeinen wird der Lyriker Heinrich Hoffmann mit seiner Geschichte über den Zappelphilipp als einer der Ersten genannt, die Indizien für die Existenz einer ADHS lieferten (vgl. Lühring 2013, 17). Aus wissenschaftlicher Perspektive waren jedoch Georg Still und Alfred Tredgolddie ersten Autoren, die sich bereits 1902 in der amerikanischen Wissenschaft mit den uns heute bekannten ADHS Symptomen auseinandersetzten (vgl. ebd.). Sie lieferten somit eine erste fachliche Beschreibung dieser Störung und bezeichneten das Beobachtete als „Defekt moralischer Kontrolle“ und als angeboren (vgl. ebd.).

Anfang des 20. Jahrhunderts verfestigte sich in Amerika die Annahme, dass die ADHS Symptomatik auf Hirnschädigungen zurückzuführen ist, woraufhin schon in den 1930er und 1940er Jahren die medikamentöse Behandlung eingesetzt wurde (vgl. Lühring 2013, 18). In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts schien immer deutlicher zu werden, dass die Störung durch Schädigungen im Hirn verursacht wird und wurde sovon Medizinern zum »Minimal Brain Damage Syndrom« ernannt (vgl. Lühring 2013,19). Obwohl niemals überprüft wurde, ob die Betroffenen tatsächlich unter einer Hirnschädigung litten, wurde aufgrund von Beobachtungen und der Entwicklung von Methylphenidat davon ausgegangen, dass ausschließlich eine Hirnschädigung diese Symptome hervorrufen kann (vgl. ebd.). Zu Beginn der 1960er Jahre wurde ADHS nun durch Reinhart Lempp als MCD (Minimal Brain Dysfunction) bezeichnet, wobei die Ursache einer Hirnschädigung immer mehr in den Hintergrund geriet (vgl. Lühring 2013, 19 & Treu, 2014, 23). Gleichzeitig führte Leon Eisenberg den Begriff ADHS ein und ging weiterhin von einer zu behandelnden Hirnschädigung aus. 20 Jahre später revidierte Eisenberg jedoch seine These und behauptete »ADHS ist ein Paradebeispiel für eine fabrizierte Krankheit« (zit. n. Treu 2014, 5). Diese Aussage wurde allerdings nicht sonderlich beachtet, sodass ADHS erhalten blieb und sich immer mehr etablierte. Ab den 70er Jahren entstanden vermehrt Theorien darüber, die Symptome durch eine Stoffwechselfunktionsstörung im Gehirn oder sogar anhand psychoanalytischer Theorien in Form von Erziehungsdefiziten zu erklären (vgl. Treu 2014, 5). Diese unterschiedlichen Auffassungen werden auch immer noch im DSM-IV und der ICD-10 deutlich.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ADHS bereits jetzt eine lange Entstehungsgeschichte hat und diese durch viele Einflüsse geprägt ist. Dies wird auch in Zukunft nichts daran ändern, dass das Thema ADHS zwischen Medizin, Psychologie, Soziologie und Politik angesiedelt bleiben und aufgrund dessen weiterhin kontrovers diskutiert werden wird (vgl. Lühring 2013, 21).

2.1 Allgemeine Begriffsbestimmung

ADHS ist die Abkürzung für Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörung. Heutzutage stellt sie den allgemeinen Begriff für Aufmerksamkeitsstörungen dar und schließt sowohl die Aufmerksamkeitsdefizitstörung mit und ohne Hyperaktivität ein. Eine ältere Schreibweisedifferenzierte dies schon bereits in der Abkürzung „AD(H)S“ (vgl. Neuy-Bartmann 2014, 21). Eine weitere Bezeichnung für ADHS ist das Hyperkinetische Syndrom (HKS), welches allerdings weitaus weniger bekannt ist (vgl. Neuy-Bartmann 2014,22). Da das enthaltene Wort „Kinetik“, welches aus dem griechischen stammt und „Bewegung“ bedeutet, hier nur eine Seite der Störung beschreibt, wird dieser Begriff eher selten für die Beschreibung der ADHS Symptomatik verwendet (vgl. ebd.). Dennoch wird das Hyperkinetische Syndrom als ausschließliche Bezeichnung für die Beschreibung der ADHS Symptomatik in der International ClassificationofDeseases (ICD-10) der World Health Organisation (WHO) verwendet. Anders ist dies im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV) der American Psychiatric Association. Hier wird die ADHS explizit genannt, definiert und klassifiziert. Die ICD-10 und vor allem das DSM-IV bilden die Basis auf der die Diagnoseinstrumente für eine ADHS hauptsächlich aufgebaut sind. Im Folgenden wird die dort festgelegte Symptomatik einer ADHS genauer erläutert.

2.2 Symptomatik

ADHS hat laut DSM-IV und ICD-10 zahlreiche Merkmale, die sich vor allem in Schule und Elternhaus zeigen. Nach Paul Wender handelt es sich also um eine komplexe Symptomatik (vgl. Neuy-Bartmann 2014, 30).

Die folgenden Symptome sind die Kernsymptome einer ADHSund werden auch zur Diagnose der Störung verwendet:

- Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung
- Hyperaktivität oder Hypoaktivität
- Stimmungslabilität
- Desorganisation
- Mangelnde Affektkontrolle
- Störung der Impulskontrolle und der Steuerungsfähigkeit
- Schwierigkeiten mit Mitmenschen und am Arbeitsplatz bzw. in Kindergarten und Schule (vgl. Neuy-Bartmann 2014, 30f.)
- eben den Kernsymptomen zeigen sich außerdem häufig
- schnelle Erschöpfung und Lustlosigkeit,
- Vergesslichkeit und
- Selbstzweifel (vgl. Neuy-Bartmann 2014, 31).

Diese Schlagwörter zeigen sich vor allem im Kontext Schule konkret darin, dass sich die betroffenen Kinder nur schwer ruhig, ausdauernd und gelassen mit einer Sache beschäftigen können (vgl. Lauth, Schlottke, Naumann. 2007, 13). Dies ist nicht nur im Unterricht, sondern auch bei den Hausaufgaben und beim Spielen der Fall.

Die nicht enden wollende Energie der Kinder sorgt dafür, dass sie sich kaum Ruhe gönnen und es nicht schaffen eine längere Zeit still sitzen zu bleiben. Dies beinhaltet gleichermaßen, dass sich aufmerksamkeitsgestörte Kinder nur sehr schwer an Regeln halten können, was dazu führt, dass sie in der Schule häufig Ärger bekommen und beim Spielen oft in einen Streit geraten (vgl. Lauth, Schlottke, Naumann 2007, 13). Durch die Tatsache, dass diese Kinder häufig Streit provozieren und nicht selten aggressiv werden, fällt es ihnen sehr schwer Freunde zu finden und sich in eine Gruppe zu integrieren (vgl. Lauth, Schlottke, Naumann 2007, 13). Es ist also nicht ungewöhnlich, dass sich Kinder mit ADHS Symptomatik kaum über einen längeren Zeitraum auf eine Sache konzentrieren können. Neue Dinge erscheinen ihnen interessant und bekommen für einen kurzen Zeitraum alle Aufmerksamkeit, doch schnell wird auch das Neue langweilig und die Kinder werden wieder unruhig. Andersherum ist eine ADHS nicht nur durch Hyperaktivität und Unaufmerksamkeit gekennzeichnet. Auch »träumerische« Kinder, die stark in sich gekehrt sind werden häufig mit ADHS diagnostiziert (vgl. Lauth, Schlottke, Naumann 2007, 13). Von der Bundesärztekammer wurde diese Gesamtheit der Merkmale im Jahr 2007 auf die drei Grundmerkmale Unaufmerksamkeit, motorische Unruhe und Impulsivität reduziert (vgl. Lühring 2013, 26).

2.3 „Diagnostik“

Die Diagnose einer ADHS ist, genauso wie die Störung selbst, sehr komplex. Sie bedarf einem umfangreichen und zeitaufwändigen Abklärungsprozess, welcher durch das Beschaffen anamnestischer Informationen über den Patienten selbst, das Ermitteln von Sachverhalten durch das Gespräch mit Eltern, Lehrern/Erziehern und die gleichzeitige Verhaltensbeobachtung des Patientengeprägt ist (vgl. Frölich, Döpfner, Banaschewski 2014, 53). Der Abklärungsprozess findet jedoch nach bestimmten vorgegebenen Leitlinien satt, die in den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie (2007) verankert sind.Die Grundlage der Diagnostik bildet die Exploration der Eltern, des Kindes/Jugendlichen und der Erzieher/Lehrer, sodass ohne das Heranziehen des Umfeldes keine genaue Diagnose gestellt werden kann.

Weitere optionale, aber häufig sinnvolle, diagnostische Maßnahmen sind standardisierte Fragebögen sowie testpsychologische Untersuchungen (IQ-Tests, Tests zu sprachlichen und motorischen Leistungsfähigkeit, Aufmerksamkeitsleistungstest, Tests zur Impulsivität, Tests zur Gedächtnisleistung), körperliche und neurologische Untersuchungen (vgl. Frölich, Döpfner, Banaschewski 2014, 53f.).

In der Praxis stehen die Diagnostiker vor der Problematik der Grenzziehung zwischen »problematischem«und somit krankhaftem und »noch normalem« aber stark ausgeprägtem Verhalten (vgl. Becker 2014, 16). Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Übergänge fließend sind und sich Normabweichungen von psychologischen Werten bei psychischen Störungen nicht technisch nachweisen lassen (vgl. Becker 2014, 16). Dennoch lässt sich die Störung ADHS klassifizieren und auf dieser Basis ansatzweise diagnostizieren.

2.3.1 Klassifikation der ADHS

Die ADHS wurde sowohl im DSM-IV der American PsychiatricAssociation als auch in der ICD-10 der World HealthOrganization (WHO) klassifiziert. Die in diesen Klassifikationssystemen beschriebenen Symptome dienen als Basis für die Explorationen und Verhaltensbeobachtungen, die zur Diagnostik der Störung notwendig sind.

Wichtig ist jedoch, dass die Bezeichnung ADHS ausschließlich im DSM-IV verwendet wird und in der ICD-10 lediglich die Hyperkinetische Störung (HKS) als Krankheitsbild aufgeführt wird. Obwohl in Deutschland die Diagnose hauptsächlich auf Basis der ICD-10 gestellt wird, hat sich dennoch der in der DSM-IV verwendete Begriff »ADHS« durchgesetzt.

Zunächst werden jedoch die Leitsymptome der HKS (Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Impulsivität) in der ICD-10 näher beschrieben. Diese sind wiederum in klinische Kriterien und Forschungskriterien unterteilt.Die klinischen Kriterien beschränken sich darauf, dass die Leitsymptome in ausgeprägter Form vorliegen sollen (vgl. Becker 2014, 32). Nach den Forschungskriterien müssen mindestens sechs der genannten Symptome im Bereich Unaufmerksamkeit, drei im Bereich Überaktivität und eines im Bereich Impulsivität vorliegen, um eine ADHS diagnostizieren zu können (vgl. ebd.).

Für einen genaueren Einblick in das Störungsbild, werden im Folgenden die Forschungskriterien für die HKS in der ICD-10 aufgeführt:

„G1. Unaufmerksamkeit:

Mindestens sechs Monate lang mindestens sechs der folgenden Symptome von Unaufmerksamkeit in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden unangemessenen Ausmaß.

Die Kinder

1. sind häufig unaufmerksam gegenüber Details oder machen Sorgfaltsfehler bei den Schularbeiten und sonstigen Arbeiten und Aktivitäten,
2. sind häufig nicht in der Lage, die Aufmerksamkeit bei Aufgaben und beim Spielen aufrecht zu erhalten,
3. hören häufig scheinbar nicht, was ihnen gesagt wird,
4. können oft Erklärungen nicht folgen oder ihre Schularbeiten, Aufgaben oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht erfüllen (nicht wegen oppositionellem Verhalten oder weil die Erklärungen nicht verstanden werden),
5. sind häufig beeinträchtigt, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren,
6. vermeiden häufig ungeliebte Arbeiten, wie Hausaufgaben, die geistiges Durchhaltevermögen erfordern,
7. verlieren häufig Gegenstände, die für bestimmte Aufgaben wichtig sind, z.B. für Schularbeiten, Bleistifte, Bücher, Spielsachen und Werkzeuge,
8. werden häufig von externen Stimuli abgelenkt,
9. sind im Verlauf der alltäglichen Aktivitäten oft vergesslich.

G2. Überaktivität:

Mindestens sechs Monate lang mindestens drei der folgenden Symptome von Überaktivität in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß.

Die Kinder

1. fuchteln häufig mit Händen und Füßen oder winden sich auf den Sitzen,
2. verlassen ihren Platz im Klassenraum oder in anderen Situationen, in denen sitzen bleiben erwartet wird,
3. laufen häufig herum oder klettern exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist (bei Jugendlichen und Erwachsenen entspricht dem nur ein Unruhegefühl),
4. sind häufig unnötig laut beim Spielen oder haben Schwierigkeiten bei leisen Freizeitbeschäftigungen,
5. zeigen ein anhaltendes Muster exzessiver motorischer Aktivitäten, die durch den sozialen Kontext oder Verbote nicht durchgreifend beeinflussbar sind.

G3. Impulsivität:

Mindestens sechs Monate lang mindestens eins der folgenden Symptome von Impulsivität in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß.

Die Kinder

1. platzen häufig mit Antworten heraus, bevor die Frage beendet ist,
2. können häufig nicht in einer Reihe warten oder warten, bis sie bei Spielen oder in Gruppensituationen an die Reihe kommen,
3. unterbrechen und stören andere häufig (z.B. mischen sie sich ins Gespräch oder Spiel anderer ein),
4. reden häufig exzessiv ohne angemessen auf soziale Beschränkungen zu reagieren.“ (zit.n. Bundesärztekammer 2005, 6ff.)

Zusätzlich müssen folgende Kriterien überprüft werden:

G4. Beginn der Störung vor dem siebten Lebensjahr.

G5. Symptomausprägung: Die Kriterien sollen in mehr als einer Situation erfüllt sein, z.B. sollte die Kombination von Unaufmerksamkeit und Überaktivität sowohl zuhause als auch in der Schule bestehen oder in der Schule und an einem anderen Ort, wo die Kinder beobachtet werden können, z. B. in der Klinik. (Der Nachweis situationsübergreifender Symptome erfordert normalerweise Informationen aus mehr als einer Quelle. Elternberichte über das Verhalten im Klassenraum sind meist unzureichend.)

G6. Die Symptome von G1. - G3. verursachen deutliches Leiden oder Beeinträchtigung der sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsfähigkeit.

G7. Die Störung erfüllt nicht die Kriterien für eine tiefgreifende Entwicklungsstörung (F84.-), eine manische Episode (F30.-), eine depressive Episode (F32.-) oder eine Angststörung (F41.-).“ (zit.n. Bundesärztekammer 2005, 8)

Im DSM-IV werden ebenfalls drei Kernsymptome genannt (Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität). Anders als in der ICD-10 müssen jedoch nicht alle Kernsymptome auftreten, um eine ADHS diagnostizieren zu können. Vielmehr ist die Kombination der Kernsymptome ausschlaggebend. So kann entweder Unaufmerksamkeit ODER Hyperaktivität in Verbindung mit Impulsivität zu einer Diagnose führen. Laut der Arbeitsgemeinschaft ADHS (2007,1) können auf diese Weisedie drei Subtypen „vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ“, „vorwiegendunaufmerksamer Typ“ und „kombinierter Typ“ voneinander unterschieden werden.

Im DSM-IV werden die folgenden Symptome für eine ADHS genannt:

„A. Entweder Punkt (1) oder Punkt (2) müssen zutreffen:

A.1 Sechs (oder mehr) der folgenden Symptome von Unaufmerksamkeit sind während der letzten sechs Monate beständig in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß vorhanden gewesen:

Unaufmerksamkeit

1. (a) beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten, bei der Arbeit oder bei anderen Tätigkeiten,
2. (b) hat oft Schwierigkeiten, längere Zeit die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder beim Spielen aufrechtzuerhalten,
3. (c) scheint häufig nicht zuzuhören, wenn andere ihn / sie ansprechen,
4. (d) führt häufig Anweisungen anderer nicht vollständig durch und kann Schularbeiten, andere Arbeiten oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht zu Ende bringen (nicht aufgrund oppositionellen Verhaltens oder von Verständnisschwierigkeiten),
5. (e) hat häufig Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren,
6. (f) vermeidet häufig, hat eine Abneigung gegen oder beschäftigt sich häufig nur widerwillig mit Aufgaben, die länger andauernde geistige Anstrengungen erfordern wie Mitarbeit im Unterricht oder Hausaufgaben),
7. (g) verliert häufig Gegenstände, die er / sie für Aufgaben oder Aktivitäten benötigt (z. B. Spielsachen, Hausaufgabenhefte, Stifte, Bücher oder Werkzeug),
8. (h) lässt sich öfter durch äußere Reize leicht ablenken,
9. (i) ist bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich.

A.2 Sechs (oder mehr) der folgenden Symptome der Hyperaktivität und Impulsivität sind während der letzten sechs Monate beständig in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß vorhanden gewesen.

Hyperaktivität

a. zappelt häufig mit Händen oder Füßen oder rutscht auf dem Stuhl herum,

b. steht in der Klasse und anderen Situationen, in denen Sitzen bleiben erwartet wird, häufig auf,

c. läuft häufig herum oder klettert exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist (bei Jugendlichen oder Erwachsenen kann dies auf ein subjektives Unruhegefühl beschränkt bleiben),

d. hat häufig Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten ruhig zu beschäftigen,

e. ist häufig auf Achse oder handelt oftmals, als wäre er / sie ̃getrieben,

f. redet häufig übermäßig viel (in ICD-10 als Impulsivitätsmerkmal gewertet).

Impulsivität

g. platzt häufig mit den Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist,

h. kann nur schwer warten, bis er / sie an der Reihe ist,

i. unterbricht und stört andere häufig (platzt z. B. in Gespräche oder Spiele anderer hinein).

B. Einige Symptome der Hyperaktivität, Impulsivität oder Unaufmerksamkeit, die Beeinträchtigungen verursachen, treten bereits vor dem Alter von sieben Jahren (bzw. sechs Jahren nach ICD-10) auf.

C. Beeinträchtigungen durch diese Symptome zeigen sich in zwei oder mehr Bereichen (z. B. in der Schule bzw. am Arbeitsplatz oder zu Hause).

D. Es müssen deutliche Hinweise auf klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen der sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsfähigkeit vorhanden sein.

E. Die Symptome treten nicht ausschließlich im Verlauf einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung, Schizophrenie oder einer anderen psychotischen Störung auf und können auch nicht durch eine andere psychische Störung besser erklärt werden (z. B. affektive Störung, Angststörung, dissoziative Störung oder eine Persönlichkeitsstörung).“ (zit.n. Bundesärztekammer 2005, 9f.)

Im revidierten Diagnosticand Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-V) müssen, anders als im DSM-IV und in der ICD-10, die Symptome nun nicht mehr vor dem siebten, sondern vor dem zwölften Lebensjahr erstmals aufgetreten sein. Diesführt dazu, dass mehr Kinder mit einer ADHS diagnostiziert werden (vgl. Becker 2014, 35).

Weitestgehend werden anhand dieser Kriterien die Diagnoseinstrumente beziehungsweise die Diagnose an sich erstellt. Der genaue Diagnoseverlauf wird daher im folgenden Kapitel beschrieben.

2.3.2 Diagnoseverlauf

Die Diagnose ist die Voraussetzung für eine differenzierte Therapie und stellt immer einen aufwändigen Prozess dar (vgl. Steinhausen, Rothenberger, Döpfner 2010, 201). Außerdem setzt die Diagnose Fachwissen voraus und sollte nur durch Experten durchgeführt und gestellt werden. Dabei ist ein diagnostischer Prozess von drei bis fünf Sitzungen à 45 Minuten empfehlenswert (Lühring 2013, 49). Als erste Anlaufstelle gelten häufig Kinder- und Jugendmediziner, da die Versorgungsdichte mit Kinder- und Jugendpsychiatern und -psychologen häufig unzulänglich ist (vgl. Steinhausen, Rothenberger, Döpfner 2010, 201). Dennoch sollte die Diagnose einer HKS beziehungsweise ADHS eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Psychiatern und Psychologen darstellen.

Da es jedoch bei psychischen Störungen, anders als bei organischen Krankheiten, keine entsprechenden (labor-)technischen Nachweismethoden gibt, muss sich im Diagnoseverlauf hauptsächlich auf Patienten- und Umfeldinterviews gestützt werden (vgl. Becker 2014, 16). Lühring (2013, 49) empfiehlt dabei die multiaxiale Diagnostik, welche sich auf sechs Achsen bezieht. Diesebeschäftigt sich auf Achse eins mit dem klinisch-psychiatrischen Syndrom, auf Achse zwei mit den umschriebenen Entwicklungsstörungen, auf der dritten mit dem Intelligenzniveau, viertens mit der körperlichen Symptomatik, auf der fünften Achse mit den assoziierten aktuellen abnormen psychosozialen Umständen und auf der sechsten und letzten Achse mit der globalen Beurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus (vgl. ebd.). Steinhausen, Rothenberger und Döpfner (2010, 203 ff.) benennen diese Schritte als Interview, Verhaltensbeobachtung, Fragebögen und Beurteilungsskalen, psychologische Tests, körperliche Untersuchungen und die Differenzialdiagnose. Diese vielseitigen Diagnoseschritte sind vor allem für eine individualisierte Diagnose relevant und müssen daher in ihrer Gesamtheit durchgeführt werden, um eine Fehldiagnose vermeiden zu können (vgl. Lühring 2013, 49).

Eine alleinige Diagnose auf der Basis der Kriterien des DSM-IV und der ICD-10 ist vor allem bei Kindern im Vorschulalter besonders schwierig, da in den Manualen die spezifischen Störungsbilder bei Kindern nicht ausreichend abgebildet sind (vgl. Lühring 2013, 50).Da die Diagnoseverfahren hauptsächlich für Kinder in der Grundschule entwickelt wurden, fällt es nicht nur bei der zuvor genannten Gruppe, sondern auch bei Jugendlichen und Erwachsenen schwer eine Diagnose anhand der Manuale zu stellen (vgl. Lühring 2013, 50).

Um organische Erkrankungen ausschließen zu können, müssen vor allem auch grundlegende medizinische Tests mit den Patienten durchgeführt werden. Dazu zählen beispielsweise Hör- und Sehtests, ein EEG, eine entwicklungsneurologische Diagnostik und eine Labordiagnostik (vgl. Lühring 2013, 50f.).

Im Folgenden werden die verschiedenen Ebenen der mehrdimensionalen Untersuchung dargestellt, wobei sich hauptsächlich auf das Werk von Steinhausen, Rothenberger und Döpfner (2010) bezogen wird.

Interview

Wie bereits erwähnt, steht in der Diagnostik einer ADHS das Interview mit dem Patienten und seinem direkten Umfeld im Mittelpunkt der Untersuchung (vgl. Steinhausen, Rothenberger, Döpfner 2010, 201). Ratsam ist es bei einem Patienten im Kindesalter, das Interview mit den Eltern des Patienten zu führen, daerst mit steigendem Alter die Selbstauskunft an Relevanz gewinnt und erst dann zur Diagnose hinzugezogen werden kann (vgl. Steinhausen, Rösler 2010, 203). Ob dies jedoch der Fall ist, hängt stark von Alter, Intelligenz, der Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und möglichen Begleiterkrankungen des Patienten ab (vgl. Lühring 2013, 53).

Gegenstand des Interviews sollen der Vorstellungsanlass, eine detaillierte Anamnese, die Psychopathologie, komorbide Symptome, die psychosoziale Funktionstüchtigkeit sowie die Beurteilung verschiedener Aspekte des Familienlebens sein. In Bezug auf das Familienleben werden vor allem das allgemeine familiäre Zusammenleben, familiäre Beziehungen und die erzieherischen Kompetenzen der Eltern erfragt (vgl. Steinhausen, Rösler 2010, 203). Das Interview mit dem Patienten beziehungsweise seinen Eltern kann nur aufgrund einer guten Beziehung zwischen Untersucher und Befragten stattfinden, um auch sensible Themen ansprechen zu können. Außerdem erlaubt es dem Untersucher zugleich eine Verhaltensbeobachtung, die während des Interviews beiläufig stattfinden kann (vgl. Steinhausen, Rösler 2010, 203).

Zur Diagnose von ADHS sind standardisierte Interviewleitfäden auf Basis der ICD-10 und dem DSM-IV, beispielsweise im Kinder Diagnostik System (KIDS 1) von Döpfner, Lehmkuhl, Steinhausen (2006), enthalten. Konkret sind es vor allem der Fremdbeurteilungsbogen (FBB-AD(H)S) und der Selbstbeurteilungsbogen (SBB-AD(H)S) sowie das Explorationsschema für Hyperkinetische und Oppositionelle Verhaltensstörungen (ES-HOV) und die Diagnose Checkliste für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (DCL-ADHS), die für Interviews in der ADHS-Diagnostik genutzt werden.

Verhaltensbeobachtung

Explorationen (bspw. anhand von Fragebögen und Interviews) und Verhaltensbeobachtungen sind voneinander zu unterscheiden. Explorationen erfassen Verhalten nicht direkt, sondern ausschließlich die Wahrnehmung des Verhaltens durch den Beurteiler wird wiedergeben (vgl. Döpfner 2010, 208). Verhaltensbeobachtungen hingegen können diese Verzerrungen ausgleichen, da sie unabhängig vom Beobachter durchgeführt werden können und somit potentiell als Methode mit den besten objektiven Ergebnissen zählt (vgl. ebd.). Während einer Verhaltensbeobachtung wird nämlich das Verhalten in einer umschriebenen Situation für eine bestimmte Zeit beobachtet und kann daraufhin auf der Basis eines Schemas kodiert oder in Form eines Textes dokumentiert werden (vgl. ebd.). Dennoch muss besonders auf die Validität der Durchführung geachtet werden, indem die Ergebnisse unabhängig vom Beobachtenden gleich bleiben.

Die Methoden der Verhaltensbeobachtungen werden nach den Orten der Verhaltensbeobachtung eingeteilt, wodurch sie sich in Verhaltensbeobachtung in klinischen Situationen und im natürlichen Umfeld unterteilen lassen (vgl. Döpfner 2010, 208ff.).

Die klinische Verhaltensbeobachtung wird in einer Praxis oder einer Klinik durchgeführt und stellt für den Patienten eine »künstliche« Situation dar. Außerdem findet sie zeitgleich zur Exploration, der Durchführung von Tests, in Spielsituationen oder während der gemeinsamen Exploration von Eltern und Kind statt (vgl. Döpfner 2010, 209). Hierbei ist jedoch der Übertrag der gezeigten Verhaltensweisen auf den Alltag problematisch, da sich nämlich nicht pauschal sagen lässt, ob diese sichebenso im Alltag zeigen,wodurch das Hinzuziehen von weiteren Informationen relevant wird (vgl. ebd.)

Im Allgemeinen ist ein geeignetes standardisiertes Verfahren einer klinischen Verhaltensbeobachtung beispielsweise die VEWO (Verhaltensbeobachtung während der Untersuchung) von Döpfner und Petermann (2008). Dieses Verfahren ist auch im KIDS 3 enthalten, welches sich besonders mit störungsübergreifenden Verfahren zur Diagnostik psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter beschäftigt. Es dient besonders der Untersuchung des Instruktionsverständnisses, der Kooperation im Test, Interesse am Test, Unsicherheit und Ängstlichkeit, Frustrationstoleranz, motorischen Unruhe, Ablenkbarkeit, Konzentration, Impulsivität, Arbeitsgeschwindigkeit und aufmerksamkeitssuchenden/demonstrativen Verhaltens (vgl. Döpfner 2010, 210). Ein weiteres zeitökonomisches Instrument ist das RAS-Verfahren (RestrictedAcademicalStituation) von Barkley (1991), welches innerhalb von 15 Minuten die motorische Aktivität und das Aufmerksamkeitsverhalten des Patienten erfasst (vgl. Döpfner 2010, 211).

In Bezug auf die ADHS-Diagnostik ist diese Methode jedoch eher ungeeignet, da Kinder mit ADHS Symptomatik in neuen, interessanten Situationen keine typischen Verhaltensweisen zeigen und sich somit weniger auffällig verhalten als im »realen« Umfeld (vgl. Döpfner 2010, 209ff.).

Die Verhaltensbeobachtung im natürlichen Umfeld ist jedoch weitaus valider als die zuvor dargestellte Methode (vgl. ebd.). Sie besteht darin, dass die Verhaltensbeobachtung in einem bekannten Umfeld, beispielsweise in der Schule oder zu Hause etc. stattfindet. Dennoch kann das Ergebnis der Verhaltensbeobachtung durch die Anwesenheit einer unbekannten Person verzerrt werden (vgl. Döpfner 2010, 2012).

Laut Döpfner (2010, 212) soll die Verhaltensbeobachtung durch Eltern und Erzieher/Lehrer als besonders valide gelten, da diese genauere Angaben über die Auftretenshäufigkeit von Problemen liefern können. Zusätzlich lassen sich konkret zu beobachtende Probleme durch diese Personengruppen leichter erfassen (vgl. Döpfner 2010, 212).

Da im Zusammenhang mit einer ADHS Diagnostik häufig auftretende Ereignisse schlechter zu beobachten sind, ist es ratsam lediglich einzelne Situationen zu beobachten und zum Beispiel nicht den gesamten Schultag. Zusätzlich können hierbei Videoaufnahmen Erleichterung verschaffen (vgl. Döpfner 2010, 212).Im Gegensatz zur klinischen Beobachtung ist die Verhaltensbeobachtung im natürlichen Umfeld jedoch weniger zeitökonomisch.

Um die Zielverhaltensweisen von Schülern mit ADHS, die durch verhaltenstherapeutische Techniken Beeinflusst werden sollen, zu spezifizieren, wurde 1992 von Swanson die SKAMP(Swanson, Kotkin, Agler, M-Flynn und Pelham-Skala) entwickelt (vgl. ebd.). Die entsprechende deutsche Version dieser Skala ist der Fragebogen zur Verhaltensbeurteilung im Unterricht (FVU), welcher auch im KIDS 1 enthalten ist und sich auf Aufmerksamkeitsprobleme und Regelbeachtung konzentriert (vgl. ebd.).

Fragebögen und Beurteilungsskalen

Fragebögen und Beurteilungsskalen sind wichtige Bestandteile der ADHS Diagnostik und sind als Ergänzung zu Interviews und Verhaltensbeobachtungen anzusehen (vgl. Görtz-Dorten, Döpfner, Rösler2010, 216). Ihr Einsatz wird außerdem in den nationalen und internationalen Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit ADHS empfohlen, weil anhand dieser verschiedene Perspektiven erfragt werden können (vgl. ebd.). Die Erfassung unterschiedlicher Sichtweisen ist dahingehend von hoher Relevanz, da in den Interviews und Verhaltensbeobachtungen nur moderate Zusammenhänge zu verzeichnen sind (vgl. ebd.). Dies lässt sich auf eine unterschiedliche Wertung des gezeigten Verhaltens des Patienten und/oder auf unterschiedliches Verhalten des Patienten in einzelnen Settings zurückführen (vgl. ebd.). Außerdem ist dies auch für die Erfassung der Anforderungen der ICD-10 und dem DSM-IV für die Diagnostik einer ADHS bedeutsam, da nur dann eine ADHS vorliegen kann, wenn das Verhalten in mindestens zwei verschiedenen Settings auftritt (vgl. Görtz-Dorten, Döpfner, Rösler 2010, 216).

Die verwendeten Verfahren lassen sich in Breitbandverfahren, störungsspezifische Verfahren und Verlaufskontrolle einteilen. Für das Breitbandverfahren, welches zusammen mit dem störungsspezifischen Verfahren auch als Eingangsdiagnostik verwendet werden kann, hat sich die CBCL/4-18 (Child Behaviour Checklist) der deutschen Arbeitsgruppe Child Behaviour Checklist als besonders hilfreich zur Erfassung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen erwiesen (vgl.Görtz-Dorten, Döpfner, Rösler 2010, 219).Diese Fragebögen können sowohl von Eltern, Lehrern, Erziehern als auch den Kindern selbst (ab einem Alter von elf Jahren) bearbeitet werden (vgl. ebd.). Für Kinder im Vorschulalter sind adaptierte Fragebögen vorhanden (vgl. ebd.).

In Bezug auf das störungsspezifische Verfahren existieren viele verschiedene Ansätze die der Erfassung der ADHS Symptomatik dienen. Viele dieser Verfahren lassen sich ebenfalls im KIDS 1 wiederfinden (vgl. Görtz-Dorten, Döpfner, Rösler 2010, 220). Vor allem die Kriterien der ICD-10 und dem DSM-IV werden in diesen Fragebögen und Beurteilungsskalen abgeklärt. Konkret zu nennen ist dazu die DCL-ADHS (Diagnose Checkliste für Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen) (vgl. ebd.). Hier können ebenfalls die zuvor erwähnten standardisierten Fragebogenverfahren FBB-ADHS und SBB-ADHS verwendet werden, um die Unterpunkte Aufmerksamkeitsstörung, Überaktivität und Impulsivität in ihren Einzelbereichen genauer einzuschätzen (vgl. Görtz-Dorten, Döpfner, Rösler 2010, 222).

Zur Verlaufskontrolle können sowohl Breitband- als auch störungsspezifische Verfahren verwendet werden. Dennoch ist es möglich, die ADHS-KGE (ADHS- klinische Gesamteinschätzung) zur globalen klinischen Beurteilung der aktuellen Symptomatik und Einschätzung der Veränderung der Symptomatik heranzuziehen (vgl. Görtz-Dorten, Döpfner, Rösler 2010, 226). Zur Überprüfung der Effekte einer medikamentösen Therapie einer ADHS findet vor allem der ADHS-TAP (ADHS-Tagesprofilbogen) Anwendung. Er dient der Erfassung der täglichen Wirkdauer der medikamentösen Therapie, wodurch diese optimiert werden kann (vgl. ebd.).

Psychologische Tests

Testpsychologische Untersuchungen sind während einer ADHS Diagnostik unumgänglich, da viele Kinder in Untersuchungssituationen besser abschneiden und als unauffällig eingestuft werden (vgl. Drechsler 2010, 234). Dennoch können diese Kinder ausgeprägte Beeinträchtigungen oder Diskrepanzen im neuropsychologischen Testprofil aufweisen, auch wenn dies aufgrund der Eltern- und Lehrerfragebögen so nicht zu erwarten wäre (vgl. ebd.). So können psychologischen Tests zeigen wo beim Einzelnen Stärken und Schwächen liegen und ob und inwiefernFörderbedarf besteht (vgl. ebd.). Insgesamt dienen diese Tests ebenfalls dazu, das kognitive Leistungsprofil abzuklären und zu beschreiben, zur Kontrolle der Wirksamkeit der Medikamente, der Abklärung komorbider Leistungsstörungen wie Dyskalkulie und Lese-Rechtschreibschwäche und der Verlaufsuntersuchung (vgl. Drechsler 2010, 235). Allgemein findet also eine Abklärung der Wahrnehmungs- und Teilleistungsstörungen sowie der Intelligenz statt (vgl. ebd.).

Dabei bildet die Intelligenzdiagnostik die Grundlage der testpsychologischen Abklärung innerhalb eines ADHS Diagnoseverfahrens (vgl. Drechsler 2010, 237). Beispielsweise kann der HAWIK-IV (Hamburg-Wechsler Intelligenztest für Kinder IV) verwendet werden, um das kognitive Leistungsniveau einzuschätzen und um eine allgemeine Lernstörung ausschließen sowie gegebenenfalls eine Diskrepanz zwischen kognitivem Niveau und aktuellen Schulleistungen aufzeigen zu können (vgl. ebd.). Obwohl ADHS-Kinder IQ-Werte im gesamten möglichen Spektrum aufweisen können, liegen sie im Durchschnitt im Vergleich zu Kindern ohne ADHS ca. neun Punkte unterhalb der Gleichaltrigen (vgl. ebd.).Zur Erfassung von Aufmerksamkeit und exekutiver Funktionen (Planen, Problemlösen, Handlungskontrolle, Steuerung von Motivation und Emotionen (Mayer 2009, k.A.)), wird beispielsweise die TAP (Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung) verwendet, welche auf dem Aufmerksamkeitskonzept von Brouwer (1994) basiert und wobei Intensität und Selektivität der Aufmerksamkeit genauer betrachtet werden (vgl. Drechsler 2010, 237). Sie eröffnen somit die Möglichkeit ein differenziertes Leistungsprofil zu erstellen und Stärken und Schwächen der Patienten herauszuarbeiten (vgl. Drechsler 2010, 238).

Körperliche Untersuchung

Auch eine körperliche Untersuchung reiht sich in die Untersuchungen zu einer ADHS Diagnostik in den Verlauf ein (vgl. Rothenberger 2010, 245). Sie ist notwendig, um Aspekte, wie Hinweise auf körperliche Störungen im zentralen oder peripheren Nervensystem, auf Vernachlässigung oder Missbrauch und körperliche Merkmale auf Geschlechtsentwicklung ausschließen und erfassen zu können (vgl. ebd.). Eine körperliche Untersuchung sollte auch im Zusammenhang mit Interviews und Verhaltensbeobachtungen durchgeführt werden. Hier sollte das Kind zusätzlich unter einem medizinischen Blickwinkel untersucht werden, wobei besonders auf das dysmorphe Syndrom (fetales Alkoholsyndrom), die Motorik, den Muskeltonus, Abwesenheitszustände, Hinweise auf neurologische Störungen, Zuckungen, Vergrößerung der Schilddrüse, Brandnarben/blaue Flecke, Blickkontakt und Sinnesstörungen geachtet werden sollte (vgl. Rothenberger 2010, 245f.). Außerdem ist es sinnvoll obligatorische körperliche Untersuchungen durchzuführen und begleitende Störungen wie Tic-Störungen, fetales Alkohol Syndrom, Entwicklungskoordinationsstörungen, Epilepsie und genetische Syndrome abzuklären, um physische Ursachen für die gezeigten Symptome ausschließen zu können (vgl. Rothenberger 2010, 247f.).

Differentialdiagnose

Zuletzt ist die Differentialdiagnose zu nennen, die dazu dient Krankheiten, die ähnliche Symptome wie die einer ADHS vorweisen, klar abzugrenzen, gegebenenfalls jedoch auch als infrage kommende Störung zu betrachten (vgl. Döpfner, Steinhausen 2010, 249).

Im Grunde bildet daher die Differentialdiagnose das Herzstück der ADHS Diagnostik, da hier differenziert abgeklärt wird zu welcher Diagnose sich die Symptome und Ergebnisse zuordnen lassen. So kann beispielsweise Unruhe auch ein Anzeichen für eine geistige Behinderung, Magersucht oder Depression sein (vgl. ebd.). Demnach muss zu diesem Zeitpunkt besonders genau darauf geachtet werden, das gesamte Störungsbild zu betrachten, um daraufhin eine präzise Diagnose stellen zu können. In dieser Phase der Diagnostik können sich außerdem komorbide Störungen herauskristallisieren (vgl. Döpfner, Steinhausen 2010, 249). So müssen vor allem Bedingungen berücksichtig werden, die ebenfalls ADHS Symptome auslösen können, wie zum Beispiel schulische Über- und Unterforderung und chaotische psychosoziale Bedingungen (vgl. Döpfner, Steinhausen 2010, 250).

Abschließend wird deutlich, dass die Diagnose einer ADHS ein sehr komplexer Vorgang ist und dasses keine einzige Teiluntersuchung gibt, die allein als Grundlage für eine ADHS-Diagnose verwendet werden kann. Ausschließlich durch die Durchführung jeder einzelnen Teiluntersuchung kann eine genaue Aussage getroffen werden. Dies ist jedoch äußerst zeitintensiv und in der Praxis so kaum durchführbar. Diese Problematik wird allerdings im folgenden Kapitel genauer betrachtet.

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Fin de l'extrait de 73 pages

Résumé des informations

Titre
Die Relevanz sozialen Lernens bei Kindern mit ADHS-Symptomatik
Université
University of Cologne  (Humanwissenschaftliche Fakultät)
Note
1,0
Auteur
Année
2015
Pages
73
N° de catalogue
V338157
ISBN (ebook)
9783668276314
ISBN (Livre)
9783668276321
Taille d'un fichier
752 KB
Langue
allemand
Mots clés
ADHS, Soziales Lernen
Citation du texte
Linda Groß (Auteur), 2015, Die Relevanz sozialen Lernens bei Kindern mit ADHS-Symptomatik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/338157

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