Die sich selbst erfüllende Prophezeiung im Kontext der Sozialen Arbeit

Gefahren von Verhaltenszuschreibungen und mögliche Handlungsalternativen


Dossier / Travail, 2013

19 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhalt

1 Einleitung

2 Sich selbst erfüllende Prophezeiungen 2.1 Definition 2.1.1 Wann spricht man nicht von einer SFP? 2.1.2 Die 3 Stufen der sich selbst erfüllenden Prophezeiung 2.1.3 Bedingungen der sich selbst erfüllenden Prophezeiung 2.2 Selbstzerstörende Prophezeiungen

3 Vorurteile und Erwartungen/ Gefahren bei der Verhaltenszuschreibung 3.1 Etikettierungsansatz/ Labeling-Ansatz 3.1.1 Schritte zur Bestätigung der Erwartungen

4 Schlussfolgerungen für die praktische soziale Arbeit 4.1 Erwartungsveränderung durch Kommunikationsprozesse 4.2 SFPs im Bereich des Lernens und der Erziehung

5 Fazit/ persönliche Stellungnahme

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Jeden Morgen rede ich mir ein, dass mir tagsüber ein kleines Wunder begegnen wird, und siehe, es findet sich eines!“1

Erwin Strittmatter

Alle Menschen erwerben im Lauf des Lebens eine Vielzahl von Erfahrungen, die ihre Zukunftserwartungen prägen. In der Regel sind solche Erwartungen nützlich und hilfreich, denn sie ermöglichen es, sich auf ähnliche Situationen einzustellen. Als problematisch zu beobachten ist jedoch, dass Erwartungen sich verselbständigen und zu einem Faktor werden können, der ihre eigene Erfüllung bewirkt. Dass dies öfter geschieht, als gemeinhin angenommen wird, soll in der vorliegenden Arbeit geklärt werden. Außerdem soll dem Leser die große Gefahr bewusst gemacht werden, die in der Rollenzuschreibung und daraus resultierenden (unbewussten) Verhaltenserwartungen gegenüber Personen besteht. Weiterhin wird den Fragen nachgegangen, wie es im Rahmen der Sozialen Arbeit zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen2 kommen kann und wie alternative Verhaltensstrategien aussehen können. Die Arbeit verzichtet, aufgrund der vielfältigen Forschungslage, bewusst auf das Zitieren bekannter Studien3 zum Sachverhalt. Vielmehr sollen praktische Bezüge im Vordergrund stehen.

Nach einer ausführlichen Definition der SFP und der Erläuterung des Etikettierungsansatzes, werden die Schritte zur Erwartungsbestätigung an einem praktischen Beispiel beschrieben. Anschließend folgen konkrete Schlussfolgerungen für die Soziale Arbeit, unter besonderer Berücksichtigung von Kommunikationsprozessen und des Auftretens von SFPs im Bereich des Lernens und der Erziehung. Abschließend werde ich persönlich Stellung zur Thematik beziehen, in der Absicht, den Leser für den bewussten Einsatz und die Selbstreflexion in Bezug auf die self fulfilling prophecy zu sensibilisieren.

2 Sich selbst erfüllende Prophezeiungen

2.1 Definition

Beim Studium der einschlägigen Literatur fällt auf, dass es unterschiedliche, aber selten klar unterschiedene Bezeichnungen des Begriffs der SFP gibt. Es finden sich jedoch zahlreiche Begrifflichkeiten, die synonym oder als Subkategorien Verwendung finden.4 Zunächst sollen deshalb Ausschnitte verschiedener Definitionsansätze vorgestellt werden, um dann zu einer verständlichen Arbeitsdefinition zu kommen.

Der Soziologe Merton prägte Mitte des 20. Jahrhunderts, als einer der Ersten, den Begriff der self fulfilling prophecy. Er beobachtete, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch ein bestimmtes Verhalten zeigt zunimmt, wenn dieses Ereignis prognostiziert, oder ein bestimmtes Verhalten erwartet wird.5 Die „ursprünglich falsche“ Erwartung bewirkt eine Reihe von Ereignissen, die diese wahr werden lässt. Merton sprach von der Eigendynamik gesellschaftlicher Voraussagen6 und ging dabei vom sogenannten Thomas-Theorem aus, welches besagt, dass ein Ereignis real ist, wenn man es als real definiert. Erklärt wird dieses Phänomen durch das Selbstkonzept eines Menschen.7

Ein wesentliches Merkmal der SFP hat Goldstein in seiner Definition der „prognostischen Erwartungen“ beschrieben. Diese unterscheiden sich von einer exakten Prognose oder einer sich nicht selbst erfüllenden Prophezeiung insofern, als dass das prophezeite Ergebnis nicht eingetreten wäre, wenn die Erwartung nicht übermittelt worden wäre.8 Eine SFP ist weiterhin eine Behauptung, von einer oder mehreren Personen über einen Anderen. Diese entspricht nicht unbedingt der Wahrheit, erzeugt aber bei den Beteiligten ein (unbewusstes) Verhalten, das dieser Behauptung entspricht.9 Die Prophezeiung geht demnach mit größter Wahrscheinlichkeit in Erfüllung, weil sie existiert hat.10

SFPs können außerdem in verschiedene Richtungen wirken; positiv, im Sinne einer Verbesserung, als auch negativ, im Sinne einer Verschlechterung der Situation. Zudem können SFPs bewusst oder unbewusst, implizit oder explizit11 wirksam sein.12

Um zu einer Arbeitsdefinition zu kommen, wird die Einteilung von Ludwig übernommen, der den Begriff der SFP als übergeordneten Terminus für „richtige“ und „falsche“ Voraussagen verwendet. Er definiert eine „sich selbst erfüllende Voraussage“13 als eine, die ihre eigene Erfüllung selbst bedingt. Erwartungen sind dabei als Subkategorie der Voraussagen aufzufassen.14

2.1.1 Wann spricht man nicht von einer SFP?

Solange dem Erwartenden nicht bewusst ist, dass sein Verhalten zur Selbsterfüllung beiträgt, ist die Definition der SFP nicht berührt. Ist ihm die Wirkung seines Verhaltens während des Handelns jedoch bewusst, ist nicht von einer SFP zu sprechen. Somit unterliegt das Resultat nicht mehr primär der Erwartung, sondern der bewussten Entscheidung des Betroffenen und ist folglich nicht als Selbsterfüllung zu bezeichnen.15

2.1.2 Die 3 Stufen der sich selbst erfüllenden Prophezeiung

Um die kausalen Zusammenhänge einer SFP zu verdeutlichen, hat sich das folgende Stufenmodell16 bewährt. Bei jeder SFP sind diese Stufen vorhanden, wobei die vorausgehende jeweils die nachfolgende bedingt.17

a) Erwartung und Tätigen einer Voraussage (Prophezeiung)

Hierbei ist eine Erwartung gemeint, der entsprechend Dinge verlaufen. Ob dabei Annahmen faktisch begründet oder grundlos sind, spielt keine Rolle. Die betreffende Erwartung kann von anderen Menschen oder durch innere Überzeugungen ausgelöst werden und muss als bevorstehende Tatsache gesehen werden, zu deren Vermeidung Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssten. Die Annahmen sind umso überzeugender,je mehr Menschen sie teilen oder je weniger sie bereits bewiesenen Annahmen widersprechen.18

b) Verhalten und Handeln, welches auf der Voraussage basiert (Wirkmechanismus)

Der Wirkmechanismus kann als vermittelndes System zwischen der Voraussage und dem Ergebnis verstanden werden. Dieser lässt die Voraussage erst nach außen hin wirksam werden und beinhaltet immer irgendeine Form von Verhalten.19

c) Verhalten führt zum prophezeiten Resultat (Ereignis/ Selbsterfüllung)

Hierbei ist zu erkennen, dass das Verhalten, welches auf der Prophezeiung basiert, als aktive Intervention, den entscheidenden Unterschied zwischen einer SFP und einer Prophezeiung, die sich nicht selbst erfüllt, ausmacht.20

2.1.3 Bedingungen der sich selbst erfüllenden Prophezeiung2

Festzustellen ist, dass nicht alle Voraussagen zu1 SFPs werden. Welche Bedingungen für das letztliche Entstehen einer SFP nötig sind, ist nach derzeitigem Forschungstand nicht eindeutig zu klären.22

Im Folgenden sollen ausgewählte Hypothesen benannt werden, die das Auftreten von SFPs wahrscheinlicher machen.

a) Voraussagen müssen prinzipiell in Erfüllung gehen können, um selbsterfüllend zu sein.

b) Betroffene müssen das erwartete Ereignis, zumindest geringfügig, kontrollieren können. Der Selbsterfüllungseffekt ist umso wahrscheinlicher, je mehr das vorausgesagte Ereignis, unter der Kontrolle der an der Voraussage Beteiligten steht. Da eigenes Verhalten kontrollierbarer ist als das anderer Personen, dürften intrapersonale Erwartungen stärker selbsterfüllend sein als interpersonale.

c) SFPs sind umso wahrscheinlicher, je stärker persönliches Interesse und emotionale Betroffenheit gegenüber dem erwarteten Ereignis sind.

2.2 Selbstzerstörende Prophezeiungen

Selbsterfüllende und selbstzerstörende Prophezeiungen haben eine gemeinsame Struktur. Sie bestehen aus der Vorhersage, der Psyche des Empfängers und dem Handeln als Schlussfolgerung.23 Im Aufbau unterscheiden sich beide im Handeln des Empfängers, welches durch dessen Psyche beeinflusst wird. Prinzipiell ist eine selbstzerstörende Prophezeiung das Gegenteil einer SFP. Hierbei verhält sich der Vorhersagende bewusst oder unbewusst so, dass die Vorhersage nicht in Erfüllung gehen kann. Da es sich in der Regel um Prophezeiungen mit negativen Auswirkungen handelt, wird der Empfänger entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten, um die vorhergesagte Prophezeiung sich selbst zerstören zu lassen.24

3 Vorurteile und Erwartungen/ Gefahren bei der Verhaltenszuschreibung

Ludwig stellte fest, dass Erwartungseffekte in der Realität weithin unterschätzt werden25 und das Gegenwartserleben deutlich beeinflussen können.26 Er geht sogar so weit, dass er die „axiomatische These“ Watzlawicks27 analog in: „Man kann nicht nichts erwarten“28 formuliert.

Unter die SFP fällt demnach der Prozess der Erwartungsbestätigung.

„Erwartungen sind realitätsbezogene Vorstellungen, die auf die Zukunft gerichtet sind und von denen der Erwartende überzeugt ist, dass sie durch die nachfolgende Ereignisentwicklung bestätigt werden.“29

Eine Erwartungsbestätigung lässt sich somit als eine Erwartung, die ihre eigene Erfüllung selbst bedingt bezeichnen. Ludwig spricht deshalb von einer „sich selbst erfüllenden Erwartung“.30 Somit kann geschlussfolgert werden, dass auch die Erwartungen eines professionellen Helfers die Tendenz haben, als sich selbst erfüllende

[...]


1 Strittmatter. 365 mal gute Laune. Kalenderblatt: 25. Februar

2 Im Folgenden wird für „sich selbst erfüllende Prophezeiung“ entweder die Originalbezeichnung „self fulfilling prophecy“ oder die übliche Abkürzung „SFP“ benutzt. Der Plural lautet dem Zufolge „SFPs“. Vgl. Ludwig. Sich selbst erfüllende Prophezeiungen im Alltagsleben, 15

3 Das klassische wissenschaftliche Experiment zur SFP bzw. dem Pygmalion-Effekt, führten der amerikanische Psychologe Robert Rosenthal und seine Kollegin Leonore Jacobson 1965 durch. Auch Robert Gramling, von der Universität im US-Bundesstaat New York, wies nach, dass Erwartungseffekte an andere oder sich selbst sich bewahrheiten können, weil sich das Verhalten unwillkürlich nach diesen ausrichtet. Der interessierte Leser kann zu den Studienergebnissen zahlreiche Literatur finden. Ein Kurzüberblick findet sich beispielswiese bei: Greitemeyer. Sich selbst erfüllende Prophezeiungen, 81ff

4 Peter H. Ludwig gibt in seinem Buch einen Überblick über das „Begriffschaos“ im Zusammenhang der SFPs. U.a. finden sich Bezeichnungen wie: „sich selbst erfüllende Voraussage“, Pygmalion-Effekt“, „Placebo-Effekt“, „Rosenthal-Effekt“. Vgl. Ludwig. Sich selbst erfüllende Prophezeiungen im Alltagsleben, 48f

5 Ebd.15

6 Vgl. Bierhoff. Sozialpsychologie, 284

7 Erwartungen an das Individuum, werden demnach sukzessiv in dessen Selbstkonzept übernommen und wirken verursachend für weiteres Verhalten. Dabei reagiert der Akteur weniger auf die objektive Realität einer spezifischen Situation, sondern handelt vielmehr aufgrund der individuellen Bedeutung, die er in dieser erkennt. Vgl. Häcker. Psychologisches Wörterbuch, 704f

8 Vgl. Smale. Die sich selbst erfüllende Prophezeiung, 31

9 Vgl. Hobmair. Psychologie, 353

10 Vgl. Ludwig. Sich selbst erfüllende Prophezeiungen im Alltagsleben, 9

11 SFPs können implizit (versteckt) oder explizit (offenkundig) ausgesprochen werden.

12 Vgl. Smale. Die sich selbst erfüllende Prophezeiung, 34

13 Peter H. Ludwig verwendet die Begriffe „sich selbst erfüllende Voraussage“ und SFP synonym. Vgl. Ludwig. Sich selbst erfüllende Prophezeiungen im Alltagsleben, 53

14 Ebd. 50ff

15 Ebd. 72f

16 Vgl. Smale. Die sich selbst erfüllende Prophezeiung, 32

17 Vgl. Ludwig. Sich selbst erfüllende Prophezeiungen im Alltagsleben, 57

18 Vgl. Watzlawick. Anleitung zum Unglücklichsein, 60

19 Vgl. Ludwig. Sich selbst erfüllende Prophezeiungen im Alltagsleben, 57

20 Vgl. Smale. Die sich selbst erfüllende Prophezeiung, 32

21 Die aufgezählten Bedingungen sind der Gliederung von Peter H. Ludwig entnommen. Vgl. Ludwig, Sich selbst erfüllende Prophezeiungen im Alltagsleben, 60f

22 Ebd.

23 Vgl. Kundruß. Selbsterfüllende und selbstzerstörende Prophezeiungen, 21. http://et.fh- duesseldorf.de/home/philotec/data/kundruss-prophezeiungen-2011.pdf (Zugriff am 06. 04. 2013)

24 Ebd.

25 Vgl. Ludwig. Sich selbst erfüllende Prophezeiungen im Alltagsleben, 13

26 Ebd. 33

27 Das Axiom Watzlawicks lautet: „Man kann sich nicht nicht verhalten.“ Vgl. Watzlawick. Menschliche Kommunikation, 51

28 Vgl. Ludwig. Sich selbst erfüllende Prophezeiungen im Alltagsleben, 38

29 Ebd. 32

30 Ebd. 53

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Die sich selbst erfüllende Prophezeiung im Kontext der Sozialen Arbeit
Sous-titre
Gefahren von Verhaltenszuschreibungen und mögliche Handlungsalternativen
Université
CVJM-College Kassel
Note
1,3
Auteur
Année
2013
Pages
19
N° de catalogue
V338351
ISBN (ebook)
9783668277762
ISBN (Livre)
9783668277779
Taille d'un fichier
877 KB
Langue
allemand
Mots clés
sich selbst erfüllende Prophezeiung, Soziale Arbeit, Verhaltenszuschreibungen, Ettikettierungsansatz, Labelling
Citation du texte
Anja Heckel (Auteur), 2013, Die sich selbst erfüllende Prophezeiung im Kontext der Sozialen Arbeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/338351

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