Partizipation von Kindern und Jugendlichen im Kontext der Heimerziehung


Dossier / Travail, 2015

16 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Begriff der Partizipation

3. Der Begriff der Heimerziehung
3.1. Historischer Abriss
3.2. Kritik und Wandel

4. Partizipation von Kinder und Jugendlichen im Kontext der Heimerziehung
4.1. Partizipation und Demokratie
4.2. Partizipation und Beziehungsarbeit
4.3. Partizipation und Macht

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Das Kind hat das Recht, ernst genommen, nach seiner Meinung und seinem Einverständnis gefragt zu werden.“

(Janusz Korczak)

Der Begriff der Partizipation ist in allen Bereichen der Sozialpädagogik allgegenwärtig. Die Frage welche Rolle das Kind einnimmt, ob es als Objekt oder Subjekt des pädagogischen Prozesses verstanden wird, ist eine der klassischen Fragen der Pädagogik. Das Zitat von Janusz Korczak wurde ausgewählt, da er bis heute als einer der wichtigsten Vertreter der gelebten Partizipation sowie der Theorienbildung, bezüglich dieser Thematik, gilt. Partizipation ist somit kein neu erfundener Aspekt der pädagogischen Arbeit, sondern immer schon ein Teil dieser. Dennoch unterliegt der Partizipationsbegriff dem zeitlichen Wandel und erfährt derzeit, im Zuge der Individualisierung und Pluralisierung und angesichts der Anforderungen eines demokratischen Gesellschaftssystems, an neuer Gewichtung und gerät in den Fokus der Öffentlichkeit.

Was bedeutet Partizipation und welche Rolle nimmt sie insbesondere in der Geschichte der Heimerziehung ein? Welche Diskrepanzen ergeben sich aus den institutionellen Vorgaben und dem pädagogischen Anspruch auf Partizipation? Welche Auswirkungen lassen sich aus dem Zusammenspiel von Partizipation und den Begrifflichkeiten Demokratie, Beziehungsarbeit und Macht erkennen? Diese Fragen werden im Folgenden erörtert, um die Fragestellung: Welche Partizipationsmöglichkeiten entstehen im Kontext der Heimerziehung für Kinder und Jugendliche? begründet zu beantworten.

Im Rahmen dieser Ausarbeitung wird literaturgestützt erörtert, welche Relevanz der Partizipation im Kontext der Heimerziehung zukommt. Es wird weiterführend geklärt, welche unterschiedlichen Formen von Partizipation in der Jugendhilfe praktiziert werden und welche Herausforderungen damit einhergehen. Dies geschieht unter zur Hilfenahme soziologischer Theorien und einer historischen Betrachtung der Heimerziehung. Es wird zudem argumentiert, welche Voraussetzungen erforderlich sind, um die Idee der Partizipation im Alltag der Heimerziehung umzusetzen und welche Entwicklungen angestoßen werden müssen, um dieses Ziel zu erreichen.

Zu diesem Zweck wird einleitend der Begriff Partizipation umfassend definiert und eine Verortung in der Sozialen Arbeit vorgenommen. Ein Einblick in die rechtlichen Grundlagen sowie die historische Entstehung des Begriffs und seiner Relevanz für die Soziale Arbeit, werden, in diesem ersten Abschnitt, in den Fokus genommen. Anschließend werden ausgewählte Partizipationsdefinitionen verschiedenster Autoren diskutiert. Das dritte Kapitel widmet sich der Darstellung der Heimerziehung, ihrer historischen Entwicklung sowie der Kritik dieses sozialpädagogischen Handlungsfeldes und dient als Grundlage der weiterführenden Argumentation. Der Wandel der Heimerziehung in den 70er Jahren, wird im Kontext der Partizipation, an dieser Stelle ebenso thematisiert. Konkret betrachtet werden die Partizipationsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen im Kontext der Heimerziehung, im vierten Kapitel. Zudem wird an dieser Stelle das Spannungsfeld zwischen Partizipationsmöglichkeiten der AdressatInnen und den institutionellen Vorgaben dargestellt. In den Unterpunkten wird zudem konkreter auf den Einfluss einer demokratischen Ausgestaltung des Heimalltages auf die Partizipation eingegangen und in Folge dessen die Signifikanz der Beziehungsarbeit erläutert. Die Symbiose von Macht und Partizipation wird im anschließenden dritten Unterpunkt kritisch hinterfragt. Abgerundet wird die Ausarbeitung durch ein Fazit, indem die Kernthesen gebündelt aufgeführt und bewertet werden.

2. Der Begriff der Partizipation

Der Begriff der Partizipation ist ursprünglich ein politischer Begriff und wird insbesondere im Zusammenhang mit den Demokratietheorien genannt. Die Beteiligung der Bürger an gesellschaftspolitischen Prozessen sowie an Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen, soll somit gefördert werden.1 Gemäß der Definition der Europäischen Kommission von 2001, sollen Kinder und Jugendliche „verstärkt in die sie betreffenden Entscheidungen sowie ganz allgemein in das Leben der Gesellschaft einbezogen werden“.2 Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) nimmt zudem den Aspekt des Entwicklungsstandes des Kindes mit auf und definiert unter § 8 Beteiligung von Kindern und Jugendlichen des SGB VIII, dass „Kinder und Jugendliche entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen sind.“3 Zudem wird im KJHG das Wunsch und Wahlrecht unter § 5 SGB VIII definiert, welches ebenfalls den Partizipationsgedanken aufgreift und rechtlich normiert. Den Leistungsberechtigten wird ein Anspruch auf Mitsprache bei der Gestaltung, der Hilfe und Aufklärung über diese Partizipationsmöglichkeiten gewährt.

Der Begriff der Partizipation gewann im Zuge der Kinderrechtsbewegung der 70er Jahre zunehmend an Bedeutung.4 Heute kann der Partizipationsbegriff als zentrale Strukturmaxime der modernen, lebensweltorientierten Jugendhilfe gesehen werden und ist aus keiner Debatte der Sozialen Arbeit mehr wegzudenken.5 Im Bereich der Jugendhilfe wird Partizipation eher als Sammelbegriff verstanden und schließt Teilhabe, Beteiligung, Mitbestimmung und Mitwirkung in die Begriffsdefinition mit ein.6 Benedikt Sturzenhecker und Raingard Knauer definierten Partizipation als „Selbstbestimmung der Subjekte und Bürger“,7 denen Freiräume zur mitverantwortlichen Selbstbestimmung gewährt und bereitgestellt werden.

Zudem befinden Knauer und Sturzenhecker, dass Partizipation so gestaltet werden muss, dass sie Mit- und Selbstbestimmung einfordert, aber auch Fehler und Rückschritte als Aspekt des Lernprozesses zu mehr Demokratie versteht.8 Ulrike Urban ergänzt diese Definition und betont den zentralen Aspekt der „Teilhabe der Adressaten an der Entscheidungsmacht“,9 ohne den die Partizipation, ihres Erachtens nach, als Worthülse verkommt. Die Bertelsmann Stiftung betont in ihrer Definition von Partizipation, insbesondere das Prinzip der Nachhaltigkeit. Partizipation muss demnach aktives und nachhaltiges Mitwirken fördern sowie die Lebenswelt der jungen Menschen berücksichtigen und miteinbeziehen.10 Remi Stork kritisiert hingegen, dass in den meisten Praxisdarstellungen, der Begriff der Partizipation durchweg positiv konnotiert ist und appelliert für eine exakte Definitionsbestimmung sowie für einen kritischen Umgang mit dieser Thematik. Ansonsten besteht die Gefahr, dass lediglich eine Scheinbeteiligung der Kindern und Jugendlichen den pädagogischen Alltag bestimmt.11 Derartige Partizipationskonzepte, so Thomas Swiderek, dienen just dazu Widerstände der Beteiligten zu reduzieren. 12 Stork setzt sich zudem mit der Ambivalenz des Partizipationsbegriffes auseinander und stellt fest, dass diese Ambivalenz sich „im Spannungsverhältnis von gesellschaftlichen und erzieherischen Integrationsbemühungen“ sowie den „subjektiven Emanzipationschancen“13 ausdrückt.14 So ist es zum einen der Auftrag der Heimerziehung, die AdressatInnen zu gesellschaftsfähigen Individuen heranzuziehen und gleichzeitig besteht der pädagogische Anspruch, die Kinder und Jugendlichen Miteinzubeziehen und Mitbestimmungsmöglichkeiten zu eröffnen, zwecks eines persönlichen Reifungsprozesses.

3. Der Begriff der Heimerziehung

3.1. Historischer Abriss

Der Ursprung der negativen Assoziationen, die mit dem Stichwort Heimerziehung verbunden sind, resultiert aus der Zeit der Findelhäuser, Klosterschulen, Hospitälern und Armenhäusern des Mittelalters. Diese Form der Einrichtungen galt eher als Aufbewahrungsstätte und verfolgte lediglich den Anspruch, die Grundbedürfnisse der verwaisten Kinder zu stillen und sie zur Gottesfurcht und Demut zu erziehen. Der Erziehungsbegriff beinhaltet zu dieser Zeit jedoch noch keinerlei pädagogische Absichten.15

In Deutschland entstanden die ersten Waisenanstalten im 16. Jahrhundert in den Reichsstädten Lübeck (1546), Hamburg (1567) und Augsburg (1572). Die Kinder wurden als Arbeitskräfte eingesetzt, schlecht versorgt und Bildung galt als Privileg der höheren Schichten. Waisenkinder hatten demnach keinen Zugang zu Bildung.16

Ein prominentes Beispiel dieser Zeit, sind die 1698 von August Hermann Francke gegründeten, Hallischen Anstalten. Diese waren geprägt von Disziplin, Strenge und religiöser Erziehung. Erst zur Zeit der Aufklärung veränderte sich das gesellschaftliche Verständnis, bezüglich des Wertes der Kindheit und eine Kind- orientierte Erziehung hielt mit den großen Pädagogen Rousseau und Pestalozzi Einzug.17 Anstelle von Zucht und Ordnung als Primärkompetenzen traten Liebe und Vertrauen. Die Bedeutung der Beziehungsarbeit nahm somit in Stanz ihren Ursprung und die von Pestalozzi gegebenen Impulse beeinflussten seine Weisenkinder nachhaltig.18 Fortgeführt wird dieser Gedanke im Rauhen Haus in Hamburg, gegründet 1833, von dem Theologen Johann Hinrich Wichern.19 Kurz zusammengefasst, zeichnet sich Wicherns pädagogische Idee durch nützliche Beschäftigung, selbstbestimmte Ordnung, dem fleißigen Gebrauch des göttlichen Wortes und Liebe in den Herzen der Kinder zu erwecken, aus.20

Die Erziehungssituation im Dritten Reich war durchweg durch die Implementierung ideologisch ausgerichtete Erziehungsgewalt geprägt und wurde damit zur staatspolitischen Pflichtaufgabe.21

[...]


1 Vgl. Müller 2009, S. 41.

2 Europäische Kommission 2001, S. 9.

3 KJHG 2010: § 8 Beteiligung von Kindern und Jugendlichen SGB VIII, S. 18.

4 Vgl. Blandow 1999, S. 20.

5 Vgl. Stork 2007, S.20.

6 Vgl. Müller 2009, S. 42.

7 Knauer; Sturzenhecker 2005, S. 68.

8 Vgl. Knauer; Sturzenhecker 2005, S. 68.

9 Urban 2005, S. 173.

10 Vgl. Bertelsmannstiftung 2007, S. 27.

11 Vgl. Stork 2007, S. 19.

12 Vgl. ebd., S. 21.

13 Ebd., S. 32.

14 Vgl. ebd., S. 33.

15 Vgl. Günder 2003, S. 12.

16 Vgl. ebd., S. 13.

17 Vgl. Heitkamp 1984, S. 28.

18 Vgl. Günder 2003, S. 15.

19 Vgl. Heitkamp 1984, S. 29.

20 Vgl. Günder 2003, S. 17.

21 Vgl. Heitkamp 1984, S. 38.

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Partizipation von Kindern und Jugendlichen im Kontext der Heimerziehung
Université
Leuphana Universität Lüneburg
Note
1,0
Auteur
Année
2015
Pages
16
N° de catalogue
V338265
ISBN (ebook)
9783668279858
ISBN (Livre)
9783668279865
Taille d'un fichier
1054 KB
Langue
allemand
Mots clés
Partizipation, Heimerziehung, Sozialpädagogik, Partizipation in der heimerziehung
Citation du texte
Nicoline Rohweder (Auteur), 2015, Partizipation von Kindern und Jugendlichen im Kontext der Heimerziehung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/338265

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